Nº 36 Kunstam Körper - Elisabetta Cipriani · 2016. 12. 7. · Claude Lalannes Brust- und...

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44 Bild links: © 2010 Christie’s Images Limited/VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Bild rechts: Robert Capa/International Center of Photography/Magnum Photos/Agentur Focus/VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Kunst am Körper VON ALEXANDRA GONZÁLEZ SAMMLER SEMINAR Viele große Künstler von der Moderne bis heute schufen intime Werke, die die Grenzen der Tragbarkeit oft lustvoll überschritten. So ist Künstlerschmuck ein schillerndes und wenig beachtetes Sammelgebiet, das es zu entdecken gilt N º 36

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Picasso und Françoise Gilot 1948, fotografiert von Robert Capa. Gilot trägt eine von ihr und Picasso entworfene Kette. Linke Seite: Eine ähnliche Kette der beiden aus Knochen und Stein erzielte 2010 bei Christie’s 32 500 Dollar

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Gäbe es ein Fantasiemuseum für Künstler-schmuck, dann dürfte darin eine Rüstkam-mer nicht fehlen: Dort könnten nämlich Claude Lalannes Brust- und Taillenpanzer, die sie 1969 für die Winterkollektion von Yves Saint Laurent fertigte, den Leib einer modernen Jeanne d’Arc schützen. Ihr Ge-sicht wäre hinter einer goldenen Maske von Man Ray verborgen. Und die Hörnertiara der exzentrischen Leonor Fini verwandelte die Kriegerin im Handumdrehen in eine dunkle Fee. Was sich in unserer Vorstellung zu ei-nem märchenhaften Harnisch zusammen-schmieden lässt, beschreibt nur einige Glanz-lichter eines aufregenden Sammelgebiets voller Überraschungen.

Es ist kein Zufall, dass vor allem die Sur-realisten vieldeutigen, erstaunlichen Künst-lerschmuck entwarfen. Wenn Traumwelten und unterdrücktes Bewusstsein auf der Lein-wand, als Skulptur oder Objekt sichtbar wie-derkehren, weshalb nicht ebenso als Kunst, die man am Körper trägt? Wo die Grenzen zwischen Mensch, Tier, Pflanze und leblo-sem Gegenstand aufgehoben sind, haben

auch Gattungsunterscheidungen ausgedient. Fragmente und Symbole führen als Schmuck-stück ein Eigenleben. Giorgio de Chiricos sil-berner »Torso«-Anhänger scheint sich unmit-telbar aus seinem Gemälde »Die Ungewissheit des Dichters« herausgedreht zu haben. Max Ernsts rätselhafte Nachtmahre manifestieren sich in seinen archaisch anmutenden Gold-masken. Und mit einer Lippenbrosche aus Rubinen und Perlen brachte Salvador Dalí sein erotisches Vokabular zum Sprechen. Über diesem Sammelgebiet könnte als Ein-ladung »Prière de toucher« stehen: bitte be-rühren, wie schon 1947 auf dem berühmten Ausstellungskatalog, der mit Marcel Du-champs angeklebter Schaumstoffbrust aus-gestattet war.

Doch nicht nur die Surrealisten, son-dern Künstler jeder Richtung und Eigenart haben mit diesen Kleinodien experimentiert. Die Liste der Namen liest sich wie eine In-ventur des 20. Jahrhunderts: Julio González, Alberto Giacometti, Gino Severini, Hans Arp, John Chamberlain, Louise Bourgeois, Yayoi Kusama, Anish Kapoor, sie ließe sich beliebig fortsetzen. Wie auch der sogenann-te Autorenschmuck stellt die Bijouterie von Malern und Bildhauern konzeptuelle Fragen jenseits des Dekorativen und reizt zudem die Tragbarkeit weit aus. Künstler streben dabei meist keine simple Miniaturisierung bereits gemachter Arbeiten an, sondern etwas Neues in einer Mikrodarstellung, die in starker Ver-bindung zu ihrem Werk steht.

Es ist eine Nische des Kunstmarkts, doch eine voller Offenbarungen. Wer ahnt schon, dass Lucio Fontana Spaß daran hatte, wenn eine schöne Frau seine perforierte Armschiene am Strand trug? Oder César den Altschmuck seiner Bewunderer zu feuerzeug-förmigen Kompressionen verdichtete? Zur Bekanntheit dieses Gebiets hat ganz maßgeb-lich die Wanderausstellung »From Picasso to Jeff Koons. The Artist as Jeweler« beigetragen. Seit 2008 tourt die Schau mit Exponaten aus dem Besitz der französischen Sammlerin Diane Venet zwischen den Kontinenten und verbreitet das Künstlerschmuckfieber wie ein robustes Virus.

