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Die primär funktionell-konservativeTherapie der fibularen Erstruptur mitder MHH-Caligamed®-Knöchelschie-ne ist bis auf wenige Restindikationendie Behandlung der ersten Wahl. Hier-für sprechen 5 wesentliche Argumente:

1. experimentelle Studien,2. prospektiv-randomisierte Studien,3. klinische Erfahrungen (> 10 Jahre),4. Kosten und5. Patientenrisiko und -vorteil.

Experimentelle Studien

Am Knieinnenband (MCL) des Kanin-chens, das als experimentelles Modellfür ein Kollateralband in der interna-tionalen Literatur anerkannt ist, konntemit einem neu entwickelten dynami-schen Gelenk-Band-Streß-Gerät nach-gewiesen werden, daß die Naht einesdurchtrennten (2 mm spontane Diasta-se) MCL die Gelenkstabilität gegen-über einem nicht-genähten Band nichterhöht [7]. Nur bei zusätzlicher Resek-tion von 10% der gesamten Bandlänge(3 mm Exzisat) konnte eine signifikan-te Instabilität (Gruppen E, F, Abb.1a,b)nachgewiesen werden. In einer weite-ren analogen Studie [4] konnte licht-und elektronenmikroskopisch sowieanhand von Kollagenfibrillendurch-messermessungen gezeigt werden, daßUnterschiede in der Bandheilung im

wesentlichen nicht durch Naht oderNichtnaht, sondern durch die Art derNachbehandlung, immobilisierend oderfunktionell, gegeben sind. So sind dieKollagenproduktion, die parallele Faser-ausrichtung und die Dichte der Kolla-gen-III-Fibrillen-Bündelung bei reinfunktioneller Nachbehandlung gegen-über Immobilisation deutlich erhöht(Tabelle 1).

Die Naht selbst (5 × 0-PDS-Einzel-knopfnaht) irritiert die ligamentäre Hei-lung durch Ablenkung der parallelen Fa-serausrichtung (Abb.2) mit Provokationvon Fremdkörperriesenzellen und zu-sätzlicher Ausbildung von Knorpelzell-Clustern. Dagegen sind rein funktionellbehandelte Ligamente nach 6 Wochenmorphologisch kaum von einem gesun-den Kollateralband zu unterscheiden.

Andere experimentelle Untersuchun-gen zur histochemischen, histologisch-physiologischen und biomechanischenBandheilung [1, 3, 6] bestätigen die ein-deutige Überlegenheit der funktionellenBehandlung.

Prospektiv-randomisierte Studien

Neben anderen prospektiv-randomi-sierten Studien (zitiert in Zwipp et al.[10]) hat die erste deutschsprachigeStudie bis hin zur 5-Jahres-Kontrolle[9, 10] erstmals an 200 Patienten denBeweis erbracht, daß die Bandnaht beifibularer Erstruptur der primär funk-tionellen Behandlung mit der MHH-Knöchelschiene nicht überlegen ist(Abb.3, 4). In der 3-Monats-Kontrolle

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S169–S172 © Springer-Verlag 2000

Fibulare BandrupturNaht oder konservative Therapie?

H. Zwipp, C. Dahlen, R. Grass, S. RammeltKlinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Technische Universität Dresden

Prof. Dr. H. Zwipp, Klinik und Poliklinik fürUnfall- und Wiederherstellungschirurgie, Tech-nische Universität Dresden, Fetscherstraße 74,D-01307 Dresden e-mail: [email protected], Tel.: 0351-4583777, Fax: 0351-4584307

S169

Zusammenfassung

Die primär funktionell-konservativeBehandlung mit der MHH-Caliga-med®-Knöchelschiene bei fibula-rer Erstruptur kann erwiesener-maßen als Behandlung der 1. Wahlgelten. Nur in 1–10% aller Fälleist vor der funktionellen Nachbe-handlung eine Operation notwen-dig. Dies wird durch 5 Fakten be-legt: 1. durch eigene und andereexperimentelle Studien, 2. durch ei-ne eigene prospektiv-randomisier-te klinische Studie mit bis zu 5-Jah-res-Spätergebnissen, gestützt durch9 andere internationale Studien, 3. durch die über 10jährige Be-obachtung der primär funktionel-len Behandlung seit 1987 in mehrals 2500 Fällen und einer beobacht-baren Rerupturrate von < 2%, 4. durch enorme Kosteneinsparun-gen im Gesundheits- und Sozial-wesen mit etwa 1/3 Mrd. DM/Jahrund 5. durch ein Minimum an Risi-ken für den Patienten bei gleich-zeitigem Maximum an Vorteilen.

