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1 Massimo Perinelli » Solidarität mit den fort- schrittlichen ausländischen  Klassenbrüdern « Die Rote Hilfe und der Rassismus Plakat einer Demonstration in Dortmund im Oktober 1972

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Massimo Perinelli

» Solidarität mit den fort-

schrittlichen ausländischen 

Klassenbrüdern «

Die Rote Hilfe und der Rassismus

Plakat einer Demonstrat ion in Dor tmund im Oktober 1972

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Das Pr inzip Sol idar i tät · Zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

H eutzutage ist das » Prinzip Solidarität « der Roten Hilfen vielleicht nicht mehr je-der und jedem Linken ein Begriff und auch der Antiimperialismus und die Au-

tonomie stellen für viele jüngere AktivistInnen verstaubte oder gar unbekannte Be-griffe dar. Hingegen ist der Antirassismus eine Selbstverständlichkeit, die nun seit weit über zehn Jahren auf Grenzcamps, Demonstrationen, Kongressen, in Artikeln und Ausstellungen oder bei Aktionen gegen Abschiebungen artikuliert wird. Anti-rassismus kann seit dem Fall der Mauer 1989 und den daraufhin einsetzenden rassis-tischen Morden an (vermeintlichen) Nicht-Deutschen wohl ohne Zweifel als das be-stimmende Feld innerhalb der Linken angesehen werden, mit Auswirkungen bis tief in die bürgerliche Gesellschaft hinein. Heute warnt der Bundespräsident vor ihm, bei jedem größeren Fußballspiel wird sich von ihm abgegrenzt und jede Grundschulleh-rerIn setzt sich mit ihren SchülerInnen mit ihm auseinander: der Rassismus.

Gehen wir indes noch einmal dreißig Jahre weiter in die Geschichte zurück, ist dieser Begriff und die damit verbundene gesellschaftliche Analyse in der Linken nicht zu finden. Und das obwohl seit Mitte der 1960er Jahre mit der UN-Konvention gegen Rassismus der Begriff offizieller Terminus für die Diskriminierung von Men-schen aufgrund ihrer vermeintlichen Rasse, ihrer Abstammung, Hautfarbe oder Na-tionalität wurde. Und bereits zehn Jahre zuvor hatte Frantz Fanon, der sicherlich mehr Aufmerksamkeit innerhalb der europäischen Linken genoss als die Verein-ten Nationen, in seinem Vortrag » Rassismus und Kultur « die Verschiebung hin zu einem » kulturellen Rassismus « konstatiert. (Fanon, 1972, 39f) Dennoch waren ge-sellschaftliche Ausgrenzungsprozesse entlang dieser Herrschaftslinie in den siebzi-ger Jahren in der deutschen Linken im Allgemeinen und der Roten Hilfe gleich wel-cher Couleur im Speziellen nicht denkbar. Dies hatte, wie anhand der Auswertung der Lektüre der Rote Hilfe Zeitungen zu zeigen sein wird, zwei Gründe: Zum einen konnte Unterdrückung aufgrund von » race « nur ein Nebenwiderspruch zum alles beherrschenden Klassenantagonismus sein. Dies galt vor allem für jene Rote Hil-fen, die sich in der Nähe der dogmatischen maoistischen Parteien verorteten, wie die Rote Hilfe Deutschland (RHD) und die Rote Hilfe e.V. (RHeV), letztendlich aber auch

für die heterogenere und politisch offenere Rote Hilfe ★. Wenn nachfolgend wenig differenzierend von der Roten Hilfe gesprochen wird, dann reflektiert dies den Um-stand, dass sich alle drei Rote Hilfe Gruppen in ihrem politischen Verhältnis zu den sog. Ausländern kaum voneinander unterschieden. Allerdings kam gerade die RHeV durch ihren politischen Schwerpunkt auf Arbeitskämpfe mit migrantischen Lebens-welten in Berührung.

Zum anderen, und dies erscheint mir bedeutsamer, wäre mit einem offensiven Rassismusbegriff der positive Bezug zu den » Massen « und dem » Volk «, d.h. zu we-sentlichen Teilen der deutschen Bevölkerung, theoretisch wie praktisch schwierig geworden. » Das Volk « war jedoch grundlegend für das Politikverständnis (nicht nur) der Roten Hilfe. Denn man verortete sich als (avantgardistische) Linke auf der proletarischen Seite und damit stets bei der Mehrheit, die – so die Einschät-zung – von einer kleinen Herrscher-Clique unterdrückt werde. Dieser Blick be-stätigte sich auch in Aufrufen orthodoxer Gruppen aus anderen Ländern, wenn etwa » durch die ROTE HILFE das Deutsche Volk um Hilfe und Solidarität « gebe-ten wurde.1 Beim Rassismus, das war mit Blick auf den Nationalsozialismus auch in den siebziger Jahren klar, konnte dieses klare Mehrheitsverhältnis leicht kippen. Pflegte man also einen positiven Massenbegriff, konnte man den Rassismus, in die-sem Falle den Hass der Deutschen auf » Ausländer «, nicht als Analysekategorie in das eigene Weltbild integrieren.

Doch ist die linke Geschichte bezüglich des Rassismus nicht so einfach zu schreiben. Denn gerade die Lektüre der Zeitungen der Roten Hilfe zeigt, dass sich nicht explizit oder gar strategisch gegen die Kenntnisnahme von Rassismus als Herrschaftsverhältnis entschieden wurde. Vielmehr wird augenfällig, wie die Fi-xierung auf das Klassenverhältnis den durchaus suchenden Blick auf dieses Herr-schaftsverhältnis verstellte. Während die Frauen in der Bewegung ihre Wut den Genossen nicht nur als Tomaten, sondern vor allem als politische Analyse an den Kopf warfen und damit das Geschlechterverhältnis politisierten, wurde die In-tervention der migrantischen GenossInnen nicht oder nur unzureichend wahr-genommen. Es bedurfte Jahre später vielmehr der offensiven Absage der Aktivis-tinnen aus den Ländern der Peripherie an ihre vermeintlichen Schwestern in den Metropolen, um innerhalb der Frauenbewegung ein Bewusstsein für rassistische In- und Exklusionslinien zu schaffen, die teilweise Vorrang, mindestens jedoch denselben Stellenwert im Kampf um Befreiung besaßen, wie der Kampf gegen pa-triarchale Verhältnisse. Über den Umweg feministischer Theorien, hinter denen

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die Kämpfe der MigrantInnen standen, fand der Antirassismus schließlich in den späten 1980ern eine eigenständige und große Bedeutung in den Köpfen der deut-schen Linken. Die Flüchtlingskampagne der Guerilla-Gruppe Revolutionäre Zellen ab Mitte der 1980er Jahre war in ihrer analytischen Schärfe sowohl Ausdruck die-ses neuen Bewusstseins, wie auch in ihrem Scheitern Ausdruck dafür, dass sich die Linke vor den 1990er Jahren nicht besonders für diesen Themenkomplex interes-sierte. Seinen zentralen Stellenwert, den er in den heutigen Debatten besitzt, bekam das ‚Prinzip Antirassismus’ hierzulande erst durch die massenhaften Pogrome und die Hetze gegen sog. Nicht-Deutsche in den frühen 1990 Jahren, der weit über 100 Menschen zum Opfer fielen. Heute können wir auf die historische Forschung und die Theoriearbeit, die sich hierzulande in der post-pogromistischen Periode ent-wickelten, und für die in diesem Beitrag neuere Studien von Serhat Karakayalı, Manuela Bojadzijev u.a. stehen, zurückgreifen.

Die nicht existierende Rassismusanalyse in der westdeutschen Linken der 1970er Jahre lediglich zu konstatieren wäre jedoch genauso billig wie langweilig, sind wir doch mittlerweile alle dreißig Jahre schlauer und mit allen möglichen post-strukturalistischen Wassern gewaschen oder zumindest angefeuchtet. Interessant ist vielmehr, wie sich in den siebziger Jahren entgegen des damaligen steinernen Theorems von Haupt- und Nebenwiderspruch dennoch ein Bewusstsein für rassis-tische Stratifizierungen der Gesellschaft in der deutschen Linken entwickeln konn-te, was sich anhand der schriftlichen Zeugnisse der Roten Hilfe wunderbar nach-zeichnen lässt. Das » Prinzip Solidarität « der ZeitungsmacherInnen erwies sich letztendlich als stärker als ihre politischen Grundsätze und schaffte es, das Dog-ma der Hauptkampflinie zwischen Kapital und Ar-beit bzw. zwischen Staat und proletarischen Mas-sen, letztere wiederum repräsentiert durch die Avantgarde wahlweise der kämpfenden kommunisti-schen Partei oder Guerilla, immer wieder praktisch zu

unterlaufen. Die griechische Mutter des auf dem Dortmunder Polizeipräsidium umgekommenen Joannis Batos bringt dieses besondere Verhältnis auf den Punkt: » Ich gehöre nicht zur Roten Hilfe, aber es waren wirklich die einzigen Men-schen, die zu mir gekommen sind und gefragt haben: ‚Brauchen Sie was, Frau Batos, können wir was für Sie tun?‘, die mir wirklich in den schweren Stunden bei-gestanden haben. «2

Die These dieses Beitrages lautet daher, dass die GenossInnen der Roten Hil-fe über ihren Begriff von Solidarität neuartige Erfahrungen machten, die Konse-quenzen auf ihr Politikverständnis hatten. Das heißt: Solidarität als politisches Programm führte die Rote Hilfe zu jenen, die kämpften und Repression erfuhren – und das waren in den siebziger Jahre eben gerade nicht (nur) die deutschen Genos-sInnen oder die Kader linker Organisationen aus anderen Ländern. In jenem Jahr-zehnt erreichten die Kämpfe der so genannten Gastarbeiter sowohl in quantitativer als auch qualitativer Weise eine Dimension, an der die an der Revolte interessierten MacherInnen der Roten Hilfe, trotz ihrer gegenläufigen Gesellschaftstheorie, nicht vorbeikamen. Ganz der Solidarität verschrieben, begannen verschiedene Ausga-ben der Roten Hilfe allmählich die Kämpfe in der Migration in den – zunehmend auch analytischen – Blick zu nehmen.