Bislang bewegen sich nur einzelne Händler auf diesem Terrain, überdies fehlen in den Auktionshäusern regelmäßig stattfin-dende Spezial-Sales. Doch immer wieder tau-chen die kleinen Wunderwerke in regulären

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Man Ray war ein Meister des Schmucks. Mit großer Anmut trug Catherine Deneuve 1968, inmitten seiner Skulpturen und Bilder, die Ohrringe »Pendentif Pendant«

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Fantastereien der Surrealisten

Die Surrealisten lebten auch beim Schmuck ihre Bilder-träume aus: 1 Entwurfszeichnung von Salvador Dalí für sein Juwel »Seestern«, 1950. Das Blatt erzielte 2009 bei Christie’s New York mit Aufgeld 47 500 Dollar 2 Leonor Finis hörnerbesetztes »Sujet en or«, 1974, ist wahlweise als Tiara oder Halsreif zu nutzen, bei Didier 85 000 Pfund 3 Man Rays Spiralohrringe »Pendentif Pendant«, ausgeführt um 1970, stiegen 2014 von taxierten 18 000 auf 57 6000 Dollar brutto 4 Mit Man Rays »Optic-Topic Mask« ist der Trägerin jede Aufmerksamkeit gewiss, entworfen 1974, ausgeführt 1978 als 100er-Edition, Preis auf Anfrage bei Louisa Guinness 5 Meret Oppenheims Pelzring, als post-hume Edition bei Gems and Ladders für 3200 Franken

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Schmuckversteigerungen auf. Vintage-Stü-cke von Lichtgestalten der Avantgarde sind heiß umkämpft, trotzdem sind die Preise für Auflagenobjekte aus dieser künstlerischen Nebenströmung im Vergleich zu den Haupt-werken moderat. Wenn man sich schon kei-nen millionenteuren Roy Lichtenstein an der Wand leisten kann, dann vielleicht eine emaillierte »Modern Head«-Brosche, die es als Multiple für wenige tausend Euro gibt. Zum Einstiegsticket in das Sammelareal taugt auch ein vergoldeter »Love«-Ring von Robert Indiana, der mit dem Hippie-Em-blem zur Pop-Art-Legende wurde – um die 500 Euro, mehr sollte er nicht kosten.

Der Calder-BoomKünstlerschmuck ist keine Erfindung der Moderne, schon Hans Holbein der Jüngere zeichnete Entwurfsskizzen exquisiter Juwe-len und setzte sie auf seinen höfischen Por-träts in Szene. Aber erst im 20. Jahrhundert, als die Leinwand von den Fesseln der Reprä-sentation befreit wurde, tasteten sich die Künstler mit konzeptuellen Erkundungen und einem sehr persönlichen Ausdruck auch an Schmuck heran. Manchmal sind diese Ar-tefakte Zeugen einer großen Intimität, wenn

sie für einen geliebten Menschen entstanden und nicht dazu bestimmt waren, in den Kreislauf des Handels zu geraten. Als Dora Maars Nachlass 1998 in Paris versteigert wur-de, staunte man nicht schlecht über kleine gravierte Kieselsteine und ein Terrakotta-amulett, in das Pablo Picasso das weinende Antlitz seiner Muse geritzt hatte. Ihre Nach-folgerin Françoise Gilot trägt auf dem be-rühmten Robert-Capa-Foto beim Meerspa-ziergang eine Halskette, die ihr Picasso aus Strandgut aufgefädelt hatte. Viele dieser Non-Karäter wurden von den Künstlern nicht wegen ihres materiellen Werts über-reicht, sondern als Liebespfand. So wie ein Kind seiner Mutter einen Ring aus Knete un-ter das Kopfkissen legt.

An Peggy Guggenheims Ohren schau-kelten winzige gerahmte Gemälde ihres Lieb-habers Yves Tanguy. Und Georgia O’Keeffe hielt mit einer Spirale von Alexander Calder, der bereits als Achtjähriger aus Draht Zierrat für die Puppe seiner Schwester kreierte, ih-ren Kimono zusammen. Gut möglich, dass diese Frauen ihre Kleinode verehrten wie Ta-lismane – war das nicht die ursprünglichste, rituelle Funktion von Schmuck?

Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen stellte Calder den Schmuck ei-genhändig her. Rund 2200 Unikate fertigte der Amerikaner aus flach gehämmertem und geformtem Draht: Zwischenwesen, leichter als die unbeweglichen Stabiles, portabler als seine Mobiles. »Für ihn waren Skulpturen so-wie Schmuckstücke tote Gegenstände, die erst lebendig werden, wenn man sie aufhängt oder anzieht«, sagt Louisa Guinness. Die Londoner Galeristin machte im Herbst mit einer großen Calder-Schmuckschau von sich reden. Bereits in den Vierzigerjahren zeigte die progressive Kunsthändlerin Marian Wil-lard Calder-Geschmeide nebst Gemälden von Klee und Feininger, verlangte anderer-seits nicht mehr als 25 Dollar für ein Einzel-stück, das heute um die 200 000 Dollar kos-

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Alexander Calder, oben 1944 in seinem Atelier in Roxbury, New York, fertigte alle Schmuckstücke selbst. Das macht diese Unikate so gefragt. Der um 1948 ausgeführte Haarreif erzielte bei Sotheby’s Hongkong rund 61 000 Euro

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Calders Schmuckgebilde verwandeln Frauen in modernistische Elfen, hier die Schauspielerin Anjelica Huston, die »The Jealous Husband« (um 1940) trägt. Ein Foto von Evelyn Hofer, 1976

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ten würde. »Noch vor fünfzehn Jahren konn-te man für 2000 Dol-lar eine Kette erwer-ben«, erzählt Guinness. Doch 2013 schossen die Preise dann durch die Decke. Bei der New Yorker Sotheby’s-Auktion von achtzehn Meisterwerken aus der Sammlung der Galeristin Hope Makler verpasste eine einzelne Calder-Halskette nur knapp die Zwei-Millionen-Dollar-Marke.

Auch Claude Lalanne hat die Herstel-lung ihrer Bijoux selbst in die Hand genom-men. Gemeinsam mit ihrem (2008 verstorbe-nen) Mann François-Xavier verfeinerte sie die Technik des Galvanisierens. Heute noch schmiedet die 92-Jährige in ihrem Atelier bei Paris Blüten, Blätter, Insekten aus Kupfer zu poetischen Schmuckgespinsten. Gleichwohl waren die meisten Künstler auf einen Gold-schmied angewiesen, um ihre Ideen in Pre-ziosen zu verwandeln.

Immer wieder kam es zu fruchtbaren Kooperationen. Dalí, der schon für die ge-nial-verrückte Couturière Elsa Schiaparelli Modeaccessoires entworfen hatte und bei al-lem Vergoldeten und Exzessiven schwach wurde, arbeitete im New Yorker Exil mit dem Juwelier Carlos Alemany zusammen. Kronjuwel dieser Kollaboration ist die 1949 entworfene Brosche »Das Auge der Zeit«. Dalí hat hier zwei Dauerbrenner aus dem Tu-mult seiner Symbole gefischt und vereint:

»Picasso hat die Frauen am besten verstan-den. Seine Sachen sind ausgewogen und trag-bar wie die von Georges Braque. Wenn eine Frau hingegen eine großformatige Goldmas-ke von Max Ernst an einer Halskette oder als Brosche trägt, wird ihr Gegenüber plötzlich von zwei Gesichtern angestarrt. Diese Dop-pelung muss entweder eine hohe Spannung erzeugen oder sehr ausbalanciert sein.«

Küppers erinnert sich an die Zusam-menarbeit mit der schießfreudigen Feminis-tin Niki de Saint Phalle Ende der Achtziger-jahre: »Sie hatte sich auf den Goldschmied GianCarlo Montebello kapriziert.« Ihre lust-vollen, beschwingten Schöpfungen – Nanas, Schlangen, Herzen, Frauenköpfe – waren sa-genhaft diffizil herzustellen. »Doch der Mai-länder ist nicht nur ein Meister der emaillier-ten Oberfläche, sondern auch Perfektionist«, so Küppers. Davon konnte sich ebenfalls Günther Uecker überzeugen, als Montebello für den Zero-Künstler einen Ring mit be-weglichen Nägeln herstellte und die Spitzen im Mikrobereich so delikat abfeilte, dass sich der Träger nicht verletzt.

Von 1967 bis 1978 setzte Montebello die Entwürfe von mehr als fünfzig der besten Gegenwartskünstler kongenial um, darunter Sonia Delaunay, Piero Dorazio, Lucio Fonta-na, Larry Rivers, Jesús Rafael Soto bis hin zu Alex Katz. Erst als ein Dieb seinen kostbaren Schatz raubte, beendete er die künstlerischen Projekte, die er stets mit der Studiopunze GEM markierte. Fortan konzentrierte er sich vor allem auf eigene Designs. Zuvor hatte ihn Man Ray in der »Einfachheit der Dinge«

Auge und Uhr. Als Lid glitzert ein Pavé aus Diamanten. Das Tränenwärzchen ist rubinbesetzt, und hinter der blau emaillierten Iris tickt ein Uhrwerk. Ei-nes von drei bekannten Alemany-

Exemplaren erzielte im Mai 2014, eben-falls bei Sotheby’s, 1,1 Millionen Dollar.

