Fibulare Bandruptur

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In den letzten Jahren hat sich die Indi- kation zur operativen Behandlung der fibularen Bandruptur stark gewandelt. Untersuchungen in jüngster Zeit haben keine Vorteile der operativen Therapie gegenüber der konservativen Behand- lung ergeben. Grundsätzlich besteht Einigkeit für die Indikation zur Opera- tion bei der Talusluxation (3-Band- Verletzung), bei dislozierten Fibula- spitzenfragmenten und Begleitverlet- zungen wie Syndesmosenruptur, osteo- chondralen Fragmenten des Talus- und Sehnenluxationen. Das eindeutige Votum für eine kon- servative Therapie bei den übrigen In- dikationen muß jedoch hinterfragt wer- den, wenn die hohe Anzahl der in der Bundesrepublik Deutschland durchge- führten fibularen Bandplastiken be- trachtet wird. Nach einer Umfrage von Becker et al. [2] aus dem Jahr 1994 er- gibt sich, daß in 267 deutschen Klini- ken etwa 4700 Bandplastiken pro Jahr durchgeführt werden. Eine Erklärung dieser Tatsache könnte in dem von Zwipp u. Oestern [11] und Lippert et al. [5] beschriebenen freien Intervall zwischen Unfall und funktioneller De- kompensation liegen. Dieses freie In- tervall wurde von Lippert et al. [5] mit einem Zeitraum >2 Jahren, von Zwipp u. Oestern [11] sogar mit bis zu 8 Jah- ren angegeben. Im gleichen Sinn be- schrieben Balduini et al. [1], Boruta et al. [3], Lassiter [4] und Rijke et al. [8] eine behandlungsbedürftige chroni- sche Instabilität bei 20% aller konser- vativ behandelten Außenbandrupturen. Tiling et al. [10] haben 24 kontrol- lierte Studien zwischen 1965 und 1994 analysiert und 8 Untersuchungen ge- funden, die sich für eine operative Be- handlung aussprachen, sowie 16 Ar- beiten, in denen klar für die konserva- tiv-funktionelle Therapie votiert wur- de. Bei den Autoren, die sich für eine operative Therapie aussprachen, lag der Nachuntersuchungszeitraum zwi- schen 3 Monaten und 4 Jahren. We- sentlich kürzer als in dem oben ge- nannten, von Zwipp u. Oestern [11] und Lippert et al. [5] definierten freien Intervall war das Follow-up bei den Autoren, die eine konservativ-funktio- nelle Therapie empfahlen, nämlich zwischen 2,5 Monaten und 1 Jahr [10]. Neuere Arbeiten von Takebayashi et al. [9], Löfvenberg et al. [6] und Mi- chelson u. Hutchins [7] wiesen auf die gestörte Propriozeption bei Rupturen der fibularen Bänder hin. Takebayashi et al. [9] fanden bei Untersuchungen der Außenbänder von Katzen eine Häufung von Mechanorezeptoren im Bereich der Bandansätze. Bei Ruptu- ren der Bänder ist aufgrund der fehlen- den Vorspannung des Bands keine un- gestörte Funktion der Propriozeption mehr möglich. Eine zunehmende funk- tionelle Instabilität durch ausbleibende muskuläre Stabilisierung wäre so zu erklären. Weitere Forschungen auf dem Gebiet der Propriozeption müssen Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S167–S168 © Springer-Verlag 2000 Fibulare Bandruptur Naht oder konservative Therapie? Pro Naht C. Eggers 1 , A. Stahlenbrecher 2 1 Chirurgisch-Traumatologische Klinik, Allgemeines Krankenhaus St. Georg, Hamburg 2 Krankenhaus Reinbek Prof. Dr. C. Eggers, Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Chirurgisch-Trau- matologische Klinik, Allgemeines Krankenhaus St. Georg, Lohmühlenstraße 5, D-20099 Ham- burg Tel.: 040-28902287, Fax: 040-28903770 S167 Zusammenfassung Die Behandlung der Außenband- ruptur erfolgt in den letzten Jahren zunehmend durch konservative Maßnahmen. Trotzdem bestehen Zweifel an einer grundsätzlichen Empfehlung angesichts 20% in der Literatur beschriebener behand- lungsbedürftiger chronischer In- stabilitäten, die nach einem freien Intervall auftreten können, wel- ches in vielen kurzfristigen Nach- untersuchungen keine Beachtung findet. Tierexperimentelle Unter- suchungen, die die Zerstörung der ligamentären Propriozeption bei einer Bandruptur nachweisen, können Hinweis für die Ursache einer persistierenden funktionellen Instabilität sein und sollten zu den- ken geben, die Indikation zur ope- rativen Bandnaht nur auf ausge- dehnte 3-Band-Verletzungen, dis- lozierte Fibulaspitzenfragmente und ausgedehnte Begleitverletzun- gen zu beschränken. Schlüsselwörter Bandnaht · Chronische Außen- bandinstabilität · Fibulare Band- ruptur · Konservative Therapie · Propriozeption BEHANDLUNGSVERFAHREN

