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    Josef von Copertino 1

    Holtz OFM

    Josef von CopertinoGottes Kraft in menschlicher Schwche

    Der Lebensgemeinschaft des Katholischen Evangelisationszentrums in Maihingen gewidmetZweite Auflage 1993

    Mit kirchlicher Druckerlaubnis

    Einstimmung

    Was ist interessanter als Menschen, als das Leben eines Menschen?Gewi gibt es noch Bewegenderes: die Erfahrungen, die ein Mensch mit Gott macht. Bewegend fr jeden,

    der das Leben anderer nach ihren Erfahrungen mit Gott befragt, weil er selbst solche Erfahrungen kennt undnun Sehnsucht nach mehr hat. Oder fr Suchende, die nach Wegen und Zielen, nach Beispielen geglck-ten Lebens ausschauen. Provozierend aber fr Menschen, die wenig Gedanken ber Sinn und Ziel ver-schwenden und fr die es Gott nur als theoretischen Begriff gibt. Konkrete Lebenserfahrungen eines Men-schen, der in kein Schema pat, mit Gott, mit einem noch dazu sinnlich erfahrbaren Gott, sind vollends ge-eignet, landlufige Vorstellungen von geglcktem Leben, von Frmmigkeit, Vollkommenheit und Heiligkeit,ja ber Gott in Frage zu stellen.

    Komische Heilige gegen sie wehren wir uns. Mit Recht? Ein merkwrdiger Heiliger lst Unbehagen,Kopfschtteln aus. So knnte es sein, da ein Leser dieser kurzen Lebensbeschreibung des heiligen Josefvon Copertino das Bchlein kopfschttelnd wieder beiseite legt: Eben ein Heiliger eines mirakelschtigenJahrhunderts. Doch hat dieser Heilige schon in seiner Zeit, zu Lebzeiten, nicht nur Kopfschtteln verursacht,sondern groe Verwirrung. Kirchliche Behrden wurden durch ihn (ungewollt) in groe Verlegenheit ge-bracht, in Unbehagen und ngste. So sehr, da man ihn schlielich vor der ffentlichkeit versteckte und,solange er lebte, mit Schweigen berging. Trotzdem war sein Name bei seinem Tod in ganz Europa be-kannt. Doch dann ist er zu einer fast unbekannten Gestalt geworden. Allerdings lebt zum Beispiel in Dillin-gen/Donau heute noch der Brauch, ihn in Examensnten anzurufen. Warum gerade ihn?

    Josef von Copertino wird von Walter Nigg, dem evangelischen Hagiographen, der merkwrdigste Heiligeder neueren Zeit genannt; denn seit Menschengedenken wurde keiner bemerkt, der sich mit ihm vergle i-chen liee1. Nigg warnt vor der Verwirrung unserer gewohnten Vorstellungen, die dieser Heilige auslsenkann. Und doch er wirkt bei aller Fremdheit seltsam faszinierend2.

    Versuchen wir also, uns auf diese seltsame Faszination einzulassen, auch wenn dabei vertraute Vorstel-lungen durcheinandergebracht werden sollten. Nhern wir uns jedoch behutsam diesem wahrhaft merkwr-digen Leben, zumal jede Begegnung die mit Menschen und die mit Gott die Bereitschaft zu einer Er-fahrung fordert, die man noch nie gemacht hat3.

    1. Ein Mensch beklagt sich ber Gott

    Ich beklagte mich oft ber Gott so steht es in einem Brief des inzwischen lter gewordenen Josef vonCopertino an einen Freund. Ein Ausspruch, der nachdenklich machen kann, zumal bei einem, den die Kircheals Heiligen verehrt. Wenn uns jemand das gestehen wrde, htten wir wahrscheinlich eine ganze Reiheguter Ratschlge, psychologische oder aszetische, bereit, wenn nicht strenge Zurechtweisung. Hat denn einMensch berhaupt das Recht, sich ber Gott zu beklagen? Oder: Nimmt da nicht jemand sich zu wichtig? Ist

    da einer nicht sehr wehleidig?Der etwa sechsundzwanzigjhrige Minorit, noch am Anfang seines geistlichen Strebens, hatte versucht,sich aus Mittelmigkeit und Bequemlichkeit freizukmpfen. Alles, was ihm in seinem bisherigen Leben wi-derfahren war, wird in seiner Erinnerung wieder lebendig, in der ganzen Schrfe unverdienten Leidens.

    Der arme Pechvogel

    Da sind die Lebensumstnde und Familienverhltnisse, in die er hineingeboren wurde schlechte Start-bedingungen, wrden wir sagen. Der Vater Felice Desa ist bis ber beide Ohren verschuldet. Die HerzgePinelli im italienischen Copertino/Apulien hatten den Fuhrmann als Burgwart eingestellt; aber er ruiniert seineExistenz, indem er in geradezu naiver Gutmtigkeit Schuldscheine fr alle mglichen Bittsteller unter-schreibt, ohne ihre Vertrauenswrdigkeit zu prfen. Er mu fliehen, um nicht ins Gefngnis geworfen zuwerden, und stirbt. Seine hochschwangere Frau weicht vor der Schmach der Pfndung ihrer Habseligkeiten

    in einen Viehstall aus. Dort wird Giuseppe-Maria geboren, seine Taufe in Copertino ist am 17. Juni 1603beurkundet.Franceschina war dieses Kind eine Last kein Wunder. Allzugroe Strenge, ja Hrte verhindern, da der

    Heranwachsende mtterliche Wrme und Geborgenheit erfhrt. Es ist auch nicht viel Liebenswrdiges an

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    Josef von Copertino 2ihm. Krnklich, schwchlich, zeitweilig von brandigen Geschwren befallen, verbrachte er seine Kindheitzwischen Leben und Tod, gleichsam halb verfaulend4.

    Die Quelle5 betont die Selbstlosigkeit und den starkmtigen Glauben Franceschinas, sie habe sich allezeitbestrebt, ein gutes Beispiel zu geben und sei Angehrige des franziskanischen Dritten Ordens gewesen.Sie sorgt trotz ihrer Armut dafr, da Giuseppe eingeschult wurde, obwohl in dieser Zeit nur gutgestellteEltern sich das leisten konnten. In der Schule aber kommt der Schwchling nicht mit und wird von seinenKameraden stndig gehnselt. Als er eines Tages beim Klang der Orgel hingerissen lauscht und mit halbge-ffnetem Mund gedankenverloren dasteht, geben sie ihm den Spottnamen bocca aperta, also offenesMaul, im Sinne von blder Tlpel. Trostlose Anfnge! 6

    Wer konnte auch erkennen, da diese auffllige Geistesabwesenheit, in der er ganz versunken ist undunempfindlich gegenber allem, was sich um ihn herum abspielt, nichts anderes ist als ein erster Anfang desvlligen Auer-sich-Seins, das sich sehr frh er ist kaum acht Jahre alt zu mystischen Ekstasen stei-gern wird? Mystisch heit das nicht geheimnisvoll? Den Mitmenschen mu es mindestens rtselhaftvorkommen. Er kann es sich ja auch selbst nicht erklren.

    Nach reichlich drei Jahren ist fr ihn die Schulzeit zu Ende: ein bsartiges Geschwr an der Hfte fesseltihn fr fnf Jahre fnf Jahre! ans Bett. Der unertrglich ble Geruch isoliert ihn von den Mitmenschen ein im Stich gelassenes schwerkrankes Kind. Einziger Trost ist seine Mutter, die ihm vom heiligen Franz vonAssisi erzhlt, um ihn abzulenken und zur Geduld zu mahnen. Auf sein Betteln hin bringt sie ihn auch zurKirche vor den Tabernakel.

    Ein Einsiedler, der frher einmal Arzt am Institut fr unheilbar Kranke war, versucht ihn zu operieren, ohne

    Erfolg. Da bringt ihn seine Mutter zur Wallfahrtskirche Santa Maria delle Grazie in Galatone. Man salbt denKranken mit dem l der Lampe, die vor dem Gnadenbild brannte und er steht auf, vollstndig geheilt.Vierzehn Jahre ist er inzwischen alt, er mu sich nach einer Arbeit umsehen, geht bei einem Schuhmacher

    in die Lehre. Doch er ist nicht imstande, auch nur die einfachste Flickarbeit zu lernen. Zur Ungeschicklichkeitkommt eine eigenartige Lernunfhigkeit. Statt den Pechfaden durch das Leder zu ziehen, sitzt er unttig aufseinem Sthlchen und schaut vertrumt den Fliegen nach. Der Meister gibt es auf und schickt ihn weg.

    Enttuschungen und Hindernisse

    Was ist zu tun? Er ist unfhig zu einer normalen Lebensfhrung oder Ttigkeit, ohne jeden praktischenVerstand. Was bleibt anderes brig, als es in einem Kloster zu versuchen, zumal er doch offenbar fromm ist?Er kommt auch selbst auf diesen Gedanken, als er einem Bettelmnch begegnet. Das entsprche seinenreligisen Neigungen. Doch die Franziskaner-Konventualen weisen ihn ab, trotz der Frsprache einiger ein-

    flureicher und gelehrter Verwandten. Welcher Orden nimmt auch einen solchen Kandidaten auf?Er versucht es ein weiteres Mal im Kloster zu Casole, doch hier schiebt man die Aufnahme ohne Angabevon Grnden immer wieder auf.

    Ein neuer Versuch hat Erfolg: Er meldet sich mit zwei Gefhrten beim Kapuzinerprovinzial, der die Postu-lanten im August 1620 Josef ist also siebzehn Jahre alt zur Probezeit und ins Noviziat in Martina francaaufnimmt. Aber sein Aufenthalt war nicht von allzu langer Dauer. Josef war so blde, da er nicht einmalweies von schwarzem Brot unterscheiden konnte und, tolpatschig wie er war, die Tpfe verkehrt auf dasFeuer setzte. Im Refektorium fiel ihm ein ganzer Stapel Teller aus den Hnden, und auch sonst zerbrach erin seiner Ungeschicktheit fortwhrend Klostergeschirr. Es ntzte nichts, wenn man ihm, zur Demtigung unddamit er fortan besser aufpasse, Teile der zerbrochenen Teller an seiner Kutte befestigte. In der Erfllungseiner Pflichten war er unzuverlssig, er benahm sich linkisch und plump und brachte die Mnche zur Ver-zweiflung. Josef war und blieb ein unfhiger Laienbruder; die Schilderung ist nicht bertrieben. Es wre wohlpassender, wenn sich von einem Heiligen erzhlen liee, er sei schon frh ein wundersam begabter Jng-

    ling gewesen ...7

    Anflle von rtselhafter Geistesabwesenheit geben seiner Frmmigkeit ein seltsam stupides Aussehen.Nach einer Prfungszeit von acht Monaten war die Geduld der Kapuziner zu Ende.8 Sie schicken ihn fort.Josef empfindet es, als reie man ihm mit dem Ordenskleid die Haut samt dem Fleisch von den Knochen.

    Er sucht Zuflucht bei einem Bruder seines Vaters, Pater Francesco Desa, der in Avetrana Fastenpredigtenhielt. Auf dem Weg zu ihm zwei Tage ist er unterwegs wird er berfallen und bedroht, Hunde zerfetzendie wenigen Kleider, die ihm geblieben waren. Vllig erschpft und abgerissen, kommt er zu seinem Onkelund findet bei ihm nur verstndnislose Vorwrfe und verchtliche Abweisung und ist auerstande, sichdazu auch nur zu uern. Auch in Copertino erwarten ihn Gelchter und Spott, dazu noch die Glubigerseines Vaters; sie drohen ihm mit dem Schuldgefngnis. Trotz aller Bemhungen seiner Mutter weist ihn diegesamte Verwandtschaft ab, ist er doch aus dem Kloster weggejagt worden. Ausweglose Situation! Schlie-lich versteckt er sich in Grottella, einem kleinen Marienwallfahrtsort in der Nhe. Dort baut gerade ein Bruderseiner Mutter, der Minorit Giandonato Caputo, ein kleines Kloster auf. Der Bruder Sakristan erbarmt sich des

    Hilflosen und weist ihm einen Unterschlupf auf dem Dachboden des Kirchleins an.Sechs Monate hlt Josef diese entbehrungsreiche Gefangenschaft aus. Dabei verhlt er sich so geduldigund bescheiden, da seine nhere Umgebung schlielich nachdenklich wird. So konnte es ja auch nichtweitergehen. Sein geistlicher Onkel nimmt ihn als Klosterknecht auf, gewhrt ihm das Kleid des Dritten Or-

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    Josef von Copertino 3dens und entzieht ihn damit der weltlichen Gerichtsbarkeit. Jetzt endlich kann er sich unter den Gutwilligenim Minoritenkonvent bewhren, mit kleinen Dienstleistungen im Stall und in der Sorge um einen Esel. Sienehmen den Zweiundzwanzigjhrigen als Laienbruder auf. Und als herauskommt, da sich Bruder Josefnchtelang heimlich darum bemht, seine mangelhafte Schulbildung aufzubessern, entschliet sich auchPater Francesco Desa, ihn zu frdern. Er lt ihn zum Studium zu gewi, ein Gelehrter wie seine geistli-chen Onkel wrde er kaum werden, aber zum schlichten priesterlichen Dienst in dem kleinen Wallfahrtsortwrde es wohl ausreichen. Zwar werden groe Bedenken in der Gemeinschaft laut, aber der andere Onkel,Pater Giandonato Caputo, kann am 19. Juni 1625 in Altamura die Oberenversammlung doch berzeugen.Frater Josef wird mit besonderer Dispens der Obhut eines anderen Verwandten seiner Mutter anver-traut und vollendet schlielich das Ordens-Noviziat in Grottella.

