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„Benetton war ein Glücksfall für die Fotografie- Geschichte“

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„Benetton war ein Glücksfall für die Fotografie-Geschichte“

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“Benetton is a stroke of luck for photography history”

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Woher kommt deine Leidenschaft für Plakate?

Ich habe vor langer Zeit ein McDonald’s-Plakat geschenkt bekommen. Da war ein Jungedrauf, der lachte und hatte eine Pommes im Mund.Da habe ich zum ersten Mal einen Unterschiedgesehen, wenn du etwas aus dem öffentlichenRaum in deinen intimen Privatraum transferierst.Das hatte plötzlich eine solche Kraft, auf die manreagieren muss. Und die Basis von allen Plakaten,die ich seitdem sammle, muss immer eine Fotogra-fie sein. Mit Kunst hatte ich früher ja überhauptnichts zu tun. Ich hatte Mitte der Siebziger eineLehre zum Werbefotografen gemacht und bin 1977nach Kanada ausgewandert. Dort habe ich eineFotografie-Ausstellung gesehen mit Arbeiten vonAugust Sander, Robert Frank, Walker Adams undEugène Atget. Die Präsentation hat meine Sichtauf die Fotografie grundlegend geändert, ich warvollkommen verwandelt. Da habe ich mir meineNikon genommen und habe mich in Ottawa zumersten Mal getraut, auf die Straße zu gehen und zufotografieren. Und auf diesen Bildern waren auchschon ein paar Plakatwände drauf zu sehen.

Du warst Fotograf, hast aber nie Fotos auf der Straße gemacht?

Nein. Ich habe in einem wirklich großenStudio gelernt und ich hatte das Studio auch zu ver-treten. Für Estée Lauder haben wir eine Werbunggemacht. Dann sagte mein Lehrmeister zu mir: „Geh mal mit der Hasselblad auf die Straße undmach einen Beleg von so einem Plakat.“ Da habeich mich geschämt. Ich dachte: Wenn dich ein Kol-lege sieht, wie du vor so einer blöden Plakatwandstehst.

Weil es zu profan war?

Ja, das war gegen die Ehre. Wir hatten einen Standard und mussten darauf achten, im-mer nur das Beste abzugeben. Nach drei JahrenWerbefotografen-Lehre bist du so konditioniert,dass du alles unter Kontrolle haben musst. Und aufder Straße spricht dich vielleicht jemand an, dannkommt ein Auto oder ein Fahrradfahrer oder esguckt dir einer zu. Deswegen war mir das so pein-lich, auf der Straße zu fotografieren und eventuellvon einem Kollegen dabei gesehen zu werden.

Welch’ Ironie, dass ausgerechnet Plakat-wände zu deinem Thema geworden sind.

Mich hat dieses „Bild im Bild“ interes-siert, das Plakat im Kontext der urbanen Szenerie.Das war anfangs aber noch nicht konzeptionell,sondern nur ein emotionaler Zugang. 1979 bin ichdann zurück nach Köln gekommen und habe be-schlossen, freie Fotografie zu machen und nichtmehr in die Werbung zurückzuwollen.

Nun war die Fotografie noch nicht in der Kunst angekommen.

Klaus Honnef hatte mit der Documenta1977 die Fotografie ins Zentrum gerückt, aberdurch die Neue Malerei war das schnell wieder vor-bei. Die Konzeptionisten haben natürlich schon Fo-tografie genutzt, aber das war für sie ein dienendesMedium. Ich war damals schon davon überzeugt,

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Ein Gespräch

mit/A conversation

withMax Regenberg

Max Regenberg fotografiert seit fast40 Jahren Werbeplakate im öffentlichenRaum. Beim Photoszene-Festival ist ergleich mit zwei Ausstellungen vertreten:

Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur zeigt einen Überblick

über sein Werk, die Photoszene-Kuratoren Katja Stuke und Oliver Sieber

präsentieren vier Arbeiten aus seinerDokumentation der Benetton-Kampagne

– natürlich auf Plakatwänden.Außerdem öffnet der 65-Jährige

sein privates Benetton-Archiv für dieBesucher. Damian Zimmermann sprach

mit Regenberg über die visuelle Kraftvon Werbeplakaten, die Umkehrung

des New Topographics-Begriffs und diepolitisch-gesellschaftliche Dimension

von Oliviero Toscanis Benetton-Anzeigen.