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Page 1: Fibulare Bandruptur

In den letzten Jahren hat sich die Indi-kation zur operativen Behandlung derfibularen Bandruptur stark gewandelt.Untersuchungen in jüngster Zeit habenkeine Vorteile der operativen Therapiegegenüber der konservativen Behand-lung ergeben. Grundsätzlich bestehtEinigkeit für die Indikation zur Opera-tion bei der Talusluxation (3-Band-Verletzung), bei dislozierten Fibula-spitzenfragmenten und Begleitverlet-zungen wie Syndesmosenruptur, osteo-chondralen Fragmenten des Talus- undSehnenluxationen.

Das eindeutige Votum für eine kon-servative Therapie bei den übrigen In-dikationen muß jedoch hinterfragt wer-den, wenn die hohe Anzahl der in derBundesrepublik Deutschland durchge-führten fibularen Bandplastiken be-trachtet wird. Nach einer Umfrage vonBecker et al. [2] aus dem Jahr 1994 er-gibt sich, daß in 267 deutschen Klini-ken etwa 4700 Bandplastiken pro Jahrdurchgeführt werden. Eine Erklärungdieser Tatsache könnte in dem vonZwipp u. Oestern [11] und Lippert etal. [5] beschriebenen freien Intervallzwischen Unfall und funktioneller De-kompensation liegen. Dieses freie In-tervall wurde von Lippert et al. [5] miteinem Zeitraum >2 Jahren, von Zwippu. Oestern [11] sogar mit bis zu 8 Jah-ren angegeben. Im gleichen Sinn be-

schrieben Balduini et al. [1], Boruta etal. [3], Lassiter [4] und Rijke et al. [8]eine behandlungsbedürftige chroni-sche Instabilität bei 20% aller konser-vativ behandelten Außenbandrupturen.

Tiling et al. [10] haben 24 kontrol-lierte Studien zwischen 1965 und 1994analysiert und 8 Untersuchungen ge-funden, die sich für eine operative Be-handlung aussprachen, sowie 16 Ar-beiten, in denen klar für die konserva-tiv-funktionelle Therapie votiert wur-de. Bei den Autoren, die sich für eineoperative Therapie aussprachen, lagder Nachuntersuchungszeitraum zwi-schen 3 Monaten und 4 Jahren. We-sentlich kürzer als in dem oben ge-nannten, von Zwipp u. Oestern [11]und Lippert et al. [5] definierten freienIntervall war das Follow-up bei denAutoren, die eine konservativ-funktio-nelle Therapie empfahlen, nämlichzwischen 2,5 Monaten und 1 Jahr [10].

Neuere Arbeiten von Takebayashiet al. [9], Löfvenberg et al. [6] und Mi-chelson u. Hutchins [7] wiesen auf diegestörte Propriozeption bei Rupturender fibularen Bänder hin. Takebayashiet al. [9] fanden bei Untersuchungender Außenbänder von Katzen eineHäufung von Mechanorezeptoren imBereich der Bandansätze. Bei Ruptu-ren der Bänder ist aufgrund der fehlen-den Vorspannung des Bands keine un-gestörte Funktion der Propriozeptionmehr möglich. Eine zunehmende funk-tionelle Instabilität durch ausbleibendemuskuläre Stabilisierung wäre so zuerklären. Weitere Forschungen aufdem Gebiet der Propriozeption müssen

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S167–S168 © Springer-Verlag 2000

Fibulare BandrupturNaht oder konservative Therapie? Pro Naht

C. Eggers1, A. Stahlenbrecher2

1Chirurgisch-Traumatologische Klinik, Allgemeines Krankenhaus St. Georg, Hamburg2Krankenhaus Reinbek

Prof. Dr. C. Eggers, Abteilung für Unfall- undWiederherstellungschirurgie, Chirurgisch-Trau-matologische Klinik, Allgemeines KrankenhausSt. Georg, Lohmühlenstraße 5, D-20099 Ham-burg Tel.: 040-28902287, Fax: 040-28903770