    Das Studium, besonders der lateinischen Sprache, bereitet ihm groe Schwierigkeiten. Die Eigenart seinerLernbehinderung wird deutlich: Er ist zwar ganz in der Welt Gottes zu Hause9, kann aber mit irdischen Be-griffen, mit denen wir die Welt Gottes zu be-greifen versuchen, nicht viel anfangen, trotz aller Bemhungen.Auswendiglernen ist ihm schier unmglich. Doch unter der offensichtlich verstndnisvollen und geduldigenAnleitung durch seine beiden Onkel erreicht er endlich die notwendigen Voraussetzungen fr die Zulassungzur endgltigen Aufnahme in den Orden der Franziskanerminoriten, er legt die feierlichen Ordensgelbdeder Armut, der keuschen Ehelosigkeit und des Gehorsams ab. Man kann sich denken, welche Freude FraterJosef empfinden mute das htte er kaum zu hoffen gewagt!

    Kampf und Gnade

    Doch vor der Zulassung zur Priesterweihe sind noch das Studium der Theologie zu bewltigen und meh-rere Examen zu bestehen. Frater Josef geht den fr ihn schweren Weg unter Anleitung durch seine Onkelweiter und empfngt am 3. Januar 1627, sechs Monate nach der feierlichen Profe, in der Privatkapelle desBischofs von Nard die niederen Weihen, Vorstufen zum Priestertum, im Februar die Subdiakonatsweihe.

    Die Zulassung zur Diakonatsweihe war wieder von einem, diesmal entscheidenden Examen abhngig.Josef hatte groe Angst davor wie wird er diese strenge Prfung bestehen, ohne ausreichende Schulbil-dung, mit seinen mangelnden Lateinkenntnissen? Und er sollte, wie damals blich, irgendeinen Abschnittdes Evangeliums, nach Wahl des examinierenden Bischofs, lateinisch vorlesen und singen und dann erkl-ren. In seinen Examensnten wendet er sich an die Gottesmutter Maria, vor ihrem Gnadenbild in Grottella,und kommt auf den Gedanken, eines der krzesten Sonntagsevangelien auswendig zu lernen mhseliggenug: ... eine Frau aus der Menge rief Jesus zu: Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brustdich genhrt hat. Er aber erwiderte: Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hren und befolgen (Lk 11,

    27 f). Und bei der Prfung sucht der Bischof genau diesen Text fr ihn aus ...Noch ein letztes Hindernis ist zu berwinden, das Examen vor der Priesterweihe, das vor einer Kommissi-on abgelegt werden mute. Neue ngste berfallen Josef, und mit Recht; denn er wute, da er in Literatursehr schwach war, schreibt einer seiner Freunde, und wir knnen hinzufgen: auch sonst. Dazu kommt dieNachricht, da der zustndige Bischof von Lecce, ein Freund seines Onkels, verreist sei und durch densehr gestrengen Bischof von Castro, Giambattista Deti, vertreten werden sollte. Josef verbringt die Nacht inPoggiardo schlaflos und nimmt seine Zuflucht wieder zum Gebet.

    Das Examen am nchsten Tag nimmt einen unverhofften Verlauf. Die ersten Diakone berraschen durchso gute Prfungsergebnisse, da der Bischof darauf verzichtet, den Rest der Prflinge, unter ihnen Josefvon Copertino, dem Examen zu unterziehen, und er gewhrt allen die Zulassung zur Priesterweihe. Am Tagdanach, dem 18. Mai 1628, empfngt Josef mit allen anderen die Priesterweihe. Er verdankt sie, so erfhrter es, als besondere Gnade Gottes und der Frsprache Mariens.

    Heiligkeit des Lebens darauf kommt es an, gerade auch beim Priester. Ohne sie sind alle brigen Vor-

    zge wenig ntze. Mit ihr kann man Wunderbares wirken, auch wenn die brigen Qualitten in geringemMa vorhanden sind, schreibt Papst Pius Xl. in seiner Enzyklika ber das katholische Priestertum (vom 20.Dezember 1935) unter ausdrcklichem Hinweis auf Josef von Copertino.

    Aber noch steht unser Heiliger am Anfang seines geistlichen Weges und priesterlichen Wirkens. Eingedenkdes geringes Maes geistiger Qualitten, versucht Pater Josef sich in seinem Kloster dort ntzlich zu ma-chen, wo irgendeine Arbeit anfllt: in Garten oder Stall, in der Kirche oder auf der Baustelle ... Die unschein-barsten Dienstleistungen und Putzarbeiten waren ihm gerade recht. Er pflegt wieder den Maulesel undsammelt mit bloen Hnden, ungeschickt, wie er ist, den Kehricht in der Kirche. Er ist der Bescheidenste,der Letzte in der Gemeinschaft, nicht einmal zum Betteln kann man ihn nach den ersten Erfahrungen hin-ausschicken; brachte er doch bei seiner Unbeholfenheit und Vergelichkeit oder soll man sagen: Gedan-kenverlorenheit nichts mit nach Hause.

    Ihm selbst war seine Unwissenheit schmerzlich bewut, die manche Mitbrder mit Trgheit erklrten. Alsowidmete er sich abends, ja ganze Nchte, mit vermehrtem Eifer dem Studium, mute er doch in der Verwal-

    tung des Busakramentes seiner priesterlichen Verantwortung gerecht werden. Und immer wieder geht erins stille Gebet und nimmt sich in strenge Zucht bis zur Zchtigung des eigenen Leibes.Geistliche Formung und Abttung, wie es in der Sprache der alten klsterlichen Askese so anschaulich

    heit, mu sein Bemhen um das ntige Wissen untersttzen ja, es wird ihm wichtiger als alles andere.

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    Josef von Copertino 4Um so mehr bemerkt er nicht nur die Mngel seiner Bildung, sondern zunehmend auch jeden uerenMangel. Es ist wie ein unberwindbarer Nachholbedarf, der ihm, aus den rmlichsten Verhltnissen kom-mend und in uersten Entbehrungen erfahren, immer deutlicher macht, wie sehr ihn Anhnglichkeit an dieangenehmen Dinge des Lebens, geradezu ein Hunger nach ihnen zu fesseln droht. Die gutgemeinten Ge-schenke seiner begterten Verwandten, wie feine Wsche, eine Uhr, schne Bilder, ein neuer Ordenshabit,werden ihm auf einmal zur Versuchung. Es treibt ihn, sich jeden Wunsch selbst zu erfllen, und er vergitdarber alles Vertrauen auf die gtige Vorsehung Gottes und das Gelbde klsterlicher Armut. So wird erzum Gesptt seiner Mitbrder. Wei er denn, was er will?

    Er stellt sich dem entscheidenden Kampf zwischen Mittelmigkeit und rckhaltloser Hingabe, zwischenBequemlichkeit und Streben nach geistlicher Reifung. Walter Nigg bemerkt dazu, da auch Josef nicht vonselbst oder von Natur aus, sondern nur durch den Engpa einer unerbittlichen Askese hindurch zum Heili-gen aufstieg10. Um in dieser Bewhrungsprobe zu bestehen die Quellen sprechen ausdrcklich von An-fechtungen des Satans ,verzichtet er auf alle Annehmlichkeiten, zchtigt sich bis aufs Blut und unterziehtsich der schmerzlichen Losschlung von allem Irdischen (wieder ein solch anschauliches Wort), so radikal,da er schlielich sich selbst ganz vernachlssigt. Sein Habit zerfllt in Fetzen, sein ueres ist bald daseines verwahrlosten Landstreichers und er fhlt auch manchmal eine brennende Scham darber.

    Dazu berfallen ihn Zweifel und Trostlosigkeit. Das ganze Elend seines Lebens wird ihm bewut, dieWunden, die ihm das Leben, und die Verletzungen, die ihm Mitmenschen geschlagen haben, schmerzenerneut in der Erinnerung mit solch zermrbender Gewalt, da er sich dessen nicht erwehren kann. Was soller auch tun? Zu nichts ist er ntze, niemandem kann er sich verstndlich machen, auch seinen Mitbrdern

    nicht, und Zeit seines Lebens wird er seiner Gemeinschaft eine schwer ertrgliche Last bleiben. Zwar hattenihn von Kindheit an auch immer Zeichen und die innere Erfahrung der liebenden Nhe Gottes begleitet undgestrkt jetzt aber schlgt das ganze Elend seines Lebens ber ihm zusammen; er befindet sich vollendsin einem Zustand der uersten Trostlosigkeit und schrecklicher Drre, ganz und gar von Gott verlassen.

    Ich beklagte mich bei Gott

    Im Rckblick auf diese zwei schrecklichen Jahre wird er spter einem Freund schreiben:Ich beklagte mich oft bei Gott ber Gott. Fr ihn hatte ich alles verlassen, und er, statt mich zu trsten,

    berlieferte mich einer tdlichen Herzensangst. Als ich eines Tages wieder einmal weinte und seufzte wenn ich nur daran denke, ist es mir, als sollte ich sterben ,klopfte ein Mnch an meine Tr. Ich antwortetenicht, und er trat ein. Bruder Josef.... was fehlt dir? Ich bin gekommen, um dir zu dienen. Sieh, hier ist einLeibrock. Ich glaube, du hast keinen.' Wirklich bestand mein Leibrock fast nur aus Fetzen. Ich zog den Rock

    an, den der Unbekannte gebracht hatte, und alle meine Verzweiflung war augenblicklich verschwunden.

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    Josef hatte sich ber Gott beklagt, ja, aber bei Gott.

    2. Auergewhnliche Ereignisse

    Der erste ekstatische Flug

    Von diesem geheimnisvollen Boten hatte niemand etwas gesehen, fr Josef war es der Durchbruch in sei-nem geistlichen Leben. Innerer Friede, vollstndige Befreiung von den alten Anhnglichkeiten, tiefe berein-stimmung mit seinem radikal armen, bedrfnislosen Leben und seiner Ordensgemeinschaft, klaglose Aus-lieferung des ganzen Lebens in das Geheimnis Gott hinein machen ihn fr das Einstrmen der Gnade Got-tes. offen. uerlich bleibt alles, wie es war. Aber allmhlich wird das Besondere, auergewhnlich Gna-denhafte deutlich, das in und an ihm am Werk ist. Seine Uninteressiertheit, ja eigenartige Unfhigkeit und

    Verschlossenheit fr die praktischen Dinge des Alltags erweist sich immer mehr als Voraussetzung berna-trlicher Vorkommnisse, seine merkwrdige Zerstreutheit als die Auenseite einer eigenartigen Versunken-heit ins Gttliche. Stundenlang ist er wie entrckt, sein Zeitgefhl setzt immer wieder aus, manchmal wird erseiner Sinne beraubt in seiner Klosterzelle, in einsamen Winkeln oder in der kleinen Kapelle nahe demKloster gefunden. Bei der gemeinsamen geistlichen Lesung stt er auf einmal einen markerschtterndenSchrei aus. Zgernd und noch widerstrebend beginnen einige Mitbrder zu verstehen.

    Am 4. Oktober 1630, dem Fest des Ordensvaters Franziskus von Assisi, wird das erste Mal vor aller Augensichtbar, auf welchen auergewhnlichen Weg Josef gerufen ist. In Copertino findet an diesem Festtag einefeierliche Prozession statt, bei der, wie in jedem Jahr, auch unser Pater Josef seinen Dienst zu versehenhatte. Pltzlich erhebt er sich vom Erdboden, vllig auer sich, und schwebt ber den Kpfen der erschro-ckenen, gaffenden und schreienden Menge dahin. (In seiner Kindheit hatten sie ihm den Spottnamen dasoffene Maul gegeben, jetzt bleibt ihnen selbst vor fassungslosem Staunen der Mund offen stehen, bemerktNigg dazu.12 ) Langsam gleitet er wieder zu Boden, luft sofort in groer Scham davon und versteckt sich.

    Die Erkenntnis geht ihm auf, da er auch das Letzte um Christi willen loslassen mu, ohne Rcksicht aufsich selbst und die Wirkungen auf seine Umwelt.Mit noch grerer Konsequenz unterzieht er sich der Zucht des klsterlichen Alltags und seiner niedrigen,

    unbeholfenen Dienstleistungen, verzichtet darber hinaus auf Fleisch, Brot und Wein, begngt sich mit

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    Josef von Copertino 5Krutern und etwas Obst, verstrkt seine Bubungen bis zu Selbstgeielung und dornigem Bugrtel.Ausdrcklich wird erwhnt, da er sich in der Eucharistiefeier tglich neue Kraft und Ermutigung holte.

    Geheimnisvolle Entrckungen

    Von jenem 4. Oktober 1630 an vollzieht sich eine unaufhaltsame Vernderung, wie von innen her.Manchmal gengt ein geistliches Gesprch oder auch nur das Aussprechen der Namen Jesus oder Ma-ria, da Josef in Verzckung gert oder wie tot zu Boden fllt. Erst wenn ihn die Ekstase freigibt, kann ersich wieder erheben oder wenn der Vorgesetzte ihn im Gehorsam ruft.