Während die Kritik in den Vierzigern noch von der Geburt eines neuen Fabergé

schwärmte, sank Dalís Stern, als er im Alter ins Kitschige und Monströse abdriftete. Frü-he Juwelen von ihm sind extrem rar und ge-sucht, den Auflageobjekten des Spätwerks dagegen fehlt es mitunter an Finesse; und es kursieren viele Kopien.

Legendäre GoldschmiedeEin Schwenk zu den heißen Sommern im Südfrankreich der Fünfziger- und Sechziger-jahre: Viele Künstler versuchen sich in ihren Mußestunden, oder wenn die Malerei in eine Sackgasse gerät, am kleinsten Format. Picas-so und Max Ernst, Hans Arp, Roberto Matta, Jean Cocteau, André Derain und Dorothea Tanning bringen Zeichnungen und Maquet-ten zu einem Goldschmied nach Aix-en-Pro-vence. Er heißt François Hugo und wird für viele zum Freund und Komplizen. »Wie kein Zweiter verstand sich Hugo darauf, Formen aus 23-karätigem Gold zu treiben und zu zi-selieren«, sagt Diana Küppers. Die Mülhei-merin sammelt hervorragende Arbeiten, handelt mit dem Künstlerschmuck und gibt Objekte in begrenzten Auflagen heraus. Ih-ren Kunden rät sie, ausschließlich jene Stü-cke zu kaufen, die ihnen ihr Gefühl eingibt.

Picasso passt um 1957 Jacqueline Roque eine seiner Ketten an. Sein »Satyr« (2) kostete 2014 bei Skinner 153 000 Dollar, Hans Arps Anhänger (1) 2004 bei Lempertz 3808 Euro, Jean Cocteaus »Narcisse« (3) 2015 bei Piasa 2318 Euro, Max Ernsts »Grande Tête« (4) 2009 bei Lempertz 9400 Euro. Alle Preise mit Aufgeld

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Radikale Konzepte haben die Zero-Künstler nicht vom Schmuck abgehalten: 1 Anhänger »Quintett« von Arman, um 1984/85, bei Koller 2005 für 7500 Franken zugeschlagen 2–3 So skizzierte Günther Uecker 1986 einen Ring mit beweglichen Goldnägeln. Der Mailänder GianCarlo Montebello realisierte den Entwurf als 5er-Auflage, 25 000 Euro bei Diana Küppers 4–5 In den Sechzigern übertrug Lucio Fontana seine Bildschlitzungen und Aufpickungen auf Schmuck. Montebello stellte sie her; geplant waren 200er-Auflagen, es entstanden aber 1967 nur wenige Exemplare. Der weiße und schwarze Armreif wurden im Dorotheum 2009 für jeweils 15 000 Euro zugeschlagen 6 Anhänger »Petite Venus bleue« von Yves Klein, Entwurf 1956/57, 10 000 Euro bei Diana Küppers

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unterwiesen. Ihr gemeinsames Meisterstück (und Man Rays Vermächtnis) ist die vergol-dete Maske »Optic-Topic«. Montebellos gan-ze Aufmerksamkeit galt den feinen, zu Spiralen angeordneten Löchern, die eine gute Sicht ermöglichen. Man Ray setzte höchste Maßstäbe mit seinen skulptura-len Entwürfen, etwa den in langen gol-denen Spiralen baumelnden Ohrringen »Pendentif Pendant«. Sie wurden in unver-gleichlicher Anmut von Catherine Deneuve getragen. Mit seinem Background als Mode-fotograf in den Zwanziger- und Dreißiger-jahren und einer Sensibilität für plastischen, hochqualitativen Schmuck stellte Man Ray viele seiner Malerkollegen, deren künstleri-sche Vision sich primär in der Fläche aus-drückte, in den Schatten.

Lucio Fontana freilich konnte ihm das Wasser reichen. Sein radikales Konzept von der Öffnung des Bildkörpers hatte er auf Leinwand, Papier, in Metallskulpturen und Keramiken längst durchgesetzt, als in den Sechzigern der Schmuck an der Reihe war. So fertigte Montebello für ihn unter ande-rem aufregende »Ellissi«: opulente Armspan-gen mit elliptischen Platten, die in mono-chromem Weiß oder Schwarz, aber auch in Rosa, Gelb, Türkis lackiert sind. Die Ober-flächen wurden mit demselben revolutionä-ren Furor durchbohrt und geschlitzt wie Fontanas berühmte Leinwände. Während Letztere auf Auktionen nur noch selten un-terhalb der Millionengrenze den Besitzer wechseln, ist sein Geschmeide zu Preisen im fünfstelligen Bereich zu haben – und als Sammlerobjekt nicht minder begehrt.