Schlüsselwörter

Fibulare Kollateralligamente · Fi-bulare Erstruptur · Naht · Funktio-nell-konservative Behandlung

BEHANDLUNGSVERFAHREN

fanden sich sogar signifikant bessereWerte in der funktionellen Gruppe Dfür die Beweglichkeit der Dorsalflexion,für die Supinationskraft und die Koor-dination bei gleichzeitig signifikantschlechteren Werten für die Pronations-kraft in den immobilisierten GruppenA und C. Diese nach 12 Monaten nichtmehr beobachtbaren Unterschiede kön-nen besonders für aktive Sportler im

Sinn der rascheren Rehabilitation vonBedeutung sein.

Verkürzte Wiederherstellungspha-se, fehlendes Operations- und Narkose-risiko, rein ambulante Behandlungs-möglichkeit, verkürzte Arbeitsunfähig-keitsperiode von 20,3 Tagen sowie derzusätzliche Patientenkomfort mit derMHH-Knöchelschiene sind die nichtwiderlegbaren Vorteile der primärfunktionellen Behandlung.

Klinische Erfahrungen (> 10 Jahre)

Nach Vorliegen der 1-Jahres-Ergebnisseder prospektiv-randomisierten Studie[9] wurden in der Unfallchirurgischen

Klinik der Medizinischen HochschuleHannover im folgenden Jahr 1988 ins-gesamt 286 Patienten primär funktio-nell-konservativ und nur 12 Patientenoperativ behandelt. Damit wurde dieerwartete Zahl von 10% Restindikatio-nen mit nur 5% deutlich unterschritten.

Als Restindikationen gelten:

1. Luxatio pedis cum talo/supinatoria(> 40° Taluskippung),

2. additive Taluskantenfraktur,3. dislozierter knöcherner Bandausriß,4. offene Ruptur,5. gespanntes Hämarthros.

An der Unfallchirurgischen Klinik desUniversitätsklinikums der TU Dresden

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BEHANDLUNGSVERFAHREN

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S169–S172© Springer-Verlag 2000

Rupture of the fibular collateral ligaments.Suture or non-operativetreatment?

H. Zwipp, C. Dahlen, R. Grass, S. Rammelt

Abstract

Primary conservative functionaltreatment with the MHH Caligamed ankle orthosis can be con-sidered the treatment of choice inacute fibular collateral ligamentruptures. Operative treatment withfunctional follow-up therapy is in-dicated in only in 1–10% of cases.The efficacy of this conservativemethod is supported in five ways:(1) our own and others’ experimen-tal data, (2) our own prospectiverandomized study with 5-year re-sults supported by nine other inter-national studies, (3) more than 10years’ experience with primaryfunctional treatment since 1987 inmore than 2,500 cases, with an ob-served rerupture rate of less than2%, (4) enormous present reduc-tions in German state health and so-cial expenditures estimated at one-third of a million deutschmarks an-nually, and (5) a minimum of pa-tient risk combined with a maxi-mum of therapeutic advantages.

Key words

Fibular collateral ligaments · Pri-mary lateral ankle ligament rup-ture · Suture · Conservative func-tional treatment

Tabelle 1Zusammenfassung der wesentlichen Licht- und Elektronentransmissions-befunde und der Kollagenfibrillendurchmesserbestimmung nach 10, 21und 42 Tagen bei MCL-Kaninchen (n = 32), aus Jansen [4]

Befunde Funktionell Immobilisierend

Kollagenproduktion Zunahme AbnahmeParallele Faserausrichtung Zunahme AbnahmeDichte Bündelung (Kollagen III) Zunahme Abnahme

Abb.1a, b. Tierexperimentelle Studie zur Bandheilung am Knieinnenband des Kaninchens, a 6Gruppen mit differenzierter Behandlung, in den Gruppen E, F wurde nicht nur durchtrennt, sondern3 mm des Ligaments reseziert; b signifikant schlechtere Werte nur in den Gruppen E, F, schraffier-te Balken Gelenkstabilität, weiße Balken Bandsteifigkeit, schwarze Balken Reißfestigkeit, karierteBalken Laxität (initial)

