HYPOMNEMATA - Academia Analitica · 2019. 7. 21. · "tlKroV O'OMOytO'J,lrov erwähnt werden, die...

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  • HYPOMNEMATA

    UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

    Herausgegeben von Albrecht Dihle/Hartmut Erbse/Christian Habicht

    Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig/Bruno Snell

    HEFT 79

    V ANDENHOECK &. RUPRECHT IN GÖTTINGEN

  • TAE-SOO LEE

    Die griechische Tradition der aristotelischen Syllogistik

    in der Spätantike

    Eine Untersuchung über die Kommentare , zu den analytica priora

    von Alexander Aphrodisiensis, Ammonius und Philoponus

    V ANDENHOECK &. RUPRECHT IN GÖTTINGEN

  • Meinen Kindern, Chung Hoon und Chung Hyun, gewidmet

    CIP-KulZtitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

    Lee, Tae-Soo: Die griechische Tradition der aristotelischen Syllogistik in der Spätantike: e. Unters. über d. Kommentare zu d. analytica priora

    von Alexander Aphrodisiensis, Ammonius u. Philoponus / Tae-Soo Lee. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1984.

    !~ypomnematai H. 791

    ISBN 3-525-25177-7

    NE:GT

    D7 © Vandenhoeck &. Ruprecht in Göttingen 1984 - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu ver-

    vielfältigen. Satz: Dörlemann-Satz GmbH &. Co. KG, Lemförde. Druck: Hubert &. Co., Göttingen

  • o. Vorwort Die vorliegende Arbeit macht es sich zur Aufgabe, hauptsächlich an-

    hand von griechischen Kommentaren zu den analytica priora die spätan-tike Tradition der aristotelischen Logik zu verfolgen. Der Verfasser der Arbeit hofft dabei, einen Beitrag zur Erhellung eines wichtigen, dennoch bislang nur wenig erforschten Zeitabschnittes in der Geschichte der Lo-gik zu leisten. Welche Bedeutung für die Geschichtsschreibung der Logik der Beschäftigung mit diesem Zeitabschnitt zukommt, davon wird man schon eine ungefähre Vorstellung haben, wenn hier darauf hingewiesen wird, daß der Grundstock jener Logik, die bis zum 19. Jahrhundert, insge-samt über zweitausend Jahre lang, in der Geschichte der abendländischen Logik dominiert hat, zwar von Aristoteles stammt, doch in Wirklichkeit in der Gestalt, die die spätantiken Aristoteliker ihm gegeben hatten, dem Abendland tradiert und bekannt geworden ist. Dieser Hinweis soll zu-gleich auch verständlich machen, warum sich die folgende Untersuchung weitgehend auf die Frage konzentriert, mit welcher Konzeption die spät-antiken Aristoteliker an der systematischen Gestaltung der ihnen überlie-ferten Logik von Aristoteles gearbeitet haben. Auf manche Einzelpro-bleme, die aus der Sicht der modemen Logik von Interesse sein können, kann dabei nicht eingegangen werden. Ferner muß darauf verzichtet wer-den, die Modallogik mitzubehandeln. Trotz dieser Beschränkung des Themenkreises wird die vorliegende Arbeit wohl in den Hauptzügen ein Gesamtbild von dem vermitteln, was während der Rezeption und über-lieferung der aristotelischen Logik in der Spätantike geschehen ist.

    Diese Untersuchung ist im Sommersemester 1981 von dem Fachbe-reich Historisch-Philologischer Wissenschaften der Universität Göttingen als Dissertation angenommen worden. Die Anregung zu dieser Untersu-chung kam von Professor W. Wieland, dessen Betreuung und Förderung ich noch sonst vieles verdanke. Auch Professor G. Patzig, der meiner Ar-beit sein Interesse geschenkt hat, und den anderen Herausgebern der Hy-pomnemata-Serie, die meine Arbeit in ihre Reihe aufgenommen haben, bin ich zu Dank verpflichtet.

    Der Fachbereich Historisch-Philologischer Wissenschaften der Univer-sität Göttingen und die Stiftung "Humanismus Heute" haben einen groß-zügigen Druckkostenzuschuß beigesteuert und dadurch die Drucklegung ermöglicht. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem DAAD, mit dessen Hilfe ich das Studium in Deutschland durchführen konnte.

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  • Inhaltsverzeichnis

    o. Vorwort . I. Einleitung

    1. Quellen. 2. Forschungsgeschichte

    II. Die Auffassung der Logik bei den griechischen Kommentato-ren ........... .

    1. Das System der Logik 2. Formale Logik . . 3. Logik als Organon

    ill. IIpo'tucrtC; . . .. . .

    N. Das System der formalen Logik .

    V. Konversion (av'tt(J'tpoqnll

    VI. Syllogismus . . . . . . . .

    VII. Das System der Syllogismen

    Vill. Schluß ....... .

    Literaturverzeichnis .

    Namenregister .

    Stellenregister .

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  • 1. Einleitung

    1. Quellen

    Der folgenden Untersuchung liegen die drei Kommentare zu den ana-lytica priora als Hauptquellen zugrunde: .

    1. Der Kommentar von Alexander von Aphrodisias (ed. M. Wallies, Berlin 1883). Von diesem gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. geschrie-benen einflußreichen Werk ist nur der Teil erhalten geblieben, in dem das erste Buch von den an. pr. behandelt ist. Der andere Teil, in dem das zweite Buch von den an. pr. behandelt ist, scheint schon sehr früh verlo-rengegangen zu sein 1.

    2. Der Kommentar von Ammonius (ed. M. Wallies, Berlin 1899). Die-ser Kommentar, der ungefähr aus dem Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. datiert, ist wahrscheinlich nicht von Ammonius eigenhändig geschrieben worden, sondern von einem seiner Schiller uno

  • "tlKroV O'OMOytO'J,lrov erwähnt werden, die in dem Text des in der CAG-Serie herausgegebenen Kommentars des Ammonius zu den an. pr. enthal-ten sind. Brauchbar ist auch die uns in französischer übersetzung zugäng-liche Abhandlung "Traite de Themistius en reponse a Maxime au sujet de la reduction de la deuxieme et la troisieme figures a la premiere" (in: Ba-dawi, a.a.O., S. 166-180; vgl. Anm. 1). Badawi hat sie aus einem arabi-schen Text übersetzt, der aus dem 1l. Jahrhundert datiert, und dieser ara-bische Text ist seinerseits eine übersetzung der griechisch geschriebenen Abhandlung des Themistius, der im 4. Jahrhundert tätig warz. Unter den verlorengegangenen Arbeiten über die Logik der an. pr. ist das Buch von Boethos, der um die Zeitwende als 11. Scholarch der peripatetischen Schule tätig war, wohl die interessanteste. über sein Buch kann folgendes vermutet werden: Der Titel des Buches lautete "Beweis". Wie der Titel andeutet, wird in diesem Buch keine exegetische Untersuchung durchge-führt, sondern ein ganz bestimmtes Thema, eben die Beweismethode, sy-stematisch behandelt. Dabei handelt es sich sicher nicht um die syllogisti-schen Beweise, von denen in den an. post. die Rede ist, sondern um die Beweise der Gültigkeit der Syllogismen selbst. Seine Theorie dieser Be-weise weicht von der aristotelischen Theorie sehr stark ab. Der Verlust dieses originellen Buches kann nicht genug bedauert werden3•

    Ariston, der vermutlich etwas später als Boethos lebte, hat sicher eine Schrift verfaßt, in der er vor allem die Theorie der sogenannten subalter-nen Modi dargestellt hat. Aber wahrscheinlich hat diese Schrift bei sei-nen Nachfolgern keine Beachtung gefunden und ist schon in der Antike verlorengegangen4• Es ist gut bezeugt, daß Porphyrius, der Verfasser der berühmten Isagoge, der im 3. Jahrhundert tätig war, eine kompendienar-tige Einleitung in die kategorische Syllogistik geschrieben hatS• Ob er

    2 Eine Anspielung auf diese Schrift findet sich in Ammonius' Kommentar zu den an. pr. (CAG IV,61, S. 31, ISff. Der große Wert dieser Schrift besteht darin, daß sie uns über viele Abweichungen der spätantiken Logik von der aristotelischen Logik ziemlich genaue Infor-mationen gibt.

    3 Diesen Verlust kann der oben genannte "Traite de Themistius" einigermaßen ersetzen_ Themistius kritisiert in dieser Abhandlung Boethos' Methode der Beweise der Gültigkeit der Syllogismen. Dabei ermöglicht er es uns, eine ungefähre Vorstellung von Boethos' Grundgedanken zu entwickeln.

    4 Das einzige Zeugnis für seine Theorie findet sich in einem lateinischen Kompendium, das ungefähr im 2. Jahrhundert verfaßt worden ist. S. Apulei Opera vol. 3, ed. P. Thomas, Leipzig 1908, S. 193.

    5 Boethius, In Porphyrium Dialogi, in: Boetii Opera omnia, ed. J. P. Migne (P. L. 641, Paris 1847, S. 140. Auch in arabischen Quellen gibt es Testimonien für das Vorhandensein dieses Buches. Hierzu J. Bidez, Vie de Porphyre, Gent 1913, S. 55·,13; S. 58·, 5; S. 60·,17. Als Boe-thius seine introductio ad syllogismos categoricos schrieb, folgte er wohl dem Beispiel von Porphyrius. Wahrscheinlich lehnte sich Boethius auch inhaltlich stark an Porphyrius' Buch an.

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  • auch einen Kommentar zu den an. pr. geschrieben hat, ist ungewiß. Je-denfalls ist von ihm keine Schrift über die Logik der an. pr. überliefert.

    Jamblich, der unter Porphyrius' Schülern wohl der berühmteste war, hat sicherlich einen eingehenden und ausführlichen Kommentar zu den an. pr. verfaßt. Im. Hinblick auf den inhaltlichen Charakter dieses Kom-mentars ist zu vermuten, daß von diesem Neuplatoniker dort eine philo-sophisch-tendenziöse Interpretation des Lehrstoffes der an. pr. vorgelegt wurde. Diese Vermutung stützt sich auf die Tatsache, daß die überliefer-ten Fragmente seiner anderen exegetischen Schriften immer einen zielge-richteten und tendenziösen Interpretationsversuch des Verfassers erken-nen lassen6•

    Vielleicht ist uns im Falle des Kommentars von Jamblich das eigentlich repräsentative Werk für die neuplatonische Art und Weise der Behand-lung der aristotelischen Syllogistik verlorengegangen. Die typisch neupla-tonischen Philosopheme, denen wir in den oben genannten Kommenta-ren der beiden Alexandriner, Ammonius und Philoponus, ab und zu begegnen, stammen möglicherweise von Jamblich. Dabei dürfte es sich wohl nur um eine verwässerte Wiedergabe handeln, da die beiden Alex-andriner schon keine Neuplatoniker von strikter Observanz mehr waren.