    Das Schweben whrend der heiligen Messe wurde ein tgliches Ereignis. Auch untertags konnte es ge-schehen, da er, wenn sein Geist erglhte, auf einen Altar erhoben wurde oder auf einen Baum oder zueinem Heiligenbild hin.13

    Man kann sich die Wirkung in der ffentlichkeit vorstellen. Ein immer grerer Zustrom Neugieriger setzteein, das Heiligtum der Grottella gleicht einem lrmerfllten Meereshafen. Bei jeder Ekstase, bei jeder Erhe-bung seines Leibes, hallte die Kirche wider von der Erregung der Glubigen. Die einen weinten, die anderenschrien, wieder andere bekannten ihre Snden. Manche drngten sich an den Altar, faten den Heiligen an,betrachteten ihn von allen Seiten, bewegten seine Arme, prften mit Feuer und spitzen Nadeln seine Un-empfindlichkeit, bis der Vorgesetzte des Klosters kam und die Ruhe wieder herstellte. Mit einem tiefenSeufzer kehrte der Zelebrant dann zu sich zurck und setzte die heilige Messe fort, ganz beschmt und be-strzt, in aufrichtigem Bedauern ber das, was vorgefallen war. Er htte lieber ganz im Verborgenen zele-

    briert oder berhaupt nicht, fhlte sich aber durch den Gehorsam gebunden, und jene bernatrliche Machtwar strker als das Gefhl seiner Demut und sein Verlangen nach der Einsamkeit. 14Er kennt nicht einmal die Ausdrcke Ekstase oder Elevation, hat keine Ahnung von den Schriften der

    groen Mystiker der Kirche. ber das Kommen und Gehen seiner Entrckungen hat er nicht die geringsteMacht, kann sie weder herbeifhren noch verhindern. Zuweilen hrt man vor Eintreten der Ekstase einenSchrei oder ein lautes Seufzen, als entweiche der Atem seinem Mund. Manchmal beginnt er mit einer tan-zenden Gebrde und einem vogelartigen Schrei, er erhebt sich, schwebt durch den Raum, zum Beispiel inder Mitte der Kirche bis zur Kanzel oder zum Hochaltar, verharrt dort eine Viertelstunde lang schwebend mitausgestreckten Armen oder in kniender Haltung und gleitet wieder sanft zu Boden.

    Er macht kein Wesens daraus, es ist ihm wie eine groe Last oder wie ein Schlaf. Niemandem erzhlter, was er schaut. Alles spielt sich in der geheimnisvollen. Beziehung zwischen Gott und ihm ab. Wahr-scheinlich erfhrt er in diesen Entrckungen ganzheitlich die geheimnisvolle unio mystica, eine Vereinigungmit Gott, wie sie dem Menschen in dieser Welt sonst nicht zugnglich ist.

    Nicht immer liegt er whrend der Ekstasen starr da: Es kam auch vor, da er seltsam zu singen oder so-gar zu tanzen begann. Eine Beschwingtheit ergriff den Ungeschickten, eine bermchtige Freude erfllteihn, und er fing an zu hpfen oder machte mit den Knien tanzende Gebrden. Man hat seine merkwrdigenBewegungen mehrfach beobachtet15ein heiliger Gebetstanz.

    Was berichtet werden kann, sind nur uere Wahrnehmungen, der innere Vorgang bleibt aller Erfahrungentzogen und lt alle Vorstellungen weit hinter sich, jede Ausschmckung wrde ihm abtrglich sein16,psychologische oder parapsychologische Erklrungsversuche scheitern.

    Josef von Copertino widerfahren solche Vorkommnisse sehr oft, man kann sagen, da sein ganzes Lebeneine Kette von Ekstasen17 und solchem Schweben wird. Diese spektakulren Ereignisse sind besonders gutbeglaubigt, spielen sie sich doch in aller ffentlichkeit ab. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Ruhen imGeist oder ein Schweben ber dem Boden an einer Stelle (Levitation oder Elevation), wie es in der Ge-schichte der Mystik18 mehrfach bezeugt ist, sondern um ein zielgerichtetes Fliegen, einen Krperflug. Daslst bei Augenzeugen Erregung, Angstgefhle, Faszination aus und zwingt zur Auseinandersetzung mit dem

    Erlebten, damals, in der Zeit der beginnenden Aufklrung, und heute, in Wohlstand und technischem Perfek-tionismus. Es ist wie eine drngende Erinnerung an die bernatrliche Welt und eine nachhaltige Warnung,Sinn und Ziel unseres Lebens, die unsere sichtbare Welt berschreiten, nicht zu vergessen.

    Walter Nigg macht in diesem Zusammenhang auch auf die Klage eines Bedrngten und seine Sehnsuchtnach Gott im Alten Testament aufmerksam: Wenn ich eine Taube wre, flge ich zu dir (Ps 55, 7) und aufdie Frage des modernen Menschen nach Schwerkraft und Gnade (bei Simone Weil19) sowie das tiefe Ver-langen des religisen Menschen, sich ber die Niederungen und alle Last dieses Daseins zu erheben undder Erdenschwere aller Ichverhaftetheit zu entkommen wie es in einem Negro-Spiritual heit: Alle KinderGottes bekommen Flgel. Und wir knnten die hintergrndige Frage hinzufgen: Warum knnen Engelfliegen? und die Antwort: Sie nehmen sich leicht!

    Fragen

    Man stelle sich vor, wie sehr diese auergewhnlichen Ereignisse in die Gemeinschaft desMinoritenkonvents eingreifen muten und sie strten, bis zur Gottesdienstordnung hin. Pater Josef konntenicht mehr zum Chorgebet oder zur gemeinsamen Mahlzeit der Brder zugelassen werden, auch nicht zuffentlichen Gottesdiensten und Prozessionen. Nicht einmal die ffentliche Feier der heiligen Messe konnte

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    Josef von Copertino 6man ihm gestatten, das htte die Zeiteinteilung vllig durcheinandergebracht. Kein Zweifel, er bringt seineMitbrder ungewollt so manches Mal schier zur Verzweiflung.

    Fragen werden laut, Zweifel: Wirkt hier Gott, um die Menschen aufzurtteln oder doch nachdenklich zumachen? Oder ist es dmonisches Blendwerk? Ist dieser Mitbruder gar vom Teufel besessen? Es kommt zuAuseinandersetzungen um ihn, und es scheint auch der Widersacher tatschlich nicht zu ruhen, um ihn an-zugreifen, die Gnadenwirkungen zu durchkreuzen und Verwirrung zu stiften. Innere Anfechtungen und u-ere Widerwrtigkeiten, Lrm und Qulereien aller Art treten auf man kann sich das durch naturhafteUrsachen nicht erklren. Einige Male findet man Pater Josef, halb erschlagen, die Kleider zerrissen, untereinem Bretterhaufen. Man holt zu seinem Schutz einen Mitbruder, Ludovico, nach Copertino, der auchnachts bei ihm bleiben mu.

    Josefs geistlicher Kampf geht weiter. In allem fragt er nach Gottes Willen, in diesen geheimnisvollen Vor-gngen wei er sich geborgen in Gottes Schutz. Er erkennt, da alles dem Heil dienen soll, und bezeugt esvor den Pilgern. Innerlich frei und ohne ngste, kann er nun zu den Leuten sprechen und bert sie mitschlichten Worten:

    Kinder, vertraut auf Gott; denn Gott allein ist es, der euch helfen kann. Kinder, liebet Gott und seid gut undbrav! Gott wird fr euch sorgen. ... nehmt eure Zuflucht zu meiner Mutter, die die Himmelsmutter ist, undseid nicht mehr ngstlich; denn meine liebe Mutter hilft euch in allen Bedrngnissen.20

    1631 erhlt Pater Josef die Erlaubnis, endlich auch nach Assisi an das Grab des Ordensvaters und nachLoreto zu pilgern, aber er mu wegen einer ausbrechenden Pest wieder umkehren. Seine Sehnsucht wirdsich spter unter ganz anderen Umstnden erfllen.

    Vertrauter Umgang mit Tieren

    Bei allem Andrang geht der Minorit seinen geistlichen Weg unbeirrt weiter. Er eifert seinem Ordensvaternach, besonders in der Betrachtung der Liebe Gottes, in ihrer Selbstentuerung in der Krippe und amKreuz, in der Armut und im demtigen Dienst an allen Geschpfen. Viele Einzelheiten erinnern an Berichteaus dem Leben des heiligen Franziskus und scheinen liebevoll den poetischen Fioretti (einer Bltenlesefranziskanischer Legenden) nachgezeichnet zu sein: Wie er als Hirt mit Kindern aus Copertino dem Kindevon Betlehem mit Pfeifen, Flten und Pauken aufspielt, vor ihm singt und voll Freude tanzt. Wie er vertrautenUmgang mit Tieren pflegt. Wie sich ein Hslein bei ihm vor den Jgern rettet. Wie er besonders den Lm-mern zugetan ist. Einmal Ort und Name des Besitzers werden ausdrcklich genannt erweckt er eineSchafherde nach einem Blitzschlag bei schwerem Gewitter wieder zum Leben.

    Doch es ist nicht nur Poesie ein ganz neues, das franziskanische Naturverstndnis wird deutlich. Die

    Freundschaft mit Tieren und mit allen Geschpfen erwchst aus einer tiefen bereinstimmung mit demSchpfer:... es steht eine religise Wahrheit dahinter; denn im geheimnisvollen Berhrtwerden der Tiere kndet sich

    das Seufzen der stummen Kreatur an, die auf das Offenbarwerden der Shne Gottes wartet.Dem in getreuem Gehorsam zu Gott stehenden Menschen gehorchen auch wieder die Tiere es ist wie

    eine Vorwegnahme des messianischen Reiches, in welchem der Gottesfrieden auch das Reich der Kreaturumfat.21

    Andere Gaben

    Immer mehr zeigt sich auch eine besondere innere Nhe zu den Menschen. Er durchschaut sie; es istwie ein sechster Sinn, mit dem er geheimste Gedanken und verborgene Snden erkennt. Manchen sagt eres ins Gesicht, wenn sie nicht gut gebeichtet haben.

    Offenbar hat er auch Kenntnis von Ereignissen und Personen in der Ferne oder in naher Zukunft. Bei gro-er Drre auf der Salentinischen Halbinsel erbittet er den rettenden Regen. Er hilft in den verschiedenstenNten, auch seinen Brdern. Auf einem Bettelgang heilt er in San Pietro in Lama ein schwerkrankes Kind;als die Heilung sich herumspricht, verlt er fluchtartig das Dorf. Den Priester Pomponio Imbeni ausCopertino befreit er unter Gebet, Handauflegung und Anrufung der Gottesmutter von eitrigen Geschwren,Lucrezia Bove von schwerer Krankheit, das Kind Donato Ruperto von einer lebensgefhrlichen Kopfverlet-zung. Auch von Fernheilungen wird mit genauen Angaben von Name, Ort und Zeit berichtet.

    Die Reihe solcher Ereignisse knnte noch fortgesetzt werden, wrde aber ber den Rahmen dieses be-scheidenen Bchleins hinausgehen.22 Ein fr den Copertiner bezeichnendes Beispiel sei aber hier nocherzhlt: Einen von Skrupeln geplagten Menschen warnt er vor der argwhnischen Melancholie, muntert ihnauf und gibt ihm neuen Mut: Siehe, ich nehme dir alle Skrupel vom Leibe hinweg, wirke Gutes, habe einegute Meinung und sei unverzagt. Dabei streichelte er ihm liebevoll sein Haupt.23

    Jedenfalls fhlt sich Pater Josef glcklich, Menschen mit seinen auergewhnlichen Gaben helfen zu

    knnen. Aber er fhrt sein Leben strenger klsterlicher Zucht und Abgeschiedenheit weiter. Doch der Herrruft ihn nun in seine Kreuznachfolge.

    3. Heuchler oder Heiliger?

  • 8/7/2019 Josef von Copertino

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    Josef von Copertino 7Aufsehen in der ffentlichkeit

    Die Auseinandersetzungen um Josef von Copertino werden hrter. Nicht nur Gutwillige und Wohlmeinendekommen zu ihm, nicht nur wirklich Bedrngte und Hilfesuchende. Erste Schwierigkeiten werden sichtbar: Davergit jemand, sein vor einer Heilungsbitte gegebenes Versprechen einzulsen, dort hlt sich ein Krankernicht an den Rat Josefs, zum Arzt zu gehen, andere werden trotz rztlicher Behandlung und trotz JosefsGebet nicht geheilt.

    Einen nachlssigen Priester weist der sonst so liebevolle und demtige Minorit in aller ffentlichkeit scharfzurecht. Viele beginnen ihn wegen ihres sndhaften Lebenswandels zu frchten und wagen sich nicht inseine Nhe. Wer ihm begegnete, mute ja damit rechnen, da er ihn bis auf den Grund seines Herzensdurchschaute und vielleicht sogar aufdeckte. PaterJosef kndet ohne Ansehen der Person Strafen an, diebei Unbufertigkeit auch eintreten, und spart nicht mit Vorhaltungen, ehe er fr jemanden betet.