Gruppe A Gruppe B Gruppe C

Gruppe D Gruppe E6/12

Gruppe F

[%] 120

100

80

60

40

20

0

1

[P]2

3

contr

contr

A B C D E F G[Gruppe]

a

b

wurden von Oktober 1993 bis Dezem-ber 1997 insgesamt 789 frische fibulareBandrupturen mit der MHH-Knöchel-schiene Caligamed® primär funktionellbehandelt. Im gleichen Zeitraum wur-den nur 7 Patienten operativ versorgt,so daß im eigenen Krankengut eineRestindikation von nur etwa 1% stati-stisch beobachtbar ist. Das heißt, 99von 100 Patienten wurden nicht unnötigoperiert, zumal die Rerupturrate mit < 2% den operativen Erfahrungen ent-spricht [8].

Argumentativ kommt hierzu die Erfahrung in der bandrekonstruktivenChirurgie des OSG, daß 1–2 Jahre nacheiner fibularen Bandruptur in nahezuallen Fällen eine anatomische, direkteBandrekonstruktion gelingt. Das heißt,potentielle Versager der primär funktio-nellen Therapie können danach erfolg-reich sekundär anatomisch rekonstru-iert werden, d. h. ohne bandplastischeMaßnahmen im Sinn einer Tenodesemit Einschränkung der supinatorischenBeweglichkeit.

Kosten

Da nach der Rehabilitationsstatistik 85[2] noch 13.554 Patienten stationär ope-rativ mit einer Liegezeit von 12,6 Ta-gen statistisch besser erfaßt wurden alsheute bei zunehmend sich durchsetzen-der ambulant funktionell konservativerTherapie, kann bei fehlenden Angabenaus den neuen Bundesländern nur ap-proximiert werden, daß jährlich etwa50.000 fibulare Erstrupturen zu behan-deln sind. Selbst bei nur 2tägiger sta-tionärer Behandlung zwecks Operationwürden allein die medizinischen Ko-sten/Patient mit einer Differenz von1000 DM/Behandlungsfall mindestens50 Mio. DM bei Operation bedeuten.Dazu kommen sozioökonomische Ko-sten für Krankheitsausfall, Rehabili-tationsmaßnahmen usw. von etwa 250 Mio. DM bei verlängerter Arbeits-unfähigkeitsperiode von 20,3 Tagen(entsprechend 5000 DM/Behandlungs-fall). Nicht nur den Patienten, sondernauch den Kassen im Gesundheits- undSozialwesen kommt jede Entscheidungzum funktionell konservativen Thera-pieregime entgegen.

S171

Abb.2. a Gruppe IV (operativ funktionell), 3 Wochen postoperativ, weitgehend parallelfaserig ver-laufendes Narbengewebe, von Fadenlöchern (FL) durchsetzt, PDS-Faden wurde in 100% Toluol her-ausgelöst, Kollagenfasern in ihrer Ausrichtung entlang der Achse der Bänder gestört (gebogene Pfei-le), Fadenkanäle einseitig von lockerer Zellanordnung umgeben (Pfeil); Toluidinblaufärbung, Ver-gr. 126:1; b Gruppe I (operativ immobilisierend), 6 Wochen postoperativ, Fadenloch (FL) von Nar-bengewebe umgeben: in Fadenkanalnähe Fremdkörperriesenzellen (R), Toluidinblaufärbung, Ver-gr. 320:1; c Gruppe IV (operativ funktionell), 6 Wochen postoperativ, Narbengewebe mit Fadenloch(FL): Knorpelzellen und Knorpelzell-Cluster (K) in Fadenkanalnähe (FL), Toluidinblaufärbung,Vergr. 126:1; d Gruppe I (operativ immobilisierend), 6 Wochen postoperativ, Fadenloch (FL): ne-ben Fibroblasten in Fadenkanalnähe auch 6 Wochen postoperativ freie Zellen, Toluidinblaufärbung,Vergr. 800:1

a

b c

d

Patientenrisiko und -vorteil

Allein das allgemeine Narkoserisikomit Zwischenfällen bis hin zum tödli-chen Ausgang beträgt allgemein 0,1‰.Dieses Risiko kann dem Patienten beider funktionell konservativen Therapieabgenommen werden. Dazu kommtdie Vermeidung verschiedener Opera-tionsrisiken: 0–5% schmerzhafte Neu-rionombildungen, 0,2–0,7% Gelenkin-fektionen und bis zu 8% Wundhei-lungsstörungen [5].