Die Mut ter und Frau von Joannis Batos auf der Pressekonferenz vom 29.4 .1977 in : Zeitung RHeV v. Juni/Jul i 1977

Zeitung RHeV v. März 1978

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So setzte sich im Gegensatz zu vielen anderen linken Gruppen gerade die Rote Hil-fe auf ihrem Weg durch die siebziger Jahre mehr und mehr mit dem Ausländer-gesetz, dem Komplex Asyl und generell mit – wie es damals hieß – » Ausländern « auseinander. Dabei fanden die Rote Hilfe Zeitungen immer deutlichere Worte ge-genüber der besonderen Repression, der sich die MigrantInnen ausgesetzt sahen. So entstand im Zeitungsprojekt das Paradox, das Offensichtliche zwar darzustel-len, aber nicht denken zu können: Die Diskriminierung der AusländerInnen er-folgte nicht nur gemäß der Klassenjustiz oder Repression gegen Linke, sondern ist Gegenstand einer ganz eigenen Logik.

Rassismus: früher und woanders

Beginnen wir mit der Lektüre der Zeitung: Zu Beginn des Zeitungsprojekts, Ende 1971 und 1972, spielten » Ausländer « in der Roten Hilfe überhaupt keine Rolle au-ßer als Befreiungsarmee in Vietnam, bereits befreite ChinesInnen, AntifaschistIn-nen in Spanien, bewaffnete Gruppen in Italien, kämpfende PalästinenserInnen, KombattantInnen der IRA in Nordirland oder als militante Black Power Bewegung und bewaffneter Antiimperialismus in den USA.

Innerhalb Deutschlands wurden sie nur als » verlängerter Arm « ihres Her-kunftslandes wahrgenommen, die den Kampf um ihre Heimat hierzulande wei-terführten: Gruppen und politische Organisationen waren hier u.a. der iranische Studentenbund FIS, der türkische Arbeiterverein und die türkische Studierenden-föderation, palästinensische Gruppen wie die Generalunion Palästinensischer Stu-denten (GUPS) und die Generalunion Palästinensischer Arbeiter (GUPA) oder die vor dem Vietnamkrieg desertierenden (afroamerikanischen) GIs in Deutschland. » Ausländische Patrioten « war hierfür das Stichwort im Zeitungsprojekt. Die Re-pression der Bundesrepublik gegen sie wurde folglich als internationale Kompli-zenschaft der herrschenden Klasse innerhalb der kapitalistischen Länder begriffen. Die Redaktion der maoistischen RHeV schreibt hier:» Es ist das gemeinsame Inter-esse des BRD-Imperialismus wie des türkischen Faschismus, die revolutionäre Be-wegung unter den Arbeitern, Bauern und Intellektuellen zu unterdrücken, in der Türkei wie in der BRD. «3 In der Tat war Deutschland daran interessiert, die gut or-ganisierten linken Gruppen – oft im Auftrag der befreundeten europäischen Dik-taturen – zu erfassen und, wenn möglich, zu zerschlagen.4

Die besonders miese Behandlung von Nicht-Deutschen wurde dabei von den Roten Hilfen zwar mehr und mehr registriert, konnte aber kein gesellschaftliches Phänomen an sich sein, sondern lediglich ein Effekt der korrupten, imperialen, ka-pitalistischen Regierung gegenüber den » fremdländischen Revolutionären «.

Zwar war der Begriff des Rassismus auch den GenossInnen der Roten Hilfe be-kannt, jedoch beschränkten sie ihn – in schlechter deutscher Tradition – aus-schließlich auf die Verhältnisse in den USA, vor allem im Zusammenhang mit den Deserteuren der US-Armee, die in Deutschland auf Zwischenstopp von oder nach Vietnam waren und die Gelegenheit nutzten, abzuhauen. Hier fiel der Begriff: » […] hauptinstrument zur unterdrückung von klassenbewußtsein in der truppe: RAS-SISMUS. «5 Im September desselben Jahres tauchte der Begriff erneut auf, wieder in Bezug auf Afroamerikaner. Unter der Überschrift » Klassenjustiz – Rassenjustiz « wurde über den Prozess gegen Larry Jackson in Frankenthal berichtet, welcher in Deutschland Veranstaltungen und Aktionen in Solidarität mit der Black Panther Party (BPP) organisiert hatte.6 Im Artikel selbst wurde jedoch nur von einem poli-tischen Urteil der » Klassenjustiz « gegen » unliebsame Ausländer « gesprochen. Der » Rassenjustiz «-Teil der Überschrift greift voraus, was die Analyse » Klassenjustiz « Zeitung RHeV v. Juni 1974

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für die Verhältnisse in der BRD (noch) nicht fassen konnte. Rassismus blieb im Horizont der deutschen GenossInnen zunächst ein US-amerikanisches oder neo-koloniales Phänomen. Ein Artikel der KPD/ML-ZK von Ende 1970 ist typisch für diese Haltung. Dort wird in Bezug auf die Black Panther davon ausgegangen, dass die » US-Regierung ihren rassistischen Feldzug gegen die schwarze Befreiungs- und Antikriegsbewegung […] ständig verschärft. «7 Rassismus existierte also dur-chaus im Sprachgebrauch der Linken der siebziger Jahre, jedoch nur im Verhält-nis zu jenen, die als die tatsächlich » rassisch « Anderen wahrgenommen wurden – den AfroamerikanerInnen in den USA oder den Schwarzen in Südafrika, die durch eine » rassistische Unterdrückungspolitik « » von weißen Rassisten « » rassis-tisch unterjocht « würden.8

Dass Rassismus ein soziales Verhältnis ist, das den anderen als Anderen erst ras-sisch markiert und erfindet und nicht als gegeben voraussetzt und folglich wei-ter gefasst werden müsste, wurde nicht gesehen. Stattdessen affirmierte ein Groß-teil der fundamentaloppositionellen Linken in der BRD, zu der sich die Rote Hilfe schließlich an prominenter Stelle zählte, den biologistischen Marker einer rassisti-schen Trennungslinie sogar – wenn auch auf exotisierende, teilweise bewundern-de Art. Was die stärker am » Prinzip Spaß « orientierte Agit 883 zur selben Zeit zu-sammenreimte, kann auch symptomatisch für den Blick der Roten Hilfe auf die schwarzen GenossInnen aus den USA stehen:

Der Neger kann gut vögelnund auch die Pigs vermöbeln. Und dann noch ist der Neger ein guter Bombenleger. Internationalismus hurra!!9

Jenseits der USA und in Bezug auf die hiesigen Verhältnisse gab es für die Rote Hilfe so etwas wie Rassismus nur als historische Erinnerung an den NS. Die RHD schreibt in einer Broschüre: » Durch das neue reaktionäre Ausländergesetz hat sie [die Bourgeoisie, Anm. d. A.] sich eine Handhabe gegen alle fortschrittlichen Ausländer zurechtgelegt, die an den Rassismus des Dritten Reiches erinnert. «10 Für diese Figur musste die Rote Hilfe die internationalen Kämpfe und die Ar-beitskämpfe der » Gastarbeiter « zusammenrühren und zwischen US-Imperialis-mus und NS-Faschismus diskursiv aufspannen. Beispielsweise wurde in ein und demselben Beitrag der Zeitung der rh ★ der unter der Überschrift Polizeiterror ge-gen Araber firmierte, die internationalen Kämpfe in Palästina und das repressive Ausländergesetz in Deutschland vermengt. Daraufhin folgte ein inhaltlich nicht schlüssiger Schwenk zu den Arbeitskämpfen der sogenannten Gastarbeiter hier-zulande, welche schließlich argumentativ in die strukturellen Traditionslinien des Nationalsozialismus eingebunden wurden. Erst über diesen abenteuerlichen Um-weg konnte schließlich der Begriff Rassismus im Bezug auf die BRD artikuliert werden: » Diese Abschiebungen sind ein weiterer Akt von Refaschisierung in den staatlichen Institutionen. Sie erinnern an politische und rassistische Verfolgungen unter dem Naziregime «.11 In dieser Logik gab es zwar in der aktuellen Situation keinen Rassismus, aber immerhin erinnerten manche Praxen daran. Diese Vorsi-cht ist wirklich erstaunlich. Denn die mit politischen Kraftausdrücken ansonsten wenig zimperliche Redaktion, ging mit dem Begriff des Rassismus äußerst zurück-haltend um. Zwar wurde den deutschen Behörden ununterbrochen Faschismus, Folterpraktiken und Mordlust unterstellt – aber Rassismus?... Nein, soweit wollte man dann doch nicht gehen.

Zeitung RHeV v. Oktober 1976

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Was ist das, was ich da sehe?

Die besondere Repression gegen Nicht-Deutsche wurde in der Roten Hilfe regist-riert und dargestellt, ohne sie jedoch analytisch einordnen zu können. So druck-te die Zeitung eine dpa-Meldung über einen erschossenen Griechen ab, jedoch nur um auf die schießenden Polizisten aufmerksam zu machen, nicht aber auf den Er-schossenen.12 Und auch die rassistischen Beschimpfungen und die schwere Kör-perverletzung gegenüber dem Griechen Zikos A. durch die Polizei in Wuppertal wurde lediglich en détail dokumentiert.13

Doch dann begann 1973 die Phase der wilden Streiks in der westdeutschen Indus-trie, die vor allem von den sogenannten Gastarbeitern getragen wurde. Wie Ma-nuela Bojadzijev es formulierte, waren » für die [deutsche] Linke die Migrantinnen und Migranten, deren kämpferische Aktivität und Entschlossenheit bewundert wurden, die Avantgarde der Arbeitskämpfe und der Figur des Massenarbeiters «.14 Die Rote Hilfe erwähnte jedoch die Rolle der MigrantInnen bei den wilden Streiks und generell bei den Arbeitskämpfen erstaunlicherweise erst einmal nicht. Im Ge-genteil wurde ihre Rolle zunächst verschwiegen. Z.B. berichtete die Zeitung noch 1972 über den Streik bei Hoesch, ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass es ein vorwiegend von MigrantInnen getragener Streik war. Stattdessen ist nur von » Ar-beitern « die Rede.15