    Don Orazio Saluzzo, ein Baron von Lquile, provoziert ihn und sticht auf ihn ein, als er ihn zur Rede stellte.Josef sagt ihm den baldigen Tod voraus, um ihn zur Einsicht zu bringen, und mahnt ihn, die Sakramente zuempfangen. Der Baron stirbt vershnt am 11. September 1634.

    Josefs Vorgesetzte greifen ein, mahnen ihren Mitbruder zu seelsorglicher Klugheit und Migung und ver-bieten ihm, Mitmenschen so deutlich die Wahrheit zu sagen. Daraufhin kleidet Josef seine Mahnungen inbildhafte Sprche ein, die knftig fr ihn bezeichnend sein werden:

    Meine Kinder, haltet eure Armbrust bereit, sonst kriegt ihr den Vogel nicht. Gott ist wie der Vogel und ihr

    mt euren Blick auf ihn gerichtet und die Armbrust in Anschlag halten, sonst bekommt ihr ihn nicht!'Und wenn er einen Verweis geben mute, tat er es nun schonender: Ihr habt eure Armbrust nicht auf dasZiel gerichtet. Oder: Geh und bring deine Armbrust in Ordnung. Sie hat weder Pfeil noch Sehne. DieSehne ist zu schlaff.24

    Unruhe in der Bevlkerung kommt auf. Wenn der Minorit mit Hochgestellten zu tun bekommt, fhlen sichArme zurckgesetzt und umgekehrt. Mancher Rat von ihm greift in Erwartungen und vermeintliche Rechteanderer ein, wenn zum Beispiel Mdchen gegen ihren Willen zur Heirat bestimmt wurden und Pater Josefum Hilfe baten. Oft mu er sich durch Flucht vor Aggressionen retten. Seine Unbescholtenheit und Lauter-keit wird immer offener angezweifelt. Seine Oberen geraten in nicht geringe Schwierigkeiten: Schon eineEinschrnkung seines Wirkens auerhalb des Klosters wrde auf erregten Widerspruch stoen, die Erwar-tungen der

    Bevlkerung, auch Einflureicher, sind bereits zu gro. Behutsam versucht man, Josefs Lebensweise zundern, er mu seine Klosterzelle wechseln, seine Askese mildern, darf nicht mehr auf blankem Boden

    schlafen wie bisher. Manche Mitbrder schmen sich des Sonderlings und wollen ihn zum normalen Mazurckfhren. Einige erwarten einen finanziellen Ertrag aus seiner Ttigkeit und knnen nicht begreifen, daer Spenden, die ihm Reiche aus Dankbarkeit angeboten hatten, nicht annimmt. Sogar Kerzen, die ihm Kauf-leute schenken wollten, habe er abgelehnt. Manchmal kommt er mit zerfetzter Kleidung von seinen Ausgn-gen zurck man hatte sich Stcke von seinem Ordensgewand oder vom Grtel abgerissen. Sein Wider-wille gegen Hab und Gut, vor allem in Verbindung mit seinen auergewhnlichen Fhigkeiten, findet wenigVerstndnis und sogar Spott. Einmal hatte man ihm ohne sein Wissen ein Geldstck in der Kapuze ver-steckt, und er wurde davon wie unter einer schweren Last niedergedrckt und vor Beklemmung fast ohn-mchtig.

    Zu allem holt ihn auch noch die Vergangenheit ein in Form der Schulden seiner Verwandten. Der Ordens-mann wird in hliche Hndel hineingezogen. Seine Mutter ist in Not geraten und sucht mehrmals bei ihremSohn Hilfe. Sie, die strenge Frau .... hatte ihn, wenn sie ihm auf der Strae begegnete, nie eines Blickesgewrdigt, sagte sie doch, sie sei nur seine Pflegemutter gewesen, weil er der Madonna gehre. Jetzt mu

    sie ihn um etwas Brot bitten und mit leeren Hnden weinend wieder nach Hause gehen. Ihr Sohn erinnertsie: Ich habe nichts;denn ich bin selber arm, und als sie ihm vorhlt, sie sei doch seine Mutter: Ich habekeine Mutter. Meine Mutter ist die Himmelsmutter, und diese ist auch deine Mutter. Geh zu ihr, sie wird dirhelfen. Zu Hause findet sie dann genug Brot im Backtrog.25

    Der fr Pater Josef zustndige Ordensprovinzial, Pater Antonio da Santo Mauro Forte, lt sich -trotz wi-dersprchlicher Meinungen unter den Brdern durch die Bescheidenheit und Lauterkeit des Copertinersberzeugen und schickt ihn sogar durch die ihm unterstehenden Klster in Apulien, es sind ungefhr fnfzig.Er hofft, die Brder durch die auergewhnlichen mystischen Erfahrungen und die berzeugende demti-gende Lebenshaltung Josefs zu grerer Frmmigkeit anzuspornen. Josef fgt sich widerstrebend im Ge-horsam und zieht fast ein Jahr lang von Konvent zu Konvent. Seine Mitbrder erfahren die bernatrlicheAtmosphre, die den Unscheinbaren umgibt, erleben seine Ekstasen und mystischen Flge greifbar mit, dieLeute drngen sich, um ihn bei der Feier der heiligen Messe zu sehen. In der Kathedrale vonGiovinazzo/Bari wiederholt es sich, da es den Beter vor ausgesetztem Allerheiligsten wie so oft in die Hhe

    und nach vorn reit. Die Leute geraten in helle Begeisterung und rufen: Ein Wunder!

    Anzeige beim kirchlichen Gericht

  • 8/7/2019 Josef von Copertino

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    Josef von Copertino 8Doch im Domkapitel von Matera und beim Adel kommt der Verdacht auf, dieser Minorit wolle sich mit Hilfe

    seiner Brder und Anhnger nur zur Schau stellen und den Messias spielen. Echte Heilige gehen nichtunter die Menge, um sich bewundern zu lassen! (Ist dieser Satz nicht richtig?) Sie wissen nichts davon,wie sehr Pater Josef sich gegen den Auftrag gewehrt hatte und unter ihm leidet. Und: Verstehen sie wirklichetwas von echter Heiligkeit? Wenn sie nicht einmal nach den wirklichen Tatsachen und Motiven fragen!

    Der Apostolische Administrator der Dizese, Monsignore Palamolla der Bischofssitz Matera war seitzehn Jahren vakant ,lt am 26. Mai 1636 eine amtliche Anzeige beim Heiligen Offizium erstatten, die vonder ersten Instanz in Neapel ordnungsgem nach Rom weitergeleitet wird. Dort prft die Zentralkommissiondes kirchlichen Gerichtshofs diese heikle Angelegenheit. Papst Urban VIII. entscheidet zunchst, einenneuen Bischof in diese Dizese zu senden, und gibt ihm den Auftrag, den Proze gegen den aufflligenMinoriten an Ort und Stelle wieder aufzunehmen. Das geschieht im September 1637.

    Pater Josef hatte erst seine apostolische Reise unbeirrt im Gehorsam fortgesetzt, wird aber zunehmendvon bengstigenden Vorahnungen bedrngt. Er erlebt ja, wie er stndig argwhnisch beobachtet wird, undmu befrchten, da Material gegen ihn gesammelt wird. Die Leute, der Lrm um ihn werden ihm lstig. Erbittet seine Oberen, ihn nach Grottella zurckzuschicken, ihm die ffentliche Eucharistiefeier zu verbietenund ihm die Zurschaustellung seiner Entrckungen zu ersparen. Doch sie beschwichtigen ihn sein Leidensei von Gott gewollt.

    Josef nimmt Zuflucht zur Madonna und erhlt am 2. April 1637 die Zusicherung, da er bei der ffentlichenFeier der heiligen Messe nicht mehr entrckt wrde: Aber bereite dich auf ein noch schwereres Kreuz vor!Erst Jahre spter, in seiner Einsamkeit, werden sich die ekstatischen Zustnde wieder einstellen.

    Gerade in diesen Wochen wird er immer wieder auf das Geheimnis des Kreuzes verwiesen. Auf dem Wegvon Copertino nach Grottella hatte er einen Kreuzweg errichtet, der beim Kloster in eine Art Kalvarienbergmndete. Immer wieder fhlt er sich zu diesen Kreuzen hingezogen, des fteren wird er von berschwengli-chen Gefhlen hingerissen. Ich sah ein Kind auf dem Kreuz und umarmte es, und mein Herz entbrannte.Eine innere Stimme bedeutet ihm jedoch: La diese toten Kreuze und nimm das lebendige Kreuz auf dich!Was fr ein lebendiges Kreuz? Er wei keine Antwort. Wieder sieht er Jesus als Kind, ein Kreuz aufseinen Schultern.

    An einem schwlen Sommertag trifft die Vorladung aus Rom ein: er habe sich dem Inquisitions-Gericht inNeapel zu stellen. Der Obere verheimlicht das Schreiben vor ihm und versucht, staatliche Instanzen einzu-schalten. Doch Pater Josef tritt ihm unerwartet entgegen und verlangt den Brief, nimmt ihn in ergebenemGehorsam an sich und bricht am 21. Oktober mit seinem Beichtvater Pater Diego Galasso und Fra Ludoviconach Neapel auf.

    Die Nachricht davon verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Gegend, die Meinungen sind geteilt, viele be-

    dauern den Ordensmann und beklagen seinen Weggang, andere, gerade ihm Nahestehende, halten sichvorsichtig zurck. Wer wei, ob Pater Josef nicht eine strenge Bestrafung durch die Inquisition zu erwartenhat. Freunde in der Not ...

    Auch in Neapel, im Kloster San Lorenzo, wird der fremde Pater nicht gerade freundlich empfangen keinWunder, die Umstnde seines Besuchs sind ja bekannt. Man sperrt ihn in eine Zelle ein. Josef verbringt eineunruhige Nacht in qulenden Gedanken und trostlosem Gebet:

    Werden sie mich verurteilen? Vielleicht halten sie mich sogar fr einen Besessenen oder kann es sein,da sie mich als einen Zauberer ansehen, dann wrde ich gefoltert und gettet.26

    Er fleht zur heiligen Katharina von Siena um Frsprache.Wir wissen, da diese Angst vor der Inquisition abgesehen von allem anderen nicht unbegrndet war

    ...

    Vor der Inquisition

    Am 25. November steht er vor dem Inquisitions-Gericht. Auf dem Weg dorthin wird er von einem jugendli-chen Mitbruder getrstet, den aber sein vertrauter Begleiter Fra Ludovico nicht wahrnahm. War es der heili-ge Antonius von Padua?

    Viele Zeugen hatten sich bemht, die Heiligkeit des Ordenspriesters anzufechten. Nun steht er selbst vorseinem Richter, Monsignore Antonio Ricciullo, und den Beirten, wird unter Eid genommen und mu seineLebensgeschichte erzhlen. Man prft seine Lateinkenntnisse er mu aus dem Brevier vorlesen undseine geistige Zurechnungsfhigkeit, gilt er doch als sehr beschrnkt.

    Zwei Tage spter werden die Ereignisse von Giovinazzo verhandelt. Um sich selbst durch Augenschein zuberzeugen, befehlen ihm seine Richter, die heilige Messe in ihrer Anwesenheit zu feiern. Doch es ereignetsich nichts Aufflliges dabei. Nur bei der Danksagung danach wird Josef, seiner Sinne vllig entrckt, berBlumen und Leuchter zum Altar emporgetragen, gleitet wieder zu Boden und singt und tanzt auf den Knien,ohne zu wissen, wie ihm geschieht. Anwesende Nonnen geraten auer sich und schneiden nachher Stcke

    aus seinem Ordenshabit als Andenken an dieses Erlebnis.Das dritte Verhr ist auf den 1. Dezember angesetzt. Josef sagt wahrheitsgem aus, da er seinen Obe-ren in Grottella flehentlich gebeten habe, ihn nicht in die ffentlichkeit zu schicken, und nur im Gehorsam dieReise durch die Konvente auf sich genommen habe. ber seine Ekstasen in Giovinazzo befragt, antwortet

  • 8/7/2019 Josef von Copertino

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    Josef von Copertino 9er:

    Ich kann mich nicht erinnern, was mir dabei zugestoen ist; denn ich wurde von Pater Guardian gefhrt,und es war ein groes Gedrnge, und ich ging ganz ungern in jene Volksmenge und wute dabei nicht, wiemir geschah, und der Pater Guardian sagte Worte zu mir, die mich beschmten.

    Zu den Entrckungen allgemein bekennt er:Diese Ereignisse bereiten mir immer ein wahres Unbehagen, sei es, da sie ber mich kamen, whrend

    ich die heilige Messe zelebrierte, sei es, da sie mich beim Gebet oder bei anderen geistlichen bungenerfaten .... und ich habe immer Angst, ich knnte durch sie getuscht werden und in Versuchung geraten ...Dieses Fortgerissenwerden geschieht hufig beim betrachtenden Gebet, und wenn ich Gott Dank sage. Ichhabe daher besonders acht auf mich und be das Gebet abgesondert, allein fr mich, oder in der Zelle odersonst an einem stillen Ort des Klosters..., damit man mich nicht sehe, wenn jene Bewegungen ber michkommen.27

    Am 2. Dezember wird der Guardian Pater Josefs verhrt. Die Prozeakten werden geschlossen und nachRom gesandt, zur endgltigen Prfung und Entscheidung in Anwesenheit des Papstes. Monate vergehendarber.

