PER LA STORIA DELLA «LlBERTAS ECCLESIAE» · 2015. 10. 9. · OTTORINO BERTOLINI - OVIDIO CAPITANI...

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PER LA STORIA DELLA «LlBERTAS ECCLESIAE» A cura di ALFONSO M. STICKLER OTTORINO BERTOLINI - OVIDIO CAPITANI - HORST FUHRMANN MICHELB MACCARRONB - J. JOSEPH RYAN IX PONTIFICIO ArENEO SALESIANO • ROMA 1972

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PER LA STORIA DELLA «LlBERTAS ECCLESIAE»

A cura di

ALFONSO M. STICKLER

OTTORINO BERTOLINI - OVIDIO CAPITANI - HORST FUHRMANN

MICHELB MACCARRONB - J. JOSEPH RYAN

IX

PONTIFICIO ArENEO SALESIANO • ROMA 1972

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DIE KANONIKERREFORM IN ROM UNDPAPST ALEXANDER 11 (1061-1073)

TILMANN SCHMIDT

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Der Reform des priesterlichen Lebens kommt innerhalb derKirchenreform des 11. Jahrhunderts eine nicht geringe Bedeutungzu. Sind es doch gerade die Priester (I), auf die sich immer wie-der die besondere Aufmerksamkeit der Reformanhänger richtet,die wegen ihres ungeistliehen Lebenswandels in dieser Zeit scharfangegriffen werden, deren l\Ießfeiern beizuwohnen dem Volkwiederholt untersagt wird, gegen die es sogar, wie in einigenoberitalienischen Städten, zu geradezu revolutionären Aktionenunzufriedener Bevölkerungskreise kommt. Die hierbei auftre-tende Erneuerungsbewegung manifestiert sich einmal in derentschiedenen Ablehnung der verweltlichten Priesterschaft, aufder anderen Seite in der Hervorbringung neuer Formen religiösenLebens. Die priesterliche Reform in ihren verschiedenen Ausprä-gungen ist somit als Antwort auf die desolaten Zustände im Kleruszu verstehen; zugleich wurde damit ein Weg geöffnet, die Re-formideen in breitere Bevölkerungsschichten hineinzutragen,einVermittlungsvorgang, dessen Ablauf bei dem jetzigen Forschungs-stand im einzelnen noch nicht klar zu erkennen ist. Nur sovielsei zu diesem Problem hier vermerkt, daß das Reformpapsttum,der Hauptträger dieser Ideen, seine Aufmerksamkeit verhält-nismäßig spät den neuen Gründungen der Rcformkanoniker zuge-wendet hat. Wird auch der Lateransynode von 1059 in derGeschichte der Augustiner-Chorherren gern ein bedeutsamer Platzzugewiesen (2), da dort die Reform des kanonikalen Lebens,vor allem die Beseitigung der großzügigen Besitzbestimmungender sog. Aachener Regel von 816, zum ersten Mal von einer unter

(I) Vgl. C. MIRBT, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. (1894) S. 239fl., CII. DE-REINE, Art. Chanoi'les in: Diet. d'hist. et de glogr. eccl, 12 (1953) bcs. S. 375·405 und das Sam-melwerk: La vita comune del clero nei secoli X I e XII, Att! della settimana di studio, Men-dola 1959, 2 Dde. (1962), ferner C. D. FONSECA, Mrdioeuo canonicale (1970), bes. S.56fJ,

(2) Z.B. im Breve Johannes' XXIII. e Caritatis unitas t vom 4. Mai 1959, Acta Apo-stoliau Sedis 51 (1959) S. 630ff.; K. EGGER, Die Laieransynod« vom Jahre 1059 in: In unumwncregaJj 6 (1959) S. 46: e wichtigstes Ereignis ihrer gesamten Ordensgeschichte t; ein mehrzurückhaltendes Urteil bei A. FLICHE, La ri/or me gregorienne I (Spicileg. S. Lovaniens« 6,1924) S. 337.

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päpstlicher Leitung tagenden Kirchenversammlung gefordert wird,so sind doch ihre unmittelbaren Auswirkungen gering: Die Erneu-erungsbewegung des Kanonikerinstituts ging nicht von Romaus. Von den großen Reformkanonikergemeinschaften, die spätergleichsam als Kern ganzer Familien über ihren örtlichen Bereichhinaus Bedeutung erlangen konnten, fallen die Anfänge vonSt. Rufus in Avignon, S. Frediano in Lucca, S. Lorenzo in Oulxnoch vor die Lateransynode. Auf ihr vollzog sich die Verbindungder priesterlichen Erneuerungsbewegung mit dem politischenPapsttum, eine Verbindung, deren Folgen sich erst einige Zeitspäter in ihrer ganzen Tragweite offenbaren sollten.

St. Rufus und S. Lorenzo lassen einen weitgehend paral-lelen Gründungsvorgang erkennen. Hier wie dort treffen wir aufeine kleine Schar von Klerikern, die mit dem Wunsche, ein apostoli-sches Leben zu führen, in einem zerfallenen Kloster mit Unter-st ü tzung des Diözesan bischofs ein Kanonikerstift errichten woll-ten. In Avignon geschah das 1039, in Oulx um 1050. Von Schen-kungen an St. Rufus (3) erfahren wir erst einige Jahrzehntespäter. Seit ea. 1070 erfolgten sie in dichter Reihe durch Bischöfeund Laien der umliegenden Diözesen. Als Papst Urban H. (1088-1099), ein besonderer Förderer der Augustiner-Chorherren, dannum 1095 sein großes Privileg erteilte, war der Konvent von St.Rufus bereits im Begriffe, sich zu einer der bedeutendsten Kanoni-kerkongregationen zu entwickeln (4).

Die Präpositur von Oulx (Diözese Turin) (5) hat unter Ger-hard (t 1080), ihrem ersten Propst, einen raschen Aufschwunggenommen. Schon bald erfuhr sie Förderung durch die lokalenund die umliegenden Gewalten: Bereits nach wenigen Jahrenwaren aus der benachbarten Erzdiözese Embrun Zehntschen-kungen und Oblationen in solcher Zahl eingegangen, daß Erzbi-

(3) CH. DEREINE, Saint-Ruf et StS coutumes au% X I' et X I I' siicles in: Rev. Bin/d •.59 (1949) S. 161-182; D. DLIGNY, L'iglise d Its ordres ,eligitu% dans le royaume de Bou,gogneau% XI' et XII' siicles (1960) S. 223-227; A. HARDOUIN DUPARc, Un foyau de l'lglise d'Avi.gnon in: La vita comune ... 2, S. 11.5-128.

(4) Vgl. P. CLASSEM, Zu, Geschichte Papst Ana.stasius' IV. in: QFIAB 48 (1968) S. 38.

(S) F. SAVIO, Gli antichi vescovi d'ltalia dalle origini al 1300, Bd, 1: 11 Piemonte (1899)S. 349; P.F. KEHR, IP VI 2, S. 130f.; DLlGNY, S. 217-221; M.A. BENEDETTO, La collegiaia diS. Loreneo tl'Oulz, in: Mona.sttri in alta Italia dopo le invasioni sa,aune e magia,e (sec, X·XII),Rela.rioni e comunicarioni presenuu« al X X X I I eongresso storiro subalpino, Pinerolo 1964 (1966),S. 103-118 und in demselben Sammelwerk C.D. FONSECA, Le Canoniche ,tgola,i ,iformaledell'ltalia nord-occidentale, S. 33S-382, bes. S. 346ft und 3S8.

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schof Winirnannus (ca. 1046 - ea. 1057) im Jahre 1056 sich ver-anlaßt sah, sie den Kanonikern von Oulx zu bestätigen (6). DiePfarrkirche von S. Lorenzo, bei der Gerhard seinen Konventerrichtet hatte, ging 1057 aus dem Besitz des Savoyer GrafenOddo (t 1057/60) mit zwei weiteren Pfarrkirchen an die Kanonikerüber (7). Der Diözesanbischof Kunibert von Turin (1046 - ea.1082) verstand die junge Gründung schließlich dadurch an sichzu binden, daß er ihrem Propst ein Kanonikat an der Kathedralevon Turin übertrug (zwischen 1063 und 1065) (8). Inzwischen waraber Gerhard von einer provenzalischen Synode, die 1060 inAvignon unter dem Vorsitz des päpstlichen Legaten Hugo vonCluny getagt hatte, zum Bischof von Sisteron gewählt worden,wo er seinen reformerischen Eifer und sein organisatorischesGeschick gegen die nach langer Vakanz des Bischofsstuhles dergeistlichen Aufsicht entwöhnten Diözesanen bewähren mußte.Mit dem Reformpapsttum trat Gerhard schon wenig später indirekte Beziehung: In Rom wurde er von Nikolaus 11. zum Bischofordiniert (9). Zu seiner Gründung in Oulx aber gibt es erst vonGregor VI!., reichlich spät, eine päpstliche Äußerung, ein Schutz-privileg, von dem wir allerdings nur durch eine Bestätigungsur-kunde Urbans 11. Kenntnis haben (10). Seit dieser Zeit dauertdas Interesse der Päpste an diesem Konvent an.

(6) G. COLLlNO, Le carte d.:Ua prroostura d'Orlix (!Jibl. dclla soci<ta storica subalpina45 = Corpus Chart. Italiae 30, 1908), S. 6f. nr. 6.