Erst der Ford-Streik mit seiner knapp einwöchigen Besetzung der Werke in Köln, Ende August 1973, der aufgrund seiner Dimension eine breite Rezeption in-nerhalb wie außerhalb der Linken erfuhr, zwang die MacherInnen des Blattes eine andere Haltung einzunehmen. Zunächst jedoch wurde der historische Fakt, dass sich neben den schätzungsweise 17.000 hauptsächlich türkischen ArbeiterInnen nur einige Hundert Deutsche an dem Streik beteiligten, ausgeblendet oder schön-geredet.16 So hieß es in einem der ersten Artikel zum Streik: » Wenn es den Ford-Bossen auch nicht gelang, durch direkte Provokationen die Streikenden zu spalten,

so gelang ihr das aber doch durch andere Tricks: durch Aussperrung, so daß die deutschen Kollegen zu Hause blieben und die ausländischen Arbeiter fast alleine das Werk Tag und Nacht besetzt hielten. «17 Zwar wurde nicht weiter erklärt, wie dieser » Trick « genau funktionierte, auch war später nie wieder von irgendwelchen Tricks oder Aussperrungen die Rede, aber das schien damals niemandem aufz-ufallen. Laut Roter Hilfe ★ waren an der brutalen Räumung, entgegen den Pres-semitteilungen und trotz zahlloser gegenteiliger Berichte von streikenden Kol-legInnen, folglich auch keine deutschen ArbeiterInnen beteiligt bzw. nur einige » wenige aufgehetzte deutsche Facharbeiter «, die allerdings auch von den Bossen dazu gezwungen wurden: » ‚Antreten zur Gegendemo, oder ihr könnt gleich ge-hen.‘ Daraufhin sind natürlich [sic!] auch einige Kollegen zur Gegendemo mit-gegangen. «18 Und auch die RHeV wusste nur von » Meistern, Obermeistern und Abteilungsleitern « auf der » Gegendemo « zu berichten.19 So schaffte es die Rote Hil-fe, die gewalttätige Zerschlagung des » Türkenstreiks «20, ohne die Erwähnung der an der Zerschlagung beteiligten deutschen ArbeiterInnen, der » Dreieinigkeit von Kapital, Gewerkschaftsbonzen und Polizei «21 zuzurechnen.

Serhat Karakayalı schreibt dazu treffend: » Für die Linken damals war die Spaltung so etwas wie ein konspirativer Trick der herrschenden Klasse. Natürlich waren die kanakischen Arbeiter in einer besonderen Lage, aber das wurde eben als eine Art Zufall gesehen. […] Von Rassismus, geschweige denn strukturellem, wuss-te man nicht viel. […] Innerhalb des Ford-Werks hatte die Gruppe Arbeiterkampf am meisten mit den türkischen Kollegen zusammengearbeitet und den Streik mitgetragen. «22

Zeitung RHeV v. Mai 1977

Zeitung rh ★ Nr. 22 v. November 1973

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Nur wenige deutsche Linke erkannten damals den politischen Charakter der neuen Klassenzusammensetzung so deutlich, wie ihn seinerzeit Karl Heinz Roth formu-lierte: » In den meisten Betrieben […] entstehen neue aktionsbereite Gruppen von Akkordarbeitern, die […] mehr und mehr der gewerkschaftlichen Rolle entgleiten. Die Arbeitsemigranten hatten an dieser Entwicklung erheblichen Anteil. «23

Die Rote Hilfe dokumentierte allerdings sehr genau die Repression gegen die ArbeiterInnen aus der Konjunktur der wilden Streiks und organisierte die Solida-rität mit ihnen. Die Analyse, die ansonsten stets begleitender Teil der Solidarität war – man wollte schließlich keine » Caritas « sein, sondern Teil der Kämpfe – blieb aber aus. Aus dieser Perspektive konnten z. B. die Kündigung des engagierten Dol-metschers Mukadder Cetinkaya bei Osram und der Protest von dreißig ausschließ-lich türkischen Kollegen das Fehlen der deutschen Solidarität nur beschreiben je-doch nicht erklären.24 Bei anderen wilden Streiks, wie etwa den hauptsächlich von MigrantInnen geführten Streiks in den Hella-Werken im Juli 1973 und vor allem bei dem erfolgreichen Streik der ausländischen Arbeiterinnen bei Pierburg/Neuss verlor die Redaktion in ihren Artikeln kein Wort über die Bedeutung der Migran-tInnen für diese Kämpfe.25 Und das, obwohl gerade der Streik der Frauen bei Pier-burg vom Juni 1973 ein gelungenes Beispiel für die Überwindung der rassistischen Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse darstellte.26

Und auch die ersten Hausbesetzungen in der BRD, im Frankfurter Westend zu-sammen mit Studierenden vor allem von migrantischen BewohnerInnen orga-nisiert wurden,27 wurden von der Roten Hilfe glatt national enteignet und den deutschen GenossInnen zugesprochen. Lediglich von einem » Türkenhaus « war die Rede, aktiv waren jedoch die Deutschen: » Die letzten türkischen Mieter […] sollten […] raussaniert werden. […] Mit Zynismus und Gewalt ging man über ihre [sic!] Forderungen hinweg. Für uns [sic!] blieb die einzige Alternative: die Straße. «28 So kämpfte man solidarisch für die MigrantInnen. Dass die Hausbesetzungen aus der Tradition der italienischen Mietstreikbewegung der sechziger Jahre hervorgin-gen und es die » Gastarbeiter «-Familien waren, die diese Praxis in Frankfurt ein-führten, wurde von den volksnahen Rote Hilfe-Deutschen ignoriert. Immerhin erwähnte die RHeV in einem Satz die » ausländischen Arbeiter «, die mit » Lehrlin-gen « und » Studenten « die Häuser im Westend besetzt hätten. Bei den Berichten über die polizeiliche Räumung 1974 wurde allerdings nur noch die Zerschlagung der studentischen Organisationen genannt.29

Dennoch kündigten sich allmählich zwei entscheidende Denkprozesse bei der Rote Hilfe an: Erstens dämmerte es ihnen, dass die MigrantInnen diejenigen wa-ren, gegen die sich die staatliche Repression am stärksten wandte – und zwar nicht nur, weil sie so besonders revolutionär waren – und zweitens bemerkte man seit dem Ford-Streik, dass es die » GastarbeiterInnen « und ihre organisierten Kampf-formen waren, welche die Phase der wilden Streiks bestimmten, ohne dass Deut-sche in nennenswerter Weise Anteil daran gehabt hätten. Mitte der siebziger Jah-re las sich das in einem Beitrag zum Streik bei Dynamit Nobel folgendermaßen: » Die türkischen Kollegen traten in diesem Streik als die konsequentesten Kämp-fer auf. Sie sind es, die von den Folgen der kapitalistischen Krise am härtesten getroffen werden, sie fungieren als eine Reservearmee, die in der Krise entlassen wird, noch bevor die deutschen Kollegen an der Reihe sind. […] Sie sind damit ein

Zeitung RHeV v. Januar 1974

Zeitung RHeV v. Mai 1974

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Vorbild für die gesamte Arbeiterklasse. «30 Und so war auch klar, dass die Verur-teilung der türkischen ArbeiterInnen und die Freisprechung der deutschen Arbeit-erInnen bezüglich des Dynamit Nobel Streiks » den gemeinsamen Kampf deutscher und ausländischer Arbeiter spalten soll. «31

Mit der fortschreitenden Krise des Fordismus wurde diese Analyse nun von Mo-nat zu Monat deutlicher. Im März 1976 drehte die RHeV sogar die Logik um, nach der die von Repression getroffenen ausländischen ArbeiterInnen immer als Revo-lutionärInnen dargestellt werden müssten. Nun drohte die Abschiebung von wirk-lich organisierten Radikalen der Patriotischen Einheits Front der Türkei (PEF), wo-rauf die Rote Hilfe jedoch mit der Thematisierung der allgemeinen Situation für MigrantInnen in der BRD reagierte: » Das gesamte Ausländergesetz bildet ein Sys-tem, die Tätigkeit von ausländischen Revolutionären zu unterbinden, die auslän-dischen Arbeiter total zu entrechten und dadurch von ihren deutschen Kollegen abzuspalten. « Möglich würde dies – und das war eine neue Sicht auf die Dinge – durch » eine systematische Hetze gegen ausländische Kollegen « in den » bürgerli-chen Schmierblättern «.

Solidarität mit den fortschrittlichen Klassenbrüdern

Der Kampfzyklus der wilden Streiks und der militanten Arbeitskämpfe von den Septemberstreiks 1969 bis zum Höhepunkt im Jahr 1973, in dem in rund 335 Be-trieben die Arbeit niedergelegt wurde,32 genügte alleine nicht, um das » Prinzip Sol-idarität « der Roten Hilfe für die ArbeitsmigrantInnen anzukurbeln. Im Gegensatz zu den entlassenen Deutschen konnte man bei den ausländischen KollegInnen Sol-idarität nicht einfach um der Sache selber willen einfordern. Vielmehr brauchte es ein politisches > Surplus <, wie den Internationalismus oder den drohenden faschis-tischen Terror in den Heimatländern für die von Repression und damit von Ab-schiebung bedrohten MigrantInnen, um die Leserschaft zur solidarischen Anteil-nahme zu bewegen: » Nach dem Fordstreik ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, die Solidarität mit den entlassenen Kollegen zu organisieren. Vor allem die auslän-dischen Kollegen haben bei Entlassungen die schwersten Folgen zu tragen. Sie ver-lieren nicht nur ihre Arbeitsstelle, sondern gleichzeitig oft ihre Wohnung in den Wohnheimen und dann droht ihnen die sofortige Abschiebung in die Heimatlän-der. Und das heißt für viele: Polizeiliche Verfolgung und Gefängnis «.33