    Themistius, der Verfasser des oben genannten "Traite", war auch we-gen der Paraphrasen zu den aristotelischen Schriften berühmt. Die mei-st~n von diesen Paraphrasen sind bis auf Fragmente verlorengegangen, darunter auch die Paraphrase zu den an. pr .. Der Teil der Paraphrase zu den an. pr., der in der CAG-Serie erschienen und ihm zugeschrieben ist, ist bestimmt unecht? Maximus, ein Zeitgenosse von Themistius, hat eine Monographie über die Figuren der Syllogismen verfaßt. Der Traite von Themistius ist nämlich eine Art Rezension über Maximus' Monogra-phie. Es ist möglich, daß auch der Philosoph Kaiser Julian, der mit den beiden Gelehrten befreundet war, irgendeine Schrift über die an. pr. ver-faßt hat. Auch Proclus, der Vollender der neuplatonischen Metaphysik aus dem 5. Jahrhundert, scheint einen Kommentar zu den an. pr. ge-

    6 Hierzu K. Praechter, Richtungen und Schulen im Neuplatonismus, in: Genethliakon - für Carl Robert, Berlin 1910, S. 103-156. In diesem Aufsatz hebt Praechter hervor, daß sich

    Jamblichs exegetische Arbeit durch Konsequenz und Einheitlichkeit auszeichnet. Ebenso B. Larsen, Jamblique de Chalkis, Aarhus 1972, besonders das Kapitel "L'exegese et l'herme-neutique de Jamblique" (S. 429-459). Auch Larsen weist darauf hin, daß Jamblichs Exegese immer auf seinem eigenen philosophischen Werturteil beruht. Simplikios gibt eine ähnli-che Beschreibung von Jamblichs Exegese. Die Quellen, auf die sich dieses Urteil stützt, sind von Larsen in dem Anhang seines Buches vollständig zusammengestellt.

    7 Schon im letzten Jahrhundert ist die Unechtheit dieses Stücks überzeugend nachgewie-sen worden von V. Rose: "über eine angebliche Paraphrase des Themistius", in: Hermes 2, 1867, S. 191-213.

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  • schrieben zu haben. Wenigstens in einem anonymen Kommentar ist Pro-clus' Kommentar zu den an. pr. erwähnt8•

    Außer den bisher genannten Werken muß es noch viele andere Schrif-ten über die Logik der an. pr. gegeben haben. Aber zweifellos gehören die bisher genannten Werke zu den wichtigsten Beiträgen, die in der Antike auf diesem Gebiet geliefert worden sind. Dafür sprechen wenigstens die angeführten Namen der Autoren, die auch in anderen Bereichen der anti-ken Wissenschaften eine bedeutende Rolle gespielt haben.

    In dieser Arbeit müssen gelegentlich noch einige griechische Kommen-tare zu den anderen logischen Schriften von Aristoteles als Hilfsquellen herangezogen werden. Auch unter den Schriften von antiken Autoren, die nicht zur griechischen Tradition gehören, gibt es einige wichtige Bei-träge, die in dieser Arbeit als Hilfsquellen nicht außer acht gelassen wer-den können, etwa die logischen Schriften von Boethius. Alle diese Hilfs-quellen sind im Literaturverzeichnis im Anhang dieser Arbeit angegeben.

    2. Forschungsgeschichte

    Schon im 16. Jahrhundert hat P. Ramus den Versuch gemacht, eine Ge-schichte der Logik zu schreiben. Das erste Buch seines Werkes "Schola-rum dialecticarum libri" (Frankfurt 1594) ist nämlich der Geschichte der Logik gewidmet. In diesem Buch findet sich ein Kapitel, das mit "De 10-gica Aristoteleorum interpretum et praecipue Galeni" betitelt ist. Hier er-wähnt Ramus alle griechischen Kommentatoren von Alexander von Aphrodisias bis zu M. Psellus (11. Jahrhundert) in einem Atemzug und stempelt sie einfach als "Sklaven" ab. Seine Begründung: sie hingen zu sehr an der aristotelischen Lehre, und eben dies widerspreche dem freien Geist der aristotelischen Philosophie (S. 27-31). Dieses pauschale Urteil, wie scharfsinnig es auch klingen mag, stützt sich aber offensichtlich nicht auf eine detaillierte Untersuchungj fraglich ist es schon, ob Ramus die Originaltexte der Kommentatoren überhaupt gelesen hat. Nicht nur bei der Beurteilung der Kommentatoren, sondern auch sonst besteht der Verdacht, daß er nicht selten die Pflicht der eingehenden Lektüre der zu beurteilenden Werke vernachlässigt hat. Wir müssen also das Urteil fäl-len, daß seine Historiographie als ganze auch im günstigsten Fall nur ei-nen sehr bedingten Wert hat.

    Auch in der folgenden Zeit wurden von einigen Gelehrten Versuche gemacht, die Geschichte der Logik zu schreiben. Doch die Ergebnisse die-

    8 PS.·Ammon. in an. pr. (CAG IV,6l, 43,30. In den besseren Dokumenten für das Schrift-tum des Proclus ist jedoch von diesem Buch nichts erwähnt.

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  • ser Versuche enthalten im großen und ganzen nicht viel mehr als das, was wir in Ramus' Buch lesen können. Dies ist natürlich auf das man-gelnde Interesse an der Logik zurückzuführen, das für die frühe Neuzeit char~teristisch ist. Zudem war während dieser Zeit die Möglichkeit des Zugangs zu den Quellen im allgemeinen äußerst beschränkt. Die griechi-. sehen Kommentare zu den aristotelischen Schriften waren damals näm-lieh nicht ediert. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Unter-nehmen, diese Werke zu edieren, von einer Gruppe von Philologen geplant, die die Wichtigkeit dieser Werke für das Aristotelesstudium er-kannt hatten9•

    Aber kurz bevor dieses Unternehmen geplant wurde, ist schon ein mo-numentales Werk über die Geschichte der Logik von C. Prand erschie-nen, in dem der Verfasser auch die Leistungen der antiken Aristoteliker so ausführlich behandelt, wie es nie zuvor geschehen war (Geschichte der Logik im Abendlande I, Leipzig 1855). Dieses Buch ist insofern monu-mental, als es praktisch die erste wissenschaftlich ernst zu nehmende Hi-storiographie auf dem Gebiet der Logik ist; der Umfang dieses Buches ist bis heute noch nicht überboten worden 10.

    Es ist aber zugleich ein ganz eigenartiges Werk. Den Grundton seiner Historiographie über die antike Logik bildet zweierlei: tiefe Verehrung der aristotelischen Logik und ebenso tiefe Abneigung gegen jeglichen For-malismus, also auch gegen formale Logik. So neigt er sehr oft dazu, über-all dort, wo von der aristotelischen Logik abgewichen wird, die Tendenz zum Formalismus zu wittern und umgekehrt, wo die Tendenz zum For-malismus sichtbar wird, eine Abweichung von der aristotelischen Logik zu erblicken. Die allgemein akzeptierte Ansicht, daß die aristotelische Syllogistik im Grunde formale Logik ist, wird in seinem Buch mit aller Entschiedenheit bestritten. Nach Prand ist die aristotelische Syllogistik ein philosophisches System, das mit inhaltsleeren Formalismen nichts zu tun hat. Um diese Behauptung zu begründen, führt er den Begriff "Be-griff" ein und schiebt in seiner Darstellung der aristotelischen Logik die Begriffstheorie im Anschluß an die Kategorienlehre und vor die Theorie der Syllogismen ein 11.

    9 Eine allgemeine Bewertung dieser Edition sowie einen überblick über die exegetische Arbeitsweise der antiken Aristoteliker gibt K. Praechter in seinem Artikel: "Die griechi-schen Aristoteles-Kommentare", in: Kl. Schriften, Hildesheim 1973, S. 282-304.

    10 Allerdings gab es auch damals einige kleinere Arbeiten, in denen die Tätigkeit der anti-ken Aristoteliker zur Sprache kam (z. B. Brandis, über die Reihenfolge der Bücher des Ari-stotelischen Organons und ihre griechischen Ausleger, nebst Beiträgen zur Geschichte des Textes jener Bücher des Aristoteles und ihrer Ausgaben, in: Abh. d. phil. hist. Kl. cl. Königl. Akdad. d. Wiss. Berlin 1833, S. 268-2991.

    11 Dabei läßt er sich weder durch die Tatsache beirren, daß "über die Begriffslehre uns keine ausschließlich spezielle Schrift von Aristoteles erhalten ist" (S. 2111, noch durch die

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  • Der Begriff ist nach ihm das innere Prinzip der ganzen aristotelischen Logik, auf dessen Basis auch die Syllogistik möglich ist. Nach seiner Er-klärung sind die Begriffe gewisse, mit außergewöhnlichen Kräften ausge-stattete metaphysische Entitätenj sie haben z. B. eine notwendig-kausale Kraft, eine Besonderheiten vereinigende Kraft usw., - sogar schöpferisch können sie sein, obwohl sie Begriffe genannt werden. Vielleicht hat man es hier mit einer dynamischen Modifikation der platonischen Ideen zu tun. Ich kann hier natürlich auf die Frage, wie solche Entitäten mit so wunderbaren Eigenschaften genauer zu verstehen sind, nicht eingehen. Würde jedenfalls die aristotelische Logik wirklich die Annahme der Exi-stenz derartiger Entitäten voraussetzen, wie Prand glaubt, könnte man es ihm zugeben, daß die aristotelische Logik keine gewöhnliche Logik, son-dern eine "philosophische" Logik ist. Wie dem auch sei, Prand findet, daß die antiken Aristoteliker bei der Interpretation der aristotelischen Lo-gik die Begriffslehre des Aristote1es, genauer die Begriffslehre, die Prand Aristoteles zuschreibt, nicht heranziehen. Und dies kann er nicht verzei-henj er stempelt die ganze Periode der antiken Aristoteliker als eine deka-dente Phase in der Geschichte der Logik ab. Die Dekadenz besteht für ihn in der "Lostrennung der Logik von jenem Verband, in welchem sie bei Aristote1es mit der Philosophie überhaupt steht" (S. 348). Und die von der Philosophie 10sgetreIinte Logik ist für ihn eben die formale Logik, die "keinen Begriff vom Begriff hat". Prand klagt die antiken Aristoteliker heftig an, sie hätten die aristotelische Logik beinahe zur formalen Logik, einem jämmerlichen Zerrbild jener entarten lassen. Was von ihm über die antiken Kommentatoren geschrieben ist, ist als Ganzes eine Invektive im wahrsten Sinne des Wortes. Da fallen Worte wie "Albernheit", "Blöd-sinn", "Geschwätz", "Hohlkopf" gar nicht selten. Ein bißchen Lob kann als einzige Ausnahme nur Alexander von Aphrodisias ernten, und zwar dank seiner unverkennbaren Bemühung um die Wahrung der Aristote-les-Orthodoxie, (wobei Prantl allerdings verschweigt, daß auch Alexander bei der Erklärung der Syllogistik die Begriffsmetaphysik, die Prand als die notwendigste Voraussetzung für das korrekte Verständnis der aristoteli-

    Tatsache, daß in den sonstigen uns erhaltenen logischen Schriften von Aristoteles eigentlich kein Terminus zu finden ist, dessen Bedeutung der seines "Begriffs" entsprechen würde. Er scheint zu glauben, daß in der uns nicht erhaltenen Schrift IIEpi EiÖ61v a, die in dem von Diog. Laertius angefertigten Schriftenverzeichnis von Aristoteles und auch in einem anony-men Schriftenverzeichnis registriert ist, wenigstens ein Abschnitt der Begriffslehre behan-delt war. Er behauptet ferner, daß die Bedeutung der Termini öpOC; und A,6yoC;, die in den logischen Schriften von Aristoteles verwendet werden, der Bedeutung seines "Begriffs" ent-spricht, wobei er nicht vergißt, darauf hinzuweisen, daß es zwischen den beiden Termini ei· nen gewissen Unterschied gibt: MyoC; sei nämlich "ausgesprochener Begriff", während öpOC; einfach "Begriff" sei (S. 359).