(7) COLLlNO, S. 7fI. nr. 7; CIl. DEREINE, Vie commune, r;gle de Saint A ugust;1I et cha-

twines r/gulins au Xl· s;kle in: RHE 41 (1946), S. 372 nennt als Aussteller fälschlich BischofKunibert von Turin; ihm folgt FONSECA, in: Monasteri ill alta Italia, S. 3S8. Dereines Quelle,H. HELVOT (s. unten Anm. 37), nennt richtig den Grafen Oddo (in der deutschen Ausgabevon 1753 se, 2, S. 88), ebenso COLLINO.

(8) COLLINO, S. 19 nr, 19; SAVIO 1, S. 349. Zur verfälschten Schenkungsurkunde Kuni·

berts von 1065 vgl. C: CIPOLLA, La • Bulla maior » di Cuniberto uescovo di Torino in [avor«della prroostura di Oulx in: Mem. della R. Accad. delle sciens« di Torino; 2. ser, SO (1901) Classedi scienze morall, stor. e filol., S. 103-126; COLLINO, S. 15 und 21 und BENEDETTO in: },fOlia'

steri i .. alta ltalia, S_ 107fl.(9) JL 4442; dazu C.J. HEFELE - H. LEcuRcQ, Histoire des C01ICiles, IV 2 (1911), S.

1204 Anm. 2. Zu Gerhards Biographie vgl. llLlGNV, S. 43·45, dort auch ältere Lit.

(10) JL 55S6, KEHR, IP VI 2, S. 132!. nr. ·1 und 4. - G. PENNOTTI, Generalis totiuss, ordi .. is clericorum canonicoru", historia tripartita I (Köln 1630), S. 506 erwähnt statt dieserUrkunde Gregors VII. eine solche Alexanders H. von 1072, von der aber sonst nichts bekanntist; eine Verwechslung mit der Urkunde Alexanders Ill., datiert aus dem Jahre 1172 (!),liegt nahe (ed. PEKNOTTI, S. 50611.; KEIIR, IP VI 2, S. 138 nr, 27 mit korrigierter Datierung1173). Die späteren Schutzurkunden sind bei KEIIR, I P VI 2, S. 13311. verzeichnet.

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Das Kloster von S. Frediano in Lucca, wie viele andereKlöster im Laufe des 10. Jahrhunderts verfallen, erscheint zumersten Mal in den vierziger Jahren des 11. Jahrhunderts als Sitzeines Kanonikerkonvents (11). Der Gründungsvorgang dieses spä-ter sehr einflußreichen Reformkonvents dürfte ähnlich dem vonSt. Rufus in Avignon und S. Lorenzo in Oulx zu denken sein.Ein päpstliches Interesse an dem Stift ist wiederum erst zwan-zig Jahre später festzustellen, als Alexander II. es 1068 demSchutz des apostolischen Stuhles unterstellte (12). Dabei liegt esnahe, das Interesse dieses Papstes an S. Frediano von seinerengen Bindung an Lucca herzuleiten, dessen Bischof er als An-selm I. seit 1056/57 war und auch während seines römischenPontifikats blieb.

Diese Fälle zeigen deutlich, daß die Reformbewegung unterden Kanonikern nicht vom Papsttum ihren Ausgang genommenhat, eine wichtige Rolle hatten vielmehr die Diözesanbischöfeübernommen. Benedikt von Avignon (1037-1047), von dem esheißt, daß er heiligmäßig gelebt habe (13), und auch Kunibertvon Turin (14) waren an den Gründungen in ihren Diözesenmaßgeblich beteiligt. Von Johannes 11. von Lucca (1023-1056),dessen Beteiligung an der Neubesiedlung des Klosters S. Fre-diano zwar aus den Quellen nicht erkennbar, aber wahrscheinlichist, wissen wir wenigstens, daß er die Erneuerung des kanonikalenLebens in seiner Diözese, vor allem an der Kathedrale, eifriggefördert hat, wobei allerdings die Neugründung bei S. Fredianobesser gedieh als die Reform des seit alters bestehenden Kathedral-kapitels (15). Weitere frühe Versuche, den Kathedralklerus zu

(11) :\1. GIVSTI, Le canoniche della citM e diocesi di Lucca al tempo della Rijorma Gre-goriana in: Studi Cregoriani 3 (1948), S. 345·348j DERS., Notizie sull« canonich« lucchesi in:La vita comune ..• I, S. 447f.j etwas anders L. NANNI, La parrocchia studiata nei documcnHluccfusi dei secoli V/lI-XIIl (Anal. Gregoriana 47, 1948), S. 134·139.

(12) JL 4654, KEHR, I P III, S. 414 nr. I.(13) S. oben Anm. 3.(14) S. oben Anm. 8 und G. SCHWARTl, Die Besetzung de, Bistümer Reichsitaliens

unte, den sächsischen und saliscfun Kaisern (1913), S. 13111.(IS) Vgl, A. GUERRA, Compendia di storia ecclesiastica lucchese, opera postuma; COli ap-

pendici e note di P. GUIDI I (1924), S. 134·142j E. KITTEL, De, Kamp] um die Re/arm des Dom-kapitels in Lucca im 11. }h. in: Festschrift Brachmann (1931), S. 213ff.j H.E. FEINE, Kircfu,.-reform u>ld Niederki,chtllwesen, Rechtsgeschichtlicht Beitrage ,ur Re/arm/rage vornehmlich imBistu,,. Lucca im 11. }h. in: Studi C,egoriani 2 (1947), S. 512f.j NANNI, S. 122fT. und SCHWARTl,

5.212.

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reformieren, sind neben Lucca noch aus zahlreichen anderenBischofsstädten bekannt (16). Die Maßnahmen dieser Bischöfegingen einmal auf die Straffung der Disziplin ihrer Kanonikerim Sinne der Aachcner Regel aus, zum anderen hatten sie auchganz handfeste wirtschaftliche Absichten dabei, wie ja die Kirchen-reform gewöhnlich mit einer Reaktivierung des Kirchengutesverbunden gewesen zu sein pflegt (17). Derartigen Reorganisa-tionen der Domkapitel ließ das Reformpapsttum weit bereitwil-liger seine Förderung angedeihen als den neu entstehenden Kano-nikerkommunitäten, deren Bewährung man offensichtlich erstabwarten wollte, ehe sie in päpstlichen Schutz genommen wurden.

• ••Die Erneuerung des kanonikalen Lebens hatte also außer-

halb Roms bereits an verschiedenen Orten eingesetzt, als Hil-debrand und Papst Nikolaus II. (1058-1061) sie - mit einer Ver-schärfung in den Besitzbestimmungen - auf der Lateransynodevon 1059 auch ihrerseits propagierten. Damit entwickelten siebereits vorhandene Reformvorstellungen, die nach Zeiten desVerfalls lediglich die Wiederherstellung eines früheren Zustandeserstrebten, über dieses Ziel hinaus zu der Forderung nach einerdemgegenüber reineren und strengeren kanonikalen Lebens-weise (18). Hildcbrand, Diakon und seit Herbst 1059 Archidiakonder römischen Kirche, gehörte auf der Lateransynode zu deneifrigsten Verfechtern der Kanonikerreform. auf ihn wird dervierte Kanon der Synodica generalis über die apostolica, communis

(16) Eine Zusammenstellung bei DEREINE, RilE 41, S. 366ft; ergänzend dazu J. SIEG-WART, Die Chorherren- v"d Chorfrauengemeinschaften in der deutschsprachige" Schweif vOIn

6. 'h. bis 1160 (Studia Friburgensia N.F. 30, 1962), S. 159 Anm. 2; vgl. auch L. SANTIFALLER,Papsturkundm für Domkapitel bis auf Alexander Ill. in: Festschrift Brackmann (1931), S.81·122, bes, S. 100f. - Die mehr rechtssystematische Arbeit von CH. GIROUD, L'orär« descMncines riguliers de Saint·Avgusti" et ses diverses formes de r~gi",e i"terne (1961) handeltdas 11. Jh. nur summarisch ab S. 37fI.

(17) Vg!. H. HEINPEL, Ober die Epochen der mittclallerliclun Geschichte, in dessen Aufsatz-sammlung: Der Mensch in seiner Gegenwart" (1957), S. 52.

(18) Ober eine ähnliche Erscheinung im monastischen Bereich vgl. F. DRESSLER, PetrusDamiani; Leben v"d Werk (Studia A"stllniana 34, 1954), S. 14.

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scilicet, oita der Kleriker zurückgeführt (19). in welcher Formelfreilich eine gewisse Abschwächung gegenüber Hildebrands ur-sprünglicher Forderung an die Kanoniker, instar primitivae eccle-siae communiter zu leben, erkannt worden ist (20). In Rom selbstfolgte dieser synodalen Verlautbarung nicht sogleich eine Reform-initiative, was angesichts der mit einem Schisma verbundenenheftigen Parteikämpfe dieser Zeit verständlich ist. Aber Grundfür den Appell an die Kleriker war genug vorhanden. Der römischeKlerus machte in seiner Lebensführung keineswegs eine Aus-nahme von der Verweltlichung der Geistlichkeit in anderen italie-nischen Städten, wenn es auch zu dieser Zeit in Rom selbst undseinen abhängigen Diözesen offenbar einige Kommunitäten gegebenhat, die nach Hildebrands Worten communem vitam, exemploprimitivae aecclesiae, also ein gemeinsames Leben ohne persön-lichen Besitz geführt haben (21). Vier Jahre später jedoch hattesich die Lage der Reformpartei mit dem Eingreifen Herzog Gott-frieds von Lothringen gegen den Gegenpapst Cadalus-Honorius 11.(1061-1064) soweit gebessert, daß die Beschlüsse von 1059 aufeiner Synode Alexanders IL, des Nachfolgers Nikolaus' 11., mitgrößerer Aussicht auf ihre Realisierung wiederholt werden konn-ten (22); auch dieser Schritt dürfte maßgeblich von Hildebrandvorbereitet worden sein.