Die Vorteile der primär funktionellkonservativen Therapie mit der MHH-

Caligamed®-Knöchelschiene sind un-bestritten. Eine Muskelatrophie wie bei5wöchiger Immobilisation im Gips-verband ist nicht beobachtbar. Durchdie limitierte Bewegungsmöglichkeitvon etwa 20° Plantarflexion in derSchiene werden Kapselschrumpfun-gen weitestgehend vermieden, dieKnorpeltrophik verbessert. Durch denvermeidbaren operativen Eingriff, dielimitierte Bewegung und die taktilenReize im Vorfußbereich zur Förderungdes Positionssinns kommt es zur ra-scheren Erholung der Propriozeption.Eine verkürzte Arbeits- und Sport-

unfähigkeitsperiode von 20,3 Tagen istnicht nur ein Vorteil für den Patienten,der in der Regel nach 8–10 Tagen Fahr-rad- und Autofahren kann, sondern auchfür Arbeitgeber, Krankenkassen unddie sozialen Kostenträger.

Provokatives Statement der Mini-Battle

99 von 100 Patienten, die Sie nicht um-sonst operieren, werden Ihnen danken,selbst der 100. Patient, sofern Sie ihn beikorrekter Restindikation gut operierthaben.

Literatur

1. Gamble IG, Edwards CC, Mac SR (1984) En-zymatic adaptation in ligaments during im-mobilisation. Am J Sports Med 12:221–228

2. Hauptverband der Gewerblichen Berufs-genossenschaften e. V., Berufsverband derUnfallversicherungsträger der ÖffentlichenHand e. V., Berufsverband der Landwirt-schaftlichen Berufsgenossenschaften e. V.(Hrsg) (1987) Reha 85: Rehabilitation undRehabilitationsstatistik in der GesetzlichenUnfallversicherung 1985. Hauptverband derGewerblichen Berufsgenossenschaften e. V.,Berufsverband der Unfallversicherungs-träger der Öffentlichen Hand e. V., Berufs-verband der Landwirtschaftlichen Berufs-genossenschaften e. V. Reha-Verlag, Bonn

3. Inoue M, Gomez MA, Hollis JM, Roux RD,Lee EB, Burleson EM, Woo SL-Y (1986)Medial collateral ligament healing: repair vsnon-repair, vol 11. Transactions of the 32ndAnnual ORS, New Orleans, La, p 78

4. Janssen A (1992) Einfluß verschiedenerTherapieformen auf die Heilung einer de-finierten Bandläsion am Beispiel des Liga-mentum collaterale mediale des Kaninchen.Medizinische Dissertation, MHH Hannover

5. Letsch R, Schmit-Neuerburg KP (1987)Operative Behandlung der Außenbandrup-tur am Sprunggelenk. Hefte Unfallheilkd189:1029–1030

6. Woo SL, Gomez M (1982) Mechanical prop-erties of tendon and ligaments and the rela-tionsship of immobilization and exercise ontissue remodeling. Biorheology 19:397–432

7. Zwipp H (1984) Die antero-laterale Rota-tionsinstabilität des oberen Sprunggelenkes.Habilitationsschrift, MHH Hannover

8. Zwipp H (1994) Chirurgie des Fußes.Springer, Berlin Heidelberg New York

9. Zwipp H, Tscherne H, Hoffmann R, Wipper-mann B (1986) Therapie der frischen fibu-laren Bandruptur. Orthopädie 15:446–453

10. Zwipp H, Gottschalk F, Tscherne H (1994)Die konservativ-funktionelle Behandlungdes Knöchelbänderrisses hat sich bewährt:5-Jahres-Ergebnisse. Med Orthop Tech 114:122–126

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BEHANDLUNGSVERFAHREN

Abb.3. Gesamtergebnisse der klinischen, prospektiv-randomisierten Studie (± 200 Punkte), Grup-pe A: operativ immobilisierend, Gruppe B: operativ funktionell, Gruppe C: konservativ immobili-sierend, Gruppe D: konservativ funktionell

Abb.4. Radiologische Stabilität: Taluskippung [°], Talusvorschub [mm], Gruppe A: operativ im-mobilisierend, Gruppe B: operativ funktionell, Gruppe C: konservativ immobilisierend, Gruppe D:konservativ funktionell