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  • schen Syllogistik ansieht, nicht heranzieht). Die anderen Kommentatoren erregen bei Prand nur Verachtung und Haß, gelegentlich sogar Ekel l2•

    Dennoch macht Prand für diese Dekadenz nicht allein die Aristoteli-ker verantwortlich. Vielmehr treffe die Hauptschuld die Stoiker. Alles übel in der Spätantike kommt für ihn von den Stoikern, den "widerli-chen VerderbernII, wie er sie bei jeder Gelegenheit hemmungslos be-schimpft. Ihm scheint der Ausdruck "die stoische Beeinflussung" zu schwach zu sein, er spricht oft schlicht von der Infektion. Die Hinnei-gung der antiken Aristoteliker zur formalen Logik sei vor allem durch diese stoische Infektion bedingt. Denn die Stoiker seien eben diejenigen, die die formale Logik ins Leben gerufen haben. Was nun das Wesen der formalen Logik eigentlich ist, das näher zu erklären, gibt sich Prand keine besondere Mühe. Nur dadurch, daß er die formallogische Denkart mit anderen Denkarten von ebenso stoischem Ursprung, nämlich "Rhe-torismus" und "Scholastizismus" in Verbindung bringt, macht er etwas deutlicher, was er unter der formalen Logik versteht. Mit dem Scholasti-zismus meint er vor allem die pedantische Bemühung um die Erklärung der Trivialitäten und die Hinneigung zu dem schulmäßigen mechani-schen Verfahren, beispielsweise der Kombinatorik und der schematischen Einteilung. Solche Dinge findet er überall in den griechischen Kommen-taren, und in seinen Augen sind solche Dinge besonders dazu geeignet, das eigentlich Wichtige und Lebendige an der aristotelischen Logik (das "Begriffliche", versteht sich) verschwinden zu lassen. Wenn Prand die Kommentatoren der formallogischen Denkweise bezichtigt, scheint er sehr oft an diese scholastischen Merkmale zu denken. Nach Prands Wort-gebrauch liegt dann Rhetorismus vor, wenn man nur an äußerlichen Sprachausdrücken hängt, ohne auf den begrifflichen Inhalt zu achten. Mit diesem Rhetorismus sei nun die formallogische Denkweise darin ver-wandt, daß auch für sie "die äußerliche sprachliche Form übergewicht

    12 Besonders die neuplatonischen Kommentatoren kann er nicht leiden. Porphyrius hält er für einen der schlimmsten Erklärer der aristotelischen Logik; welche Fähigkeit Porphy-rius als Aristoteleserklärer besitzt, ist ihm, meint er, wegen der Tatsache, daß er ein Schüler von plotin ist, schon von vornherein klar (S. 6261. Er betrachtet es als ein großes Unheil in der Geschichte der Logik, daß Porphyrius dennoch die aristotelischen Schriften zu kom-mentieren wagte und mit dem "niedrigen und verderblichen Standpunkt" (S. 627J, von dem aus er diese Arbeit durchführte, einen großen Einfluß auf die ganze nächste Zeit ausüben konnte. Daß Jamblich u. a. auch zu den an. pr. einen Kommentar schrieb, erscheint ihm ebenfalls als eine freche Anmaßung. Diesen Philosophen, dem Prant! hinsichtlich der geisti-gen Haltung und des Arbeitsprinzips nach meiner Meinung nicht unähnlich ist (dies meine ich nicht unbedingt negativl, nennt er einen "ekelhaften Phantasten" (S. 6381. Ammonius ist für ihn stupid und geschwätzig, er finde "Vergnügen daran, die plattesten und einleuch-tendsten Dinge, man weiß nicht, ob sich selbst oder möglich dümnisten Lesern, noch ver-ständlicher zu machen" (S. 642). Und Philoponus sei bloß ein Abschreiber (S. 6431.

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  • über die innere Geltung des Begrifflichen" habe. Zwar bezichtigt er die antiken Aristoteliker nicht direkt des Rhetorismus, doch er diagnosti-ziert, sie seien alle mehr oder weniger von dem Rhetorismus infiziert. Er meint nämlich, sie machten sehr oft wegen der äußerlichen Sprachaus-drücke viel Getue. Vor allem in ihrer Grundauffassung von der Logik glaubt er die Infektion feststellen zu können. Alle antiken Aristoteliker vertreten die Meinung, daß die Logik keine selbständige Wissenschaft, sondern nur ein Werkzeug für die Philosophie und andere Wissenschaf-ten ist. Prand behauptet, sie seien deswegen zu dieser irrtümlichen Mei-nung verleitet worden, weil sie glaubten, die Hauptsache für die Logik sei das Argumentieren. Und das Argumentieren ist, so weiß er, der Ort, an dem "die Logik mit der Rhetorik zusammentrifft" (S. 534). Aber natürlich ist die Logik an sich, wie er fest überzeugt ist, eine selbständige philoso-phische Disziplin und hat im Gegensatz zu der Rhetorik mit der Argu-mentationstechnik nichts zu tun. So sein vernichtendes Gesamturteil j im ganzen sei die Logik der spätantiken Aristoteliker auf das Niveau der vor-aristotelischen, ja geradezu vorsokratischen Zeit zurückgefallen, denn So-krates sei eben derjenige, der dem formal-rhetorischen Flitterwerk der So-phisten das begriffliche Wissen gegenübergestellt und so die wahre Logik vorbereitet habe.

    Heute halten viele Historiker Prands Buch für überholt. In der Tat muß sein Buch recht kritisch gelesen werden. Was den Zeitabschnitt der antiken Aristoteliker anbetrifft, behält Prands Historiographie dennoch ihren Wert. Wenigstens ein wichtiges historisches Faktum, das vor ihm etwa P. Ramus entgangen ist, ist von ihm festgestellt worden: die antiken Aristoteliker haben nicht so skalvisch die aristotelische Logik wiederholt wie Ramus meinte, sondern sie haben sie eben nicht wenig umgestaltet. Indem er aufgrund eingehender Lektüre zu ermitteln suchte, worin diese Umgestaltung besteht, konnte er die Arbeit der antiken Aristoteliker, wenn auch etwas vage, aber im Grunde trefflich charakterisieren. Aller-dings begeisterten ihn die Charakteristiken gar nicht, auf die er sicher als erster aufmerksam machen konnte, er versah sie vielmehr mit in seinem Sinne eindeutig negativen Wertakzenten. Doch der Nutzen eines Ge-schichtswerkes hängt nicht nur von solchen Wertakzenten ab, in denen sich die subjektive Auffassung des Verfassers von den behandelten Ge-genständen, d. h. seine Vorurteile widerspiegeln. Und es braucht kaum bemerkt zu werden, daß das, was Prand seinerzeit so verachtenswert fand, also die Schulmäßigkeit, die mechanische Anwendung der Schema-tismen und die Bemühung um Trivialitäten, das Verlagern des Schwerge-wichtes auf das "äußerlich-Sprachliche", ganz zu schweigen von der Hin-neigung zum formalen Denken, heute vollends in einem anderen Licht erscheinen kann. Ich fürchte eher, daß das zu negative Urteil von Prand

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  • heutige Leser dazu führen könnte, sich etwas voreilig eine zu' positive Meinung von der Arbeit der antiken Aristoteliker zu bilden, wie es etwa im Falle der stoischen Logik schon geschehen ist. Wie dem auch sei, ich glaube, daß man die Gesichtspunkte, die Prantl in seinem Buch herausge-arbeitet hat, nicht totschweigen darf. Ich halte es jedenfalls für zweckmä-ßig, im folgenden gelegentlich Prantls Meinungen kurz zu berücksichti-gen.

    Nachdem das Unternehmen der Herausgabe der griechischen Aristote-les-Kommentare vollendet worden war, begannen Studien über einschlä-gige Themen zu erscheinen. In unserem Zusammenhang ist besonders die Dissertation von G. Volait zu erwähnen (Die Stellung des Alexander von Aphrodisias zu der aristotelischen Schlußlehre, Halle 1907).

    In dieser Dissertation hat Volait eine sehr nüchterne Untersuchung durchgeführt. Anders als Prantl ist er nicht von einer eigentümlichen Deutung der aristotelischen Logik ausgegangen, sondern er hat einen un-befangenen Vergleich zwischen Alexanders Kommentar und dem aristo-telischen Text angestellt und über manche Differenzen der beiden sach-lich zu referieren versucht. .

    Aber Volait ging im Rahmen der relativ knappen Abhandlung selektiv vori außerdem hat er die von ihm ausgewählten Probleme nur oberfläch-lich besprochen. Man kann sich des Urteils nicht enthalten, daß seine Be-trachtung nur punktuell geblieben ist. Natürlich kann durch eine punk-tuelle Betrachtung ein Gesamtbild der Leistung Alexanders ·nicht vermit-telt werden. Daran liegt es, daß wir von Volait nicht erfahren, welche Stellung Alexander zu der aristotelischen Schlußlehre schließlich einge-nommen hat. Ferner wird der Wert seines Buches durch den inadäquaten Begriffsapparat, den er bei der Interpretation benutzte, und durch eine Anzahl von unpassenden Beurteilungen, die er gelegentlich wagte, ver-mindert. Ich glaube, daß in der vorliegenden Arbeit mehr geleistet wird als in Volaits Dissertation. Vor allem wird hier nicht nur die Beziehung Alexanders zu Aristoteles, sondern auch der geschichtliche Zusammen-hang zwischen den beiden und der ammonischen Schule in Betracht ge-zogen. So wird es möglich, vieles von dem, was Volait entgangen war, zur Sprache zu bringen.

    In dem 1931 erschienenen kleinen Buch "Abriß der Geschichte der Lo-gik" (Berlin) übergeht H. Scholz, Alexander ausgenommen, die anderen griechischen Kommentatoren gänzlich. Auch über Alexander wird inhalt-lich fast nichts berichtet. Dies entschuldigt freilich der sehr kleine Um-fang dieses Buches.

    J. M. Bachenski, einer der produktivsten Autoren unseres Jahrhun-derts im Bereich der Geschichte der Logik, gibt zuerst in seinem 1951 ver-öffentlichten Buch "Ancient formallogic" (Amsterdam) einen kurzen Be-

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  • richt über die griechischen Kommentatoren, welcher im Grunde nichts als die Nennung von Namen enthält. Doch in dem etwas später veröf-fentlichten Buch "Formale Logik" (Freiburg 1956) gibt er einen etwas aus-führlicheren Bericht.

    Dieser Bericht findet sich in dem mit "Ausgang der Antike" betitelten Kapitel, in dem außer den Kommentatoren auch Galen, Apuleius und Boethius behandelt werden. Dort charakterisiert· er die Leistung dieser Gelehrten folgendermaßen:

    1. Ihre Leistung ist keine schöpferische; 2. jedoch wird gelehrte Einzelarbeit geleistet; dadurch werden gewisse

    früher ausgebildete technische Methoden verbessert. 3. Eine Systematisierung des Lehrstoffes wird vorgenommen. 4. Inhaltlich ist die synkretistische Tendenz in dem Sinne bemerkbar,

    daß stoische Methoden und Formulierungen auf aristotelische Gedan-ken übertragen werden.

    Offensichtlich als Nachweise für diese genannten Punkte wird dann eine Reihe von TextsteIlen aus verschiedenen Schriften, die während die-ser Zeit verfaßt worden sind, mit Erläuterungen angeführt, wobei es lei-der nicht immer klar ist, welche Stelle auf welchen Punkt zu beziehen ist. Aus Alexanders Kommentar zu den an. pr. werden folgende zwei Stellen als wichtig hervorgehoben: die Stelle, an der Alexander bei dem Beweis der E-Konversion einen formallogischen Kunstgriff anwendet, den Bo-chenski "die Identifizierung der Variablen" nennt, und die Stelle, an der Alexander die Unterscheidung zwischen Stoff und Form am Syllogismus macht (24.07; 24.08). Außerdem wird eine Stelle aus einem anonymen Kommentar zu den an. pr. angeführt, an der die Figureneinteilung der zu-sammengesetzten Syllogismen besprochen wird (24.34), und noch eine weitere Stelle aus Philoponus' Kommentar zu demselben Werk, an der sich das im Mittelalter als pons asinorum bekannt gewordene Schema fin-det (24.35).