(19) MG, Consl. I, S. 546 nr. 384, dazu HEFELE' LECLERCQIV 2, S. 1167; fragrnen-tarlschcs Verhandlungsprotokoll über die Kanonikcrreforrn ed. J. MABILLON, Ann. ord. s.Bened, 4 1(1739), S. 68611. und erneut A. WERMINGHO..F, NA 27 (1902), S. 669·67S. Vgl. dazuP. SCIIROEDER,Die Augusliner·Clrorherrenregel in: Arch. I. Urkunden/orsch. 9 (1926), S. 297fl.;G. BARDY,Sainl Gregoir« VII ella r/forme canoniale au X le siicl« in: SIudi Cregoriani 1 (1947);S. 4711.; ].C. DICKINSON,The origins o/Ihe Auslin canons and Ihei, introduction into England(19S0), S. 29fl.; ]. LECLERCQ,Un Umoignage sur l'influrnce de Grlgoire VII dans la rl/armecanonial« in: Studi Gregoriani 6 (19S9/61), S. 173fl.; G. Mrccot.r, C Ecclesiae primilivae [orma»in: SIudi Medievali, 3. ser, I (1960), S. 470f1., Neudruck in dessen Aufsatzsamnjlung: ChiesaCregoriana. Ricerch« sulla Rijorma del sec. XI (1966), S. 2SSf. Zur antizipierten BezeichnungHildebrands als Archidiakon im Protokoll von 1059 vgl. G.B. BORINo, L'arcidiaamato diIldcbrando in: SIudi Gregoriani 3 (1948), S. 48lf.

(20) WERIUNGIIO..F, NA 27, S. 670; dazu CH. DEREINE, La prllendue rtgle de Grlgoir~VII pour chanoines rlguliers in: Rev. BIMd. 71 (1961), S. 116.

(21) WERMINGHOFF,NA 27, S. 669; dazu DEREINE, Rev. Dlnld. 71, S. us. Zur allge-meinen Situation A. DRESDNER, Kullur- und Sittengeschichte der ilalienischen Geistlichkeitim 10. und 11. Jh, (1890), bes. S. srs, und 301 fr.; MIRBT, PublilisIik, S. 241fr.

(22) J.D. MANS!, Sacroru", conciliaru", noua et amplissima collectio 19, S. I02J-I026.Zur Situation in Rorn am ausführlichsten F. HERBERHOLD,Die AngriOe des Cadalus von Parma(Gegenpapst Honorius 11.) au] Rom in de" JahrefJ 1062 Ulla 1063 in: SIudi Gregoriani 2 (1947),

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Papst Alexander n. (1061-1073) steht im Reformeifer sei-nem Archidiakon keineswegs nach. Gerade in seinem BistumLucca sind umfangreiche Bemühungen um Einführung und För-derung der Vita communis zu erkennen (23), die fraglos dembesonderen Interesse des Papstes an seiner Bischofsstadt wiean der Kanonikerreform zuzuschreiben sind. In den PontifikatAlcxanders fallen auch die ersten Hinweise auf eine Reformder lateranensischen Kanoniker. Die Umstände dieser Kanoniker-reform an der römischen Kathedralkirche und die Rolle, dieAlexander n. dabei gespielt hat, sind in der Forschung weithinunklar geblieben. Beginnen wir zur Klärung dieses nie in allenEinzelheiten untersuchten Problems mit der Durchsicht derQuellen.

Ein direktes, mit Alexander Ir. gleichzeitiges Zeugnis gibtes nicht. Jedoch haben wir eine Urkunde Papst Anastasius' IV.(1153-1154) vom 30. Dezember 1153 (JL 9793), die ein Alexander-privileg für die Laterankanoniker (JL .4733) bestätigt. Darinheißt es nach der Arenga: Eapropter vobis in Domino filiis eccle-siam ipsam, in qua Divino mancipaii esiis obsequio, ad exemplarpraedecessoris nostri b. memoriae Alexandri papae II apostolicaesedis privilegio communimus (24). Etwas weiter unten folgt eineBestätigung von Besitz und Einkünften, die neben anderem

S. 477·503. Eine Untersuchung über das persönliche Verhältnis zwischen Alexander H. undllildebrand und beider Anteil an der Politik während dieses Pontifikats werde ich an andererStelle vorlegen.

(23) Vg!. GIUSTI, Studi Greg01'iani 3, S. 324.(24) Vor l'aschalis H. ist dieser Teil der Schutzfonnel nicht gebräuchlich (SAl'TIFALLER,

Papsturkunden, S. ID!.). Der anschließende Satz In primis siquidem statuenies, ut ordo cana·"ic01'um, qui secuMum Deum. et b. A ugustini regulam ibi noscitu, institutus ; perpetuis ibide",temp01'ibl1S inviolabiliter conseroctur in dem vor allem der Hinweis auf die Regula b. A ugustinigroße Verwirrung gestiftet hat (s. unten S. 211fT.), taucht erst seit Innozenz 11. in Urkundenauf (J. DUDOIS,us ordres religieu~ au XII· sikle in: Rev. BIn/d. 78 [1968), S. 285fJ. und 299ft),allerdings noch in der kürzeren Form ohne Deu", et. Wenn diese Formel deshalb also nichtals Destandteil des Alexanderprivilegs angesehen werden kann, ist damit doch noch nichtsgegen eine Refonn Alexandcrs 11. gesagt; allein das läßt sich daraus erschließen, daß sie nichtsecuMu", b. Augustini regula,,, hat durchgeführt sein müssen; vgl, dazu die Bemerkung L.HERTLINGS (Die p,o/essio de, Kleriker UM die Entstehung de, d,d Gelübde in: Zs. [, kalh. Theol,56 [1932), S. 166): • Nicht die p,olessio auf die Regel des hl, Augustin hat den Ordo Cano-nicorum entstehen lassen oder gefonnt, sondern er war bereits gefonnt, als man diese Regelannahm ... Die Regel des hI. Augustirr ist also für den Ordo Canonicorum kein Wesensbe-standteil s,

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betrifft: medietate m omnium oblationum principalis altaris inintegrum sine dispendio aliquo, dationem seu reditum, qui glanda-ticum dicitur, vel herbaticum ex nostris porcis et pecoribtls seu omnem[ruitionem ab eodem praedecessore nostro ipsi ecclesiae collatam.Ferner schärft Anastasius IV. ein: illud vero quod a memoratopraedecessore nostro Alexandro statutum est, nämlich daß die liturgi-schen Geräte nicht von Ungeweihten berührt werden dürfen,und die Pflichten, welche die lateranensischen Kanoniker beidem Hebdomadardienst der Kardinalbischöfe zu erfüllen ha-ben (25). Etwa gleichzeitig mit JL 9793 ist die Nachricht derDescriptio Lateranensis ecclesiae, und zwar in ihrer dritten Redak-tion: Alexander papa 11... qui et condidit optimum privilegiumpraedictae basilicae et renovavit communem regularium canonico-rum vitam in ipsa. Hieran schließt sich die Erwähnung der Schen-kung von Einkünften, der Hälfte der Oblationen des Hauptal-tars, und von Liegenschaften an, die im AIexanderprivileg enthal-ten war (26).

Ferner ist ein Brief Petrus Damianis (t 1072) an den PetrusLateranensis canonicae archipresbyter zu nennen, worin Damianiden im Kampf für die geistliche Erneuerung schon bewährtenErzpriester zu noch größerem Eifer anspornt, damit er die Brüderseines Konvents auf die Seite der Reform herüberziehe (27).

(25) JL 9793, KEHR, I P I, S. 28 nr. 19, MANsl 21, S. 778 ur. 8. - Ein Hinweis auf dasDiplom Alexanders auch in JL 9906 (Anastasius IV.), JL 13977 (Alexander 111.), POTTH. 8121(Gregor IX.).

(26) Descriptio Laieranensi« ecclesiae, e. 10 ed. R. VALKNTINI - G. ZueellETTI, Codicetopografico della citta di Roma 3 (FonJi pe, la storia d'Italia 90, 1946), S. 349. Vorarbeitenzu einer kritischen Edition bei C. VOGEL, La escriptio Laieranensis du diacre [ea«. Hi-stoir« du texte manuscrit in: Melanges en l'lumneu, de Msgr. M. And,ieu (1956), S. 457-

476. - Die Bemerkung, welche die inhaltliche Wiedergabe des Alexanderprivilegs in der

Descriptio abschließt (sicut ipsius p,ivikgii dig"" memo,ia nobis reter: testimonia), läßt

erkennen, daß dieses dem Schreiber nicht im Original vorgelegen hat. Von welcher Qualitätaber die testimonia waren, läßt sich nicht entscheiden (über die Quellen der Descriptio vgl,VALENTINI - ZuceHKTTI, Cod ice topogr, 3, S. 320r.). - Die Privilegien Anastasius' IV., JL9793 und 9906, sind ebenfalls in der Descriptio erwähnt (5. 351).