An der Kampagne für die Aufenthaltsgenehmigung für Mehrdad Adrom, ei-nem Exil-Iraner, der sich aktiv gegen das Schah-Regime engagierte und 1973 Asyl in der BRD beantragte, wurde deutlich, warum sich die Rote Hilfe mit dem deut-lich sichtbaren Phänomen eines gesellschaftlich weit verbreiteten Ausländerhasses so schwer tat. Im November 1973 fragte sich die Rote Hilfe Zeitung, nachdem sie den Abschiebebeschluss zitiert hatte, wonach Adrom ein Sicherheitsrisiko für die BRD darstellte: » Sicherheitsrisiko – für wen? Für die Bevölkerung Westdeutsch-lands oder für die Handvoll Kapitalisten, die ihre Erdölgeschäfte mit dem Schah-regime gefährdet sehen? «34 Während sich ein Großteil der damaligen Bevölkerung sicher für die erste Antwort entschieden hätte, war den damaligen GenossInnen sonnenklar, dass nur das Kapital und die herrschende Klasse Probleme mit den Nicht-Deutschen habe. Hätten die MacherInnen der Roten Hilfe die Zeitschrift Wir wollen alles, die von den operaistisch orientierten Gruppierungen ab März 1973 herausgegeben wurde,35 gründlich studiert, wären ihnen die Debatten über multinationale Werksgruppen und das Verhältnis der deutschen und ausländisch-en Belegschaft sowie der Problematisierung eines bestehenden » Kanakenhaß[es] « vielleicht deutlicher geworden.36

Zeitung RHeV v. Apr i l 1976

Zeitung RHeV v. März 1976

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Der Roten Hilfe lag eben nur eine Handvoll MigrantInnen am Herzen, nämlich die politisch organisierten sogenannten Revolutionäre. Gerade die von der KPD/ML herausgegebenen letzten Ausgaben der Roten Hilfe Zeitung und später ihre Rote Hilfe Deutschland fokussierten sich auf die patriotischen RevolutionärInnen, vergleichbarer orthodoxer Parteien und Gruppen aus anderen Ländern. Aber auch die RHeV kämpfte für die AktivistInnen anderer Länder, die in der BRD Repressi-onen erfuhren, wie etwa in ihrer relativ großen Kampagne zu den » türkischen Pa-trioten « Himmet Subasi und Yildirim Dagyeli, Redakteure der Zeitung Aydinlik, denen sie neben einigen Artikeln drei Prozessinfos widmete.37

Daher lautete auch keine der Forderungen » offene Grenzen «, » Bleiberecht für alle « oder wie beim Ford-Streik oder in Pierburg » gleicher Lohn «, sondern in dop-pelter Einschränkung » politisches Asyl für fortschrittliche Klassenbrüder «.

Und dennoch – das ist der interessante Aspekt dieser Geschichte – rückte die Si-tuation der MigrantInnen mehr und mehr in den politischen Blick der Solidari-tät. Denn in den juristischen Prozessen, die den wilden Streiks von 1973 und 1974 folgten, wurde offensichtlich, dass es in erster Linie nicht die Deutschen, sondern eben MigrantInnen waren, die entlassen, eingeknastet und abgeschoben wurden. Nach dem Ford-Streik wurden etwa 100 türkische Arbeiter entlassen und weite-re 600 kündigten » freiwillig « unter dem Druck der Unternehmensführung.38 Und so ist es nicht unwichtig, dass 1974 die in die Hände der KPD/ML übergegangene Rote Hilfe ★ in ihren Statuten den Kampf » gegen die Abschiebung fortschrittlicher

Ausländer « zu ihren Grundsätzen erklärte.39

Der ungebrochene Bezug auf Deutschland blieb jedoch bestehen und trat bei-spielsweise in einer der größeren Solikampagnen der Roten Hilfe Deutschland zum Vorschein, die den symptomatischen Titel trug: » Sascha ist deutsch! «. In nicht we-nigen Artikeln wurde ein ums andere Mal der von der Abschiebung bedrohte Ale-xander Haschemi, der einen persischen Pass besaß, wegen seiner deutschen Mutter national eingemeindet: » Sascha – ein deutscher Kommunist «40.

Diese Strategie war erfolgreich, Sascha bekam seinen deutschen Pass. Dass die Kampagne glückte, weil man die Logik des Inländerprimats in der deutschen Aus-länderpolitik bediente und damit bestätigte, war wohl ohne Bedeutung. Und das, obwohl Mitte der siebziger Jahre Asyl und Abschiebung ihren festen Platz in den Meldungen der Zeitungen und in den Solidaritätsprojekten einnahmen. Wie etwa die Nachricht in der RHeV von der nächtlichen Abschiebung zweier türkischer Ar-beiter, die bei Dynamit Nobel gestreikt hatten, oder die Kampagne gegen die dro-hende Abschiebung der PEF-Genossen 1976.41 Der von der Regierung Brandt 1973 verhängte Anwerbe- und Zuzugsstopp für sogenannte Gastarbeiter wurde von der Redaktion der Roten Hilfe Deutschland zwar nicht erwähnt und der Zusam-menhang von Ölkrise, fordistischer Krise, Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben und Massenentlassungen sowie Rückführungsprogrammen für nicht-deutsche ArbeitnehmerInnen nicht verstanden; jedoch registrierte und thema-tisierte sie die rasch ansteigende Zahl der Abschiebungen. Die RHeV hingegen, den ausländischen ArbeiterInnen durch ihre konkrete Solidaritätsarbeit in den

Broschüre RHD, Sascha – ein deutscher Kommunist , München 1975

Zeitung RHeV v. Apr i l 1976

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

von der » westdeutschen Bourgeoisie « zu » Hunderttausenden « als » Lohnsklaven nach Westdeutschland geholt « wurden;45 sondern nun galt es vielmehr, » unsere spanischen und türkischen Freunde und Genossen zu unterstützen «. Nach und nach wurden aus den Klassenbrüdern und GenossInnen » unsere Freunde «.

Was war passiert? Im Zuge der Solikampagnen zum Ford-Streik und ande-ren Arbeitskämpfen, aber auch seitdem türkische Gruppen zunehmend dem Ter-ror der Grauen Wölfe oder anderer Organisationen wie die NSTAB oder MHP in der Bundesrepublik ausgesetzt waren, wie etwa beim tödlichen Angriff türkischer FaschistInnen auf den türkischen Arbeiterverein in Hamburg,46 traf man sich mit den MigrantInnen zum Stammtisch und lernte sich kennen. Mit Erstaunen stellten die deutschen GenossInnen fest, dass die Diskussionstreffen nun etwas an-ders abliefen, als sie es gewohnt waren – es wurde gefeiert: » Die türkischen Kolleg-en hatten ein türkisches Musikinstrument mitgebracht und spielten revolutionäre türkische Musik. Die Anwesenden waren darüber sehr begeistert. «47 Die Verquick-ung von politischen Kämpfen und lebensweltlichen Realitäten, die in Italien, Span-ien und anderswo längst Teil der Bewegungen waren, wurde besonders unter den Bedingungen in Deutschland für die MigrantInnen zu einer lebensnotwendigen Praxis. Das neue an den Streiks in den frühen siebziger Jahren war, dass sich die Kämpfe der MigrantInnen nun gegen die Arbeit selbst richteten. So streikten sie ne-ben den Arbeitsbedingungen für mehr Urlaub, gegen miserable Wohnverhältnisse, schlechtes Essen, zu niedriges Kindergeld und allgemein gegen die Fabrik. Die bio-politische Offensive gegen die Arbeit und ihre Bezugnahme auf das ‚ganze Leben‘ stellte einen Bruch zum Konzept der gewerkschaftlichen Sozialpartnerschaft dar, wie es in der BRD der Nachkriegszeit praktiziert wurde. Und sie war Ausdruck be-reits entwickelter Kämpfe in den Herkunftsländern der ausländischen ArbeiterIn-nen. Sie erneuerten und politisierten Kampfformen wie das Blaumachen, Krank-feiern, den Bummelstreik, renitente Praktiken und Sabotage.48 Wie Björn Pätzold in einer Dokumentation der Roten Hilfe darlegt, waren sich der deutsche Verfas-sungsschutz (VS) und das Innenministerium unter Genscher dieser neuen und für sie gefährlichen Qualität durchaus bewusst. In ihrem Bericht von 1971 warnt die umtriebige Behörde vor » 46.000 organisierten ausländischen Linksextrem-isten «, deren » Agitation […] gegen die Arbeitsbedingungen in der Bundesrepub-lik Deutschland und gegen die deutschen Arbeitgeber « gerichtet sei. Nicht ohne Ironie schildert dieser Geheimdienst außerdem, wie die Ausländer die » Mißstän-de in der Unterbringung, Betreuung und sozialen Eingliederung […] ausnutzen,

Betrieben näher, war bereits analytisch einen Schritt weiter. Im Frühjahr 1974 erk-lärte sie, anlässlich einer brutalen » Nacht- und Nebelaktion « gegen ein Wohnheim für migrantische ArbeiterInnen, den Zusammenhang von Repression und aktu-eller wirtschaftlicher Konjunktur: » Seit die Anzeichen der derzeitigen zyklischen Krise sich verstärken, seit dem Ausländeranwerberstop [sic] der Bundesregierung vom November 1973, häufen sich die Maßnahmen der Unterdrückung gegen die Arbeiterklasse, wobei immer besonders hart die ausländischen Kollegen getroffen werden. «42 In dieser Perspektive wurde von der BRD politisches Asyl für hier leb-ende fortschrittliche nicht-deutsche GenossInnen gefordert. Der Verweis auf die drohende Folter in den Herkunftsländern war dabei zentral in den Aufrufen zur Solidarität.43

Dennoch » funktionierte « das Argument des » politischen Asyls « auf Dauer immer weniger. Denn abgeschoben wurden die » unliebsamen politischen Ausländer « ebenso wie die, die einfach nur krank oder arbeitslos wurden, egal ob sie links oder sonst was waren. Ein Bewusstsein darüber in der Roten Hilfe deutete sich ab 1974 zunehmend deutlich an. Etwa in dem Artikel Schluss mit der Unterdrückung fort-schrittlicher Ausländer und ihrer Organisationen!, wo es heißt: » Alle diese Angriffe werden verschärft durch die Anwendung der Ausländergesetze, die die Ausländer insgesamt [sic!] rechtlos machen sollen. «44 Allmählich wurden die Abschiebung und die Entrechtung aller MigrantInnen an sich angeprangert, ohne dass man den sicheren Tod im Heimatland heraufbeschwören musste. Und so ging es auch nicht mehr ausschließlich um » unsere verfolgten ausländischen Klassenbrüder «, die