    Also läßt uns Bochenski auf diese Weise wenigstens einige konkrete Einzelheiten aus der griechischen Tradition der Logik der an. pr. kennen-lernen, und es sind eben die Einzelheiten, denen Prant! keine besondere Beachtung geschenkt hat. Nur ist es die Frage, inwieweit Bochenskis Aus-wahl der Einzelheiten, die vielleicht dem zweiten der oben genannten Punkte zuzuordnen sind, repräsentativ für die ganze griechische Tradi-tion der Logik der an. pr. ist. Es entsteht der Eindruck, Bochenski habe, indem er die griechischen Kommentare durchblätterte, unter den Stellen, die ihm auffielen, nur solche exzerpiert, die aus seiner Sicht sozusagen typisch sind. Der Standpunkt, von dem aus er diese Exzerption vorge-nommen hat, ist zwar ein durchaus diskutabler Standpunkt. Aber selbst-

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  • verständlich muß man es vermeiden, sich aufgrund der so entstandenen dürftigen Exzerption ein Gesamturteil über die Arbeit der Kommentato-ren zu bilden. über seinen Standpunkt, auf dem er als Historiker steht, wird noch gesprochen werden.

    Im Jahre 1962 ist "The Development of Logic" von W. u. M. Kneale er-schienen (Oxfordl. Im Unterschied zu Bochenskis Buch, das zum größten Teil aus Kompilation besteht, ist dieses Buch eine fortlaufende, tiefgrün-dige Auseinandersetzung der Verfasser mit den von ihnen behandelten Autoren. Aber leider sind dort die griechischen Kommentare, Porphyrius' Isagoge ausgenommen, in einem mit "From Cicero to Boethius" betitelten Kapitel nur sehr kurz behandelt. Aus den Kommentaren zu den an. pr. ist nur das Schema des pons asinorum herausgegriffen und einigermaßen nä-her erläutert.

    Dies scheint nicht daran zu liegen, daß die Verfasser die Kommentato-ren als Logiker etwa ganz geringschätzten. W. u. M. Kneale haben danach einen vorzüglichen Aufsatz über ein spezielles Problem in der antiken Lo-gik veröffentlicht: "Prosleptic propositions and arguments" (in: Islamic philosophy and the classical tradition. Essays presented to Richard Wal-zer. Oxford 1972, S. 189-2071. In diesem Aufsatz sind Alexanders und Philoponus' Meinungen über das behandelte Thema genügend berück-sichtigt. Wenn über die Kommentatoren in ihrem Geschichtswerk nur so wenig gesprochen wird, liegt der Grund offenbar darin, daß die Verfasser glauben, die wirkungsgeschichtliche Bedeutung der griechischen Kom-mentatoren sei im Vergleich zu der der lateinischen Gelehrten wie Boe-thius sehr gering 1 3 •

    Abgesehen von kleineren einschlägigen Arbeiten haben die griechi-schen Kommentatoren in den Werken der modemen Aristoteliker mehr Beachtung gefunden als in den genannten Darstellungen der Geschichte der Logik. Sir David Ross zitiert in seinem Kommentar zu den an. pr. wie in seinen anderen Aristote1eskommentaren reichlich die antiken Aristo-

    13 Bei dieser Gelegenheit muß zu dieser weit verbreiteten Meinung eine Bemerkung ge· macht werden; wenn von der Wirkung auf die mittelalterliche Logik und weiter auf die neuzeitliche und traditionelle Logik die Rede sein soll, ist die Bedeutung von Boethius bis-lang im allgemeinen zu hoch eingeschätzt, demgegenüber die Bedeutung der griechischen Kommentatoren nicht gebührend gewürdigt worden. Meiner Meinung nach muß dies be· richtigt werden. Ich bin überzeugt, daß die wirkungsgeschichtliche Bedeutung der griechi-schen Kommentatoren noch größer als die des Boethius und irgendwelcher anderen lateini-schen Autoren ist. Jedenfalls, was die Logik der an. pr. anbelangt, stammt fast alles, was bei Boethius zu finden ist, von seinen griechischen Vorgängern, und vieles, was weder bei Boe-thius noch bei Apuleius, Capella oder Isiodorus, aber wohl in den mittelalterlichen und tra-ditionellen Logiklehrbüchern zu finden ist, läßt sich in den griechischen Kommentaren fin-den.

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  • teliker und setzt sich gelegentlich mit ihren Meinungen auseinander (Aristotle's Prior and Posterior Analytics, introd. and comm. by W. D. Ross, Oxford 1949). Es scheint, als setze sich in seinem Buch Qie Tradi-tion der Kommentierung gerade im Anschluß an die antike Tradition fort.

    Noch bemerkenswerter ist es, daß formallogisch geschulte Aristoteles-erklärer den antiken Kommentaren Aufmerksamkeit schenkten. Vor al-lem ist J. Lukasiewicz zu nennen, der sich um die Förderung der moder-nen Logik auf manchen Gebieten verdient gemacht hat (Aristotle's syllogistic from the standpoint of modem formal logic, 2nd ed. Oxford 1957). Er hält die von Prantl versuchte philosophische Deutung der ari-stotelischen Syllogistik für grundlos, aber er stimmt auch der Meinung mancher Logiker nicht zu, daß der Syllogistik wesentliche Mängel anhaf-ten. Sein Ziel ist, die Syllogistik des Aristoteles als ein ziemlich reines for-mallogisches System zu rehabilitieren. Er versucht, dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß er zeigt, daß die Konstruktion eines Systems der Syllogis-men "on the lines laid down by Aristotle himself, and in accordance with the requirements of modem formallogic" (S. 131) möglich ist. Mit den Worten "on the lines laid down by Aristotle himself" erhebt er eindeutig einen Anspruch auf die richtige Interpretation des aristotelischen Textes. Tatsächlich wird von diesem modemen Logiker eine mit dem Text gut vereinbare Interpretation vorgelegt, vielleicht eine in mancher Hinsicht plausiblere Interpretation als die, die von all seinen philologisch wohl mehr geschulten Vorgängern vorgelegt worden ist. Nun zieht er im Lauf der Textinterpretation die griechischen Kommentatoren häufig sozusa-gen als seine Gesinnungsgenossen heran, und ihre Einsicht wird von ihm rühmend hervorgehoben. Zwar gibt es einige Fälle, in denen er sie kriti-siert, aber im ganzen sind die antiken Kommentatoren in seinen Augen unter seinen Vorgängern die bei weitem besten Kenner der aristotelischen Syllogistik, mit denen die Interpreten wie Prantl oder H. Maier gar nicht verglichen werden können. Erwähnt er die Meinungen von Prantl oder von Maier (Die Syllogistik des Aristoteles IIII, Tübingen 1896-1900) in seinem Buch, so tut er es nur, um zu zeigen, wie unfähig zur Deutung ei-nes logischen Werkes diese Vorgänger in seinen Augen waren. Hingegen werden die griechischen Kommentatoren von ihm gelobt; sie hätten die Wichtigkeit des Gebrauchs von Variablen erkannt; Alexander habe es verstanden, die Regel der Variablensubstitution geschickt anzuwenden, Philoponus' Begriffsbestimmung von "Maiorterm" und "Minorterm" sei als mustergültig anzusehen, usw.

    Was Lukasiewicz über die aristotelische Syllogistik geschrieben hat, ist von G. Patzig in der Hauptsache weiter bestätigt und untermauert wor-den, und zwar aufgrund einer sorgfältigen philologischen Nachprüfung

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  • [Die aristotelische Syllogistik. Logisch-philologische Untersuchungen über das Buch A der "Ersten Analytikenl/, Göttingen 1959). In seinem Buch über die aristotelische Syllogistik zieht auch Patzig wie Lukasiewicz die Meinungen seiner Vorgänger öfters heran und setzt sich mit ihnen auseinander. Dabei wird die Arbeit der griechischen Aristoteliker noch einmal durchaus positiv bewertet. Ein wichtiges Beispiel: Die griechi-schen Kommentatoren, besonders Philoponus, haben nach Patzig eingese-hen, worin die Vollkommenheit eines Syllogismus besteht, wenn sie auch keine explizite Erklärung davon gegeben haben; dagegen haben andere Er-klärer von c. Wolff bis W. D. Ross ausnahmslos den Sinn der Unter-scheidung zwischen den vollkommenen und unvollkomenen Syllogis-men verfehlt Im § 19, S. 78-92). Diese Anerkennung erhält deswegen um so größeres Gewicht, weil sie gerade von dem Interpreten ausgesprochen wird, der als erster den bisher verborgen gebliebenen formallogischen Kern dieses schwierigen Problems ans Tageslicht kommen läßt. Noch ein anderes Beispiel: Alexander und Philoponus haben nach Patzig eingese-hen, daß der Definition des Mittelterms und der Außenterme die soge-nannten Umfangsverhältnisse der Begriffe nicht zugrunde gelegt werden können; demgegenüber haben sich viele Interpreten des 19. Jahrhunderts und auch einige Gelehrte unseres Jahrhunderts irrtümlicherweise an dem Umfangsverhältnis orientiert. Jedoch ergeht sich Patzig keineswegs in überschwenglichen Lobreden auf die Kommentatoren, sondern er vergißt nicht, jedesmal, wenn von einem Deutungsvorschlag der Kommentato-ren geredet wird, auch auf die unzulängliche Seite ihrer Deutung kritisch aufmerksam zu machen. Was beispielsweise das eben erwähnte Problem der Vollkommenheit betrifft, so enthält er uns nicht vor, daß gerade Phi-loponus, der in diesem Zusammenhang von ihm besonders gelobt wird, einer von denjenigen ist, die irrtümlicherweise oft die Eigenschaft der Vollkommenheit von den Syllogismen der ersten Figur auf die erste Figur selbst übertrugen, und er versucht zu zeigen, warum diese übertragung unzulässig ist und weswegen dieser Irrtum entstehen konnte. Wo es um die Definition des Mittelterms und der Außenterme geht, teilt er uns mit, welche Definitionen Alexander und Philoponus ihrerseits vorge-schlagen haben und er versucht zu zeigen, warum auch ihre Definitionen nicht akzeptabel sind. Genauer genommen besteht·Patzigs positive Aner-kennung der Arbeit der Kommentatoren also darin, daß sie von ihm als Diskussionspartner ernst genommen werden - nämlich als die Diskus-sionspartner, die ihre Meinungen aussprechen dürfen, die in einer Hin-sicht sicher eine akzeptable Seite, doch in anderer Hinsicht auch eine be-denkliche Seite haben können. Es erübrigt sich wohl die Bemerkung, daß auf diese Weise mehr Beiträge zu dem richtigen Verständnis der Arbeit der Kommentatoren geleistet werden können als durch die punktuelle

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  • Betrachtung, die nur lobenswerte Einzelleistungen oder nur irrtümliche Ansichten aus den Kommentaren zu exzerpieren sucht.