(27) Petrus Damiani op. 18 led. C. GAETANI, MIGNE, PL 14S, S. 387-398; vg!. dazuMIRBT, Publizistik, S. 282(, - Damianis Epp. V 3 und 4, MIGNE, PL 144, S. 342-346 habenmit P. a,chip,esbyte,o möglicherweise denselben Adressaten wie op. IS I; zu diesen Briefenvgl, K. REINDEL, Studien .ru, Oberlie/erung der We,ke des Peirus Damiani I in: DA 15 (1959),

S. 42f.

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Die Kanonikerreform in Rom ... 209

Schließlich ist noch die umfangreiche Gruppe der BriefePapst Paschalis' 11. (1099-1118) an den Konvent von S. Fre-diano in Lucca zu berücksichtigen. Im dritten Band seiner ItaliaPontificia verzeichnet P. Kehr 18 Urkunden dieses Papstes fürS. Frediano, aus denen hervorgeht, daß die Lateranbasilika durchRegularkanoniker dieses Konvents reformiert worden ist (28).In einem Brief heißt es: Et a nobis et a vobis omnipotenti Dominogratiae relerendae sunt, quod per ecclesiam vestram divinum illumcommunis et apostolicae vitae lumen usque ad primae sedis oerti-cem diffusum est. Etsi enim Romana ecclesia mater sit ecclesiarumomnium et magisira, ei tamen de beati Fridiani ecclesia regularisvitae ordinem sibi assumere et per dominum R(othonem) prioremet alios vestros [ratres disponere placuit (29).

Soweit die Quellen, die Aufschluß über die Reform der latera-nensischen Kanoniker geben können. Sie haben Anlaß zu man-nigfachen, oft stark differierenden Theorien gegeben, die hierkurz vorgetragen werden sollen.

Bei Onofrio Panvinio (t 1568), dem Begründer der römischenAltertumswissenschaft, findet sich zum ersten Mal die oft wieder-holte, nur selten überprüfte Äußerung, daß zur Zeit Papst Alexan-ders Ir. am Lateran und auch an S. Croce in Gerusalemme Regular-kanoniker von S. Frediano aus Lucca eingeführt worden seien (30).Die Grundlagen für seine Behauptung sind bezüglich des Laterandie Anastasiusurkunde und die Descriptio, daneben noch dasSchutzprivileg Alexanders Ir. für S. Frediano, das als Ausdruckeines besonderen Interesses des Papstes an diesem Konvent ge-deutet werden kann. Jene ersten beiden Quellen wissen aber inihren auf Alexander zurückgehenden Passagen noch nichts vonden Luccheser Chorherren, das Alexanderprivileg für S. Fredianodagegen nichts von deren Engagement in Rom. Und was dasKloster S. Croce betrifft, so gibt es keinerlei quellenmäßige Anhalts-punkte, die auf eine Übertragung an den Luccheser Konvent

(28) KEHR, IP Ill, S. 414-418.

(29) JL 6486, KItHR, IP Ill, S. 417 nr. 20, MIGNE, PL 163, S. 392 nr. 447.

(30) O. PANVINIO, De fmucipuis wbis Romae sanctüwibusque basilicis qU4Sseplem eccle-sias vulgo ooca,,' liber (benutzt in der Ausgabe Köln IS84), S. 168f. und 261; auf Panvinioberuft sich PENNOTTI (wie Anm. 10), S. 278, 422, 4S2.

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210 Tilmann Schmidt

zur Zeit Alexanders 11. schließen lassen (31). - Die erste kri-tische Untersuchung einiger Quellen zur Geschichte des Lateran

(31) Auf diesen Mangel macht KEHR. IP Ill. 5.414 zu nr. I aufmerksam. doch ohnedaraus Konsequenzen zu ziehen. M. MACCARRONE.1papi del secolo XII I la !lita comun« eregolar« del clero in: La uita co",une ••• 1. S. 364 Anm. 291ehnt dann die seit PANVllllO(De prae-cipuis "'bis ..•• S. 261) wiederholt behauptete Übertragung von S. Croce an die Kanonikervon S. Frediano zur Zeit Alexanders 11. ab unter Hinweis auf Boso (Libe, ponl. ed. L. Du-CIIESNE21[1955]. S. 385) und die Descriptio (Codice topog«. 3. S. 347). Maccarrones Argumen-tation soll hier etwas erweitert werden: Von beiden Quellen wird die Wiederherstellung derKirche aus Ruinen und die Einrichtung eines Augustinerchorherrenkonvents durch Lucius 11.(1144-1145), vor seinem Pontifikat Gerhard Kardinalpriester von S. Croce, bezeugt (überdie Arbeiten an der Kirche zu jener Zeit vgl. auch M. ARYELLlNI,Le chiese di Roma dal se-cola IV al XIX. Nuova edizione ..• a cura di C. CECCHELLI[1942] S. 983f. und V. GOUIQ-G. ZANDER.Le chiese di Roma dall' X 1 al X V I secolo [Roma cristiana 4. 1963]. S. 64f.• 188).Ferner nahm Lucius 11. das Jerusalemkloster in seinen Schutz, und zu ihm paßt auch gutdie Verfügung. daß die Kardinalpriester von S. Croce aus diesem Chorherrenkonvent oderwenigstens aus der Kongregation von S. Frediano stammen sollten (JL 11269 Alexanders IlI..KEHR,IPI. S. 37 nr .• 3 und 6; Gerhards Vorgänger als Kardinal von S. Croce war Abt Amicusvon S. Lorenzo fuori le mura, dessen Desinteresse an der Wiederherstellung der Kirche inseinem Abatiat und damit einem ganz anderen Aufgabenkreis seine Erklärung findet). Oberdie Nahe des Papstes zur Luccheser Kongregation. der er selbst angehörte. vgl, MACCARRONIt,La vita co"'u"' ..• I, S. 372f., P. CLASSEN.Gerhoch v. Reiclu,sberg. Eine Biog,aphie (1960),S. 335 und DERS.• QFIAB 48, S. 37; die Vermutung scheint einiges für sich zu haben, daß erzu jener Gruppe von Luccheser Kanonikern gehörte. die Calixt H. 1121 in die Lateranbasilikaeingeführt bat (5. unten S. 221 und Descriptio, S. 347. 12f.); von demselben Papst erhieltGerhard wenig später den Kardinalstitel von S. Croce (11. September 1123. J.~1. BRIXIUS,Die Mitglieder des Ka,dinalluJlltgiums von 1130-1181 [Diss. Straßburg 19121. S. 33). Es läßtsich also eine Reihe von Maßnahmen erkennen. die auf den Neubeginn des geistlichenLebens an dieser Kirche unter den Auspizien Gerhard-Lucius' 11. schließen lassen. Dagegenerscheint es als höchst unwahrscheinlich, daß die Luccheser Chorherren bereits seit den ZeitenAlexanders 11. nach dem offensichtlichen Scheitern der Sanierungsbemühungen der Cassi-neser Mönche (vg!. H.·W. KLEWITZ,Mo"teC45sino in Rom in: QFIAB 28 [1937/38]. S. 39und H. SCHWARZMAlER,Das Kloster SI. G,are in Lucca und der Ausg,iU Montecassinos indie Toskana in: QFIAB 49 [1969], S. 168f.) über ein halbes Jahrhundert in den Ruinendes Jerusalemklosters gelebt hätten, ohne daß wir von ihrer Installation und ihrer Existenzauch nur das geringste hörten. Vielmehr bedurfte es der Energie und des Einflusses einesGerhard-Lucius' 11., um dieses Kloster wiederherzustellen, und zwar unter Angliederungan die Kongregation von S. Frediano, der damit neben dem Lateran und S. Maria Nuovadie dritte Kirche übertragen wurde. es folgten S. Crisogono und 1145 S. Giovanni a portaLatina, die durch eine Verfügung wiederum Lucius' 11. den lateranensischen Kanonikernunterstellt wurde (S. Maria Nuova, jetzt S. Francesca Romana, ea, 1141-1142 durch Hai-rnerich, Kardinaldiakon dieses Titels seit 1123, vielleicht wie Gerhard Laterankanonikerund als Kanzler des römischen Stuhles dessen Vorgänger. was bis in Einzelheiten eineParallelität der Fälle anzeigt, die sogar soweit geht. daß gemäß einer Bestimmung Cölestins11. von 1144 auch der Kardinaldiakon von S. Maria Nuova der Kongregation von S. Fre-diano angehören solle, vgl, BRIXIUS,S. 32, 71, 101 und KEHR, IP I, S. 65 und Ill, S.428£.nr, ·73 und 82. ARMELLINI-CECCHELLI,S. 196 haben irrige Angaben. vg!. auch F.-J. SCIIMALIt,

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Die Kanonikerrejorm i1£ Rom ... 211

unternahm P. Kehr in einem Aufsatz von 1911 (32). Darin lehnter ebenso nachdrücklich wie knapp jede Beteiligung Alexan-ders n. an der Kanonikerreform ab. Aus dem Damianibrief anden Archipresbyter Petrus sowie aus den Schreiben Paschalis' n.an den Konvent von S. Frediano meint er mit aller Bestimmt-heit erkennen zu können, daß zu Alexanders Zeiten noch Säkular-kleriker am Lateran lebten, die erst von Paschalis 11. durchRegularkleriker von S. Frediano ersetzt wurden. Da Kehr alsodie Reform des Lateranklerus von vornherein an die Einführungder Luccheser Kanoniker in den Lateran bindet, kann er freilichdie Annahme der 4C älteren Autoren, (die) alter Überlieferungfolgend oder vielleicht auch nur auf Grund von Kombinationen.Papst Alexander II. an den Anfang der Reformversuche desLateran stellen, verwerfen (33). - Kehrs Aufsatz ist zunächstnicht beachtet worden (34). Ph. Lauer widmet in seinem Buchüber den Lateranpalast, das 1911 kurz nach Kehrs Arbeit erschien,der Kanonikerreform nur geringe Aufmerksamkeit. Sich ganzden 4C älteren Autoren. anschließend, meint er, Alexander habedie Laterankanoniker der nach Augustin benannten Regel unter-worfen (35). - J. Wirges (36) hält es in seiner Dissertation über

Studiew 'um Schisma des Jahres 1130 (1961J, S. 38, 48ft, 213; zu S. Giovanni vg1. KEHR, IPI, S. 27 nr. 17 und S. 108). Ein persönliches Engagement Gerhards für die Kongregation vonS. Frediano einerseits und seine Titelkirche S. Croce andererseits ist damit unverkennbar:Er war es, der sie aneinanderband. Die Datierung dieses Vorganges in die Zeit Alexanders H.durch Panvinio, dessen These man meist unbesehen folgte (z.B. R. BESOZZI, La storia dellabasilica di S. Croce in Gerusalemme (1750J, S. 39 und 183, W. WÜHR, Die Wiedergeburt Monte-cassinos unler seipum ersten Rejormabt Richer v. Nirderaltaick in: Studi G,~goriani 3 (19481,S. 429; CLASSEN, Gerhoch, S. 335, SCHWARZMAlER,QFIAB 49, S. 168f.) verliert somit ihreBerech tigung.