Zeitung RHeV v. Juni 1974

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um eine Klassenkampfsituation herbeizuführen «.49 Ob der VS der Regierung da-raufhin vorgeschlagen hat, diese » Missstände « zu beseitigen, damit die Migran-tInnen sie nicht mehr » heimtückisch « ausnützen könnten, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. 1974 resümierte Lotta Continua die bundesdeutsche Situation, im Zusammenhang von Arbeits- und sozialen Kämpfen außerhalb der Fabriken folgendermaßen: » Die Lohnforderungen, die im Mittelpunkt dieser Kämpfe [den wilden Streiks, MP] standen, entstehen als eine Konkretisierung einer viel weiter reichenden Rebellion gegen die eigene Lage der Unterordnung und Diskriminier-ung, gegen die eigene Emigrantensituation. «50 Obwohl die besondere » Emigrant-ensituation « in der deutschen Linken nicht wirklich gesehen wurde, erreichte diese operaistische Analyse zumindest als soziales Phänomen schließlich auch die Rote Hilfe; die deutschen GenossInnen waren begeistert: » Trotz des schlechten Wetters wurden Spiele und Tänze gemacht, außerdem wurde viel gesungen. Zum Abschluß gab es ein phantastisches Abendessen, das die Freunde aus der Türkei vorbereitet hatten. «51 Nun begann die Zusammenarbeit mit MigrantInnen, mit denen man sich zum Stammtisch traf, von denen man sich bekochen ließ und von deren Lie-dern man romantisch schwärmte. Jenseits der begrenzten Analyse ist hier von Be-deutung, was Foucault als heterotopische Erfahrung, als » neue Lebensweise «, für ein neues politisches Konzept produktiv zu machen versuchte.52

Titelb i ld einer Broschüre der RHeV Westber l in (1973)

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

Teilweise traten ausländische GenossInnen sogar in die Rote Hilfe ein: » 10 Kolle-gen aus der Türkei sind inzwischen Mitglied der RHD geworden. Satzungen der Roten Hilfe Deutschland in türkischer Sprache wurden verteilt «. Das hatte im Ge-genzug zur Folge, dass nun auch die Schriften der MigrantInnen und damit ihre Forderungen übersetzt und in der Roten Hilfe abgedruckt wurden. In diesen Do-kumenten stand zu lesen, was die Rote Hilfe nicht zu denken im Stande war: Der grundsätzliche Zusammenhang von Ausländer-sein und entrechtet-werden: » Ge-rade aus eigener Erfahrung kennen wir die politische Rechtlosigkeit der ausländi-schen Arbeiter, gerade aus eigener Erfahrung wissen wir, wie dieser Staat und sei-ne Polizei und Justiz diejenigen zerbrechen will, die zuvorderst im Klassenkampf stehen « 53

Die MigrantInnen machten nun selbst klar, dass es ihnen um die Erlangung von Rechten – in diesem Zusammenhang bürgerlichen Rechten – ging. Hier lag der Kern des Problems: denn während die einen alle bürgerlichen Rechte besaßen und aus dieser Position das System und seine bürgerliche Verfasstheit bekämpften, war der Klassenkampf der GastarbeiterInnen immer auch ein Kampf um das Erlangen von Rechten, wie angemessene Bezahlung, menschenwürdige Wohnbedingungen, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, dem Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen, usw. Auf emphatische Weise übernahm die Rote Hilfe Deutschland die-se Forderungen, ohne zu verstehen, was das politisch bedeutete. Als es z.B. um die türkische » Hausfrau « mit TBC ging, die aufgrund ihrer (mittlerweile kurierten) Krankheit abgeschoben werden sollte, wurde klar, dass das Konzept des fortschritt-lichen Klassenbruders irgendwie nicht mehr so recht hinhaute. 54

Vielmehr rückte das Ausländergesetz als Entrechtungsmaschinerie in den Vor-dergrund. So konnte die Redaktion schließlich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in einem Beitrag, mit dem Titel Ausländische Werktätige in Westdeutschland – Rechtlos, formulieren, was » jeder weiß «, und nun sogar die Rote Hilfe selber: » Je-der weiß, daß die ausländischen Arbeiter bei uns die schlechtest bezahlten Ar-beiten machen müssen, daß sie gegen Wuchermieten die letzten Löcher als Woh-nungen bekommen oder in überfüllte Heime gepfercht werden «.55 Aber: » Alle Unterdrückung kann nicht verhindern, daß die ausländischen Arbeiter gegen be-sondere Ausbeutung und Entrechtung in den Kampf treten «.56

Selbstdarstel lung der RHeV in der Broschüre Sol idar i tät mit den ent lassenen türk ischen Kol legen bei Osram …

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

Dennoch mochte die KPD/ML nahe Rote Hilfe Deutschland ihre Avantgardeposi-tion trotz der außerordentlichen Kampfbereitschaft der MigrantInnen nicht preis-geben, was teilweise zu lustigen Denkfiguren führte: » Die Tatsache, daß gerade die ausländischen Arbeiter so kampfbereit sind, muß für uns ein Ansporn sein « – Sich ihnen anzuschließen? Sie als Vorbild zu nehmen? Ihnen zu folgen? – Nein!, son-dern: » […] auch sie für den Kampf der RHD als Mitglieder zu gewinnen «.57

Baha Targün und andere Kampagnen

Im August 1973 gründete sich unter dem Eindruck der massiven Arbeitskämpfe eine weitere Rote Hilfe Zeitung, die – im Unterschied zu den stärker an der Revolte interessierten Spontis der Roten Hilfe ★ und der sich (auch an migrantischen) ML-Orthodoxen orientierenden KP-GenossInnen der Roten Hilfe Deutschland – ihre Solidaritätsarbeit nun primär rund um den Kampfzyklus in den Betrieben entfal-tete. Die um die KPD/AO organisierte RHeV veröffentlichte bereits in ihrer ersten Nummer einen ausführlichen Kommentar zum Ford-Streik, in dem sie auch auf die allgemeine Situation der » ausländischen Kollegen « zu sprechen kam.

In dem Artikel mit dem programmatischen Titel Wo die Arbeiterklasse kämpft … organisieren wir die Solidarität! rekapituliert die Redaktion als Gründe der aktu-ellen Streikwelle etwa die Forderungen nach einer Teuerungszulage einer linearen Gehaltserhöhung oder einer Verlangsamung der Fließbänder, – Forderungen, die explizit aus den verschärften Arbeits- und Lebensbedingungen der MigrantInnen erwuchsen. Zwar wiederholte auch dieser Beitrag die Mär einer geschlossenen Ar-beiterschaft, die die real existierende rassistische Stratifizierung der bundesrepu-blikanischen Klassenzusammensetzung nicht wahrnehmen konnte oder wollte. Dennoch eignete sich die Redaktion der RHeV mit ihrem Fokus auf Baha Targün – » einer der Führer des Streiks bei Ford « – teilweise eine migrantische Perspektive an. In dem fünfseitigen Artikel beschrieb sie die neue Qualität der Polizei-Brutali-tät bei den Zerschlagungen der Streiks, sowie die Repressionen, die sich vor allem in Entlassungen, erpressten » freiwilligen « Kündigungen und drohenden Abschie-bungen von nicht-deutschen Streikenden ausdrückte. So zielte die Solidarität der RHeV entsprechend auf den juristischen Schutz der festgenommenen türkischen KollegInnen, die im Falle des Ford-Streiks tatsächlich zunächst wieder freigelassen wurden. Außerdem sammelte diese Rote Hilfe in nur wenigen Wochen über 9.000 DM, die für die Prozesskosten von Baha Targün und anderen KollegInnen bei Ford verwendet werden sollten. Bezogen auf die Frage des vorliegenden Beitrages nach der allmählichen politischen Wahrnehmung eines rassistischen Dispositivs und der daraus resultierenden Konsequenz für eine linke Politik, ist die Mobilisierung um den Ford-Streik von äußerster Relevanz. Neben den bereits erwähnten operais-tischen Gruppen, die Vorläufer der wenige Jahre später beginnende Bewegung der

Broschüre der RHeV, Rechenschaf tsber icht des ersten Zentra lvorstands , Dor tmund , (1974)

Demonstrat ion während des FORD-Streiks in Köln auf dem Werksgelände Ende August 1973

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

Autonomen in der BRD darstellten, gelang es auch der RHeV, von denen sich spä-ter zumindest Teile ihrer bürgerlichen Linie den Grünen anschloss, partiell die ras-sistische Spaltung zu unterlaufen.

Im besagten Artikel geht es um die Verordnungen des » reaktionären Auslän-dergesetzes « mit denen » die totale Entrechtung der ausländischen Kollegen le-galisiert wurde «. Vor allem der schwammige Passus, nachdem ein Migrant ab-geschoben werden kann, wenn » die Anwesenheit des Ausländers die Belange der BRD beeinträchtige oder gefährde «, wurde als Kern der Entrechtung – als perma-nente Bedrohung der Bürgerrechte – gesehen. Folglich schließt der Artikel, der gu-ten Gewissens als » Kanak-turn « der Roten Hilfe bezeichnet werden kann, mit den Forderungen:

Dem Artikel folgte nun der Beginn der Solidaritätskampagne für Baha Targün, der prominent in und mit der Roten Hilfe e.V. gefeatured wurde. Während sei-ne zentrale Rolle im Ford-Streik zumeist auf seine guten Deutschkenntnisse und sein rhetorisches Talent zurückgeführt wurde, lassen sein Engagement für die Rote Hilfe e.V., seine von ihr organisierten politischen Veranstaltungsreisen und vor allem seine Intervention, einen Genossen der KPD/AO in die Streikleitung wäh-len zu lassen, eine große Nähe zu der Organisation vermuten. Ein Umstand, den die frisch geputschte Rote Hilfe ★ in ihrer ersten ML-Ausgabe aufmerksam wer-den ließ. Dort wetterte sie in ungewöhnlich denunziatorischer Weise gegen das » ‚KPD’-Sympathisantenkomitee « bei Ford: » Die Organisation KPD ist mit dafür verantwortlich, daß der Streik mit einer Niederlage endete. Die ‚KPD’ hatte Ein-fluß in diesem Streik, vor allem über den Genossen Baha Targyn [sic]. Viele, beson-ders deutsche Kollegen, hatten kein volles Vertrauen zum Streikkomitee. Vielen

war es unverständlich, warum der studentische Genosse [Frank] Kühne (‚KPD’) in der Streikleitung war, wo er doch schon eine Woche später sein Betriebsprakti-kum beendete. Kühne war auf Vorschlag Targyns gewählt worden, der einen zwei-ten ‚KPD’ Vertreter im Streikkomitee haben wollte. «59