    Im Kloster ndert sich die Stimmung, die Mitbrder versuchen, ihr anfngliches Verhalten wieder gutzu-machen, und behandeln Pater Josef mit Zuvorkommenheit und Respekt. Prlaten und Adlige auch er-lauchte Namen werden ausdrcklich genannt wollen den kennenlernen, von dem man sich in ganz Nea-pel so auergewhnliche Dinge erzhlt, und bitten, an seiner Messe teilnehmen zu drfen. Die Inquisitionund die Gefahr einer Wiederaufnahme der gestrengen berprfung werden darber vergessen. Pater Josef

    ertrgt es mit Gelassenheit und wartet geduldig auf den Ausgang des Prozesses.Am 18. Februar 1639 wird er zum Ordensgeneral der Minoriten in Rom zitiert. Zugleich erhalten seineOberen fr ihr Verhalten einen strengen Verweis. Man versucht ihn unter Vorwnden in Neapel festzuhalten.Er verlt mit seinen Begleitern heimlich die Stadt. Aber sie kommen nicht weit. Man zwingt sie zurckzu-kehren. In Neapel wird gerade in ausgelassener Tollheit Karneval gefeiert Pater Josef erleidet in prophe-tischer Schau das Ausma der sittlichen Zgellosigkeit und sieht voraus, da die Stadt dafr einmal bitterben werde.

    Er schreibt an den Ordensgeneral und ergreift bei nchster Gelegenheit wieder die Flucht. Mitte April er-reichen sie Rom. Man kann sich denken, da Pater Josef nicht gerade gndig empfangen wird ein Mit-bruder, der mit der Inquisition zu tun hat, bereitet den Oberen nichts als Kummer und Sorgen. Doch der Kar-dinalprotektor des Ordens trstet und ermutigt ihn.

    Das Heilige Offizium entscheidet, da der Ordenspriester vom Volk getrennt und unter der geistlichen Lei-tung eines erfahrenen Beichtvaters weiter geprft werden soll. So bleibt, was die Echtheit, seiner mystischen

    Erfahrungen angeht, zunchst alles in der Schwebe. Der Orden versetzt ihn nach Assisi, in den Grokonventam Grabe des Ordensvaters. So geht auf diesem Weg sein alter Wunsch, in unmittelbarer Nhe des heiligenFranziskus zu leben, in Erfllung. Ostern reist er in Rom ab, am Fest seiner Schutzpatronin Katharina vonSiena trifft er in Assisi ein.

    Weitere Prfungen

    Dort wird er natrlich mit gemischten Gefhlen erwartet. Es beginnen bittere Jahre fr ihn. Ein neuerHausoberer Pater Antonio von San Mauro Forte hatte ihn frher sehr geschtzt nimmt die Entschei-dung der Inquisition, die Heiligkeit Josefs zu prfen, wrtlich und bedrngt und qult ihn auf alle mglicheWeise. Als es schlielich auch Mitbrdern zu bunt wird und sie darber nach Rom berichten, wird Pater Jo-sef der Verantwortung der rmischen Ordensleitung direkt unterstellt. Das konnte natrlich dem unmittelba-ren Vorgesetzten nicht recht sein. Ausgerechnet in dieser Zeit wird sein vertrauter Seelenfhrer nach Todi

    versetzt; dessen Nachfolger macht ihm durch sein eiferschtiges und zwiespltiges Benehmen das Lebensauer28.Doch Pater Josef wei sich in Assisi unter dem Schutz der Gottesmutter geborgen. In den Zgen der Ma-

    donna auf dem berhmten Bild von Cimabue in der Unterkirche, ber dein Grab des heiligen Franziskus,erkennt er die Gesichtszge Mariens vom Gnadenbild der Grottella. Bei seinem ersten Besuch hatte es ihnsofort emporgehoben und achtzehn Schritte weit ber den Boden zu diesem Bild hingerissen, da er esberhren konnte. Trotzdem berfallen ihn wieder tiefe Einsamkeit, Trostlosigkeit und Krankheit. Magen-krmpfe und Blutbrechen setzen ihm zu. Er hat keine Freude mehr an Gebet und geistlicher Betrachtung.Ekstasen und Entrckungen kommen kaum noch vor. So ist ihm auch noch diese Freude und Strkung imGeist genommen. Er, wahrhaftig in Trostlosigkeiten erfahren, bekennt: Ich htte frher nicht gewut, wasTraurigkeit ist. Heimweh nach der Grottella packt ihn, er gibt der Versuchung nach, sich an einflureicheFreunde zu wenden, um eine Rckversetzung nach Copertino zu erreichen. Doch die werden von unerklr-lichem Unglck getroffen. Seine Oberen geben ihm ausweichende Antworten, auf ihn wirkt ihr Verhalten wie

    Interesselosigkeit.Nach fnf bitteren Jahren wird er erneut zum Generalminister des Ordens zitiert. In der Hoffnung, endlichaus der Klosterhaft befreit zu werden, begibt er sich, wieder in Begleitung von Fra Ludovico, im Februar1644 nach Rom. Doch beim Anblick der Ewigen Stadt wird ihm deutlich, da seine Hoffnung enttuscht

  • 8/7/2019 Josef von Copertino

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    Josef von Copertino 10werden sollte und er nach Assisi zurckkehren mte.

    Anla zur vorbergehenden Berufung nach Rom war etwas ganz anderes: Der Frst Johann, Bruder desKnigs von Polen er kannte Pater Josef von einem Aufenthalt in Assisi her ,war inzwischen in den Je-suitenorden eingetreten. Er hatte darum gebeten, ihn sprechen zu knnen, um sich vor einer wichtigen Le-bensentscheidung von ihm beraten zu lassen. Da nun Pater Josef schon in Rom war und es sich schnellherumsprach, schlossen sich andere Gesprche an, auch mit Kardinlen. Der Minorit nutzte auch dieseGelegenheit, die groe Wallfahrt zu allen rmischen Basiliken zu unternehmen. Die Karwoche dieses Jahresverbrachte er im Kloster zu den Zwlf Aposteln in trben Vorahnungen. Vor seiner Rckkehr nach Assisimachte man ihm den Vorschlag, nach Monterotondo zu gehen, wenn er sich wegen seiner Krankheiten inAssisi nicht wohlfhlte, aber er kehrt an das Grab des heiligen Franziskus wieder zurck, dort wolle er lieberals an einem anderen Ort sein seine Heimat, das Klsterchen Grottella, ausgenommen. Er hatte erst denWillen Gottes in dieser Sache nicht erkannt, jetzt sieht er ein, da Gott nur einen Strich durch die Rech-nung gemacht hat.29

    4. Mystische Erfahrungen

    Auergewhnliche Gaben

    In Assisi erwartet man ihn diesmal mit groer Freude. Statthalter und Magistrat hatten sich beim General-minister fr ihn verwandt. Am 10. April 1644 wird er zum Ehrenbrger der Stadt ernannt. Tage danach er-

    klren die Brder des Sacro Convento ihn, den man bisher nur als Hftling hatte aufnehmen mssen, zumMitglied ihrer Hausgemeinschaft. Nun wird er immer mehr zum geschtzten Berater und Trster in allenLebenslagen, vor allem bei Kmmernissen und Leiden er, der selbst der Geistlichen Leitung durch einenerfahrenen Beichtvater unterstellt worden war.

    Ein Zeuge wird spter aussagen: Es gab niemanden in der Stadt, der in seiner Not nicht bei ihm Zufluchtsuchte und um seine Frsprache bat. Auch der Bischof Baglinioni Malatesta holte sich fter bei ihm Rat. Aufseine Frbitte hin bleibt Assisi von den Schden eines Krieges bewahrt. Sein Ruf verbreitet sich ohnesein Zutun, ja gegen seinen Willen in den Drfern und Stdten des ganzen Landes und darber hinaus,zumal Assisi ja von vielen Pilgern aus ganz Europa aufgesucht wird. Nun wird, wie ausdrcklich vermerkt ist,die Stadt des heiligen Franziskus auch durch ihn zur Stadt auf dem Berge, sein Leben zu einem Licht aufdem Leuchter.

    Die Aufmerksamkeit, mit der man ihn jetzt behandelt, kommt ihm unverdient und bertrieben vor. Aber alsAbgeordnete des Magistrats ihm feierlich ein offizielles Dank-Diplom der Stadt Assisi berreichen, trgt es

    ihn in groer Freude bis an die Decke empor. Nachher eilt er an das Grab des Ordensvaters und bittet ihnum Verzeihung, da er einmal von Assisi fortwollte.Er hatte sich in seine Verbannung ergeben, Ruhe und Friede waren wieder in sein Herz eingekehrt. Neun

    Jahre sollte er noch in Assisi bleiben und wirken.Er verbringt diese Zeit in mglichster Abgeschiedenheit, in uerster Armut und Bedrfnislosigkeit, fastend

    und dem beschaulichen Gebet hingegeben, in nchtelanger vertrauter Zwiesprache mit seinem Gott. Amliebsten hlt er sich am Grab des Ordensvaters vor dem Tabernakel auf oder vor der Marienstatue. Oft rei-nigt er sein Gewissen im Busakrament. Seine tgliche Mefeier dauert ber zwei, manchmal bis zu fitinfStunden, wenn ihn mystische Erfahrungen entrcken. Dabei ist er bemht, sich genau an den Ritus und dieGebete zu halten. Allzu hastige Priester vergleicht er mit Menschen, die zu heie Bissen nicht im Mund be-halten knnen und unzerkaut herunterschlucken.

    Im kontemplativen Gebet, in der Nhe des Tabernakels, in der Feier der Eucharistie findet er die Erfllungseiner Sehnsucht, oft reit es ihn geradezu in die Hhe, oder er gert so auer sich, da er lacht und weint,

    zittert und tanzt wie ein Betrunkener. An seinem ueren Verhalten, seiner Haltung und seinen Gebrdenkann man ablesen, was ihn innerlich bewegt, an dem krperlichen Emporgehobenwerden seinen geistigenAufstieg zu Gott, an dem Flug nach vorn sein groes Verlangen nach Vereinigung mit Gott, am schweben-den Zurckweichen seine Demut und menschliche Unwrdigkeit vor dem Heiligen. Das Gleichgewicht zw i-schen der natrlichen Schwerkraft und seinem geistlichen Aufschwung, zwischen dem normalen sinnenhaf-ten Leben und religiser Entrcktheit ist auf schmalem Grad so fein eingestellt, da es oft nur eines gerin-gen Anstoes bedurfte, um ihn ganz auer sich zu bringen.30 Fr viele wird er zur lebendigen, anschauli-chen Darstellung des Ergriffenseins von den Heilsgeheimnissen, des Aufstiegs eines Menschen zu Gott.

    Er wehrt sich gegen alle Neugier anderer, entschuldigt sich immer wieder wegen seiner Hinflligkeit mitKrankheit und erklrt seine hufigen Entrckungen als Schlaf. Ja, er bittet Gott darum, ihn von aufflligenZustnden zu befreien. Doch sie werden fast zum Dauerzustand, kommen pltzlich und unvermittelt berihn, auch mitten in einem Gesprch, manchmal schon beim bloen Gedanken an eine Glaubenswahrheitoder ein Lied. Von Predigten, die er, den Blicken anderer entzogen, im kleinen Chorraum hrt, lt er sich so

    packen, da er manchmal laut aufschreit und buchstblich hingerissen wird.Ohne da er es wei, bemerken andere in seiner Gegenwart einen angenehmen Wohlgeruch. Als er da-rauf angesprochen wird, verweist er ablenkend auf die Blumen in der Nhe.

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    Josef von Copertino 11Die Gabe der Heilung

    Eines Tages beobachtet man, wie er einen Hinkenden heilt. Man wird aufmerksam auf andere Heilungen.Durch seinen Segen oder durch eine Berhrung mit der Hand vergehen Schmerzen und Geschwre. Einenoffensichtlich Verwirrten der Name des Ritters wird ausdrcklich genannt packt er, hebt ihn empor undheilt ihn so whrend einer seiner Ekstasen. Sogar von seinen Kleidungsstcken geht heilende Wirkung aus.

    Er versucht, von seiner Person abzulenken, nimmt l vom Bild des heiligen Franziskus und spricht dasSegensgebet des Heiligen: Der Herr segne und bewahre dich ... (vgl. Num 6, 22-24). Durch ein Blatt mitdiesem Segen wird ein sterbendes Kind gesund. Solche Bltter wandern von Hand zu Hand, werden abge-schrieben und machen seinen Ruf in ganz Europa bekannt.

    Aus vielen Orten kommt die Nachricht aufflliger Heilungen durch diesen Segen. In Polen erhlt ein Blindersein Augenlicht wieder. Oft gengt es, da Hilfesuchende aus der Ferne zu ihm rufen, er vernimmt es undbetet fr sie. Seeleute werden aus Seenot gerettet, whrend er in Assisi auf den Knien liegt. Der Neffe desBischofs von Perugia wird in der Stunde von seiner schweren Lhmung befreit, in der Boten die Bitte umGebetshilfe berbringen und Pater Josef fr den Kranken zu beten beginnt.