Wie Fontana haben sich zahlreiche ita-lienische Kreative voller Leidenschaft an die-se direkte Form der Körperkunst herange-wagt. Afro Basaldella, Giacomo Balla, die Brüder Giò und Arnaldo Pomodoro zählen ebenso dazu wie Fausto Melotti, Amalia del Ponte oder Giorgio Vigna. Diese Künstler folgten einer langen Tradition der Pre-ziosen, die bis zur Renaissance zurückreicht und in Italien eine große Faszination für

Gold hervorgebracht hat. Viel-leicht weil das unverwüstliche, anmutigste und am wärmsten schimmernde Edelmetall so gut zur Haut passt?

Andererseits ist Künstlerschmuck keine Frage von Karat und Material. So verarbeite-te die Kalifornierin Jay DeFeo in den Fünf-zigern Samenkapseln, falsche Perlen, Drähte aus Messing, Silber oder Kupfer. Zart, tote-mistisch, magisch aufgeladen wie ein india-nischer Traumfänger und höchst eigenwillig wirkt dieser Schmuck, mit deren Verkauf sich die junge Künstlerin in der Beat-Ära fi-nanziell über Wasser hielt.

Eldorado an der ThemseIm Jahr 1967 richtete das New Yorker MoMA mit seiner Ausstellung »Jewelry by Contem-porary Painters and Sculptors« erstmals ein Leuchtfeuer auf dieses zuvor vernachlässigte Gebiet und präsentierte Werke von 70 Künst-lern. Das Katalogcover zierten Louise Nevel-sons Ohrringe. Die amerikanische Bildhaue-rin trug ihre mächtigen Schmuckstücke selbst mit beispielloser Grandezza und ver-kaufte sie ab Mitte der Sechzigerjahre über die Pace Gallery. Es sind Abschweifungen ih-rer monumentalen Assemblagen, dieser har-monischen und in geheimnisvolles Schwarz getauchten Kompositionen aus Alltagsfun-den, mit denen sie sich gegen die Dissonanz der Welt stemmte. Bei Didier in London bie-tet sich die seltene Gelegenheit, Nevelsons Geschmeide anzuprobieren. »Von den insge-

Exzentrik der coolen Sixties: 1 Kette von Louise Nevelson aus goldgefasstem Holz, um 1965, 100 000 Pfund bei Didier 2 Die Kinetik lässt bei Pol Burys Ring »14 demi-sphères sur un carré« grüßen, im Mai von Christie’s online zur Taxe von 3000 Dollar angeboten 3 Beim gleichen Internet-Sale kam Jesús Rafael Sotos Op-Art-Ring für 6500 Dollar zum Aufruf 4 Die polnische Bildhauerin Alina Szapocznikow schuf 1968 in Paris den Armreif mit einem Kunstharz-mund. Bei Cornette de Saint Cyr steigerten sich 2012 dafür die Gebote auf 69 000 Euro

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Was heute entsteht: 1 Lawrence Weiners konzeptuelle Kette »Human Rights Adornment« kostet als unlimitierte Edition bei Gems and Ladders 525 Franken 2 Für 8400 Pfund gibt es bei Louisa Guinness einen goldenen Keks von Gavin Turk, 2014, der Titel: »Taking the Biscuit, Small« 3 Sehr viel teurer ist der Armreif »Rebar in Gold«, ein Unikat von Ai Weiwei, 144 000 Euro bei Elisabetta Cipriani 4 Ebenfalls ein Einzelstück ist der Ring »The Third Eye« von 2014, den Rebecca Horn von der Goldschmiedin Luisa del Valle realisieren ließ, über Elisabetta Cipriani 5 Die Londoner Editeurin bietet auch Erwin Wurms saphirbesetzten Gurkenring »Cucumber« an, 2014, 10er-Auflage, 7200 Euro 6 Kris Martins Brillenobjekt »Just like Belgium« entstand 2010 in Zusammenarbeit mit Georg Hornemann in Düsseldorf, es kostet 38 000 Euro 7 Der teuerste lebende Künstler darf nicht fehlen. Jeff Koons Platinkette »Rabbit«, 85 000 Dollar bei Louisa Guinness

Die Zeitgenossen

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samt hundert existierenden Arbeiten haben wir fast ein Viertel erworben«, berichten Martine und Didier Haspeslagh und überlas-sen mir für einen Moment hinreißend kon-struktivistische Ohrringe aus mattschwarz lackierten, goldgefassten Holzprofilen und facettierten Zitrinen. Sie sind überraschend leicht, trotz ihrer stattlichen Länge von gut zehn Zentimetern.