Zeitung RHeV v. Oktober 1973

» SOLIDARITÄT MIT BAHA TARGÜN UND ALLEN ANDEREN ENTLASSENEN KOLLEGEN!DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE ARBEITER – EINE KAMPFFRONT!WEG MIT DEN REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZEN!SCHLUSS MIT DER ABSCHIEBUNG AUSLÄNDISCHER ARBEITER!HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!SOFORTIGE NEUWAHL DES BETRIEBSRATES BEI FORD / KÖLN!KAMPF DEM POLIZEITERROR DER BRANDT-REGIERUNG GEGEN STREIKENDE ARBEITER! «58

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

Warum laut Rote Hilfe ★ » besonders deutsche Kollegen « kein Vertrauen hatten, blieb allerdings ungeklärt. Viel wichtiger als die Frage nach einer personellen Ver-flechtung von Targün und der KPD/AO war jedoch die neue Offenheit für die Sa-che der GastarbeiterInnen in der RHeV. Denn was letztendlich zählte, war » die Kampfbereitschaft und das mutige Auftreten der türkischen Kollegen. Sie haben diesen Erfolg errungen! «60

Doch nun drohte die Abschiebung von Baha Targün, der Bescheid der Stadt Köln wurde als Faksimile abgedruckt und im dazugehörigen Artikel die neu erworbene Analyse der Roten Hilfe wiederholt: » Ausländerrecht ist Ausländerentrechtung «61.

Baha Targüns Aufruf wurde ebenfalls abgedruckt, in dem er genau das forder-te, um was es den MigrantInnen in der BRD seit jeher ging – die Inanspruchnah-me von Rechten. Und so ist es nicht zu unterschätzen, wenn in der Roten Hilfe e.V. plötzlich nicht mehr nur noch von » revolutionären ausländischen Patrioten « oder » fortschrittlichen Klassenbrüdern « die Rede war, sondern Targün und andere for-dern konnten: » Bekämpft die reaktionären Ausländergesetze, die es dem Staatsap-parat ermöglichen, die für ihre Rechte kämpfenden ausländischen Arbeiter zu un-terdrücken, sie jederzeit zu verfolgen und auszuweisen «.62

Sicher kann Baha Targün aufgrund seiner institutionellen Nähe zur KPD/AO als Ausnahme im Verhältnis der Roten Hilfe zu den » ausländischen Klassen-brüdern « gewertet werden. Gerade mit seiner Inszenierung als » Held von Ford « warb die Rote Hilfe e.V. für sich selber. Allerdings war bereits anderthalb Jahre später diese Konstellation beendet, als Targün wegen der Entführung eines » rei-chen türkischen Kaufmanns « erneut angeklagt wurde. Zwar rief die Zeitung in einer kleinen Mitteilung noch einmal ihre LeserInnen auf, zum Prozess zu gehen, doch die Redaktion fühlte sich bereits genötigt, diesen Prozess mit einem völlig anderen Verfahren in Köln, nämlich gegen die Patriotische Einheitsfront der Tür-kei (PEF) und ihre Mitglieder Ömer Özerturgut, Mustafa Tutgun, Hatice Yurtas und Yksel Urgulu wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, stimmungsmä-ßig in Verbindung zu bringen, um dem Fall Targün noch eine gewisse politische Brisanz zu verleihen.63

Zeitschr if t des KSV, Dem Volke dienen , Oktober 1973

Demonstrat ion am 15. 9 .1973 in Köln gegen die Abschiebung der Streikenden bei FORD, Zeitung RHeV v. Oktober 1973

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

Dennoch bleibt, dass sich spätestens ab dem Ford-Streik in beiden neu gegründe-ten Zeitungsprojekten eine migrantische Perspektive ihren Platz erkämpft hatte. Unter Solidarität wurde nun zusätzlich stets der Kampf gegen das Ausländerge-setz unter Berücksichtigung auch nicht ML-orientierter AusländerInnen verstan-den. Denn ob links oder nicht, » unser Leben « – wie ein türkischer Kollege zitiert wurde – » wird sowieso an den Maschinen verbraucht. «64 Die daraus resultie-rende Entschlossenheit, für ein besseres Leben zu kämpfen, wurde von der Ro-ten Hilfe ab Ende 1973 schrittweise aufgegriffen. Die Unterstützung des entlasse-nen Dolmetschers bei Osram, Mukadder Cetinkaya, für seine Parteinahme für die türkischen KollegenInnen war ein weiteres Beispiel für diese neue Haltung bei der Roten Hilfe. Wenn in einem zweiseitigen Artikel von einem » der letzten Rechte der unterdrückten und entrechteten Türken « die Rede war und sehr präzise die Klas-senzusammensetzung beschrieben wurde, deren Differenzierung entlang der na-tionalen- und der Geschlechtergrenzen verlief, entfernte sich die RHeV-Redaktion damit ein gutes Stück weit von der Vorstellung einer geschlossenen Arbeiterfront, der nur die KapitalistInnen entgegenstünden.65

Die Titelaufmachung im neuen Jahr stand folglich ganz im Zeichen dieser Entde-ckung: Dort waren Cetinkaya mit Targün zu sehen, die Arm in Arm und mit ge-reckter Faust vor einem deutsch-türkischen » Solidarität hilft siegen «-Transparent der Roten Hilfe stehen. Die nicht zwingend dazu passende Zeitungsüberschrift lau-tete: » Hinein in die Rote Hilfe! «.

Nicht grundlos vermutete die Westberliner Zeitschrift Prokla, in einem mehr als wütenden Artikel über die sogenannte Solidaritätsaktion der RHeV, dass es den » KPD/AO Funktionären « eher um ein propagandistisches Aufplustern des Kampfes bei Osram zu einem zweiten Ford-Streik und den Aufbau Cetinkaya zu einem neuen Baha Targün – als zweitem prominenten Flagschiff der Roten Hil-fe – ging, als um die tatsächliche Unterstützung des konkreten Kampfes im Werk selbst. Die Prokla wies der Roten Hilfe Falschdarstellungen nach, warf ihr eine Funktionalisierung von Cetinkaya vor und erklärte sie zu einem Problem des Klas-senkampfes, durch das der erfolgreiche Betriebskampf und die größtenteils gelun-gene Überwindung der » ausländerfeindlichen Spaltung zwischen deutschen und türkischen ArbeiterInnen bei Osram zerstört « würde.66 Ungeachtet der Kritik aus dem Werk setzte die RHeV ihre Kampagne um die Wiedereinstellung des Dol-metschers bei Osram fort. Trotz der Funktionalisierung des türkischen Genossen als » abgehobene Phantasie- und Propagandagebilde der KPD «67 hatte die verstärk-te Zusammenarbeit mit ausländischen AktivistInnen durchaus Auswirkungen auf das eigene Selbstverständnis. So forderte die RHeV am Ende ihres Artikels zu Osram

Zeitung RHeV v. November 1973

Titelb i ld Zeitung RHeV v. Januar 1974

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

zum ersten Mal: » Gleiches Recht und gleicher Lohn für deutsche und ausländische Arbeiter «, sowie – noch erstaunlicher – » Freie Wahl des Arbeitsplatzes « und » Men-schenwürdige Wohnungen «.68 Das war ein weiterer Schritt in der Übernahme mi-grantischer Forderungen nach umfassenden Rechten. Und auch die juristische Un-terstützung der gekündigten griechischen Arbeiterin Despina Koparou bei Bosch in Stuttgart, die einen » Kollegen arbeitsunfähig geschlagen haben soll «, kann in die-sem Sinne weniger als klassische linke Politikintervention verstanden werden, als vielmehr grundsätzliche Parteinahme für die schikanierten ausländischen Klassen-brüder und -schwestern.69

In nur wenigen Monaten hatte damit die Rote Hilfe nicht nur Revolution und Klassenkampf auf ihrem politischen Radarschirm, sondern – wie verkürzt auch im-mer – die Kämpfe aus der Migration gegen jene Unterdrückungslinie, für die Jahre später der Begriff Rassismus in das linke Vokabular aufgenommen werden sollte. Das Spektrum der revolutionären Subjekte erweiterte sich: Im April 1975 bezeichnete die Rote Hilfe e.V. » beschäftigte Arbeiter, Erwerbslose, Frauen, ausländische Arbei-ter und Jugendliche « als » Einheitsfront aller Ausgebeuteten und Unterdrückten «.70

Insgesamt war es analytisch indes noch nicht so weit. Auf der dritten Seite der Neujahrsausgabe wurde entgegen dem Inhalt der Artikel über die Arbeitskämpfe erneut eine eher antiimperialistische Parallele zwischen dem Regime in der Türkei und den miesen Lebensbedingungen » türkischer Arbeiterfamilien « hierzulande ge-zogen und damit die Repression des faschistischen Militärs in der Türkei gegen jegli-che Opposition mit den rassistischen Exklusionsprozessen innerhalb der bundesre-publikanischen Normalität politisch auf eine Stufe gestellt.

Und auch die deutsche Bevölkerung wurde immer wieder, trotz anderslauten-der Berichte aus den Betrieben, diskursiv auf der Seite der türkischen Arbeiter ver-ortet. In einer Attacke gegen die verfeindete SEW anlässlich einer Konfrontation bei gleichzeitig stattfindenden Straßenaktionen wusste die Rote Hilfe e.V. zu berichten: » Von der angeblich so tiefen Spaltung zwischen deutschen und türkischen Arbeitern war [...] nichts zu spüren: die deutschen Kollegen waren in der Regel über die politi-schen Entlassungen bei Osram genauso empört wie die türkischen. Das hat uns ge-zeigt, daß die SEW bei Entlassungen der Kollegen offenbar sehr viel weniger empört ist als die Bevölkerung. «71

Nur waren es – wie die Rote Hilfe selber präzise aufzeigte – türkische, jugoslawische oder italienische Arbeiter, die bei Ford, Osram oder anderswo die Solidaritätsko-mitees gründeten und auf die Barrikaden gingen.