    Er erscheint einem Schwerkranken am Bett, verspricht ihm Genesung und verschwindet wieder. SeineMutter, so wird berichtet, mu ihn noch in ihrer Sterbestunde gesehen haben und stirbt getrstet mit denWorten: O Giuseppe, mein Sohn! Die Anwesenden knnen sehen, wie ein Lichtstrahl durchs Fenster flltund die Sterbende ihm zuwinkt.

    Die Prophetengabe1647 erlebt er die blutige Revolution in Neapel mit, als wre er selbst mitten in diesem Aufruhr, rettet aus

    der Ferne Menschen, die nach ihm rufen, aus Todesangst, schtzt auf wunderbare Weise aus diesem Bru-derzwist Bekannte vor Mrdern. Am 29. Juli 1644 sagt er vor der heiligen Messe: Der Papst ist gestorben.Am Sonntag wird das auch hier in der Stadt bekannt sein und feiert das Totengedchtnis fr ihn. Erst amfolgenden Sonntag gelangt die Nachricht vom Tod Urbans VIII. nach Assisi.

    Immer wieder kndigt er die Heilung eines Kranken an: Sag ihm, er soll Vertrauen haben, er wird gesund.Und es tritt jedes Mal so ein. Geburt und Tod sagt er voraus und strkt und trstet Leute vor groem Leid,das er kommen sieht offenbar werden nicht alle geheilt und vor Leiden bewahrt.

    Er prophezeit zwei Priestern die Ernennung zum Bischof, dem Kardinal Emilio Altieri von Camerino dieWahl zum Papst, dem Kardinal Odescalchi schnelle Hilfe in einer Hungersnot in Ferrara.

    Erkenntnis und WeisheitDie Quellen listen geradezu die vielfltigen Gaben auf, die in Pater Josef wirksam waren: die Gabe der

    Herzenskenntnis zum Beispiel, von der schon die Rede war, jetzt gelutert durch groe seelsorgliche Be-hutsamkeit, die auf Bue, Lebensumkehr und Beichte abzielt. Die einen bewahrt er durch Blicke und mah-nende Worte vor schwerer Schuld, anderen deckt er ihren Seelenzustand auf, da sie einsichtig werden.Einen Adligen fragt er mit Blick auf seinen Pagen: Woher hast du denn diesen Mohren? und bewegt denjungen Diener zum Beichten: Geh und wasch dich rein, mein Sohn! Unzuchtssnden empfindet er als un-ertrglichen Gestank und die Menschen als abstoend: Habt ihr mit Tinte gearbeitet und euer Gesicht damitbesudelt? Geht und wascht euch!

    Gelehrte und Wissenschaftler bezeugen, wie Pater Josef mit einer solchen Klarheit und Tiefe der Erkennt-nis und des Wissens ber die Glaubensgeheimnisse sprechen konnte, da sie darber staunten. Aus seinermangelhaften Ausbildung konnte das nicht stammen. Pater Bonaventura Clavero, Rektor des Universitts-

    kollegs zu Potenza und spter Bischof, kommt eigens nach Assisi, um monatelang tglich mit dem schlich-ten Franziskaner geistliche Gesprche zu fhren, ber schwierige theologische Fragen wie Gnade undFreiheit, Snde und Rechtfertigung und die Verantwortlichkeit menschlichen Handelns. Seine Worte warenwie von einem bernatrlichen Licht beleuchtet und wie von oben her eingegeben. Kardinal Facchinetti legtein hnliches Zeugnis ab:

    Wenn er von Gott sprach, verband er seine eigenen Erfahrungen mit den Ergebnissen der Wissenschaft,entzckte durch seine Einfachheit das Herz und erfllte mit seiner Lehre den Geist. Ich hrte ihn ber dasThema Natur und Gnade wunderbar sprechen und mit herrlichen Ausdrcken das gttliche Wirken derGnade und die Freiheit des Menschen darlegen.31

    Der Unwissende und nur schlecht und recht Ausgebildete er verstand gerade das gewhnliche Latein versteht und beantwortet auch schwierige Fragen klar und aus tiefer Erkenntnis. Der Kardinal Brancati,selbst ein bekannter geistlicher Schriftsteller und vormals Lektor an der Sapienzia in Rom, erwhnt ihn inseinen Werken und beruft sich in seinem Buch ber das Gebet bei seinen Ausfhrungen ber die Mystiker

    auf seinen LehrerJosef von Copertino.

    Luterung

  • 8/7/2019 Josef von Copertino

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    Josef von Copertino 12Wie gefhrdet solche auerordentlichen Gaben sein knnen auch das zeigt das Leben unseres Mysti-

    kers. Es gibt neue Schwierigkeiten, eine neue Leidensgeschichte beginnt. Bis April 1646 hatte Pater Josefdie heilige Messe ffentlich feiern knnen. Die Schar Andchtiger, aber auch blo Neugieriger nimmt zu. DieSensationsgier der Leute gewinnt immer mehr Oberhand, Schaulustige vergessen jede Zurckhaltung, Auf-dringliche bedrngen ihn. Ihm kommt es vor, als liege er verschttet unter einem Steinhaufen:

    Wenn die Frauen mit mir reden und rechten wollen, mssen sie es so machen, wie diejenigen, die zumBrunnen gehen, um Wasser zu holen. Sie holen sich Wasser, lassen aber den Brunnen dort stehen, wo erist.32

    Er versucht, jedes Aufsehen zu vermeiden, aber die aufflligen Vorkommnisse stehen nicht in seiner Ver-fgung, er kann sie weder hervorrufen noch verhindern. Schlielich bittet er seine Oberen um Hilfe.

    Innozenz X., seit zwei Jahren Papst, war vorher der gestrenge Sekretr des Inquisitionsprozesses gegenPater Josef. Jederzeit mu mit Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ihn gerechnet werden. Um demzuvorzukommen, verbieten die Verantwortlichen ihm, die Eucharistie ffentlich zu feiern. Er zieht sich in eineabgelegene Hauskapelle zurck und erfhrt eine Flle von Freude. Zugleich empfindet er das Unverstndnisund Haschen nach Sensationen in der ffentlichkeit als krnkend.

    Wiederum werden alte Vorwrfe und Anklagen laut und bleiben ihm nicht verborgen. Man schwtzt berihn hinter seinem Rcken, verdchtigt ihn als Gefangenen des Heiligen Offiziums, hlt ihn fr geistesge-strt oder gar vom Teufel besessen. Gegner feinden ihn an, Freunde lassen ihn im Stich, andere fhlen sichdurch seine Zurckhaltung beleidigt. Man berwacht eiferschtig alle Vorkommnisse und sucht geradezunach Anlssen zu Kritik und Vorwrfen gegen ihn. Es kommt sogar soweit, da sich Leute krank stellen oder

    Hilfsbedrftigkeit heucheln, um seine Heilkraft und Heiligkeit herauszufordern oder auszuprobieren. Bei alldem erfhrt Josef von Copertino immer deutlicher Anflligkeit und Verletzlichkeit, sein von Natur ausreizbares, heftiges Temperament bleibt nicht unberhrt davon. Aber schon deshalb sieht er sich auerstan-de, sich zu wehren oder etwas zu seiner Rechtfertigung zu unternehmen. In dieser inneren Zerrissenheitwird er mitrauisch und sagt sogar einem Besucher ganz offen: Du denkst schlecht von mir. Und einmalkommt ihm eine Art Genugtuung erschreckend zu Bewutsein, als er erfhrt, da der Herr dann und wannsolche strafte, die ihm bel gesinnt waren.33

    Von neuem kommen schwere Anfechtungen ber ihn, seine erzwungene Einsamkeit macht ihm zu schaf-fen, ngste und Zweifel bedrngen ihn, Schlaflosigkeit bei groer krperlicher und geistiger Mdigkeit qultihn zustzlich. Es drngt ihn, zu den Kranken und Unwissenden hinauszugehen und sein Leben, auch alsBlutzeuge, wenn es sein knnte, fr das Evangelium einzusetzen. Es wird ihm geradezu unertrglich, nichtals Priester wirken, keine Sakramente spenden, nicht predigen zu drfen. Zu den festlichen Prozessionenziehen seine Brder hinaus, ihn lassen sie einsam im leeren Kloster zurck, in tiefster Depression. Einmal

    bemerkt er zu einem Mitbruder:Wenn jemand nach mir fragt, sag ihm, ich bin ein toter Mensch. Die anderen Ordensleute haben dasGlck, die Kirche besuchen zu drfen, ins Chor zu gehen und all das zu tun, was die Ordensregel vor-schreibt. Ich dagegen bin unntz und kann nichts Brauchbares leisten.34

    Mu er erst im eigenen Leben ganz persnliche Schwche, Torheit, Erniedrigung und Ohnmacht erfahren,damit Gott sich in ihm als der Weise und Starke beweisen kann? Mu auch in ihm erst alles vernichtetwerden, damit Gott ihn erwhlen kann, um durch ihn alles Weise und Starke in der Welt zuschanden zumachen? Das, was nichts ist, hat Gott erwhlt, um das, was etwas ist, zu vernichten (vgl. 1 Kor 1, 28).

    Er erkennt die Luterung und Einbung in das Loslassen eigener, auch religiser Wnsche und Vorstel-lungen ein weiteres Sterben des alten Menschen, damit der neue Mensch erstehe nach dem BildeGottes, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit (Eph 4, 29). Und er nennt Gott seinen gutenNovizenmeister35, der ihm seinen Ruhm auf der sicheren Grundlage der Demut bereite. Ruhm auf derGrundlage der Demut!

    In seiner ueren Situation tritt eine gewisse Entlastung ein. Er hat einflureiche Freunde. KardinalOdescalchi, der sptere Papst Innozenz XI., sucht ihn persnlich auf und tritt in aller ffentlichkeit und vordem kirchlichen Gericht allem bsen Gerede ber ihn entgegen. Dem Volk wird wieder erlaubt, an der heili-gen Messe Josefs teilzunehmen. Trotz seines anfnglichen Widerstrebens fgt sich Josef und unterwirft sichin allem den Weisungen seiner Oberen. Dann und wann widersetzt er sich ihnen auch, wenn er berzeugtist, einer hheren Weisung folgen zu mssen.

    Auf dem Wege des Gehorsams und der Demut reift er zum vollkommenen Zeugen der grten aller Ga-ben, der Liebe.

    5. Die grte aller Gaben

    Gaben ohne Liebe nichts

    Auergewhnliches erregt naturgem Aufsehen. Auffllige Gaben und Taten interessieren mehr als All-tgliches. Leuchtende Charismen (vgl. 1 Kor, 12. bis 14. Kapitel) beeindrucken mehr als schlichte, die imstillen, verborgenen, im normalen Alltag wirken. Und doch sind auch so wunderbare Gaben wie propheti-sches Reden, Erkenntnis aller Geheimnisse, ja eine Glaubenskraft, die Berge versetzen knnte, nichts ohne

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    Josef von Copertino 13die Liebe: Nichts nichts nichts, schreibt Paulus den Christen in Korinth. Und fgt eine ganz nchterneBeschreibung der Liebe und ihrer Umsetzung in den grauen Alltag an. Dem Nichts setzt er das Alles derLiebe entgegen: der Liebende hat alles, Geduld, Glaube, Hoffnung, Stehvermgen doch am grten istdie Liebe, sie ist der Weg, der alles bersteigt. Strebt also nach der Liebe, ja: jagt der Liebe nach!

    Daraus ergibt sich doch auch, da gerade auergewhnliche, aufsehenerregende Geistesgaben sich die-ser Echtheitsprfungstellen mssen:

    - ob sie aus der Liebe kommen,- ob sie durch die Liebe geformt sind und- ob sie die Liebe wirken, die Frucht des Geistes (siehe Gal 5, 22 f).Damit nhern wir uns bei allen bisher erzhlten wunderbaren oder doch staunenerregenden Vorkomm-

    nissen aus dem Leben Josefs von Copertino seinem eigentlichen Geheimnis.

    Hingerissen von Gottes Liebe

    Die Berichte aus dem Leben dieses Mystikers (Mysterium, das heit doch Geheimnis) lassen erkennen,da seine auergewhnliche ekstatische Begabung nichts anderes als die erkennbare uere Seite einerberstarken inneren Ergriffenheit durch Gottes Liebe und berwltigende Gre ist. Sie ist es (und nichteine lebhafte Phantasie oder parapsychologische Vorgnge), durch die er hingerissen wird und auersich gert.

    Liebe das ist fr ihn nicht ein Wort oder bloes Gefhl, sondern er erfhrt sie wie einen Strom, der alles

    berflutet, wie Flammen, die alles verzehren. Das innere Licht erfllt ihn so sehr, da er ganz von Sin-nen ist. Nur die eine Sehnsucht ergreift ihn: die Flle dessen zu erfahren, der ihn liebt und von dessen Lie-be sein Herz entbrannt ist.