    Aber das Bild von den Kommentatoren, das man aus Patzigs Buch ge-winnen kann, ist noch kein Gesamtbild von ihnen. Auch wenn die Kom-mentatoren in seinem Buch als Diskussionspartner zugegen sind, läßt er sie nur zu den Themen, die er selbst für zentral und relevant für das Ver-ständnis der aristotelischen Logik hält, ihre Meinungen aussprechen. Und dies ist sein gutes Recht. Was er als Aristoteleserklärer bezweckt, ist in erster Linie die Deutung der an. pr. selbst, aber nicht die Deutung der Kommentare dazu. Vielleicht könnte man meinen, daß die Kommentato-ren und Patzig weitgehend gleiche Themen zu besprechen haben, da ja schließlich ihnen allen der gleiche Text als gemeinsame Basis der Diskus-sion vorliegt. Aber das ist eben nicht der Fall. Patzig behandelt den Text wie Lukasiewicz von einem festen und einheitlichen Standpunkt aus, nämlich von dem Standpunkt der formalen Logik, auch wenn er dabei die Pflicht eines Philologen nicht vernachlässigt. Dagegen ist der Stand-punkt der Kommentatoren nicht so einheitlich, jedenfalls ist er nicht der Standpunkt eines Formallogikers. Da es in meiner Arbeit hauptsächlich darum geht, ihre Arbeit als Ganzes zu verstehen, wäre es unrichtig, ihren Standpunkt einfach außer acht zu lassen. Das Recht, die Diskussionsthe-men zu wählen, möchte ich zuerst ihnen weitgehend überlassen, selbst wenn die Themen, für die sie sich interessieren, oft nicht mehr zu dem Problemkreis der heutigen formalen Logik gehören.

    Die Kriterien, nach denen manche heutige Historiker die Untersu-chungsthemen aus logischen Werken der Vergangenheit wählen, sind nach meiner Meinung im allgemeinen zu sehr durch den Problemkreis der heutigen formalen Logik bedingt und beschränkt. Dadurch wird die historische Erkenntnis oft erschwert. Wenn z. B. Bochenski aus Alexan-ders Kommentar den Kunstgriff der "Identifizierung der Variablen", der im Grunde in der Substitution einer Variable durch eine andere besteht, herausgreift und ihn überhaupt als eine der wichtigsten Errungenschaf-ten dieser Periode beurteilt, kann man nicht umhin, sich zu fragen, was für einen Wert für Bochenski die Historiographie haben könnte. Ich bin der Meinung, daß die Hauptaufgabe eines Historikers nicht ausschließ-lich darin besteht, etwa den Satz auszusprechen: "Da seht ihr! Die wuß-ten ja schon das und das" (meistens "wenn auch etwas unvollständig und nicht ganz klar" hinzufügend). Im Gegenteil, wenn ein Autor aus der Ver-gangenheit unsere Anerkennung verdient, dann nicht nur deswegen, weil er etwas schon wußte, was wir jetzt wissen, sonder auch (oder in größe-rem Maß) deswegen, weil er anders denken konnte als wir. Der oben ge-nannte Kunstgriff ist gewiß ein gutes Beweisstück für Alexanders formal-logische Denkfähigkeit, aber dieser Kunstgriff, der iD. den Bereich der

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  • logischen Technik gehört und heute jedem guten Studenten der Logik vertraut ist, macht den Wert eines Alexander nicht aus. Obgleich Prand seinerzeit die Kommentatoren der angeblichen formallogischen Denk-weise bezichtigte und manche heutige Gelehrte ihnen wegen ihrer Ein-sicht in formale Dinge ihre Anerkennung spenden, wird man unter ih-nen keinen ausgesprochenen Formallogiker findenj jedenfalls werden viele von den formalen Dingen, für die sie sich interessiert haben, heu-tige Formallogiker nicht so seh! interessieren, wenn solche Dinge auch auf das Adjektiv "formal" Anspruch erheben mögen. W. u. M. Kneale sa-gen im Klartext, daß sie die Aufgabe ihrer Geschichtsschreibung nicht als "an attempt to chronic1e all that past scholars, good and bad, have said about the logic" betrachten und daß das Programm ihrer Geschichts-schreibung auf dem Werturteil beruht (Development S. V). In der vorlie-genden Arbeit werde ich meinerseits mit großer Vorsicht über Gut und Schlecht urteilen, oder ich werde mich des Werturteils, soweit möglich, überhaupt enthalten. Was ich vorlegen will, ist jedoch keine einfältige Chronologie, in der Ereignisse punktuell registriert sind j wenn ich in den Kommentaren nur nach solchen Stellen suchte, an denen etwas formallo-gisch "Gutes" zu finden ist, würde sicher eine solche Chronologie entste-hen. Ich lege mehr Wert auf historische Zusammenhänge als auf verein-zelt und mehr oder weniger. von ungefähr zum Vorschein kommende logische Geschicklichkeiten. Und im historischen Zusammenhang steht das sogenannte Gute sehr oft neben dem sogenannten Schlechten. Wenn also im folgenden auch die Dinge, die von dem heutigen Standpunkt der formalen Logik aus gesehen unwichtig sein können, zur Sprache kom-men, liegt das daran, daß in dieser Arbeit dieser Zusammenhang mehr Gewicht bekommt und die Leistungen der Kommentatoren nicht punk-tuell, sondern als solche, die in eben diesem Zusammenhang miteinander stehen, betrachtet werdenj das liegt aber keineswegs daran, daß ich etwa glaubte, neben der formalen Logik sei so etwas wie materielle oder inhalt-liche Logik noch möglich und wichtiger, oder daß ich Anhänger einer philosophischen Logik im Sinne Prands wäre14•

    14 Zum Schluß aber muß noch ein Buch erwähnt werden: das großangelegte Werk von P. Moraux "Der Aristotelismus bei den Griechen" (Berlin 1972). Im Augenblick steht uns nur der erste Band zur Verfügung; in ihm werden die älteren Kommentatoren behandelt. Der Autor plant, in dem zweiten Band Alexander Aphrodisiensis zu behandeln. Obwohl die Logik der an. pr. nur eine Teilaufgabe dieses Werkes ist, hat man gute Gründe zu hoffen, daß in dem zweiten Band P. Moraux auch für die Historiographie der Logik einen großen Beitrag leisten wird. Im ersten Band war es für ihn wegen der bekannten ungünstigen Quel-lenlage unmöglich, dies zu tun.

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  • 11. Die Auffassung der Logik bei den griechischen Kommentatoren

    Obwohl Aristoteles allgemein als Begründer der Logik betrachtet wird, und zwar als Begründer jener Gestalt der Logik, die über zweitausend Jahre lang in der abendländischen Kulturgeschichte dominiert hat, kannte er selber das Wort ,),oyud]" als fachtechnischen Namen für eine Disziplin nicht. Aber nach seinem Tod, also in der hellenistischen Zeit, begann der Terminus "Aoyuo]" weit und breit benutzt zu werden. Zu der Zeit, als die erste wissenschaftliche Ausgabe des corpus aristotelicum er-schien und die Aristoteles-Renaissance begann, war das Wort "Aoyuo( in der fachtechnischen Bedeutung in der gelehrten Welt ganz geläufigl.

    Die Disziplin, die zu dieser Zeit als "Aoyuo]" bezeichnet wurde, war schon ein geschlossenes und systematisches Wissensgebiet, das von den anderen Gebieten gut abgegrenzt war. Dies ist vor allem auf die Leistung der Stoiker zurückzuführen. Denn die Stoiker der hellenistischen Zeit waren es, die der Logik eine systematische Gestalt gegeben hatten; sie hat-ten die ganze Philosophie in drei Gebiete, Logik, Ethik und Physik, geteilt und festgelegt, welche Teilgebiete zu der Logik gehören, und darüber hin-aus hatten sie auch über die Beziehung der Logik zu anderen Wissen-schaften überlegungen angestellt:!..

    So ist es ganz verständlich, daß die damaligen Editoren wie Andronikos von Rhodos - bewußt oder unbewußt - der bereits etablierten Konzep-tion der Wissenschaftseinteilung und des Wissenschaftssystems folgend, unter den überlieferten Texten von Aristoteles diejenigen, in denen nach ihrem Urteil ähnliche Probleme wie die der damaligen Logik behandelt sind, aussortierten und zu einer Ganzheit zusammenstellten. Dies ging zum Glück im Ganzen ohne viel Gewalt - abgesehen von dem Fall der ca-tegoriae. Das ist der Hintergrund der Entstehung der als "Organon" be-zeichneten Sammlung.

    Aber Aristoteles selber hatte die Schriften, die so in das Organon einge-gliedert wurden, nicht als auf eine Einheit hingeordnete Bestandteile auf-gefaßt, und das Gebiet, das sie unter einem einheitlichen Gesichtspunkt umfassen könnte, war bei ihm als ganzes noch kein Gegenstand einer sy-

    I Das geht etwa aus der Tatsache hervor, daß auch Cicero es für nötig hielt, das Wort für seine Mitbürger ins Latein zu übersetzen; s. De Fato 1,l.

    2 HieIZU Bochenski, Formale Logik, 19.01-19.03.

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  • stematischen Disziplin3• So ließ die Edition des Organons folgende Pro-bleme auftauchen, die bei Aristoteles nicht vorhanden gewesen waren:

    (1) Wie hängen die Teilgebiete innerhalb der Gesamtheit, die das Or-ganon darstellt, mit einem Wort, innerhalb der aristotelischen Logik, mit-einander zusammen?

    (2) Was für ein Verhältnis hat die aristotelische Logik als ein ganzes Sy-stem zu anderen Wissensgebieten? Oder welche Stellung nimmt sie inner-halb der Gesamtheit der Wissenschaften ein?

    1. Das System der Logik

    Wir betrachten zuerst die Antwort der Kommentatoren auf die erste Frage. Ammonius und Philoponus, die etwa fünf Jahrhunderte nach der Entstehung des Organons tätig waren, hatten natürlich auf diese Frage eine klare Antwort parat4• Nach ihnen bilden die folgenden Teilgebiete in einer festgelegten Reihenfolge das System der aristotelischen Logik.

    Den Ausgangspunkt (1] apX1] 1tacr11~ 'tfj~ Aoyt.Kfi~ 1tpay~a'tda~) bildet die Kategorienlehre, von der die Schrift categoriae handelt. Darauf folgt die Satzlehre, von der de interpretatione handelt. Danach kommt die Theorie des Syllogismus im allgemeinen (6 Ka96Aoo O'oUoyt.0'~6~), von der die analytica priora handeln. Hierauf kommt die in analytica poste-riora entwickelte Theorie des apodeiktischen Syllogismus (6 a1tOoEt.K'tt.-K6~ O'oUoY1.0'~6~, TJ a1t60E~1.~), welche nach dem Urteil der Kommen-tatoren die zentrale Stellung in der ganzen aristotelischen Logik ein-nimmt. Schließlich sind noch zwei Gebiete mehr oder weniger anhangs-weise hinzugefügt: die Theorie des dialektischen Syllogismus, von der die topica handelt, und die Theorie des sophistischen Syllogismus, von der die sophistici elenchi handeln.

    Die Kommentatoren begründen diese Reihenfolge, indem sie auf den Zusammenhang hinweisen, in dem die Untersuchungsgegenstände all dieser Teilgebiete miteinander stehen: Der Untersuchungsgegenstand, den die ganz vorangestellte Theorie, die Kategorienlehre, behandelt, ist das einfache Wort, die kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache (TJ u1tAfl

  • Der Untersuchungsgegenstand des nächsten Gebietes ist nun der Satz, der aus einfachen Wörtern zusammengesetzt ist. Und der Syllogismus, der auf den darauffolgenden Gebieten behandelt wird, ist ein Gebilde, das aus Sätzen zusammengesetzt ist (i) O"UAAOY" ['ttvc.ov] AOyc.oV).