Was aber aus diesen Zeilen auch sprach, war, ähnlich wie schon bei der Rote Hil-fe Deutschland, der Wunsch der roten Helfer die bewegenden Erfahrungen, die sie neuerdings mit den » Ausländern « machten, nicht als absolut untypisch und mar-ginal zu begreifen. Weil sie sich als Organisation selber als Teil des Volkes ver-standen, konnten diese neuen Freundschaften jenseits der Klassenspaltung nur ein allgemeines Phänomen der gesamten Arbeiterklasse sein. Auf sehr sympathische Weise wollten die deutschen Genossen ihr Glück mit den Massen teilen. Jenseits der begrenzten Analyse ist hier von Bedeutung, was Foucault als heterotopische Erfahrung, als » neue Lebensweise «, für ein neues politisches Konzept produktiv zu machen versuchte.72 In ihrem Beitrag » Hilfe für das unterdrückte griechische Volk « war dieses Glück für die Leserschaft zum Greifen nahe: » Einen weiteren Hö-hepunkt stellten die revolutionären Lieder dar, die von den griechischen Freunden und Genossen vorgetragen wurden, in die auch wir nach Kräften einstimmten. [...] Das Singen dieser Lieder wurde von allen mit revolutionärer Begeisterung aufge-nommen. Für uns alle hatte die Veranstaltung [...] auch die Wirkung eines starken Zusammenschlusses nach innen. Die letzten verließen das Lokal gegen Mitter-nacht «, und zwar mit einem » großartigen Gefühl «.73

Und: » Das deutsch-türkische Soli-daritätsfest fand in einer sehr ermu-tigenden und kämpferischen Atmo-sphäre statt. […] alle anwesenden Nationalitäten führten revolutio-näre Lieder und Gesänge vor, auch ein deutsch-türkisches Theaterstück wurde aufgeführt. «74

Das Prinzip Solidarität brachte die Rote Hilfe in Situationen, in de-nen durch affektive Begegnungen und Berührungen die rassistische Spaltung unterlaufen wurde. Das ist ihr historischer Beitrag an linker Po-litik in der BRD bei der Überwin-dung der rassistischen Verhältnisse.

Plakat 1974

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Unterwegs an den Rändern, zu Hause im Zentrum

Zum Ende der siebziger Jahre tat sich in der politischen Analyse immer deutlicher eine Leerstelle auf, um die der vulgärmarxistische Diskurs der auf das Volk fixier-ten Roten Hilfe Deutschland, mit Begriffen wie » Volksmassen «, » deutsches Volk «, » türkische Patrioten « kreiste. Und auch die RHeV, die sich streckenweise mit ope-raistischen migrantischen Kampfformen verbündete und deren Forderungen ab-druckte und teilweise sogar übernahm, konnte ihr Verständnis von dem bestehen-den gesellschaftlichen Dispositiv nicht wirklich erweitern. Wenn der Rassismus eindeutig wurde, griff die Rote Hilfe auf den Vergleich mit dem Nationalsozia-lismus zurück, um auszudrücken, was sie zwar in den bundesrepublikanischen Verhältnissen sah, was aber nicht sein konnte. In der Gegenüberstellung zweier Gerichtsverfahren unter dem berüchtigten Kölner Richter Victor Henry de So-moskeoy, in denen ein Deutscher freigesprochen wurde, nachdem er zwei Türken erstochen hatte und ein Türke zu sechs Jahren verurteilt wurde, weil er einen Po-lizisten verletzte, zitiert die Rote Hilfe die Bild Zeitung: » Hat der Richter Vorurtei-le gegen ausländische Angeklagte? «75 In der Ankündigung einer kurz darauf ers-cheinenden (und sofort beschlagnahmten) Broschüre über diesen » Schrecken vom Appellhofplatz «, bescheinigt die Rote Hilfe zum ersten Mal einem bundesrepub-likanischen Organ, was eigentlich nur woanders bzw. früher existierte: » Auslän-derfeindliches Rassedenken. «76.

Ein letztes Beispiel veranschaulicht sowohl die Nähe als auch die Grenze der politischen Analyse gegenüber der rassistischen Realität in der BRD. Ende Dezem-ber wurde Vahit Önler auf offener Straße von dem Zivilpolizisten Lothar Weiß er-schossen bzw. am Boden liegend hingerichtet, nachdem er versuchte, seiner dro-henden Abschiebung in die Türkei zu entgehen. Die Rote Hilfe verstand in ihrer Berichterstattung Anfang 1976 nun schon problemlos, dass der einfache Arbeiter Önler » im Zuge der kapitalistischen Krise seine Arbeit verlor « und eben deswe-gen » von der Ausländerbehörde in seine Heimat abgeschoben werden sollte «. Ob-wohl also der besondere Zusammenhang von ökonomischer Krise, fehlender Bür-gerrechte und menschenunwürdiger Behandlung erkannt und dargelegt wurde – ein überflüssiger ausländischer Arbeiter wurde nicht einfach nur entlassen, son-dern eventuell auch festgenommen, abgeschoben, misshandelt oder abgeknallt –, wurde die Situation wie in einem unkontrollierbaren Reflex schlicht aus dem Klas-senzusammenhang erklärt. Die Rote Hilfe besaß erneut die Gewissheit, dass » die

Bevölkerung empört ist « und konnte die PEF ihre eigene Analyse formulieren las-sen: » Dieser Mord betrifft nicht nur ausländische, sondern jeden deutschen Kolle-gen. «77 Doch die deutschen KollegInnen wussten es besser.

Was der Roten Hilfe fehlte, war ein wie auch immer gearteter Rassismusbegriff, der das Ineinandergreifen von gesellschaftlichen Exklusionsprozessen hätte erklä-ren können. Zwar konnte die Rote Hilfe im Untersuchungszeitraum ihre selbst fabrizierte Nebelbank nicht wirklich durchstoßen und die ihr unbekannte Welt weiterer Herrschaftsverhältnisse entdecken, jedoch war ihre Redaktion manchmal haarscharf davor bzw. daneben, den entscheidenden Denkschritt zu machen. Da-mit ist ihre Rolle in der Entwicklung einer mehrfachdimensionalen Herrschafts-theorie nicht zu unterschätzen, da sie gleichzeitig von den konkreten rassistischen Verhältnissen berichtete. Die Rote Hilfe meinte es ernst mit der » Solidarität mit den Ausländern «, ob es sich um revolutionäre Gruppierungen, kämpfende und entlassene » Gastarbeiter «, von Abschiebung bedrohte Asylsuchende oder schlicht um mies behandelte MigrantInnen handelte. Gerade deswegen stolperte sie immer wieder über die Realitäten eines eigenständigen gesellschaftlichen Widerspruchs, der sich in ihrem Vokabular nicht bzw. nur als Erinnerung an den Nationalsozialis-mus oder als Projektion auf die USA beschreiben ließ. Insgesamt trugen die Roten Hilfen dazu bei, dass in der deutschen Linken ein Gespür entwickelt wurde und der » Hauptkampflinie von Kapital und Arbeit «, die bereits von der Frauenbewegung erschüttert wurde, ein weiteres grundsätzliches Herrschaftsverhältnis analytisch hinzugefügt werden konnte. Es brauchte noch einige Jahre um sich als politische Kategorie zu entwickeln, und schließlich in den neunziger Jahren zum bestimmen-den Politikfeld der deutschen Linken zu werden: Antirassismus.

Abb. Unten Militär, Elend und Familie in Westberlin, Nr. 1., Jan. 74, S. 3

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» Sol idar i tät mit den for tschr i t t l ichen ausländischen Klassenbrüdern «