    Das ist das Geheimnis seines Lebens: die Berufung, ein staunen-, ja furchterregendes unbersehbaresZeichen der Macht und Liebe Gottes und ihres Wirkens in der Schwachheit eines Menschen darzustellen. Esmu sichtbar machen, greifbar werden lassen, was auch ohne jede menschliche Voraussetzung geschehenkann, wenn der Geist Gottes einen Menschen ergreift und ihn ungehindert erfllt und wenn dieser Menschin seiner Schwachheit sich dem berlt. Es ist, als veranschauliche der eine Geist im Leben und Wirkendieses armen Menschen, der, wie er selbst von sich sagt, zu nichts ntze scheint, seine verschiedenenGaben zum Nutzen und Heil vieler Menschen. Freilich wird es nur dann anschaulich, wenn der Betrachteroffen genug ist, dieses innerste Geheimnis darin zu entdecken, das Grte, die Liebe.

    Reifung zur Liebe

    Heilige werden nicht heilig durch das, was sie nach auen darstellen, sondern durch das Wirken derMacht und der Liebe Gottes, also des Heiligen Geistes, zunchst in ihrem Herzen. Die Diener Gottes gehenzu leichtsinnig aus sich heraus, klagt Josef von Copertino, das Groe im Menschen liegt in seinem Inneren.Dort liegt sein Wert. Auch Josef Maria Desa mute das erst lernen. Die zahllosen Prfungen im Laufeseines Lebens, schmerzhafte Erfahrungen im menschlichen und im kirchlichen Bereich, Verkennung undUngerechtigkeiten lutern ihn und lassen ihn fortschreitend den groen inneren Reichtum erkennen, der ihmangeboten ist. Es hat ihn nach eigenem Zeugnis so viele Trnen gekostet, da er diesen Schatz nicht umtausend Welten eingetauscht htte.36 Darum sind ihm Streben, Askese, Abttung, Verzicht und Selbstver-leugnung so wichtig, darum und nicht um ihrer selbst willen. Deshalb ist ihm der Gehorsam wie ein Messer,das den Eigenwillen ttet, um ihn Gott zu weihen.37

    Die Liebe schrft ihm den Blick fr seine eigenen Fehler. Er sieht sich als Wurm oder Lasttier, kommt sichvor wie ein unntzes Stck Lappen. Es gengt, so meint er, sich selbst nur aufmerksam zu betrachten, um

    seine Schwchen zu erkennen. Untreue, Trgheit, Eitelkeit, Empfindlichkeit sind ihm wie Staub in einemKrug Wasser. In seiner Liebe wei er, wie groe Gnaden er unverdient von Gott erhalten hat, und bleibtsich bewut, da er sich selbst oder irgendeiner eigenen Leistung nichts verdankt. Er ist wie ein Armer k-niglich beschenkt und bleibt doch vor Gott und den Mitmenschen der Arme, der er ist. Alle Verehrung, dieihm andere erweisen, und alle auergewhnlichen Fhigkeiten machen ihn deshalb auch nicht stolz oderberheblich: Wer die Liebe hat, ist reich und wei es nicht.38

    Die Seele gleicht einer Knigin, die Sinne des Leibes ihren Dienerinnen. Tritt d ie Seele in das Gemachdes Knigs ein, dann bleiben die Sinne drauen, von keiner Regung bewegt. Die Seele selbst aber ruhtvllig im Besitz des Schpfers.39

    Erfahrungen eines Liebenden

    Wir knnen uns diesem, wie wir es nannten, Geheimnis seines Lebens berhaupt dem Leben eines je-

    den Mystikers nur behutsam nhern. Die Zeugnisse fr diesen Bereich sind bei Josef von Copertino sozahlreich, da sie ein eigenes Buch fllen. Hier seien nur einige herausgegriffen:Seine Liebe zu den Tieren und zur Schpfung insgesamt, von der wir schon sprachen, ist wie bei Franz

    von Assisi Ausdruck seiner Liebe zum Schpfer und nicht Naturschwrmerei. Die Blumen, die Vgel, das

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    Josef von Copertino 14Johanneskferchen, die Wrmchen, die Natur in ihrer Vielfalt und Schnheit, in ihrer Lebenskraft und Ord-nung sind dem Franziskaner Abbild und Gleichnis der Schnheit, Macht und Gre Gottes. Die Menschensollten das, mahnt Pater Josef, doch erkennen, sich dessen freuen und Gott dafr danken, ihm, demSchpfer, in Liebe und Lobpreis dienen.

    Die Menschen sollten sich mit dem Gebrauch und Besitz der geschaffenen Dinge und der Freude an ihnennicht begngen, das wre so widersinnig, wie wenn einer sich die Brille aufsetzte, um blo die Brille zu se-hen anstatt die Dinge in der Ferne ... Durch die ueren Dinge gelangt Gott bis zur Tr unseres Herzens,durch die inneren jedoch tritt er zu uns ein und bleibt im Herzen.40 In den notwendigen Dingen des tglichenLebens erfhrt er Gottes Frsorge und seine Tag fr Tag erneuerte Zrtlichkeit.

    Josef warnt die Menschen vor eitlen Sorgen und dem Streben nach Reichtum und Wohlleben, Macht undErfolg; er bedauert sie wegen der unausweichlichen Enttuschungen, die sie sich dadurch einhandeln, undhat Mitleid mit ihnen wegen ihres fortwhrenden Versagens. Wie der Kaufmann im Evangelium gibt er un-eingeschrnkt alles weg, er bergibt es Jesus, um den Schatz im Acker, die kostbare Perle der Liebe zugewinnen (vgl. Mt 13, 44-46), und ist auf der Hut, sein Talent nicht wie der nichtsnutzige Diener im Gleichnis(vgl. Mt 25, 24-30) ungenutzt zu vergraben.

    Wer liebt, der rastet nicht. Er frchtet, da er zu wenig liebt. Er htet eiferschtig das Gegenber seinerLiebe, und je mehr er liebt, desto mehr frchtet er, da er nicht liebt, und ist unruhig. Aber er wird dadurchnicht verwirrt und ertrgt alles, weil er liebt.41

    Eine solche Unruhe hat ihn ergriffen, und er versteht sie als Wachstum und Reifung der Liebe, als seinenWeg der Heiligung und Einigung mit seinem Gott. Sie ruft geradezu krperliche Schmerzen in der Herzge-

    gend hervor, der Brustkorb weitet sich, er mu den Arzt befragen.Liebe und Leiden

    Leiden sind diesem Liebenden wie Stufen zu noch grerer Liebe:Aus Liebe zu Gott leiden, ist eine hohe Gunst, deren der Mensch nicht wrdig ist. Der Mensch dankt Go tt

    blo, wenn dieser ihm Gutes tut, aber das Leid ist eine hhere Gunst als die Freude. Jesus hat, um uns zuerkaufen, nicht Gold und Silber gegeben, sondern Schmerzen, Pein und Tod. Er will aber auch, da derMensch es ihm mit gleicher Mnze zurckzahle ... Wie es Hammerschlge braucht, um das Bildnis desFrsten einer Mnze aufzuprgen, so gibt Jesus Christus seinen Aufdruck seinen Dienern durch Hammer-schlge mannigfacher Prfungen und Bedrngnisse.42

    Josef sieht den Reichtum der Gnadengaben Gottes fr den Menschen nach dem Sndenfall wie in einemBerg tief verborgen. Um diese Schtze zu heben, braucht es Mhe und Anstrengung und die Bereitschaft,

    sich von Gottes Liebe prgen zu lassen, auch wenn Luterung und Umformung schmerzhaft sind. So kannGottes Meisterwerk in uns gelingen: die Umgestaltung in Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen.Ihn mchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so

    seinem Tode gleichgestaltet werden ... (Phil 3, 10: ...sein Tod soll mich prgen!). Unser Mystiker erfhrt die Ereignisse des Lebens und Leidens Jesu lebendig mit, als gegenwrtiges Ge-

    schehen. Am Palmsonntag, whrend der Verlesung der Passion, fllt er bei den Worten Ans Kreuz mit ihm!wie tot um und ist selbst dem Tode nahe. Beim Bericht ber die Bekehrung des heiligen Paulus hrt er dieWorte Jesu Warum verfolgst du mich? und schlgt rckwrts hin, die Arme in Kreuzform ausgebreitet. Erstellt sich selbst die Frage: Warum trauere ich so um den Tod Jesu, der doch so lange zurckliegt? und er-hlt die Antwort:

    Meine Bereitschaft, fr dich zu sterben, besteht immer ... Wenn mich jemand ... schauen will, werde ichmich ihm so zeigen, wie er mich sehen will, als Kind, als Gegeielter, als Gekreuzigter ... Denn meine Liebeerscheint in der Form, in der die Menschen sich meiner erinnern und mich betrachten.43

    Einer und eine das wiederholt er oft: Gott und die Seele, die Begegnung zweier Liebender. In der Feierder Eucharistie findet diese Einigung ihren Hhepunkt.

    Gottes- und Nchstenliebe

    Solche Erfahrungen der Gottesliebe befreien den Menschen von sich selbst, fhren ihn aus derVerfangenheit ins eigene Ich heraus und machen ihn auch zur Nchstenliebe fhig:

    Je mehr man Gott dient, desto mehr wird man sich mit der Liebe schmcken, und weil diese nicht das Ei-gene sucht, drngt sie immer zur Ttigkeit im Dienste des Nchsten. So haben es viele hervorragende undheilige Menschen gemacht, die wohl fter an ihre Todesstunde dachten und doch Bcher schrieben undFabriken gebaut haben und anderes mehr.44

    Die Liebe zu Gott und die Nchstenliebe bilden das Fundament unseres Glaubens ... Wo Liebe das letzteWort behlt und die Beziehungen der Menschen zueinander prgt, werden Einheit und Friede geschaffen

    und erhalten. Umgekehrt kann man an der Einheit in einer Gemeinschaft ablesen, ob Gott dabei ist.45

    Durch die Liebe wird der Mensch wie von selbst fhig zum Gehorsam, zur gegenseitigen Unterordnung,von der in den Paulusbriefen manchmal die Rede ist (zum Beispiel in Eph 5, 21). Auch die Demut gelingtdurch die Liebe wie von selbst: ein Mensch, der liebt, ist auch demtig (zum Dienen mutig) und wei es

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    Josef von Copertino 15nicht er liebt ja. Josef von Copertino ist wie eine Veranschaulichung dieser Grunderfahrung echten Tu-gendstrebens.

    Auch im anhaltenden Gebet dient er den Menschen vor Gott. Er tritt fr die Kirche ein, fr den Papst unddie Bischfe, fr die Irr- und Unglubigen, wie er ausdrcklich sagt, und es ist falsch, fr andere nicht zubeten, wenn sie einen anderen Glauben haben (das sagt er in den Jahren, in denen in Mitteleuropa derDreiigjhrige Krieg zu Ende geht). Am meisten setzt er sich vor Gott fr die Armen und Kranken ein:

    Man mu mit dem Nchsten Mitleid haben, schon mit Rcksicht auf das Leiden Christi. Gott lt uns dieBeschwerden des Nchsten mitfhlen, damit wir dabei Gelegenheit haben, das Leiden Christi zu betrachten.... der aus Liebe zu Gott Unbill erlitten hat, verdient hohe Achtung und Verehrung, er ist Gott geweiht.46

    Seine Gaben stehen ganz im Dienst der Mitmenschen, fr ihn selbst unverfgbar. Und je mehr er aus derffentlichkeit zurckgezogen wird, um so verfgbarer wird er gerade mit der Kraft des kontemplativen Le-bens, des immer whrenden geheimnisvollen Einsseins mit Gott in der Liebe in die Kirche hinein.

    Wer die Liebe hat, ist reich fr die anderen.

    berschwengliche Freude

    Bei allem erfhrt er so berschwengliche Freude, da er ganz und gar auer sich gert, sie reit ihn buch-stblich hoch. Immer wieder gibt er seiner Freude Ausdruck im Singen und durch schlichte Lieder und ein-fache Liedverse, gert ins Jubilieren und Tanzen, auch hierin seinem Ordensvater Franziskus ein wenighnlich. Er schnitzt sich eine grobe Hirtenflte, um die Melodien seiner Freude, wie sie ihm einfallen, spielen

    zu knnen. Seine Brder singen mit, lernen sie auf diese Weise und behalten sie im Gedchtnis. Sie werdenihn bis in den Tod begleiten.Die Texte erwachsen aus konkreter Betrachtung der Heilsgeheimnisse, sicher keine Zeugnisse der Dicht-

    kunst oder der Theologie, sondern schlichte uerungen eines liebenden, begeisterten Herzen. Zwei Bei-spiele (in der bersetzung von Grandi47) seien hier angefhrt:

    Weihnachtsliedber Wiesen und Feldergehe ich suchend dem Herrn entgegenund wandre und wandre Stunde um Stundund singe und spiele mit Herz und Mundinmitten der frohen Hirtenschar:Es lebe mein Jesus immerdar!

    PfingstliedFeuer heiliger Liebe, dringetief in unsre Herzen einund zu reiner Liebe zwingesie mit deinem Feuerschein.Erleichterst alle Last,schenkst Ruh in aller Hast.Liebe, bleibe meiner Seele Gast!

    6. Der Vollendung entgegen

    Stiller Dienst an vielen

    Ruhm auf der Grundlage der Demut, hatte Pater Josef gesagt: was wissen die Menschen schon von se i-nem eigentlichen Reichtum, von der Herrlichkeiten der ihnen verborgenen, fr sie unverstndlichen Gaben, mit denen Gottes Liebe ihn berhuft, aber auch von der Anflligkeit und Gefhrdetheit dieser Ga-ben, vom geistlichen Kampf, den er zu bestehen hat!