    Das Denkmodell, das hier der Auffassung der beiden Kommentatoren zugrunde liegt, kann man also mit dem Stichwort "Zusammensetzung" kennzeichnen, wobei es für ihre Auffassung auch bezeichnend ist, daß sie das Fortschreiten von dem Einfachen zu dem Zusammengesetzten als sachgemäß betrachten5• Philoponus vergleicht den systematischen Bau der Logik mit dem Hausbau: um ein Haus zu bauen, legt man Grund-steine, richtet Säulen und Wände auf und dann setzt man das Dach auf6• Ein anderes Gleichnis von Ammonius: Wenn man eine Rede schreiben will, muß man zuerst Buchstaben, danach Silben und dann Nomina und Verben lernen7•

    Dieses Denkmodell wird wohl etwas zu einfach erscheinen, als daß es auf die Systematisierung des in den logischen Schriften von Aristoteles enthaltenen Problemkomplexes einwandfrei angewendet werden könnte. Prand jedenfalls hält die Auffassung, die auf diesem Denkmodell basiert, für verwerflich8 j womöglich sieht er in dieser Auffassung einen stoischen Einfluß. Aber dieses Denkmodell ist als solches nicht verwerflich. So-lange die aristotelische Logik anders als die modeme mathematische Lo-

    5 An einer Stelle in seinem Kommentar zu den cat. redet Philoponus von dem hierzu ent-gegengesetzten Vorgehen (in cat. 27, 11 ff.). Dort schreibt er, daß es für die Menschen ange-nehmer ist, von dem Zusammengesetzten zu dem Einfachen zu gehen. Das Zusammenge-setzte ist für uns gewohnter und vertrauter. Kinder verstehen einen ganzen Satz z.B. "Sokrates geht herum" zu sprechen, dennoch können sie den Satz nicht in einfache Be-standteile zerlegen. Auf die gleiche Weise sehen wir zuerst einen herumgehenden Men-schen als Ganzes, dann analysieren wir das Ganze in die Substanz (ooO"tu) und Handlung (tvl:PYEtU). Aber dieses umgekehrte Vorgehen ist nur der Art und Weise des Wissensgewin-nens (6 'tp61toC; 'tflc; YVOOO"ECOC;) eigen. Die Ordnung der Logik ist deswegen anders, weil die Logik in der Weise des Unterrichts (oder systematischer Lehre, - OtOUO"KaA.la) dargestellt wird. Bei der OtOUaKUA.tu nimmt man an, daß man am Anfang weder das Einfache noch das Zusammengesetzte kennt, und sieht ganz davon ab, wie wir in Wirklichkeit zum Wis-sen gelangen. In Wirklichkeit fangen wir nie von einem Nullpunkt an. Wir gehen immer von einem unklaren (nach Philoponus unvollkommenen) Wissen, ja Pseudowissen aus. Die-ses Vorwissen ist jedoch für die systematische Didaskalia nicht brauchbar. Die Didaskalia benutzt nur die Resultate der Präzisierung dieses Vorwissens, wobei diese Resultate nun gleichsam in einem neuen Licht systematisch geordnet werden müssen. Deshalb kann und muß die Logik als Didaskalia die Ordnung befolgen, die von dem Einfachen zum Zusam-mengesetzten führt. Dieser Gedanke ist durchaus aristotelisch. In verschiedenen Zusam-menhängen weist Aristoteles auch darauf hin, daß die Ordnung der Didaskalia und die Ord-nung unseres tatsächlichen Wissensgewinnens nicht gleich sind.

    6 Philop. in cat. 11,9-15. 7 Ammon. in cat. 5,23--28. • Prantl, a.a.O., S. 90, 630, 645, 646.

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  • gik innerhalb der natürlichen Alltagssprache bleibt, kann man nicht be-streiten, daß die Zusammensetzung ein Aspekt ist, unter dem man die Untersuchungsgegenstände der aristotelischen Logik betrachten kann. Ein konkreter Syllogismus, der in einer natürlichen Sprache formuliert ist, hat offensichtlich Sätze als Teile, und diese Sätze haben ihrerseits Wörter als Teile. Niemand würde verneinen, daß der Satz "Sokrates schläft" zwei Wörter als Teile hat. Doch wenn man einen derartigen Syl-logismus oder einen Satz als zusammengesetztes Gebilde verstehen will, stößt man auf logisch viel wichtigere Probleme.

    Es erhebt sich nämlich vor allem die Frage: was bewirkt die Zusam-mensetzung? Nehmen wir zuerst den Satz. Es ist klar, daß der Satz kein bloßes Aggregat von einzeln dastehenden Wörtern ist. Damit die Wörter zu einer Ganzheit vereinigt werden können, muß etwas hinzukommen. Im Falle des elementaren Satzes wie "Sokrates schläft" ist das die Prädika-tion. Dadurch, daß wir von einem Gegenstand ein Prädikat aussagen, wird es ermöglicht, daß die Wörter, die für die beiden stehen (das Wort "stehen" möge hier im weitesten Sinne verstanden werden), zu einem Satz vereinigt werden. Manchmal kommt in dem Satz das Wörtchen "ist" als Copula (Bindeglied) oder genauer als Stellvertreter für die Prädikation auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks vor (wie im Satz "Sokrates ist ein Schlafender"), obwohl dieses Wörtchen insofern irreführend sein kann, als es oft auch andere komplizierte Funktionen ausübt (wie in den Sätzen "Gott ist", "Der Vogel ist ein Säugetier" oder "Der gegenwärtige König Frankreichs ist kahlköpfig"). Im Falle des komplexen Satzes braucht man neben der Prädikation natürlich noch manches andere wie Konjunktion, Disjunktion usw. Und für die Logik sind diese Dinge, die die Zusammensetzung bewirken, interessanter und wichtiger als die Teile, die zusammengesetzt werden. Die Auffassung, die auf dem Denk-modell "Zusammensetzung" basiert, wäre dann zu verwerfen, wenn sie etwa verhinderte, diese Dinge zu sehen. Aber im Gegenteil: das Denkmo-dell gibt einen guten Anlaß, unter einem noch wichtigeren Aspekt die Untersuchungsgegenstände der aristotelischen Logik zu betrachten. Darin besteht in unserem Fall der Wert des Denkmodells "Zusammenset-zung".

    Wir betrachten nun, wie weit die Kommentatoren aus diesem Denk-modell Nutzen zu ziehen verstanden. So läßt Ammonius, wenn er den übergang von der Kategorienlehre zu der Satzlehre erklärt, erkennen, daß er sehr wohl zum differenzierten Denken fähig ist. Er bemerkt, daß das Wort, das in einem Satz als ein Bestandteil auftritt, mit dem Wort, das noch nicht in einen Satz aufgenommen ist, nicht ohne weiteres identifi-ziert werden kann - wenn auch der Wortlaut und auch die Wortbedeu-tung in beiden Fällen gleich sind. An einer Stelle in seinem Kommentar

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  • zu de int. gibt er die folgende Erklärung: Sie sind nur im Hinblick auf das U1tOKEf.J,LBVOV miteinander identisch, aber im Hinblick auf die OXEO'tC; voneinander verschieden9• Was er meint, macht er durch Beispiele deut-lich: ,;tO O'1tEp~a - 6 Kap1tOC;" und "TJ ava.ßaO'tc; - TJ Ka-ca.ßaO'tc;". Ein und derselbe Gegenstand, beispielsweise ein Korn oder eine Bohne, kann sowohl als Frucht wie als Samen gelten, je nachdem in welcher Beziehung dieses Ding betrachtet wird j in der Küche wird es als Frucht gelten, aber auf dem Saatfeld sicher als Samen. Ein und derselbe Weg kann für die Götter im Olympos ein abwärts führender Weg, indessen für die Sterbli-chen da unten ein aufwärts führender Weg sein. Was er meint, ist also folgendes: Das gleiche Wort wird in der Kategorienlehre und in der Satz-lehre unter verschiedenem Aspekt aufgefaßt.

    Diese verschiedenen Aspekte bestimmt er in Anlehnung an Porphyrius mit den Begriffen "die erste Position" und "die zweite Position". Wir neh-men hier die etwas präzisere Erklärung von Porphyrius zu Hilfe lO• Nach ihm liegt dann die erste Position vor, wenn ein Wort, genauer eine be-stimmte Wortgestalt (

  • aufmerksam machen will, die Prädikation ist. Also können wir anerken-nend urteilen, daß Ammonius das wichtige Moment an der Zusammen-setzUng der Wörter zu einem Satz sieht. Allerdings konnte er nicht erklä-ren, was schließlich diese Prädikation ist. Sein Gedanke in diesem Zusammenhang liegt im Grunde immer noch auf der grammatischen Ebene, wie es auch bei Aristoteles der Fall ist. Aber dafür können wir viel-leicht volles Verständnis aufbringen, wenn wir daran denken, daß so viele Philosophen nach ihm über 15 Jahrhunderte lang die Prädikation im logischen Sinne genau genommen nie zur Sprache bringen konnten. An-ders als sein Lehrer ist sich Philoponus offensichtlich darüber nicht ganz im klaren, mit welchen Problemen seine auf dem Denkmodell "Zusam-mensetzung" basierende Auffassung des Systems der Logik verbunden ist. Zwar gibt er sich die Mühe, das Fortschreiten der Zusammensetzung zu veranschaulichen, wie das angeführte Beispiel des Hausbauens und man-che andere zeigen, aber er spricht kaum davon, daß jeweils bei der Zu-sammensetzung die Gegenstände unter einem neuen Aspekt betrachtet werden müssen. Allerdings gibt es eine solche Stelle in seinem Kommen-tar, an der er sagt, daß Nomen und Verbum mit a,1tAat

  • deren Aristoteliker eine durchaus richtig gezogene Konsequenz, daß die aristotelische Satzlehre von ihnen mit der Theorie des Syllogismus in Verbindung gebracht wird. Und diese Konsequenz wird wohl dem aristo-telischen Gedanken nicht widersprechen, wenn auch in der aristoteli-schen Syllogistik der Begriff "a1t6

  • chen - keinen Satzteil gibt, der ausschließlich dem Behaupten entspricht, - anders als die Prädikation, deren Vorhandensein das Wörtchen "dvat" oder die Verbalendungen anzeigen. Diese Eigentümlichkeit unserer Spra-che hat die Philosophen der letzten Jahrhunderte dazu verleitet, das, wor-auf Ammonius aufmerksam geworden war, sehr oft zu übersehen. Es ist kein geringerer als Frege, der auf diese Eigentümlichkeit der Sprache ex-plizit hingewiesen hat und in die Logik ein besonderes Zeichen als Stell-vertreter für die behauptende Kraft eingeführt hat14•

    Philoponus erwähnt an der Stelle, an der er das System der Logik er-klärt, kein Wort von anoepavttKOC; A.6yoC; bzw. kein Wort von an6epav-0'l.C;. über de int. schreibt er unbekümmert, daß der Untersuchungsgegen-stand dieser Schrift die np6-raO'tC; ist; er fügt die ergänzende Bemerkung hinzu, daß die np6-raO'l.C; die erste Zusammensetzung der einfachen Wör-ter (i) npoo'tT] O'UV9EO'l.C; -rrov aMrov eprovrov) ist1s. Auch an der entspre-chenden Stelle in seinem Kommentar zu den cat. sagt er, daß in deint. die np6-raO'tc; behandelt ist.

    IIp6-raO'l.C; ist ein Terminus, den Aristoteles nur in der Syllogistik ge-braucht. Diesen Terminus gebraucht er in de int. kein einziges Mal. Diese Tatsache ist jedoch für Philoponus offensichtlich von keiner großen Be-deutung.