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Zusammenfassung

Die Behandlung der Außenband-ruptur erfolgt in den letzten Jahrenzunehmend durch konservativeMaßnahmen. Trotzdem bestehenZweifel an einer grundsätzlichenEmpfehlung angesichts 20% in derLiteratur beschriebener behand-lungsbedürftiger chronischer In-stabilitäten, die nach einem freienIntervall auftreten können, wel-ches in vielen kurzfristigen Nach-untersuchungen keine Beachtungfindet. Tierexperimentelle Unter-suchungen, die die Zerstörung derligamentären Propriozeption beieiner Bandruptur nachweisen,können Hinweis für die Ursacheeiner persistierenden funktionellenInstabilität sein und sollten zu den-ken geben, die Indikation zur ope-rativen Bandnaht nur auf ausge-dehnte 3-Band-Verletzungen, dis-lozierte Fibulaspitzenfragmenteund ausgedehnte Begleitverletzun-gen zu beschränken.

Schlüsselwörter

Bandnaht · Chronische Außen-bandinstabilität · Fibulare Band-ruptur · Konservative Therapie ·Propriozeption

BEHANDLUNGSVERFAHREN

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zeigen, ob durch primäre Naht vonBandrupturen derartige funktionelleDysbalancen vermieden und somitneue Argumente für eine operativeTherapie gefunden werden können.

Literatur

1. Balduini FC, Vegso JJ, Torg JS, et al (1987)Management and rehabilitation of ligamen-tous injuries in the ankle. Sports Med 4:364

2. Becker HP, Schmidt R, Gutcke A, GerngroßH (1995) Aktueller Stand der Diagnostikund Therapie der chronischen Außenband-instabilität am Sprunggelenk. Unfallchirurg89:493–499

3. Boruta PM, Bishop JO, Braly WG, TullosHS (1990) Acute lateral ligament injuries: a literature review. Foot Ankle Int 11:107

4. Lassiter TE (1989) Injuries to the lateral lig-aments of the ankle. Orthop Clin North Am20:629

5. Lippert M-J, Hawe W, Bernett P (1989) Ab-schließender Kommentar zu „OperativeTherapie der fibularen Kapselbandruptur“.Sportverletz Sportschaden 3:6–9

6. Löfvenberg R, Kärrholm J, Sundelin G,Aahlgren O (1995) Prolonged reaction timein patients with chronic lateral instability ofthe ankle. Am J Sports Med 4:414–417

7. Michelson ID, Hutchins C (1995) Mechano-receptors in human ankle ligaments. J BoneJoint Surg Br 77:219–224

8. Rijke AM, Jones B, Vierhout PA (1988) In-jury to the lateral ligaments in athletes. A posttraumatic follow-up. Am J SportsMed 16:256

9. Takebayashi T, Yamashita T, Minaki Y, IshiiS (1997) Mechanosensitive afferent units inthe lateral ligament of the ankle. J BoneJoint Surg Br 79:490–493

10. Tiling T, Bonk A, Höher J, Klein J (1994)Die akute Außenbandverletzung des Sprung-gelenkes beim Sportler. Chirurg 65:920–933

11. Zwipp H, Oestern HJ (1981) Ergebnisse ein-er muskelaktivierten M. peroneus brevis-Plastik. Aktuelle Traumatol 11:185-191

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BEHANDLUNGSVERFAHREN

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S167–S168© Springer-Verlag 2000

Injuries to the lateral ligaments of the ankle.An argument for sutures

C. Eggers, A. Stahlenbrecher

Abstract

Injuries to the lateral ligaments ofthe ankle are increasingly beingtreated by conservative means, de-spite the chronic instability thatcomprises 20% of all cases de-scribed in the literature that turn upafter an indefinite period of timeand therefore receive no consider-ation in studies spanning shortertime periods. Furthermore, studiesthat demonstrate the loss of proprio-ception in torn ankle ligaments ofanimals point to a possible cause ofpersistent functional instability.Taking these reports into account,the indication for operative suturetreatment to ligaments shouldprobably not be limited to exten-sive injuries of all three lateral lig-aments, dislocated fibular frag-ments, and extensive accompany-ing injuries.

Key words

Ligament suture · Chronic lateralligament instability · Injury to thelateral ankle ligaments · Conser-vative treatment · Proprioception