(32) P. KEHR, Römische Analdien in: QFI AB 14 (1911), S. 1·26. Dieses ist der von KEHR,

1PI, S. 26ff. mehrfach schon für Band 10 der Quellen und Forschungen. angekündigte Beitrag.

(33) Ebd., S. 10 und KEHR, IP Ill, S. 414 zu nr. I und S. 418 nr. ·26. - Zur Terrni-nologie, die seit Kehr differenzierter geworden ist, vgl, La uita comune .•. I, S. S02f. und G.VAN DEN BROECK, Les chaneines rtguliers sont-ils chanoines? in: Rev. de Droit canon. 13 (1963),S. 289-303.

(34) F. SCHNEIDER, Analeeta Toscana in: QFIAB 17 (1914/24) verarbeitet S. 22 Anm.3die Bemerkungen Kehrs aus der ltalia Pontificia (5. vorige Anm.), zieht aber den dieseerläuternden Aufsatz von 1911 nicht ausdrücklich heran .

. (3S) PH. LAUER, Le palais de Latran (1911), S. ISI; ebenso auch die ältere Monographievon G. ROHAULT DE FLEURY, Le Latran au moyen dge (1877), S. 112 Anm. I.

(36) J- WIRGES, Die Anfänge der Augustiner-Chorherren und die Gründung des Augusliner-Chorherrensti/le$ Ravengiersburg (Diss. FreiLurg/Schweiz 1928), S. 1I1f.; dazu C. LAMBOT,Art. Auguslin in: Diet. de droit canonique I (1935), S. 1415.

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212 Tilmann Schmidt

die Anfänge der Augustiner-Chorherren und die Gründung desAugustiner-Chorherrenstiftes Ravengiersburg unter Hinweis aufdie Anastasiusurkunde für wahrscheinlich, daß die Augustinus-regel zuerst unter Alexander am Lateran auftauchte. Denn wäresie von einem späteren Papst eingeführt worden, wäre nach Wirges'Ansicht diese Neuerung durch ein päpstliches Schutzprivileggestützt worden, welches wiederum Anastasius IV. nicht uner-wähnt gelassen hätte. Dem ist an dieser Stelle vorerst nur entgegen-zuhalten, daß die schwerwiegenden Neuerungen Paschalis' 11.offenbar auch nicht von einem solchen Privileg begleitet waren,womit die von Wirges aufgestellte Forderung ihre Berechtigungverliert. Seine Bemerkung, Alexander habe von S. FredianoKanoniker an den Lateran berufen und diese 1063 auf die Be-schlüsse der Synode dieses Jahres verpflichtet, stützt er auf dieenzyklopädische Ordensgeschichte H. Helyots von 1714 (37),ohne die neuen Ergebnisse Kehrs zu beachten. - Nicht andersverfährt in seiner Geschichte der Lateranensischen ChorherrenN. Widloecher (38), Abt dieser Kongregation, der in seiner Beur-teilung Alexanders 11. unbesehen Panvinio folgt. - Ch. De-reine (39), der beste Kenner der Anfänge des Augustiner-Chorher-renordens und seiner Regel, zweifelt nicht daran, daß Alexander11. eine Kanonikerreform am Lateran angestrebt habe. Er weistaber zurück, daß sie auf Grund der Ordensregel des hl. Augustinusdurchgeführt werden sollte; das erste Auftreten der Regula S.Augustini in Italien sei erst in späterer Zeit zu erkennen. - J.Mois (40) streift in seiner Arbeit über das Stift Rottenbuch inder Kirchenreform unser Problem nur kurz, wobei ihm einige

(37) WIRGES, S. 112. - H. HELYOT, Histoire des ordres monastiques, ,eligieu% et mili-tai,es, ainssi que des congregations slculibes de l'un et l'autre sexe (1714ff., deutsche Ausgabe17~3) bringt gegenüber Panvinio kaum etwas Neues,

(38) N. WIDLOECHER, La congrtglUione dei canoniei rego14ri lAttrantnsi, Ptriodo di [or-

masione 1402-1483 (1929), S. 77.(39) Von den Arbeiten CH. DEREINES sind hier vor allem zu nennen: Vie commune,

regle de S. Augustin et ellanoines rlguliers au Xl- sikle in: RHE 41 (1946), S. 376 und 393;Le probUme de 14 vie commune ehes Its canonistes d'.A nstlme de L"'ques a Gratien in: Studi ere-,,,,iani 3 (1948), S. 289; vg!. auch im allgemeinen L'l14boration du statut canonique des clla-noints reguliers splcialement sous Urbain 11 in: RHE 46 (19~1), S. ~34·S6S; Art. Cllanoinesin: Did. d'hist. et de glogr. eccl, 12 (19S3), S. 37S·40~.

(40) J. MOlS, Das Stilt Rottenbuch in der Kirchenrelorm des XI.-XIl. JIIS. (Deit,..lIu,allbayerischen J(;rchersgesch. 19, N.F. 6, 19S3), S. ISS!. und 237.

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Die Kanonikerreform in Rom ... 213

Versehen unterlaufen. Seine Ansicht, daß von Alexander Regular-chorherren an den Lateran berufen worden seien, stützt er aufdie Notiz der Descriptio. Dabei vermutet er, daß diese bereitsdem Luccheser Reformkonvent entstammten. Die Unterordnungder Lateran basilika und ihres Pfarrsprengels unter den Priorvon S. Frediano aber sieht Mois erst mit einem Diplom PapstPaschalis' n. vom 27. Dezember 1105 vollzogen, wobei ihm frei-lich entgangen ist, daß dieses längst als Fälschung erkannt war (41);überdies steht in dem Falsifikat, das die Parochialgrenzen derBasilika festlegt, kein Wort von dem Luccheser Konvent. DieThese, daß Alexander der Anastasiusurkunde zufolge die RegulaS. A ugustini im Laterankapitel eingeführt habe, lehnt Mois ent-schieden ab, ohne sich aber näher mit der Qualität ihrer Erwähnungin JL 9793 zu befassen (42). Er sieht in Alexander, der durcheinen Erneuerungsversuch am Lateranstift ein Beispiel gebenwollte, wohl den Vorkämpfer der Reform; einen dauernden Erfolgerkennt er aber erst Paschalis 11. zu. - Die Übertragung derLateranbasilika an den Luccheser Konvent durch Paschaliswird auch von M. Giusti und M. Maccarrone angenommen (43),allerdings unter Verweis auf die echten Urkunden dieses Papstesfür S. Frediano, die aber innerhalb seines Pontifikats von 1099bis 1118 für die Transferierung keine genaue Datierung erlau-ben (44).

Die moderne Ordensgeschichtsschreibung der Augustiner-Chorherren greift unter Vermeidung von Diskussionen mit Vor-liebe auf alte Traditionen zurück. A. van Ette (45), Kanonikerder Lateranensischen Kongregation, ist der Meinung - ohneRücksicht auf Dereines Bedenken -, daß die Regel des hl. Augu-stin schon vor dem Tod Alexanders n. am Lateran als Ordens-

(41) Vg1.JAPpt ((((VI; JL t60SS; KEHR, IP I, S. 26 nr. tlO; J. VON PPLUGK - HART-

TUNG, Acta Ponli/icum 2 (1884), S. 186 druckt sie seltsamerweise als echt ab, vg!. KEHR, QFIAD

14, S. 9.(42) MOlS, S. 237 Anm. 28; zur Erwähnung der Regula b. Augustini in JL 9793 s, oben

Anm.24.(43) GIUSTI, Studi Gngoriani 3, S. 348 und VERS., La uita comuJU ... I, S. 447; ebenso

NANNI, S. 137, M. MACCARRONE, I papj del secolo XII e la vita comune e ,(golaTe del clero in:La vita comune ... I, S. 361.

(44) KEHR, QFIAD 14, S. 11 vermutet die letzten Regierungsjahre für den Reform-versuch Paschalis' 11.

(4S) A. VAN ETU, us CAaflOines RlgulieTs de Saint Augustin (19S3), S. 17.