    Gehen wir nun zu dem Syllogismus über. Da jetzt anoepavO'EtC; zur Verfügung stehen, scheint es möglich zu sein, aus ihnen einen konkreten Syllogismus zusammenzusetzen. Nur stellt sich wie in dem vorangehen-den Fall des Satzes die Frage: Was bewirkt die Zusammensetzung? Es ist klar, daß eine bloße Aggregation der anoepavO'EtC; nicht jene organische Einsicht ergibt, die sich Syllogismus nennt. Wie in dem vorangehenden Fall des Satzes die Prädikation als entscheidendes Moment hinzukommen mußte, so ist in diesem Fall bei der Zusammensetzung der anoep6.vO'EtC; die Folgerungsbeziehung erforderlich. Für diese Folgerungsbeziehung gibt es wie im Fall der Prädikation auch einen sprachlichen Ausdruck, der als Stellvertreter für sie in der Formulierung eines Syllogismus das Vorliegen dieser Beziehung andeutet - nämlich das Wörtchen "also" (äpa).

    Auf welche Weise bringt Ammonius dieses entscheidende Moment an dem Syllogismus zur Sprache? Er macht wiederum von dem uns vertrau-ten Gedanken Gebrauch: Etwas bildlich erklärt er, daß, wenn man einen Syllogismus konstruiert, man die an6epavO'l.C; zur np6-raO'l.C; macht. Also dadurch, daß die an6epavO'l.C; zur np6-raO'l.C; wird (ytYVE-rat), kommt ein Syllogismus zustande. Er fügt hinzu, daß in dem Fall die ep6.O'l.C;, der Be-

    14 Vgl. G. Frege, Der Gedanke, in: Logische Untersuchungen, ed. G. Patzig, Göttingen 1966, S. 35, Anm. 3.

    15 Philop. in an. pr. 5,2-3.

    31

  • standteil der a1t6

  • lehre zu der Theorie des Syllogismus überzugehen. Was Ammonius in seinem Kommentar zu den an. pr. betont, ist eben diese Einschränkung oder die Aspektverschiebung.

    Wie dem auch sei, die entscheidende Frage ist nun die, wie dieser neue Aspekt oder die neue Einschränkung von Ammonius weiter präzisiert wird. Durch die Präzisierung müssen an einem Behauptungssatz genau solche Merkmale oder Differentiae - wie man es nennen will- hervorge-hoben werden, die logisch relevant· sind, d. h. solche Merkmale, die die Folgerungsbeziehung der Sätze, denen sie zukommen, sicherstellen und somit die Zusammensetzung eines Syllogismus ermöglichen. Sonst würde es sich bei Ammonius/ Heranziehung des Begriffs 1tp6'tacr~ im Grunde bloß um eine nichtssagende Umtaufung der a1t6cpavcru; handeln. Die oben gestellte Frage bedarf in unserem Fall also einer eingehenden Be-handlung. Auf diese Frage gehen wir im nächsten Kapitel ein, in dem be-trachtet wird, wie die Kommentatoren den Begriff 1tp6-tacr~ erläutern. Der Begriff IIFolgerungsbeziehung" bzw. Syllogismus selbst wird uns nachher beschäftigen. Auf jeden Fall steht fest, daß Ammonius an einer geeigneten Stelle ein entscheidend wichtiges Moment in der Logik nicht übersieht, sondern gebührend zu betonen versteht. Vorläufig soll diese Würdigung genügen.

    Darauf, daß Philoponus a1t6cpavcrt~ und 1tp6'tacrt~ durchgehend iden-tifiziert, ist schon hingewiesen worden. Einige weitere Belegstellen hier-für werde ich in dem nächsten Kapitel vorführen. Es wäre aber unrichtig, wenn behauptet würde, Philoponus kenne den Unterschied zwischen 1tp6'tacrt~ und a1t6cpavcrt~ einfach nicht und verstehe daher auch nicht, worum es in einem Syllogismus geht. Die Stellen sollen daher nicht über-gangen werden, an denen auch Philoponus ausdrücklich auf den Unter-schied zwischen a1t6cpavcrt~ und 1tp6'tacrt~ hinweist 18. Dort spricht er wie sein Lehrer von der Verschiedenheit der Aspekte (crXf:crt~) oder von der Einschränkung durch die Differenz. Den Aspekt, unter dem ein Satz als 1tp6'tacrt~ angesprochen wird, präzisiert (?) er folgendermaßen: die 1tp6'tacrt~ unterscheidet sich insofern von der a1t6cpavcrt~, als sie eben ein Bestandteil eines Syllogismus ist. Eine weitere Erläuterung erfolgt nicht, auch nicht an irgendeiner Stelle in seinem Kommentar zu den an. pr.

    über das System der Logik, wie es Ammonius auffaßt, kann man also zusammenfassend sagen, daß es zwei Seiten hat. Die eine Seite ist die Seite der Zusammensetzung. Auf dieser Seite sind die Untersuchungsge-genstände der Teilgebiete der Logik untrennbar miteinander verbunden. Die andere Seite ist die der Aspektverschiebung und Einschränkung. Auf

    18 Philop. in an. pr. ll/25ff.

    33

  • dieser Seite kommt es auf die Verschiedenheit der Untersuchungsgegen-stände der Teilgebiete an. Ammonius geht von der ersten Seite aus, aber er betont auch immer die zweite Seite. Die Bedeutung der ersten Seite liegt für Ammonius in folgendem: Dadurch, daß Ammonius sich bei der Systematisierung der aristotelischen Logik an dem Denkmodell der Zu-sammensetzung orientiert, kann er sie als eine einheitliche, geschlossene Ganzheit hinstellen. Weil die Teile in einem Syllogismus in gewisser Hin-sicht mit den Untersuchungsgegenständen der anderen Teilgebiete identi-fizierbar sind, ist es sinnvoll, alle diese Gebiete mit der Theorie des Syllo-gismus zusammen in ein System einzugliedern. Außerdem kann die Orientierung an dem Denkmodell von "Zusammensetzung" einen Anlaß zur Reflexion auf einige logisch viel wichtigere Dinge geben. Die Bedeu-tung der zweiten Seite liegt eben darin, daß hier diese Dinge explizit zur Sprache kommen können. Der Aspekt, unter dem man das sehen kann, ist nach Ammonius' Wortgebrauch der Aspekt der crxEcrt~. Worum es sich hier handelt, kann man stichwortartig durch "die Prädikation", "die Art und Weise, einen Satz zu gebrauchen" - in unserem Fall durch den Titel "Behauptung" - und "Folgerungsbeziehung" bezeichnen. Es sind diese drei Faktoren, die jeweils neue Einheiten zustandekommen lassen. Begriffe für diese drei Faktoren standen schon Ammonius und den grie-chischen Aristotelikern zur Verfügung - sowohl nominale als auch ver-bale -, d. h. Ka:tTlyopELv, Ka:'tTlyopta, ano

  • gungen über die verschiedenen Untersuchungsgegenstände der Logik das Bild zu komplizieren.

    Die Auffassung der Kommentatoren von dem System der Logik hat die Gedanken der Nachwelt auf entscheidende Weise beeinflußt. Ein wichti-ges Beispiel ist die mittelalterliche Unterscheidung zwischen der ersten Intention und der zweiten Intention. Diese Unterscheidung geht offen: sichtlich zurück auf die Unterscheidung von der ersten und zweiten Posi-tion, von der Porphyrius und Ammonius bei der Erklärung der Untersu-

    . chungsgegenstände der Kategorienlehre und der Satzlehre Gebrauch gemacht haben. Auch manche mittelalterliche Logiker - z. B. Thomas Aquinas, Ockham und Albert von Sachsen - haben versucht, mit Hilfe dieser Unterscheidung die Frage zu beantworten, worum es in der Logik geht19•

    Einen noch größeren Einfluß hat das Denkmodell der Zusammenset-zung ausgeübt. Das berühmte Lehrbuch, das im 17. Jahrhundert erschie-nen ist, "La logique ou l'art de penser" (A. Amaud u. P. Nicole, Paris 1662), richtet sich deutlich an diesem Denkmodell aus. Die ersten drei Hauptteile dieses Buches sind der Reihenfolge nach den "idees", den "ju-gements" und dem "raisonnement" gewidmet. Diese Dreiteilung der Lo-gik in Begriffslehre, Urteilslehre und Schlußlehre ist in der traditionellen Logik fast zu dem Prinzip geworden, nach dem unzählige Lehrbücher ge-schrieben worden sind. Wie sehr der Gedanke, der diesem prinzip zu-grunde liegt, dem ammonischen Gedanken ähnlich ist, wird wohl das Zi-tat aus einem Lehrbuch zeigen, das noch in unserem Jahrhundert geschrieben worden ist: "Wenn wir den Syllogismus in seine Bestandteile zerlegen, beobachten wir das vertraute Vorhandensein von Begriffen und Urteilen; nur neigen sie hier dazu, viel von ihrer Unabhängigkeit einzu-büßen und zu Teilen eines logischen Mechanismus zu werden. Die Be-griffe werden zu Termen, die Urteile zu Prämissen und Schluß."20 Die Entsprechung zu dem Begriff ist bei Ammonius selbstverständlich iJ U1tA.fj q>rovfl, die Entsprechung zu dem UrteiliJ u1t6q>a.vO'1.~ und die zum Schluß oder Syllogismus (beide Begriffe sind in der traditionellen "Logik oft identifiziert worden) 6 0'\)AAOY\'0'J.16~. Es muß hier allerdings gesagt werden, daß nicht alle Verfasser der Lehrbücher der traditionellen Logik einseitig nur den Aspekt der Zusammensetzung hervorgehoben haben wie Philoponus. Viele Verfasser haben wie Ammonius auch den anderen Aspekt nicht außer acht gelassen. Aber es fehlte auch nicht an Gesin-

    19 Hierzu Bochenski, Formale Logik, 26.04-26.08. "Intention" ist die übersetzung von f:1UßOA.';. Dieses Wort gebraucht auch Porphyrius in dem Zusammenhang, in dem er von der 9tm.e; spricht (s. Anm. 101.

    20 C. G. Shaw, Logic in Theory and Practice, New York 1935, S. 7I (übers. v. Verf.l.

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  • nungsgenossen des Philoponus. Als einer von diesen wäre wohl Prant! zu nennen - und das ungeachtet der Tatsache, daß er nachdrücklich das Denkmodell der Zusammensetzung verdammt und eine andere Reihen-folge der Teilgebiete der aristotelischen Logik als die des Philoponus für sinnvoll hält21 . Er identifiziert nämlich Begriff und öpo~ ohne Einschrän-kung und hält die Begriffe für derart wesentliche Bestandteile eines Syllo-gismus, daß außer ihnen kein wichtigerer Faktor für den Syllogismus zu finden ist22. Und er findet die Unterscheidung zwischen ä1t6q>a.vcrt~ und 1tp6·ta.O't~ einfach "spitzfindig"23.