/

Max Regenberg has been photographingadvertising posters in the publicspace for almost 40 years. He is

represented at the Photoszene festivalwith not one, but two exhibitions: The

Photographische Sammlung/SK StiftungKultur is showing an overview of his

oeuvre; Photoszene curators Katja Stukeand Oliver Sieber are presenting fourworks from his documentation of theBenetton campaign – on poster walls,of course. The 65-year-old is openinghis private Benetton archive to visitors

in addition. Damian Zimmermann spokewith Regenberg about the visual impactof advertising posters, the inversion ofthe New Topographics concept and the

socio-political dimension of OlivieroToscani’s Benetton advertisements.

dass die Fotografie einen Boom erleben wird. Undich habe gesehen, dass in der Werbung Sachenpassierten. Und alles basierte auf Fotografie. Aberes waren eben keine Fotografen, die Kunst mach-ten, sondern Werbeleute.

Bis heute wird die Position vertreten, dass die Fotografie für Familienschnappschüsse und für die Werbung taugt, nicht aber für die Kunst.

Ich habe das genauso wahrgenommenund gleichzeitig gesagt: Das wird arbeiten, da pas-siert etwas. Die Werbeleute werden die Grundlagedafür legen, dass die Gesellschaft die Fotografie ak-zeptieren wird. Damals fing die Visualisierung an,fand die Schulung statt. Du kannst dir nicht vorstel-len, was in den achtziger Jahren alles an Werbungauf der Straße zu sehen war: Selbst die kleinsteBoutique entwickelte damals eine ganz eigene Bild-sprache, die nicht abgeglichen war mit der der Gro-ßen. Die haben einfach ihr Ding gemacht. Und dasmusste ich festhalten, weil das sonst keiner mach-te. Ich habe für meine Arbeit unheimlich lange Ab-lehnung erfahren. „Wie, du sammelst Werbung?“,wurde ich gefragt. Das war ein Tabu, Werbung warder große Manipulator. Ich habe aber immer dasMedium gesehen. Dass die manipulieren, ist nichtwegzureden, aber trotzdem passiert da etwas fürdas Medium Fotografie und es wird eine Akzeptanzentstehen. Und Köln war damals zugepflastert mitWerbung. Es gab allein hier 8.000 Großflächen.

Und dann hast du angefangen, die Plakate zu sammeln.

Natürlich gab es auch andere, die gesam-melt habe, z. B. das Plakatmuseum.Aber ich wollte dem Archiv des Museums auchmeine private Sicht entgegensetzen. Ich sehe ja an-dere Zusammenhänge als ein Kunsthistoriker. Mirwar z.B. immer die Werbung von Marlboro wich-tig, dazu habe ich auch ein eigenes Buch gemacht,weil ich damals gesehen habe: „Mensch, das istdoch alles im Westen!“ Gerade diese westlichenLandschaften der USA wurden in der Mitte des 19.Jahrhunderts durch Expeditionen von Landver-messern und von Fotografen erschlossen. Das da-mals noch sehr junge Medium Fotografie war einelementarer Faktor, den gesamten Westen, dieseunberührte erhabene Landschaft, zu verbildlichen.Mit diesen Fotos wurde dann an der Ostküste derUSA bei Immigranten mit der Schönheit und ver-heißungsvollen Fülle des Westens geworben, damitsie getreu der Manifest Destiny aufbrechen, dasLand erobern und bewirtschaften. Streng genom-men waren diese frühen Landschaftsaufnahmenschon Werbebilder. Aber genau mit diesen Land-schaften haben wir in Europa gar nichts zu tun, aberMarlboro hat mit ihnen richtige Bildorgien gefeiert.Und natürlich kannte ich auch den Begriff der NewTopographics.

Du hast den Inhalt der New Topographics umgedreht: Statt die Spuren der Zivilisa-tion in der Landschaft zeigst du, wie die Werbeindustrie mit der romantischen Landschaft im längst zerstörten urbanen Raum spielt.

Ja, ich habe mich immer gefragt, wie essein kann, dass die Kunst den Landschaftsbegriff

Passage am/at Ebertplatz 50668 Köln

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anders aufzäumen will, damit wir ihn endlich malanders sehen, und diese Werbeleute haben eineMacht und setzen das alles wieder ins Gegenteilum. Da werden Machtverhältnisse auch wiederdeutlich. Die können weltweit einen solchen Be-griff auf eine Nulllinie bringen. Es gab in den USAja auch schon früh eine Umweltbewegung, die dieZerstörung der Landschaft thematisiert hat – unddann feiert die Werbung das romantische Heile-Welt-Bild und bringt das auch noch zu uns nachEuropa.

Welche Bedeutung hat die Benetton- Kampagne für dich?