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statut eingeführt worden war. Der Historiker der österreichischenChorherrenkongregation, K. Egger (46), entscheidet sich für dastraditionelle Jahr 1061, in dem der Papst die Augustiner-Chorher-rcn aus Lucca nach Rom berufen haben soll. Papst Paschalis Ir.habe ihnen dann 1105 (47) neben dem Chordienst noch die Seel-sorge übertragen.

Angesichts dieser teilweise stark divergierenden Meinungenkann die Lösung der Frage nach der Kanonikerreform am Laterannur eine neuerliche eingehende Prüfung und Interpretation derQuellen herbeiführen. Auszugehen ist von der im Original erhal-tenen Bestätigungsurkunde Anastasius' IV. von 1153 (JL 9793),aus der das Alexanderprivileg für den Lateran erschlossen werdenkann (JL *4733). Die Urkunde Alexanders II. hat Anastasiuswohl vorgelegen; aus ihr sind die Schenkungen von Einkünftendes Hauptaltars und Liegenschaften sowie liturgische Bestim-mungen und die Regelung des Chordienstes ausdrücklich über-nommen (48). Diese Maßnahmen zur Reorganisation des Dienstesder Kanoniker mit dem Verbot, die Altargeräte von Ungeweihtenberühren zu lassen, deuten darauf hin, daß Mißstände vorhan-den gewesen waren, gegen die einzuschreiten Alexander Ir. sichgenötigt sah. Auch die Regelung der Einkünfte der Lateranka-noniker ist Ausdruck des Reformwillens dieses Papstes, den erebenso dem Klerus seiner Kathedrale in Lucca gegenüber bewiesenhat. Dort sollten gleichfalls durch die Neuordnung der Einkünfteund die zahlenmäßige Festlegung der Kanonikate die materiellenVoraussetzungen zur Erneuerung des priesterlichen Lebens inder Kommunität geschaffen werden (49). Kehr hat offensicht-lich die Situation, die sich aus der Anastasiusurkunde für dieZeit Alexanders II. am Lateran erkennen läßt, verkannt; weshalber in seinem Aufsatz dann noch die Notiz der Descriptio über dieReformtätigkeit dieses Papstes übergangen hat, ist nicht ersieht-

(46) K. EGGER, Die lat(ranensisehe Chorherren-Kongregation in: In "num eongr~gati3 (1956), S. 59-63 und DERS., Le regale seguite dai canonici r~golari ~i secoli XI e XII in: Lavita comun« •.• 2, S. 10; ebenso die ohne Angabe des Verfassers publizierte Schrift: Les ChaneinesRlguliers de Latraw (Les Ordres rdigieux 40, 11926), S. 79f.

(47) Zu diesem Datum s. oben Anm. 41.(48) S. oben S. 207f. Zu Anastasius IV. und seinem Verhältnis zur Laterankirche

vgl, die Descriptio, Codic« topogr. 3, S. 351; dazu CLASSEN, QFIAB 48, bes, S. 56f.(49) Vgl. JL 4722 und JL 4723; dazu KITTEL, S. 217 und NANNI, S. 120 und 124.

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Die Kanonikerreform in Rom ... 215

lieh (50). Dem Verfasser der dritten Redaktion der Descriptio,der möglicherweise selbst Laterankanoniker war, auf jeden Fallaber zur Umgebung Papst Anastasius' IV. gehörte (51), war dieBestätigungsurkunde dieses Papstes bekannt; aber er muß auchgute Kenntnis von dem Alexanderdiplom gehabt haben, wenner schreibt, daß Alexander n. der Lateranbasilika ein wertvollesPrivileg erteilt und communem regularium canonicorum vitam anihr wiederhergestellt habe, womit er vielleicht dem ursprüng-lichen Wortlaut dieses Privilegs näher kommt als die Anastasiusur-kunde (52).

Wie sind mit diesem Befund - diese Frage stellt sich nun -die von Kehr angeführten Bewcisst ücke in Einklang zu bringen?Der Brief Petrus Damianis an den Petrus Laieranensis canonicaearchipresbyter ist um die Jahreswende 1063/64 zu datieren (53).Damiani ruft darin den auf der Seite der Reform stehenden Freundzu schonungslosem Vorgehen gegen widerspenstige Kleriker undzu unablässigem Eifer auf, für den Zölibat zu wirken: Es läßtsich also eine Bewegung im lateranensischen Klerus erkennen,die eine Reform des Kanonikerstandes, insbesondere den Zölibat,befürwortet. Denn wenn Petrus Damiani keinerlei Ansatzpunktefür seine zölibatären Forderungen gesehen hätte, hätte seineMahnung ihm selbst sinnlos erscheinen müssen. An den reform-freundlichen Archipresbyter Petrus richtet Damiani seinen Brief,um ihm - wie er schreibt - Material für die Reformarbeit andie Hand zu geben (54). Mit dieser Situation ist nun die Nach-

(SO) Auch im Regest KEIIR, I P I, S. 25 nr. -7 hat sie keinen Niederschlag gefunden,

ebensowenig in QFIAB 14, S. 4 nr. 2.(SI) Vgl. VALENTINI· ZUCCHETTI, Codice toPOS" 3, S. 319.

(52) S. oben Anm. 26.(53) REJlo/DEL, DA 15, S. 77; diese Datierung findet ihre Begründung darin, daß der

Brief zwar nach op. 18 Il und 18 Ill, doch wie diese kurz; nach Damianis Clunyreise (April-

Oktober 1063, DRESSLER, S. 78-82) einzuordnen ist. F. NEUKIRCII, Das Leben des Petrus Da-miani (Diss. Göttingen 1875), S. 114 setzt ihn zwischen 1065 und 1071 an, DRESSLER, S. 240

nach 1064_(54) Pctrus Damiani op. 18 I ed, C. GAETANI, ~IIGNE, PL 145, S. 388B; zu Damianis

Stellung zur Priesterreform vgl, G. MICCOLI, Pier Damiani e la vita comune del clero in: Lavita comun« ... I,S. 186-211 und Chiesa Gregoriana, S. 75-100. - Ober das jedes persönlicheEigentum ausschließende Kanonikergelübde, das WIRGES, S. 158 mit ungerechtfertigterSelbstverständlichkcit als e Profeßformel der Laterankanoniker • bezeichnet, s, oben S_ 206mit Anm. 21. - Der Archipresbyter Petrus ist nicht mit dem gleichnamigen Bibliothekar

und Kardinal der römischen Kirche identisch, wie vielfach angenommen wird (GAETANl in

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richt zu konfrontieren, daß Papst Alexander 11. die Vita com-munis der Reformkanoniker eingeführt habe. Der Damianibriefschließt das Vorgehen des Papstes keineswegs aus, vielmehr wirdjetzt die päpstliche Maßnahme erst verständlich, da wir denHintergrund sehen, auf dem sie erfolgte. Chronologisch möchteman das Diplom Alexanders später ansetzen als den Brief Da-mianis (t 1072), was aber bei dem bis zum Jahre 1073 reichendenPontifikat des Papstes keine Schwierigkeiten macht.

Die bisherigen Feststellungen widersprechen der AnsichtKehrs, erst unter dem Pontifikat Paschalis' Ir. seien am LateranRegularkanoniker eingesetzt worden. Aus den Urkunden diesesPapstes für den Konvent von S. Frediano, in denen Kehr diestärksten Beweise für seine Theorie sieht, erfahren wir in derTat, daß die Lateranbasilika durch Regularkanoniker dieserProvenienz reformiert worden ist. Das wird bestätigt von Gela-sius 11. und Calixt I L: die Descriptio und auch Gerhoch von Reichers-berg nennen Papst Paschalis den Urheber dieser Reform(55). Jedochalle diese Nachrichten stehen nur bei oberflächlicher Betrachtungim Widerspruch zu unserem Befund: überblickt man die wechsel-volle Geschichte der Reformversuche. die wiederholten Ansätze

der Edition bei MIGNE; ~hRBT, Publizistik, S. 10 und 282; DRESSLER, S. 161f.; REINDEL, DAIS, S. 76; J. LECLERCQ, Sainl Pierre Damie« [1960], S. 114 u.a.). Die Erzpriester der Rle-rikerkollegien an den römischen Titelkirchen gehörten in dieser Zeit ebensowenig wie derErzpriester der CallOllica Laieranensis ex officio zum Kardinalklerus [vgl, P. H1NSCH1US,System des kaJholischen Kirehen,echJs I [1869], S. 378 mit Anm. 05, wo der Petrus Latera-nensis aber übersehen ist; S. KUTTNER, Cardinali«: The History of a Canonical conupt in:Traditio 3 [1945], S. 1705; C.G. FÜRST, Cardi,udis. Prolegomena Zll einer Rechtsgeschichte desr{jrnischen Ka,din~lskollegiurrlS [1967], S. 114), und ein Kardinalstitel ist für den 1ateranen-sischen Petrus nicht bekannt (vgl. JL I, S. S66f. und H.-W. KLI!:W1TZ,Die Entstellung desKa,dill1lkollegiums in: ZRG, Kan, Abt. 25 [1936], S. 162fJ., Nachdruck in: Refarrnpapsttumund Kardinalkolleg [1957], S. 6311.). Über die Laufbahn des Bibliothekars Petrus vgl. Ku-

WITZ, MontecassillO in Rom In: QFI AB 28 (1937{38), S. 4011. und L. SANTIFALL!R, Saggiodi un elenco de. fumicnari, irnpiegati e scriuori della cancelleria Poniificia (Bull. dell'/stit.star. ital. per il medio euo 56, 1940), S. 183-189. Mauritius arckipresbite« Saluatoris in derTeilnehmerliste eines Konvents des röm. Klerus Mai 1082 [vgl. Z. ZAPARANA, SuI • con-uentus » del clero '0""'110 ~l maggio 1082 in: Studi Medievali, 3. ser, 7 [1966], S. 403)dürfte kaum zur Lateranbasilika gehören. G. PH1LL1PS, KirchenreehJ 6 (1864), S. 327 Anm.16 vermutet: S. Salvatore de Cam po.