    Natrlich werden die Krankenheilungen weitererzhlt, die Nachrichten von den auergewhnlichen, auffl-ligen Vorkommnissen in Assisi verbreiten sich ber ganz Italien und darber hinaus. Viele verehren denCopertiner wie einen Heiligen. Als er davon hrt, vergleicht er sich selbst mit Stofflumpen, die man von derStrae aufgelesen und zu Papier verarbeitet hat, um auf sie die Worte der heiligen Wandlung zu schreiben.Er beharrt auf seinem Recht, in der Stille bleiben zu mssen, und nimmt die Nachrichten von drauen ge-lassen und ergeben hin.

    Doch es sind nicht nur Nachrichten, die seine Einsamkeit erreichen, auch Besucher kommen zu ihm, undihre Zahl nimmt zu. Jahrelang ist seine Klosterzelle Ziel von Priestern und Ordensleuten, auch solchen in

    gehobener, verantwortlicher Stellung, von Prlaten, Bischfen und Kardinlen, von Rittern und Grafen,Frsten und Vertretern der verschiedensten Herrscherhuser und Adelsgeschlechter. Erlauchte Namen ausKirche und Politik werden aufgefhrt es ist eine lange Liste in den Bchern des Sacro Convento an derGrabeskirche des heiligen Franz zu Assisi. Aber auch Frauen und Mnner ohne Rang und Namen kommen

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    Josef von Copertino 16zu ihm. Fr alle hat er Worte des Lebens: Ermutigung und Ermahnung, Warnung und Tadel, Zuspruch undprophetische Weisung, Heilung in seelischen und krperlichen Leiden. Er vershnt Snder, gibt ZweifelndenFrieden, bert Hilfesuchende und bestrkt Fromme in ihrem Glauben. Wollte man alles aufzhlen, man k-me an kein Ende.

    Am 7. Juni 1646 kommt der Botschafter beim Vatikan, frher Vizeknig von Neapel, zu ihm. Pater Josefbegrt ihn als Marienverehrer in herzlicher Umarmung, fllt dabei in eine seiner Entrckungen und bleibtvor ihm einige Zeit reglos liegen. Als sie nach lngerem Gesprch in die Basilika gehen, um die Gemahlindes Botschafters zu begren, reit es den Pater empor er wird im Fluge zur Statue der Immaculata ge-tragen.

    Zahlreich sind Besuche aus Polen. Pater Josef hatte Kasimir Wasa die Knigswrde vorausgesagt. Durchsein Beispiel werden noch andere polnische Frsten zu Besuchen in Assisi angeregt. Genannt werden dieNamen Radziwil, Zamoiski und Lubomierski. Einer der Radziwils, Herzog Sigismund, stirbt bei seinem Be-such in Assisi.

    Der Herzog von Braunschweig-Lneburg, Johann Friedrich von Sachsen, wird, obwohl evangelischenGlaubens, durch andere deutsche und sterreichische Adlige angeregt, mit dem berhmt gewordenenMnch in Assisi zu sprechen. Diese Gesprche im Jahr 1651 werden fr ihn der Ansto seiner Konversionzum katholischen Glauben.

    Andere schreiben an Pater Josef, zum Beispiel die Infantin Maria von Savoyen und eine ganze Reihe vonBischfen, auch aus dem Ausland, wie der Bischof von Krakau und der Bischof der unierten orthodoxenKirche von Kiew. Unter den Kardinlen hat der Copertiner Vertraute, Kardinal Benedetto Odescalchi ist uns

    schon begegnet. Der wird im Jahre 1676 unter dem Namen Innozenz XI. Papst, und zwar der bedeutendsteseines Jahrhunderts.48 Er stirbt 1689. Reformstrenge, Standhaftigkeit gegenber dem Absolutismus KnigLudwigs XIV. von Frankreich und makellose Ehrenhaftigkeit zeichnen ihn aus wirkt in ihm der Geist desschlichten Franziskaners weiter, den er als Kardinal seinerzeit in Assisi besucht hatte? Jedenfalls ist es gut,auf diesen groen Papst hinzuweisen, ehe nun von einem seiner Vorgnger, Innozenz X. (1644-1655), dieRede sein mu.

    Erneute Verbannung

    Am Morgen des 23. Juli 1653 findet der stille Dienst des Franziskaner-Minoriten in Assisi ein jhes Ende.Pater Josef wird nach der heiligen Messe ins Sprechzimmer gerufen. Man kann sich seinen Schrecken vor-stellen: Statt eines Ratsuchenden wie sonst erwartet ihn der General-Inquisitor von Umbrien mit Sekretrund vier Polizeisoldaten und erffnet ihm den Gerichtsbeschlu des Heiligen Offiziums, ihn von seinem Or-

    den zu trennen und in einem abgelegenen Kapuzinerklsterchen zu internieren ad tempus, wie es heit,fr einige Zeit. Wie vom Donner gerhrt, steht der Gemaregelte da, geistesabwesend, auerstande, auchnur ein Wort zu sagen. Als ihn sein Oberer an das Gelbde des Gehorsams erinnert, wirft er sich vor demInquisitor zu Boden und lt sich wie ein Strfling ohne Widerspruch abfhren. Grandi bersetzt aus demWerk Pariscianis:

    Er trug nichts am Leibe als seinen Ordenshabit. An den Fen hatte er blo die Sandalen, die er nur imHause zu tragen pflegte. Hut, Brille, Schuhe und Brevier lagen in seiner Zelle, und er hatte sie zum letztenMal gesehen. Mit einer stummen Geste bat er den Kustos, der ihn ebenfalls stumm ansah, um seinen Se-gen. Noch ein letzter Blick auf die untere Basilika, wo der Leib des heiligen Franziskus ruht, der ihn durchvierzehn Jahre und drei Monate getrstet und gestrkt hatte, und der Wagen setzte sich in Bewegung, ei-nem unbekannten Ziel entgegen. Man fuhr in nrdliche Richtung ...

    Nach einer eintgigen Rast im Dominikanerkloster von Citt di Castello nherte sich das Gefhrt derBergkette des Apennin. Dort traten Maultiere und eine Snfte an die Stelle des Wagens. In der Nacht vom

    25. zum 26. Juli schliefen sie in Belforte am Flusse Isauro, im Palast des Statthalters Bernardino Bernardi.Dort lag ein kleines Mdchen an Fieber schwer krank darnieder. Durch das Gebet und die AnweisungenPater Josefs wurde es geheilt. Die Nachricht davon brachte das Dorf in Aufruhr.49

    Einen anderen Kranken segnet der wie ein Verbrecher abgefhrte Ordensmann, ohne ein Wort zu sagen,und der Kranke erhebt sich gesund. Seine Bewacher wundern sich ber seine unerschtterliche Geduld undGte. Endlich gelangt man ans Ziel der Reise, zur Einsiedelei San Lorenzo bei Pietrarubbia, am BergCarpegna westlich von Urbino. Man bergibt den Gefangenen dem Guardian des Klosters, Pater Giambat-tista da Montegrimano, mit strengen Weisungen:

    Verbot, die Zelle zu verlassen, auer zur heiligen Messe.Verbot aller Auenkontakte, auch aller schriftlichen, auch eigens erwhnt! mit Kardinlen.Verbot, Briefe zu schreiben und zu empfangen, und dies alles unter Androhung der Strafe der Exkommu-

    nikation.Der Inquisitor verlangt noch, den Provinzoberen der Kapuziner zu sprechen, doch vergeblich; er zieht mit

    der Wachmannschaft wieder ab. Und da war nun der weithin berhmte Wundertter, der Ratgeber und Hel-fer so vieler Menschen.

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    Josef von Copertino 17Unterscheidung der Geister

    Hatte sich Pater Josef auch nur des geringsten Vergehens schuldig gemacht? Hatte das Inquisitionsgerichtzu Neapel fnfzehn Jahre vorher nicht alle Vorwrfe und Anklagen streng genug geprft und als unbegrn-det abgewiesen? Wie konnte das Heilige Offizium das Ordensleben eines offensichtlich lauteren Priesterszu einem Gefngnisaufenthalt machen und ihn zu diesem Zweck auch noch von der vertrauten Gemein-schaft seines Ordens trennen? Und das ohne Anhrung des Angeklagten, ohne Angabe der Grnde! Ist dasnicht grausame seelische Qulerei? Mu sich darber nicht jeder rechtlich Denkende empren?

    Und Josef von Copertino selbst?Der Erklrungsversuch, Josef habe sich in Assisi nicht an die Auflagen des ersten Inquisitions-Prozesses

    gehalten, mu klglich scheitern, auch der ablenkende fromme Hinweis, der Mystiker habe doch selbst vomLrm der Welt abgeschieden und getrennt leben wollen, um in seiner Gebetsruhe nicht gestrt zu werden.Richtig daran ist nur, da er in der Schule Gottes, seines, wie er ihn nannte, Novizenmeisters, reifte:Diesmal fgt er sich ohne uere Klage und offenbar auch ohne inneres Hadern. Er sieht in dieser Entwick-lung eine Gelegenheit, noch innerlicher zu werden, sich in Geduld und Demut zu bewhren und zu Gottaufzusteigen. Aber das alles kann das schreiende Unrecht, das hier einem der groen Wehrlosen der Ge-schichte50 geschieht, nicht erklren, geschweige denn rechtfertigen.

    Dazu sei hier ausdrcklich wiederholt, was Walter Nigg bei seinen kritischen Fragen anmerkt: Pater Josefhat sich nicht emprt oder ber diese Ungerechtigkeit beklagt so drfen wir es auch nicht tun, oder wirwerden seinem Geiste untreu51.

    Die amtliche Begrndung nach auen und der Zusatz, der Gesprche und Briefwechsel mit Kardinlenausdrcklich verbietet, sind entlarvend genug: hier sind massive ngste und machtpolitische Intrigen imVatikan selbst im Spiel, in einem eigenartigen gegenseitigen Zusammenspiel.

    Es beginnt damit, da der Zustrom von Menschen nach Assisi immer mehr anschwillt, darunter von in Kir-che und Gesellschaft mageblichen Leuten. Vor allem die vertrauten Beziehungen von Kardinlen zu demeinsamen Mnch in Assisi erregen bei Hofe Aufsehen und Besorgnis wird da nicht ber den nchstenPapst verhandelt? Hat der Copertiner nicht dem Bischof von Camerino, Emilio Altieri, vorausgesagt, er wer-de Papst (spter wurde er es tatschlich: Klemens X., von 1670 bis 1676)? Aufregung verursachte vollendseine miverstndliche (oder miverstandene und entstellte?) uerung Pater Josefs ber den Nachfolgerdes regierenden Papstes Innozenz X; man deutete sie als Prophezeiung seines baldigen Todes (derPamfili-Papst starb 1655). Der Papst galt als strenger Jurist und unberechenbar und wute das hattensich Bischfe und Kardinle beim Copertiner ber ihn beklagt?

    Dazu kommt noch ein in ganz Italien bekannter Skandal: Dieser Papst stand so sehr unter dem Einflu

    seiner Schwgerin Olimpia Maidachini, da sie in Rom offen als die Papessa verhhnt werden konnte. Mitihrer malosen Herrschsucht erfllte sie den Vatikan mit Intrigen, Geznk und Machtkmpfen eine derabschreckendsten Frauen des damaligen Roms.52 Kein Zweifel, da Josef von Copertino, der seine Mah-nungen und Weisungen ohne Ansehen der Person uerte, zu diesem offenen Skandal der Kirche seineMeinung deutlich gesagt haben wird und da das am ppstlichen Hof hinterbracht wurde.

    Dazu kamen schlielich auch Rangeleien und Eiferschteleien um seine Person selbst und bevorzugteBesuche bei ihm. Das fhrte sogar zu diplomatischen Belastungen, Assisi liegt auf dem Gebiet des Vatikan-staates. Die Herzogin von Mantua zum Beispiel war bei Josef von Copertino, also mute die von Parmaebenfalls zu ihm drfen, um sich dieses Wunder des Jahrhunderts anzusehen. Als die Nachricht eintrifft,da auch noch die Kaiserin Elenore sich mit dem guten Pater aussprechen wollte, fllt die Entscheidung desHeiligen Offiziums.

    Beim Versuch, die Verantwortlichen zu verstehen, sehen wir uns an solche und hnliche leidvolle Erfah-rungen der Kirche verwiesen: Wie vorsichtig mu sie bei auergewhnlichen Phnomenen vorgehen, wie

    schwierig erweist sich immer wieder Unterscheidung und Scheidung der Geister. Es gibt keinen Heiligen,der mehr als er [Josef von Copertino] die Menschen in dem, was ihnen gewohnt ist, in Verwirrung bringt.53Die Gefahr alles Auergewhnlichen, die Sensationsgier der Schaulustigen ist gerade im Leben dieses Mys-tikers greifbar. Dazu kommen die Furchtgefhle, die alles unmittelbare Aufscheinen des Numinosen hervor-ruft, das Erschreckende und fr den Menschen Beunruhigende, ja Unheimliche in den Phnomenen, die dasgreifbar wirkliche Handeln Gottes auslsen kann. Walter Nigg spricht in diesem Zusammenhang von derAngst vor dem realen Heiligen.54

    Jedenfalls