Die Benetton-Kampagne ist ein Glücksfall für dieFotografie-Geschichte. Das fing Mitte der 1980erJahre mit Anzeigen mit fröhlichen jungen Men-schen an, aber schon da gab es gesellschaftlicheAnspielungen wie den Ost-West-Konflikt oder Ras-sen- und Kulturunterschiede. Anfang der 1990erging es dann aber richtig los, als Toscani plötzlichjournalistische Fotografien anderer verwendeteund damit in den Grenzbereich zwischen Journalis-mus und Kunst gegangen ist. Da habe ich gesehen,dass Oliviero Toscani Benetton benutzt hat, umwichtige gesellschaftliche Themen in die Gesell-schaft zu tragen. Und das in 100 Ländern gleich-zeitig. So viele Kunstausstellungen kannst du garnicht machen, um so viele Menschen zu erreichen.Und gleichzeitig hat er eben auch ganz viel für dasMedium Fotografie gemacht.

Wie siehst du den Zusammenhang zwi-schen deiner Arbeit mit der Benetton-Kampagne und dem Thema des Photoszene-Festivals „Innere Sicherheit / The State I Am In?“ Inwiefern bedrohen die Anzeigen die Innere Sicherheit, oder was haben diese Plakate mit den Menschen gemacht?

Wenn du davon ausgehst, dass diese Bil-der im Stadtraum waren, dann hat das mit den Leu-ten etwas gemacht. Das Bild mit der Kinderarbeitan der Widdersdorfer Straße in Köln z.B. Als ich

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das Plakat abfotografiert habe, kam einer vorbeiund wollte mich verprügeln. Der hat tatsächlichgedacht, ich wäre von Benetton. „Ich hau dir gleichauf die Fresse. Wie kannst du so etwas auch nochfotografieren. Du bist doch pervers.“ Daran habeich gesehen, dass das wirklich provoziert hat. Diehaben immer gedacht, ich wäre ein Handlangervon Benetton und wäre beauftragt worden, das zudokumentieren.

Das ist eine typische Reaktion der Men-schen. Allein die Tatsache, dass man sich mit diesem Thema beschäftigt, finden viele Menschen verdächtig und lehnen es ab.

Exakt. Wer das abbildet und es multipli-ziert, der kann nur etwas damit zu tun haben undfindet das auch gut. Aber natürlich bringen dieBenetton-Motive eine gewisse Verunsicherung inden öffentlichen Raum. Zumindest damals. Heuteist das nicht mehr möglich, denn die Fotografie istdermaßen egalisiert. Du musst heute schon wirk-lich jemanden schockieren, um Aufmerksamkeitzu bekommen und Empörung zu verursachen. *

Es gab letztes Jahr das Foto vom toten Flüchtlingsjungen am Strand. Das Thema war schon seit Wochen in den Medien, aber plötzlich kommt dieses verhältnis-mäßig harmlose Foto und löst eine riesige Empörungswelle aus. Gleichzeitig haben Hilfsorganisationen zehnmal so viele Spen-den wie üblich bekommen. Das Foto hat also etwas ausgelöst.

Aber bei Benetton steckte eine ganze Fir-ma dahinter. Hier geht es um Ökonomie. LucianoBenetton ist ja kein Samariter. Toscani argumen-tiert damit, dass er die Möglichkeit bekommen hat,gesellschaftlich relevante Bilder zu kontextualisie-ren. Und zwar weltweit und noch vor der digitalenVerbreitung und alles zur gleichen Zeit. Und dassalle gleich gesehen werden, egal ob Deutsche,Franzosen, Japaner oder Amerikaner. Wir schauenalle auf die gleichen Bilder. Wir werden uns über

die Werbeplakate aneinander anglei-chen. Den Anspruch, den die Kunsthat, nämlich einen Einfluss in dieGesellschaft zu haben, hat sie nie er-reicht.

Dann kommen wir zu der Lesbarkeit von Fotografie und von Bildern. Das ist aber nur machbar, wenn die Botschaft nicht zu komplex ist. Wenn sie zu komplex ist, wird sie eben doch nicht mehr in Japan und in Deutschland verstanden.

Richtig. Aber irgendwannhaben wir ein Level erreicht, wo dugleichgeschaltet bist. Wenn dir daslange genug vorgesetzt und du damitgefüttert wirst, wird eine Gewöhnungoder ein Erkennen einsetzen. In Ara-bien gibt es ja noch viele Tabus inBezug auf nackte Haut. Aber wennman das langsam, aber stetig macht,dann wird das dort irgendwann auchso verstanden wie bei uns. Die Un-ternehmen sind daran interessiert,dass ihre Werbung überall verstandenwird. Marlboro hat da eine relativ ein-fache Kampagne gehabt. Die Kunstwünscht sich das, die Musik brauchtdas nicht so.

Kurz vor Drucklegung von„L. Fritz“ No. 3 hat die„Abteilung Motivgeneh-migung“ der Firma Ströer,auf deren Plakatflächen amEbertplatz Max Regenbergseine Fotos der Benetton-Kampagne zeigt, sein Foto„Zum Tode verurteilt“ „auf-grund der derzeitigen politi-schen Lage abgelehnt“.

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