Die Galerie des Ehepaars auf der Londo-ner Antiquitätenmeile Kensington Church Street gilt unter Sammlern und Kuratoren als Eldorado für Künstlerschmuck der Nach-kriegsmoderne. Das Fitting geht weiter mit einem lanzettförmigen Anhänger des virtuo-sen Kinetikers Pol Bury, aus dem winzige Stifte wachsen, die bei jeder Bewegung zit-tern wie die Tentakel einer Seeanemone. Ju-dith Browns skelettierten Silberschmetter-ling von 1970 lege ich an wie eine schützende Halsberge. Bei einem Ring von Meret Op-penheim warnt mich Martine Haspeslagh la-chend: »Damit dürfen Sie weder in den Re-gen noch unter die Dusche.« Doch wer könnte diesem Solitärring mit einem Zu-ckerwürfel schon widerstehen? Oder Oppen-heims Fellarmreif, der an ihre weltberühmte Pelztasse erinnert? Nur wenige der hintersin-nigen und lustigen Objekte, die diese auf ei-genen Wegen wandelnde Surrealistin erson-nen hatte, wurden zu ihren Lebzeiten ins Dreidimensionale übersetzt. Allerdings hin-terließ sie auf Entwurfsskizzen präzise An-weisungen. Auf Basis dieser Zeichnungen er-laubten sich die Schweizer Editeure Gems and Ladders 2003 Ausführungen von Zu-ckerring, Pelzarmreif, Knochenhalsband und weiteren Motiven.

Die Aura des OriginalsPuristen rümpfen über posthum produzierte Multiples schon mal die Nase. »Es mangelt ihnen oft an der Feinheit und dem Raffine-ment, mit der die alten Ateliers selbst sehr große Schmuckstücke hergestellt haben«, be-tont Diana Küppers. Wie bei den Abzügen in der Fotografie oder bei Bronzegüssen gibt es Abstufungen, die auch den Preis bestimmen. Das Nonplusultra sind Unikate, die unmittel-bar aus der Hand eines Künstlers stammen. Gefolgt von den Entwürfen, die namhafte Goldschmiede wie Hugo oder Montebello unter der Aufsicht des Künstlers anfertigten, als Einzelexemplare oder in kleinen Aufla-gen. Zu beachten ist, dass manche Editionen zwar auf beispielweise 75 Stück limitiert wur-den, aber der Herausgeber nicht alle noch zu

wesen aus Sterling-Silber über Tracey Emins Neonbotschaft »I promise to love you«, die ihr der Juwelier Stephen Webster in Gold und Diamanten übersetzt hat, bis zu Jona-than Meeses Siegelringen, mit denen er seine Diktatur der Kunst en miniature fortschreibt. »Es ist oft Schwerstarbeit, geschätzte Künst-ler zu gewinnen«, erzählt Elisabetta Cipriani. Die Römerin präsentiert ihre Editionen in einem winzigen Raum im vornehmen Lon-doner Galerienviertel Mayfair. »Oft vergehen ein oder zwei Jahre, bis ich eine erste Zeich-nung oder einen Prototypen in den Händen halte. Aber die Geduld lohnt sich.«

Die Künstlerin und Friedensaktivistin Yoko Ono hat schon immer gefunden, es gebe nichts Gesünderes als ein Lächeln und auch nicht Simpleres, um andere Menschen glück-lich zu machen. Weil man diese schlichte Wahrheit oft vergisst, ließ sie eine kleine Weiß-goldbox auf einen Ring montieren. Man muss lediglich die winzige Klappe des Würfels öff-nen und die Anweisung am verspiegelten Boden lesen: »Smile!«. Künstlerschmuck hat häufig solchen augenzwinkernden Aufforde-rungscharakter. Er erregt Aufsehen auch ohne das Karatgewitter großer Steine. ×

Lebzeiten des Künstlers herstellen ließ. Ent-sprechend gestaltet sich das Preisniveau: post-hum ausgeführte Editionen reichen meist nicht an die Vintage-Objekte heran.

Mit etwas Jagdglück findet man seine Trophäe in der Originalschatulle. Dort ist der Schmuck gut aufgehoben. Doch Hand aufs Herz: Kunstwerke wollen bewundert werden, auch wenn man sie gerade nicht trägt. Daher eignen sich kleine Sockel, spezielle Ständer oder sogar Kunstkammerschränke für diese Objets d’art. Bijouterie aus Metall sollte gele-gentlich mit einem weichen Tuch gereinigt werden. Nicht nur das Berühren, auch das Anlegen von Künstlerschmuck ist ausdrück-lich erlaubt. Sollten Reparaturen nötig sein, empfiehlt es sich, Raritäten der Person anzu-vertrauen, die sie hergestellt oder aufgelegt hat. GianCarlo Montebello etwa gilt immer noch als Großmeister seines Fachs.