Anmerkungen

1 RHeV,RED, Spenden für den Rechtshilfefonds, Nr. 7 v. August 1977, Seite 6.2 RHeV RED, Restlose Aufklärung des Todes von Joannis Batos! Nr. 6 v. Juni / Juli 1977, Seite 5.3 RHeV RED, Kölner Prozess gegen die türkischen Patrioten beginnt / Freiheit für die Genossen der PEF! / Wer sind die vier inhaftierten Patrioten? / Ihr Richter, Nr 6. V. Juli 1975, Seite 8.4 Vgl. Pätzoldt, Björn: » Dokumente zur Verschärfung der Ausländergesetzgebung. Eine Analyse aus aktuellem Anlass «, Berlin 1972.5 Rh ★, RED, Prozeß gegen einen schwarzen GI, Nr. 2. V. Februar 1972, Seite 3.6 Rh ★, Klassenjustiz - Rassenjustiz (Zum Prozeß von Larry Jackson), Nr. 14 v. September 1972, Seite 6.7 Rote Zelle, Nr. 1 v. November 1970, Seite 11.8 RHeV RED, Das schwarze Afrika hat sich erhoben, Nr. 6 / 7 v. Juli 1976, Seite 12; vgl. auch RHeV, Nr. 10 v. Dezember 1977, Seite 3.9 Agit 883, Nr. 57 v. April 1970, Seite 5.10 Rh ★ RED, Sascha muss in Deutschland bleiben, Nr. 24 v. Mai 1974, Seite 5.11 Rh ★, O.N., Ausländer in der BRD- rechtlos! Nr. 14 v. September 1972, Seite 4; vgl. auch RHeV RED, BRD-Regierung betreibt Beseitigung des Asylrechts Nr. 3 v. März 1977, Seite 6.12 Rh ★ DPA, Grieche durch Schuß eines Polizisten schwer verletzt, Nr. 4 v. März 1972, Seite 6.13 RHeV, O.N., Entfesselte Brutalität gegen griechische Arbeiter, Nr. 5 v. Mai 1977, Seite 6; vgl. auch die Meldung » Familie Batos erstattet Anzeige «, Ebenda.14 Bojadzijev, Manuela: » Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration «, Münster 2008, Seite 150.15 Rh ★ O.N., Auf welcher Seite stehen die Gewerkschaften, Nr. 18 v. Februar 1973, Seite 7.16 Vgl. Bojadzijev: 2008, Seite 158.17 Rh ★, RED, Über den Ford-Streik, Nr. 21 v. September 1973, Seite 6.18 Rh ★, a. a. O., Seite 7.19 RHeV RED, Ford-Prozeß, Nr. 2 v. März 1975, Seite 4.20 Express, 29.8.1973.21 Rh ★ RED, Wütender Terror von Kapitalisten, Gewerkschaftsführern und Polizei gegen die Ford-Kollegen, Nr. 22 v. November 22/1973, Seite 2.22 Karakayalı, Serhat:» Sechs bis acht Kommunisten, getarnt in Monteursmänteln «, siehe http://www.kanak-attak.de/ka/text/fordstreik.html gesehen am 17.07.2012; vgl. auch RHeV, Januar Nr. 9 v. September 1974, Seite 15.23 Roth, Karl Heinz: » Die ‚andere‘ Arbeiterbewegung «, München1977, Seite 240f.24 RHeV LV Westberlin, Osram: Fortschrittlicher Dolmetscher entlassen / Streik für die Wiedereinstellung von Mukadder Cetinkaya / 6.30 Uhr – Polizei besetzt Osram – 5 Kollegen verhaftet / Drohungen und Lügen der Geschäftsleitung / Niederlagen in Siege verwandeln, Nr. 1 v. Januar 1974, Seite 325 Vgl. rh ★, RED, Kampf den politischen Entlassungen / Kampf den Gewerkschaftsausschlüssen, Nr. 24 v. Mai 1974, Seite 2 und 4; RHeV Nr. 2 v. Mai 1975, Seite 6.26 Vgl. Bojadzijev: 2008, Seite 162-173.27 Karakayalı, Serhat: » Lotta Continua in Frankfurt, Türken-Terror in Köln. Migrantische Kämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik «, in: trend, 9/2005, siehe http://www.trend.infopartisan.net/trd0905/t100905.html gesehen am 17.07.2012. 2005.28 Rh ★ Frankfurter Häuserrat, Erklärung - Wer sind hier die Gewalttäter, die Kriminellen (Presseerklärung) März 23/1974, Seite 1f.29 RHeV, RED, Editorial, Nr. 3 v. März 1974, Seite 2.30 RHeV RED, Streik in Munitionsfabrik - 600 Polizisten im Einsatz: Gebt unsere türkischen Kollegen frei! , Nr. 5 v. Juni 1975, Seite 2.31 RHeV RED, Nürnberg: Urteil im Dynamit-Nobel-Prozeß 12 Monate für Streik! Nr. 4 v. April 1976, Seite 5.32 Vgl. Bojadzijev: 2008, Seite 156.33 Rh ★ O.N., Spendenaufruf der » Kölner Fordarbeiter «,Nr. 21 v. September 1973, Seite 7.34 Rh ★ O.N., Aufenthaltsgenehmigung für Mehrdad Adrom erkämpft! , November 22/1973, Seite 20.35 Die Zeitschrift » Wir wollen alles” wurde von den Gruppen Arbeitersache (München), Arbeiterkampf (Köln), Revolutionärer Kampf (Frankfurt), Lotta Continua (Frankfurt), Proletarische Front (Hamburg, Bremen und Bochum), Rote Fahne (Saarbrücken), Klassenkampf (Zürich), Lucha Obrera und der Marxistischen Gruppe (Erlangen) herausgegeben.36 Wir wollen alles, Nr. 11 v. Dezember 1973.37 RHeV, OG Frankfurt, Türkischer Patriot inhaftiert / Erst Spitzelfälle – dann § 129, Nr. 3 v. März 1974, Seite 19; Rote Hilfe OG Frankfurt: Prozessinformation Nr. 1-3, 29.2.1975 und 7.2.1975.38 Bojadzijev: 2008, Seite 160.39 Rh ★ RED, Programmatischer Aufruf,Nr. 24 v. Mai 1974, Seite 8.40 RHD, Nr. 5 v. August 1975, Seite 3.41 RHeV RED, 4 Kollegen in die Türkei abgeschoben / Weitere Abschiebungen konnten erfolgreich verhindert werden, Nr. 6 v. Juli 1975, Seite 1f; RheV RED, Nach Somoskeoys Urteil: verhindert die Abschiebung der türkischen Patrioten, Nr. 2 v. Februar 1976, Seite 1.42 RHeV RED, 150 ausländische Kollegen festgenommen, Nr. 3 v. März 1974, Seite 20.43 Vgl. RHeV RED, Freiheit für Christos Bistis und Petros Stangos, Sondernummer Jv. uli 1974, Seite 7f.

44 Rh ★ RED, Schluss mit der Unterdrückung fortschrittlicher Ausländer und ihrer Organisationen! Kommt zur Demonstration am 13.7. In Köln, 12 h Neumarkt, Nr. 25 v. Juli 1974, Seite 16.45 Rh ★ RED, Die internationalistischen Aufgaben der Roten Hilfe, Nr. 27 v. Oktober 1974, Seite 2f.46 RHeV RED, Danis Neset ist von Faschisten ermordet worden Juni 6/1974, Seite 10; vgl. auch RheV RED, Ausländerverfolgung / Polizei und Justiz begünstigen türkische Faschisten / Stuttgart: Drei Türken Haft, Nr. 1 v. März 1978, Seite 21.47 RHD RED, Gegen die Abschiebung der türkischen Patrioten, Nr. 3 v. März 1976, Seite 6.48 Bojadzijev: 2008, Seite 154.49 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: » Jahresbericht 1971 «, in: Bulletin, Nr. 84, Bonn 1972.50 Lotta Continua, 1974, zit. n. Bojadzijev, Manuela: » Zwölf Quadratmeter Deutschland. Staatliche Maßnahmen und das Konzept der Autonomie «, in: Jungle World, Nr. 5, 22. Januar 2003.51 RHD RED, Zwei Mitteilungen des Bielefelder Vorstands an die Mitglieder der Ortsgruppe, Nr. 11 v. November 1979, Seite 3.52 Foucault, Michel: » Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch «, Berlin 1984; vgl. auch RHeV, Januar 1/1974, Seite 16; RHeV, Juli 6/1975, Seite 2.53 RHD RED, Hände weg von der Roten Hilfe, in Extrablatt, August 1975, Seite 254 RHD RED, Willkür gegen Ausländer – gesetzlich abgesichert, Nr. 7, Juli 1977, S. 4.55 RHD RED, Solidarität mit unseren ausländischen Klassenbrüdern! , Nr. 9 v. September 1976, Seite 4.56 RHD RED, Willkür gegen Ausländer-gesetzlich abgesichert Nr. 7 v. Juli 1977, Seite 4f.57 RHD RED, Dortmund: Griechischer Arbeiter starb in Polizeistelle, (zum Tod des Hoesch-Arbeiters Joannis Batos, Nr. 4 v. April 1977, Seite 7.58 RHeV RED, …organisieren wir die Solidarität, Nr. 1. v. Oktober 1973, Seite 5-8, hier Seite 759 Rh_stern RED, Wütender Terror von Kapitalisten, Gewerkschaftsführern und Polizei gegen die Ford-Kollegen, Nr. 22 v. November 1973, Seite 260 RHeV RED, Wo die Arbeiterklasse kämpft, organisieren wir die Solidarität! / Wieso wurde der Polizeiterror inszeniert? / Der kapitalistische Ausweg: Polizeiterror, Nr. 1 v. Oktober 1973, Seite 5.61 RHeV RED, Aufruf zur Solidarität mit Baha Targün und allen anderen entlassenen Ford-Arbeitern, Nr. 1 v. Oktober 1973, Seite 8.62 Ebenda.63 RHeV RED, kein Urteil gegen die PEF! Nr. 4 v. Mai 1975, S. 4; Vgl. auch RHeV RED, Köln: Prozess gegen türkische Revolutionäre, Nr. 5, v. Mai 1977, Seite 264 RHeV LV Westberlin, Entlassungsgrund: Einsatz für Kollegen, Nr. 2 v. November 1973, Seite 9.65 Ebenda.66 Vgl. Prokla RED, Die Trommel ruft, die Banner wehn – oder: wie die KPD bei Osram streikte, Nr. 11,12 vom Dezember 1974, Seite 273-286.67 RHeV RED, Hilfe für das unterdrückte griechische Volk, Nr. 1., Januar 1974, Seite 1668 RHeV, Vier Kollegen in die Türkei abgeschoben / Weitere Abschiebungen konnten verhindert werden, Nr. 6 v. Juli 1975, S. 1-2, hier Seite 269 RHeV RED, Mobilisierung für einen entlassenen Arbeiterdolmetscher, Nr. 1 v. Januar 1974, Seite 1570 Vgl. ebenda, Seite 285.71 RHeV LV Westberlin, Osram: Fortschrittlicher Dolmetscher entlassen / Streik für die Wiedereinstellung von Mukadder Cetinkaya / 6.30 Uhr – Polizei besetzt Osram – 5 Kollegen verhaftet / Drohungen und Lügen der Geschäftsleitung / Niederlagen in Siege verwandeln, Nr. 1 v. Januar 1974, Seite 4.72 Michel Foucault: Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch. Berlin 1984.73 RHeV RH Komitee Stuttgart, Nach 11-jährigem Schuften für die Bosch-Kapitalisten – fristlose Kündigung, Nr. 4 v. Mai 1974, Seite 8f.74 RHeV RED, Heraus zum 1. Mai! , Nr. 3 v. April 1975, Seite 2.75 RHeV RED, Neuerscheinung: Selbsthilfe / Wie verteidige ich mich gegen die alltäglichen Übergriffe von Polizei und Justiz, Nr. 5 v. Mai 1977, Seite 5.76 RHeV RED, Freispruch von Amts wegen, Nr. 6 v. Juni,Juli 1977, Seite 7; RHeV RED, Justiz am Apellhofplatz / Die Behandlung von Ausländern / Prozesswelle gegen Linke Presse, Nr. 10 v. Dezember 1977, Seite 4f.77 RHeV RED, Stuttgart: Rote Hilfe und KPD zerrissen Notwehr-Lüge / Brutaler Polizeimord an Türken Nr. 2 v. Februar 1976, Seite 4.