(SS) Gelasius H.: JL 6631, K!HR, IP Ill, S. 418 nr. 27; Calixt n.: JL 6896, KEHR, /PIll, S. 420 nr. 34; Descriptic c. 10, Codice topogr, 3, S. 348; GERHOC" V. R!ICH!RSBERG, Opus-eulu,,, de edificio Dei c. 64, MG, UI. 3, S. 172; dazu CLASSEN, Ger1wch, S. 4Off. und E. MEt/·THEN; Der Gesehichtssymbolismus Gerhohs von Reicitersberg in: Gtschichtsdenken und Geschichts-bild im Mittelalter, hg. von W. LAMM!RS (Weg., der Forschung 21, 1961), S. 228f.

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Die Kanonikerreform in Rom ... 217

und die offenbar starken Gegenströmungen im römischen Klerus,die immer wieder die Oberhand zu gewinnen wußten, so läßtsich in dieses Bild zwanglos die Nachricht von Alexanders 11.Reformversuch einordnen, der als der erste dieser Art am Laterananzusehen ist. Die Reformbemühungen dieses Papstes, so müs-sen wir vermuten, setzten sich zum Ziel, das kanonikale Lebenim Sinne der Vita 'communis et apostolica zu erneuern; sie gehenvon der Annahme aus, daß erst dann wieder die ordnungsgemäßeVerrichtung des Chordienstes durch die Kanoniker und damitdie Versorgung der Kirchen möglich sein würde. Als gebürtigerMailänder kannte Alexander die Dynamik religiöser Bewegungen,die sich bekanntlich in der Lombardei besonders intensiv aus-zuprägen pflegten, und war von daher mit den asketischen Forde-rungen vertraut, die an den Klerus gestellt wurden (56). SeineMaßnahmen in der römischen Kirche dürften aber auch vonden Erfahrungen beeinflußt sein, die er in Lucca auf dem gleichenFelde bereits als Bischof erworben hatte: Indirekt mag damitdas Vorbild S. Fredianos schon in dieser frühen Zeit wirksamgeworden sein. Die Lateranklöster. denen seit Gregor Ill. (731-741)der Chordienst in der Basilika übertragen war (57), hatten imLaufe des 10. Jahrhunderts ihren monastischen Charakter weit-gehend verloren und, da sie die von Odo von Cluny seit 936 inRom in Gang gebrachte Klosterreform nicht mitgemacht hatten,sich zu Kanonikergemeinschaften entwickelt (58). In welchem

(56) Zur Mailänder Pataria zuletzt C. VIOLANTE, I laici nel movi,runto pata,ino in: l laicinella tSocietas ,1I,istiana. dei secoli XI e Xli, Atti della tersa settimana inter,uu, di studio,Mendala 1965 (1968), S. S97-687. - Mit der Familie Alexanders 11. hat sich neuerdings ausführ-lich, aber doch nicht sämtliche Quellen verarbeitend, befaßt M.L. CORSI, Note sulla [amigliada Baggio (sec. IX-XIII) in: Raccolta di studi in memo di G. Soranlo, PubbI. dell'Univ. Cau,del S. Cuor«, ser, 3, scienze star. 10, Cantributi dell'Istit. di storia medioevale 1 (1968), S.166-206.

(S7) G_ FERRARI, Ea,ly Roman Monasteries (Studi di anticllita cristiana 23, 1957), S.160, 252, 29S.

(S8) Zu Odos Tätigkeit in Rom vgl. G. AIITOIIELLI, L'ope,a di Odone di Cluny in Italiain: Benedictina 4 (19S0), S. 19-40, bes. S. 2Sft. - Dagegen, daß eine Kanonikergemeinschaftdie Lateranbasilika versorgte (FERRARI, S. 366 und 402f.), scheint eine Marmortafel im Kreuz-gang von S. Giovanni in Laterano zu sprechen, deren Inschrift in ihrem ersten Teil von einer

Restauration der Kirche im Jahre 1072 berichtet, als Alexander 11. Papst und (ein sonst nichtbekannter) Dominicus Abt war. Der zweite Teil bringt ein umfangreiches Verzeichnis der-jenigen Reliquien, die der Abt in dieser Kirche geborgen hat (ed. V. FORCELLA, Is~ilionidelle düse, tl·alt,.' edi{icii di Roma dal secolo XI lino ai gw,ni nostri 8 [1876], S. 10 nr, 4 und

erneut LAu!:R, S. ISlf. mit Abb. S8). FORCELLA8, 5.3 und 5, ROIlAULT OE FLEURY (wie Anm.

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Maße dem Versuch Alexanders, die Laterankanoniker nun fürdie strengere Lebensweise zu gewinnen, Erfolg beschieden war,läßt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen, nachhaltig ist erjedenfalls nicht gewesen. Die Tatsache der Unterstützung durch

3S), s. 112ff. und LAUER, S. ISlf. zweifeln nicht daran, daß Alexander Ir. die Lateranbasilikarenoviert habe; auch J.B. VONTOTH, Die KaJhed,ale des Papstes (19661, S. 16 bezieht sich mitseiner Bemerkung, Alexander Ir. habe die Basilika durch Reliquien bereichert, wohl auf dieseInschrift. Die Erwähnung eines Abtes am Lateran ist aber schwerlich vereinbar mit der auchvon den oben genannten Autoren vertretenen Ansicht, daß im 11. jh. dort Kanoniker Instal-liert waren, an deren Spitze ein Archipresbyter oder Prior zu stehen pflegte. Diese Diskre-panz verursacht allerdings nur Rohault de Fleury einiges Kopfzerbrechen. Dem können wirabhelfen mit dem Hinweis auf eine Tafel in S. Biagio dell a Pagnotta (ed. FORCELLA 9 [1877],S. 403 nr. 818 und M. ARMEL!.INI, Le chies« di Roma dal secolo IV al XIX. Nuova edizione ..•a cura di C. CECCHE!.LI [1942], S. 435), deren Text identisch> ist mit dem von S. Giovanni.Dafür, daß er sich auf S. Biagio bezieht, spricht, daß bei dieser Kirche ein Kloster bestandenhat (CH. HUELSEN, Le ckies« di Roma ne! medio euo [1927], S. 214·216 nr. 22; C. CECCHELLI,Di aleune memorie benedettine in Roma in: Bull. deWIstit. stor, ital, pe, jl medio evo 47 [1932],

S. 106f.; FERRARI, S. 74; vgl. auch FORCELLA.9, S. 401 und ARMELLINI - CECCHELLI, S. 435f.).Die Bezugnahme auf den Lateran dagegen dürfte einmal das Reliquienverzeichnis ausschließen,dessen Angaben mit denen der Descriptio (Godice topogr, 3, S. 346ff.) nicht in Einklang zubringen sind. (Der Reliquienkatalog bei O. PANCIROLI, I tesori nascosii dell'alma citta di Roma[1600], S. 849ff. gibt für eine Entscheidung nichts her, er dürfte zu jung sein). Ferner erscheinteine Renovation der Lateranbasilika um die Mitte des 11. jhs. unwahrscheinlich nach denNeubauten Sergius' Ill. (904·911), die, wohl schon von johannes IX. (898·900) begonnen,vermutlich erst unter johannes X. (914·928) zu Ende geführt wurden, und vor den urnfas-

senden Erneuerungsarbeiten an Gebälk und Turm zur Zeit Innozenz:' H. (1130-1143), diewohl nicht wegen altersbedingter llaufälligkeit, sondern eher nach einem Blitzschlag notwen-dig geworden waren, der während des Pontifikats Paschalis' 11. den Turm getroffen hatte(VON TOTH, S. 16: IllS, Quelle?) und vermutlich der Grund für den Einsturz des Kirchen-daches einige Jahre später war. Diese Maßnahmen verzeichnen der Liber Ponli/icalis unddie Descriptio sorgfältig, während sie von einer Restauration Alexanders n. - wie man wohlsagen kann: bezeichnenderweise - nichts wissen (Liber pant. 2, S. 281 und Descriptio, S.349. - Zu johannes IX. vgl. die Synodica, Ravenna 898, c. 10, MG, Capit, 2, S. 123; zuSergius Ill. vgl. L.iber pont.2, S.236f., Liber Gensuu", ed. P. FABRE·L. DUCHESNE I, S.337 und Descriptio, S. 368-371, dazu LAUER, S. 138ff.; zu johannes X. vgl, Liber pant. 2, S.

241 Anm. 8 und Descriptio, S. 349 und 350 mit Anm. I, dazu LAUER, S. 140; eine Reno-

vation durch Johannes XII. wird von PANVINIO [wie Anm. 30], S. 140 behauptet, vonROIIAULT OE FLltURY, S. 97 unter Hinweis auf das Fehlen quellenmäßiger Nachrichten inZweifel gezogen - vermutlich liegt eine Verwechslung der Päpste johanlIes vor: eine dernicht seltenen Ungenauigkeiten Panvinios; zu Paschalls 11. vgl, Liber panI. 2, S. 301; zu

lnnozenz 11. vgl. Liber pant. [13oso] 2, S. 384, ßenedikts Liber Politicus ed. FABRE·DuCHESNE,Le Liber Cmsuu", 2, S. 169 und Descriptio, S. 348). Die fragliche Inschrift wird also ohne

Bedenken S. Biagio zugewiesen werden können, was auch die Nennung des hI. Blasius ander Spitze des Ordo der Märtyrer im Reliquienverzeichnis der Inschrift nahelegt, eine

Stellung, die ihm als Patron der Kirche zukommt. Zu welchem Zweck aber eine Dublette

im Laterankreuzgang angebracht wurde, mag offen bleiben.