Wer sich auf zeitgenössische Preziosen konzentriert, umgeht weitgehend das Pro-blem des Auseinanderklaffens von Konzept und Ausführung. Zahlreiche Gegenwarts-künstler hat der menschliche Körper zu An-näherungsversuchen gereizt. Die Palette reicht von Kiki Smith’ liebreizenden Fabel-

Jonathan Meese posiert mit Ringen, Ketten und Anhängern, die er 2015 für die Münchner Schmuckmanufaktur Cada entwarf. Sie kosten 4900 bis 16 900 Euro

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SA M M LE R SE M I NA R

Glossar

AUFLAGENOBJEKTDas Unikat genießt als höchste Form der Verknappung maximale Wertschätzung. Auch Vervielfälti-gungsstücke, die in Miniauflagen hergestellt werden, sind begehrt. Limitierte Editionen werden durch Nummerierung gekennzeichnet (9/25 bedeutet Werkexemplar Nummer 9 aus einer Gesamtauflage von 25). Bei großen Auflagen schwindet die Sammelwürdigkeit, dennoch können die Objekte auf Auktionen teuer werden. So fällt der Hammer bei Claude Lalannes »Pomme Bouche« (250er-Auflage) selten unterhalb von 20 000 Euro.

AUTORENSCHMUCKVerweigert sich den Konventionen der Goldschmiedekunst, etwa durch unorthodoxe Materialien. Nicht die Tragbarkeit zählt, sondern die Idee hinter diesem Unikatschmuck mit höchstem künstlerischem Anspruch. Urheber der mitunter kuriosen Objekte sind ausgebildete Gold-schmiede oder Schmuckdesigner.

FÄLSCHUNGMan muss natürlich achtsam sein, aber keinen Fälschungstsunami fürchten wie bei Designklassikern von Cartier, Tiffany und Co. Editeure und Betreuer von Künstlernach lässen reagieren empfindlich auf unautorisierte Kopien und versuchen, die Originale bestmöglich zu schützen. So lassen sich beispielsweise Picasso-Medaillons, die ab dem Jahr 1967 im Atelier Hugo entstanden, anhand der Signatur, Editions-, Referenz- und Garantienummer sowie der Meisterpunze des Goldschmieds identifizieren.

GOLDSCHMIEDEKUNSTIndividuelle, handwerklich ambitio-nierte Gestaltung von Tafel- und Körperschmuckstücken in Verbin-dung mit Steinen, Edelmetallen, organischen oder artifiziellen Mate-rialien. Goldschmiede wie Otto Jakob oder Georg Hornemann schaffen streng genommen keinen Künstlerschmuck, haben sich aber mit extravaganten Präzisionskreatio-nen eine Sonderstellung erarbeitet.

Schauen

Weil Künstlerschmuck oft im Schatten berühmter Werke steht, fehlt den meisten Institutionen der Sammlungseifer auf diesem Nebenweg moderner Kunst. Das Stedelijk Museum im niederlän-dischen ’s-Hertogenbosch trumpft hingegen mit einer umfangreichen Kollektion auf – von A wie Arman bis Z wie Ben Zegers. Der Freiheits-turm der lothringischen Gemeinde Saint-Dié-des-Vosges beherbergt 52 Preziosen, die der Edelstein-schleifer Heger de Loewenfeld nach den Vorstellungen von Georges Braque geschaffen hat. »Dalí Joyas« heißt eine Dauerausstellung des Teatro-Museo Dalí in Figueras, dem Heimatort des exzentrischen Spaniers. Hier sind 27 Original-zeichnungen aus den Jahren 1941 bis 1970 zu bewundern sowie 39 minutiös ausgeführte Juwelen. Unter dem Motto »All that sparkles« präsentiert das Bechtler Museum of Art in Charlotte, North Carolina noch bis 8. Januar Kleinodien von Alberto Giacometti, Alicia Penalba, Raffael Benazzi, Niki de Saint Phalle, Harry Bertoia und Claire Falkenstein.

KARATMaßeinheit für den Feingehalt von Gold. Auf dem Schmuckstück beziffert durch die Repunze. Eine Legierung mit mindestens 99,9 Prozent wird als Feingold bezeichnet und mit 24 Karat angegeben. Wegen seiner weichen Beschaffenheit ist es überaus anspruchsvoll in der Verarbeitung. Zahlreiche Stücke von Cocteau, Picasso, Max Ernst, oder André Derain hat der Goldschmied François Hugo aus 23-karätigem Gold getrieben, das einen ebenso warmen Schimmer besitzt.

KINETIKBedeutende Vertreter der kineti-schen Kunst wie Alexander Calder, Pol Bury, George Rickey, Harry Bertoia oder Jesús Rafael Soto experimentierten auch bei ihren Kleinstplastiken mit Bewegungs-impulsen. Mikrokugellager, Zahnräder oder Federn bringen Zierelemente auf den Schmuckstü-cken zum Rotieren, Zittern, Tanzen.

TALISMANVom Ehering bis zum Freundschafts-armband: Schmuck, der Emotionen materialisiert, hat für den Träger oftmals Talisman-Funktion. Vor allem Amuletten wird magische Wirkung zugeschrieben. Künstler-schmuck entsteht nicht selten als Unikat für einen Herzensmenschen und wird von seinem Träger wie ein Fetisch verehrt.

VINTAGEÜberstrapazierter Begriff aus Mode und Design, der in Gebieten wie der Fotografie strenger gehandhabt wird. Ein Vintagestück wurde im Idealfall vom Künstler selbst oder unter seiner Aufsicht hergestellt, und zwar möglichst in zeitlicher Nähe zum Entwurf. Wurde es nach dem Tod des Künstlers produziert, handelt es sich um eine posthume Ausführung.

Gut zu wissen

Ernst Ludwig Kirchners »Badende unter Baum« von 1912. Die vom Künstler selbst gefertigte Silberbrosche erzielte 2013 bei Ketterer mit Aufgeld 15 000 Euro

Sonia Delaunay, Kette mit Emaille-anhänger »Abstraction«, um 1979, bei Van Ham für 1600 Euro zugeschlagen

Welche Rolle spielt die Kinetik, was ist beim Auflagenobjekt von Belang? Wo kann man originelle Stücke erwerben? Ein kleines Lexikon des Künstlerschmucks

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SA M M LE R SE M I NA R

KaufenWichtige Zentren für Künstler-schmuck sind London und Paris. An der Themse konzentriert sich Didier Ltd auf Meister der Moderne und offeriert etwa 600 Arbeiten 200 verschiedener Künstler, entstanden zwischen 1940 und 1980, darunter keinerlei Reeditionen oder posthume Multiples. Die Editeurinnen Louisa Guinness und Elisabetta Cipriani bespielen jeweils Showrooms im Galerieviertel Mayfair und geben primär Objekte von Gegenwarts-künstlern in kleinen Auflagen heraus. Guinness bietet Werke von u. a. Anish Kapoor, Sophia Vari oder Gavin Turk an und realisierte viel beachtete Ausstellungen mit Geschmeide von Alexander Calder oder Claude Lalanne. In Ciprianis schillerndem Projektportfolio: Arbeiten von Enrico Castellani, Ai Weiwei, Rebecca Horn, Frank Stella oder Pedro Cabrita Reis.

Esther Beaucé profitiert vom Netzwerk ihrer Mutter, der Sammlerin Diane Venet, und zeigt

Auflagenobjekte in ihrer Pariser Galerie Minimasterpiece aus Kollaborationen mit Zeitgenossen wie François Morellet, Lee Ufan, Andres Serrano, Blanca Muñoz. Die Arbeit seines berühmten Großvaters François setzt Nicolas Hugo im kleinen Stil fort und verkauft Editionen der Ateliers Hugo in Räumen am Jardin du Luxembourg.

Erste deutsche Adresse für Vintage-Künstlerschmuck ist Diana Küppers in Mülheim an der Ruhr. Spannende Kooperationen mit Gegenwartskünstlern sind unlängst auch die Juweliere Cada aus München und Georg Hornemann, seit Kurzem in Berlin, eingegangen.

2017 im Pariser Musée des Arts décoratifs ihren Abschluss findet. Mit liebevoller Gestaltung und profunden Texten punktet Diana Küppers’ Bildband »Künstler-schmuck. Objets d’art« (Hirmer, 2009). Unentbehrlich für jeden Sammler von historischem und Vintage-Schmuck ist »Understan-ding Jewellery« von David Bennett und Daniela Mascetti (Antique Collectors’ Club, 1989/2014).

Gems And Ladders aus dem schweizerischen Uster produzieren Kostbarkeiten zeitgenössischer Künstler wie Martin Boyce, Tobias Rehberger oder Lawrence Weiner.

Spezialauktionen mit Künstler-schmuck gibt es sporadisch beim internationalen Marktführer Christie’s sowie bei Piasa und Pierre Bergé in Paris. Auch im deutschsprachigen Raum tauchen immer wieder interessante Stücke auf regulären Schmuckversteigerun-gen von Häusern wie Lempertz, Van Ham, Neumeister, Dorotheum oder Koller auf.

Lesen

Eine gute Einführung ins Thema bietet »From Picasso to Jeff Koons. The artist as jeweler« (Skira, 2011). Die Publikation der Sammlerin Diane Venet begleitet deren Wanderausstellung, die im Herbst

Roy Lichtensteins Anhängerbrosche »Modern Head« von 1968 ist bei Didier für 11 000 Pfund zu haben

Claude Lalannes Schlangenbrosche ist bis 23. Dezember in der Paul Kasmin Gallery, New York, zu sehen