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Die Kanonikerreform in Rom ... 219

einen Mann wie Pctrus Damiani und den Archiprcsbyter Petrus,den man nach Damianis Worten auf der Gegenseite mehr fürch-tete als selbst ein Papstdekret (59), mag allenfalls den Schlußerlauben, daß fin Teil der Kanoniker wenigstens für einige Zeitfür die Reform gewonnen werden konnte im Sinne einer « Zellen-bildung &, die ja auch anderswo zur Taktik der Reformer ge-hörte (60). Gregor VII. (1073-1085) hat die Linie seines Vorgän-gers entsprechend seinen eigenen, als Diakon 1059 erhobenenForderungen anfangs weiterzuvorfolgen gesucht. Bonizo vonSutri (t ea. 1095), sein eifriger Anhänger, berichtet nämlich,daß der Papst schon kurz nach seiner Ordination den gesamtenrömischen Klerus vor die Wahl gestellt habe, entweder ohneeigenen Besitz secundum regulam sanetarum zu leben, oder sichvom Kirchendienst und -besitz zurückzuziehen (61). Ferner: Ausdem Jahre 1078 ist ein Brief Gregors an die Kleriker der Kathedralein Lucca datiert, in dem er deren Widerstand gegen die seit LeoIX. (1048-1054) versuchte Reform scharf tadelt und sie auffor-dert, ut communem vitam vivatis, sicut sanctus Leo papa ecclesi€vestr€ instituit et sicut Romana €cclesia intellegit, id est, ut omniaecclesie bona in communem utilitatem redigantur et communiter ...expendantur (62). Diese Äußerung Gregors über die Vorbildlichkeitder römischen Kirche legt die Deutung nahe, daß gegenüberdem Jahre 1059, als es nur nonnulli ex clericali ordine ... in hac

(S9) Pctrus Damiani op. 18 I, ~hGNE, PL 14S, S. 387D.(60) Vgl. KITTEL (wie Anm. IS), S. 214.(61) ßONIZO, Liber ad ami,u", VII, ~IG, UI. I, S. 603, 18-21: Sed et uancrabilis pontijc»

iK principio ordinationis Sll~ omnibus Romanis clericis dedit optionem; ut aliI caJJOnic~ nihilproprium possidtntts secund ..m recu/am sanctorum vivtrent, aut relictis bonis tcClesi~ seorsu ...domi manerent, Zu den Reformbemühungen Gregors VII. auf liturgischem Gebiet vgl, S.

LÖWENI'ELD, Ein Akttnstiick aus der Ostersynode VOll 1078 in: NA 14 (1899), S. 618-622und Bemhardi card. Ordo otJiciorum eccl • LaJeranensis ed. L. Frscusa (Hist. Forsch. lindQuelle" 2-3, 1916), S. 77 und 11I. Zum römischen Kanonikergelübde s, oben S_ 206 Anm. 21.

(62) JL S092, Greg. VII Rcg, VIII ed. E. CASPAR, ;\IG, Epp_ sel, Il 2, S_ 4121.; zur SachevSI. KITTEL, S. 221f1. Diese Bemerkung Gregors, sowie die Nachricht Bonizos (vorige Anm.)sind, soviel ich sehe, in der Forschuns bisher nicht zur ßeleuchtung der Situation in Hornherangezogen worden. - Die sog. Kanonikerregel Gregors VII. kann nach den ForschungenDEREINES (La pritendue r~gle de Grigoire VII pour chaneines reguliers in: Rev. Benid. 71 (1961),

S. 108-118) diesem Papst nicht mehr zugeschrieben werden, sie bleibt deshalb hier außerBetracht; vgl. dazu CoD. FONSECA, La cosiddeua • Regola di Gregorio VU. p~r j caMKicj rego-larj in: Riv. di storia dclla chiesa jK Italia 16 (1962), S. 135-136, DERS. in: MOMsttrj iK altalta/ia, S. 362 Anm. 103 und Medioroo caMnicale, S. 101f1.

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Romana urbe waren, die communem vitam exemplo primitivaeecclesiae führten (63), die Fundierung der Reform im römischenKlerus Fortschritte gemacht hat, und zwar durch die oben behan-delten Maßnahmen Alexanders und Gregors.

In den Wirren des Investiturstreits mußten diese Ansätzewieder zugrunde gehen. Hatten die Päpste des 12. Jahrhundertsbei allen ihren Reformbemühungen den Konvent von S. Fre-diano als Reservoir zuverlässiger Regularkanoniker zur Seite, soist das bei Alexander noch nicht der Fall gewesen. Dazu sindjene Kräfte und hemmenden Tendenzen, die im Bunde mit derkaiserlichen Partei noch fünfzig Jahre später, als die Erneuerungdes kanonikalen Lebens schon erheblich breitere Resonanz gefun-den hatte, die Reform des Lateranklerus zu vereiteln wußten,für die Zeit Alcxanders n. in weit stärkerem Maße in Rechnungzu stellen: Gründe, die das Scheitern seines frühen Versuchs erklä-ren können. Erst als um die Jahrhundertwende die politischeKonstellation eine Festigung des Reformpapsttums in Romwenigstens für eine gewisse Zeit ermöglicht hatte, konnte Pascha-lis II. an eine erneute Reformierung des Lateranklerus denken,wobei er aber einen anderen Weg einschlug als Alexander 11.,Petrus Damiani oder Gregor VII. Während diese die bereits instal-lierten Kanoniker für die Reform zu gewinnen suchten, betrautePaschalis mit ihrer Durchführung nun auswärtige Regularkano-niker, und zwar holte er Chorherren aus dem Luccheser StiftS. Frediano nach Rom (64). Doch trotz der veränderten Taktikverliefen die Bemühungen auch dieses Papstes noch keineswegszufriedenstellend. Die Luccheser Chorherren blieben ein Fremd-

(63) Verhandlungsprotokoll ed. WUMINGHOFF,NA 27, S. 669.(64) Zum ersten Mal wird am 21. Februar 1118 ein Prior Ursus am Lateran genannt

(KI!HR, IP Ill, S. 418 ne. 27 und dazu KEHR,QFIAB 14, S. 11), der zur Kongregation vonS. Frediano gehörte. ~lit dieser stand Paschalis 11. offenbar in enger Verbindung, denn nebender Lateranbasilika übertrug er den Luccheser Kanonikern noch die Kathedrale von Cittadi Castello (KEHR, IP IV, S. lOH. und KEJlR, QFIAB 14, S. 12), und der Prior Rotho vonS. Frediano ist wiederholt als Ratgeber in Rom anwesend (KEHR, IP Ill, S. 417 nr. 18, 19und KEHR,QFIAB 14, S. 12). - Neben seiner Kathedrale wandte Paschalis 11. noch einigenweiteren römischen Kirchen seine besondere Aufmerksamkeit zu, wie überhaupt seit denZeiten Alexanders 11. in diesem Pontifikat erstmals wieder eine regere Bau- und Erneuerungs-tätigkeit an den Kirchen Roms erkennbar ist (vg!. V. GOLZIO• G. ZANDER,Le chies« di Romadall'XI 41 XVI secolo [Ro"", C1'istia..a 4,19631, S. 14 und Lib" pont. 2, S. 30S, KEHR, IP I,S. 40f., 69, 86, 140, IS8f.).

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Die Kanonikerreform in Rom ... 221

körper im römischen Klerus. Der Nachfolger, Gelasius 11. (1118-1119), mußte gleich zu Beginn seiner Regierung Unterstützungfür die Reformgruppe am Lateran aus Lucca erbitten. Auchdieser Versuch führte zu noch keinem dauerhaften Ergebnis:Beim Einzug des kaiserlichen Gegenpapstes Burdinus-Gregor VIII.(1118-1121) in den Lateran 1118 dürften die Kanoniker wiedervertrieben worden sein. Erst Calixt n. (1119-1124) gelang, wasseine Vorgänger vergeblich erstrebt hatten. Nachdem die Gegen-sätze des Irrvestiturstreits nunmehr weitgehend abgestumpftwaren und damit eine Beruhigung des politischen Klimas eingetre-ten war, konnte er die Reformkanoniker von S. Frediano imJahre 1121 mit Zustimmung des Kardinalkollegiums endgültigin den Lateran einführen (65).

(6S) Zu Gelasius 11. und Calixt 11. s. oben Anm. SS; dazu KEHR, QFlAB 14, S. 11,

SCHNEIDER, QFIAB 17, S. 24 Anm. 2 und S.2Sf. und FISCHER (wie Anm. 61) S. XI·XVI.Zur Mitwirkung der Kardinäle bei der Übertragung von röm. Kirchen an neue Verwaltervgl. V. PUFF, Die Kardinäle "'Iter Papst Coelesti" Ill. in: ZRG, Kan, Abt. 41 (19SS),S. 72. - Erst von Bonifaz VIII. (1294-1303) wurden wieder Säkularkanoniker am Lateraneingesetzt (vgl. KEHR, 1P I, S. 23).