    Noch eine historische Frage muß hier kurz berührt werden. Man wird wohl fragen, inwieweit Ammonius' Auffassung von dem System der ari-stotelischen Logik für die ganze griechische Tradition repräsentativ ist. Wegen der ungünstigen Quellenlage läßt sich keine befriedigende Ant-wort finden. Auf alle Fälle ist anzunehmen, daß Ammonius' Auffassung die communis opinio der griechischen Aristoteliker widerspiegelt. Aller-dings scheint es auch abweichende Meinungen gegeben zu haben. Kein anderer als Andronikos, der vermutlich den bedeutendsten Beitrag zur Entstehung des "Organon" geleistet hat, soll die ganze Schrift de int. athe-tiert haben24. Selbstverständlich kann ohne de int. die aristotelische Lo-gik nicht so systematisiert werden, wie Ammonius es will. Es gab sicher auch einige Gelehrte, die die cat. nicht zu den logischen Schriften zähl-ten. Aber auch unter denjenigen, die der gleichen Meinung darüber wa-ren, welche Teilgebiete die aristotelische Logik umfassen sollte, scheint es solche Gelehrte gegeben zu haben, die sich für eine andere Reihenfolge der logischen Schriften stark machten. Adrastus von Aphrodisias (2. Jh. n. eh.), der ein Buch über die Anordnung der aristotelischen Schriften schrieb, wollte z. B. die topica unmittelbar hinter die categoriae gestellt sehen2s. Es ist klar, daß in einem solchen Fall Ammonius' Auffassung nicht geteilt werden konnte. Jedoch steht fest, daß die Anhänger dieser Meinungen in der Minderheit waren. Die meisten waren bezüglich der Teilgebiete und ihrer Reihenfolge sicher der gleichen Meinung wie Am-monius und Philoponus. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß alle Befür-worter der üblichen Reihenfolge genau in der gleichen Weise wie die bei-den Kommentatoren diese Reihenfolge begründeten. Denn es gibt für die Befürworter dieser Reihenfolge keinen theoretischen Zwang, sich unbe-

    21 Seine Reihenfolge der Teilgebiete der aristotelischen Logik ist Urteilslehre - Katego-rienlehre - Begriffslehre - Theorie des Syllogismus - Theorie des definitorischen Wissens.

    22 Vgl. oben S. 7/8. 23 Prand, a.a.O., S. 325. 24 S. Alex. in an. pr. 160,32. Ammon. in de int. 5,28-6,4; hierzu P. Moraux "Der Aristo-

    telismus bei den Griechen", S. 116--119. 25 Simpl. in cat. (CAG VIllI15,27-16,16.

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  • dingt an dem Denkmodell der Zusammensetzung zu orientieren wie Am-monius und Philoponus. Man kann z. B. aus einem buchtechnisch-edito-rischen Grund diese Reihenfolge befürworten. Selbst wenn man zugibt, daß es im Falle des antiken Aristotelesstudiums keine so scharfe Grenze zwischen der buchtechnisch-editorischen Frage und der systematischen Frage gab, ist ~ immerhin wahrscheinlich, daß z. B. die meisten älteren Kommentatoren mehr aus dem buchtechnisch-editorischen Interesse im Vergleich zu den beiden Kommentatoren die Frage der Reihenfolge der aristotelischen Schriften besprachen. Bei Alexander von Aphrodisias ist es wiederum anders. Obwohl er ein guter Exeget war, war er zugleich ein Systematiker. Seine Auffassung von dem System der Logik kann nicht auf der Basis der bloßen buchtechnisch-editorischen Erwägungen gestan-den haben. Einerseits ist es zwar klar, daß er keine von der der Mehrheit abweichende Meinung über das System der Logik hatte, doch ist es schwer zu entscheiden, ob er mit den beiden Kommentatoren in allen Punkten übereinstimmt. Jedenfalls, wenn man ihn aufgrund der überlie-ferten Texte beurteilt, orientierte er sich nicht so ausgesprochen an dem Denkmodell der Zusammensetzung, jedenfalls nicht so wie Philoponus. Ich neige zu der Vermutung - bei aller Vorsicht -, daß Ammonius bzw. Philoponus sich in ihrer Darstellung des Systems der Logik direkt an ihre neuplatonischen Vorgänger Porphyrius und Jamblich anlehnen. Es sei daran erinnert, wie Ammonius Porphyrius' Lehre von der Position zu Hilfe nimmt. Ferner soll Jamblich die Frage des Themas jeder der aristote-lischen Schriften immer eingehend erörtert haben26•

    2. Formale Logik

    Die Syllogismen, von denen im Rahmen des vorgehenden Abschnittes ohne Differenzierung geredet worden ist, sind konkrete Syllogismen, d. h. Syllogismen, die aus a.1tocpavcrEt~ zusammengesetzt sind. Die kon-kreten Syllogismen teilen sich nun nach den Kommentatoren in drei ver-schiedene Arten: den apodeiktischen Syllogismus, den dialektischen Syl-logismus und den sophistischen Syllogismus. Der apodeiktische Syllogis-mus ist ein Syllogismus, der nur aus wahren Sätzen" zusammengesetzt ist. Der dialektische Syllogismus ist dagegen ein Syllogismus, der aus wahr-scheinlichen Sätzen zusammengesetzt ist. Der sophistische Syllogismus schließlich ist ein Syllogismus, der aus falschen Sätzen zusammengesetzt ist. Dieser Einteilung entsprechend unterscheiden die Kommentatoren drei Teilgebiete in der Theorie der Syllogismen und , wie wir sahen, ord-

    26 Hierzu Larsen, Jamblique, S. 435-444.

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  • nen sie den drei Gebieten jeweils eine aristotelische Schrift ZU; dem er-sten Gebiet die analytica posteriora, dem zweiten Gebiet die topica und dem dritten Gebiet die sophistici elenchi. Diese Unterscheidung der Ar-ten der Syllogismen und die entsprechende Zuordnung, die übrigens nur zum Teil berechtigt ist, stammt wahrscheinlich aus der älteren Genera-tion der antiken Aristoteliker, d. h. aus derZeit vor Alexander von Aphrodisias. Aber wegen der ungünstigen Quellenlage läßt sich diese Ver-mutung urkundlich nicht bestätigen. Unter den zugänglichen Quellen ist Alexanders Kommentar die älteste, in der wir zum ersten Mal dieser Ein-teilung und Zuordnung begegnen27.

    Nun gibt es neben diesen drei Gebieten noch ein Gebiet, das sich mit dem Syllogismus beschäftigt. Das ist die Theorie des Syllogismus im allge-meinen, wie sie die Kommentatoren nennen. Dieser Theorie ordnen die Kommentatoren die Schrift analytica priora zu. Wie die Bezeichnung lIder Syllogismus im allgemeinen"28 erkennen läßt, wird nach den Kom-mentatoren in dieser Theorie bzw. Schrift noch gar nicht eine besondere Art von Syllogismus behandelt, sondern die Gattung aller oben genann-ten Arten von Syllogismus.

    Es stellt sich hier die Frage, was genau unter dem Syllogismus als Gat-tung zu verstehen ist. Die Gattung ist natürlich das Gemeinsame, das al-len Arten zukommt, welche unter sie fallen: An verschiedenen Stellen in ihren Kommentaren kontrastieren die Kommentatoren gemeinsame Merkmale der Syllogismen mit der spezifischen Differenz davon. Indem sie dies tun, zeigen sie uns, wie sie das Wesen der "formalen" Logik, wie sie heute heißt, sehr gut begrifflich zu fassen verstehen. Eine Stelle in Alexanders Kommentar zu den an. pr. ist besonders zitierenswert29. An dieser Stelle hebt er unter anderen die sogenannte Figur (O'x;;~aJ als eine besonders markante Gemeinsamkeit hervor, die den Syllogismen von ver-schiedener Art zukommt. Dann versucht er das, was es mit den Figuren auf sich hat, folgendermaßen zu verdeutlichen: "Figuren sind mit einem gemeinsamen Prägedruck ('tÜ1tql 'tlVl KotVcpJ zu vergleichen. Der Stoff, dem die gleichen Figuren aufgedrückt werden, kann bei der stofflichen Verschiedenheit doch die gleiche Form (döo~J haben. Wie bei dem glei-chen Prägedruck die Verschiedenheit nicht"im Hinblick auf die Form und

    17 Alex. in top. (CAG II,212,16ff. 18 Auch das Wort ,,6 !in/..(j)c; (JI)A.A.oytO"tJ.OC;" verwenden Ammonius und Philoponus als

    einen festgelegten technischen Terminus. (Ammon. in an. pr. 4,2; 8. Philop. in an. pr. 5,5; 11 u.a.m.1 In unserem Zusammenhang kann das Wort als "der Syllogismus schlechthin" übersetzt werden. Aber das Wort ,,6 an/..(j)c; (JI)A.A.oytO"tJ.OC;" kann manchmal den einfachen Syllogismus, d.i. das Gegenteil des komplexen Syllogismus bedeuten. Alexander gebraucht das Wort nur in diesem letzteren Sinne.

    19 Alex. in an. pr. 6,16-21.

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  • Figur, sondern im Hinblick auf den Stoff feststellbar ist, so ist es auch bei den syllogistischen Figuren." Hier haben wir überhaupt die älteste Be-schreibung des Wesens der formalen Logik vor uns, welche sich in den uns überlieferten logischen Texten der Antike finden läßt. Und das Be-griffspaar Form - Stoff, das Alexander bei der Erklärung an der zitierten Stelle heranzieht, wird seitdem immer wieder dann benutzt, wenn man erklären will, worum es in der formalen Logik geht. Der noch heute gän-gige Name "formale Logik" ist eben der Beweis dafür.

    Die Figur, von der an der angeführten Stelle die Rede ist, ist allerdings nur ein formales Merkmal des Syllogismus. Außer diesem Merkmal gibt es noch einige andere Merkmale, die zur Form gehören. Welche formalen Merkmale es noch gibt, werden wir in dem nächsten Kapitel betrachten. Im Augenblick ist die Frage wichtiger, welche Funktion Alexander den gemeinsamen formalen Merkmalen zuschreibt. In. dem Proömium zu dem Kommentar zu den an. pr., in dem sich die angeführte Stelle findet, dient die Form primär zur Unterscheidung des Syllogismus im allgemei-nen von allen anderen konkreten Syllogismen verschiedener Art. Aber im Lauf der weiteren Interpretation läßt uns Alexander erkennen, daß er eine noch genauere Vorstellung von der Rolle der Form hat.

    Bekanntlich hat Aristoteles in den an. pr. Syllogismen mit Buchstaben formuliert. Er hat jedoch keine explizite Erklärung davon gegeben, was es mit diesen Buchstaben auf sich hat. Alexander erläutert die Bedeutung des Gebrauchs der Buchstaben: Aristoteles benutzte die Buchstaben, um zu zeigen, daß die Conc1usio eines Syllogismus nicht aus dem Stoff folgt, sondern wegen der Figur, einer gewissen Kombination der Prämissen und Modi. Anschließend formuliert er den gleichen Gedanken etwas anders: Die Folgerung hänge nicht davon ab, wie der Stoff beschaffen ist, sondern davon, wie die Verbindung der Prämissen beschaffen ist30• Figur, Modi, Kombination der Prämissen, oder Verbindung der Prämissen, die Alexan-der uns an dieser Stelle nicht besonders systematisch vorführt und dem Stoff gegenüberstellt, gehören alle zur Form des Syllogismus. Wie diese formalen Merkmale auch immer genau bestimmt werden mögen, der wichtige Gedanke, den er hier zum Ausdruck bringt, ist folgender: Die Folgerungsbeziehung zwischen den Prämissen und der Conc1usio hängt von bestimmten formalen Merkmalen ab, und zwar nur von ihnen. Da-bei tangiert der Stoff des Syllogismus die Gültigkeit der Folgerung gar nicht. Deswegen kann Alexander weiter behaupten, daß die Folgerung auf eine Conc1usio allgemein und immer möglich ist, welchen Stoff man immer für die Stellen, die mit Buchstaben markiert sind, einsetzen mag31.

    30 Alex. in an. pr. 53,28-31. 31 Alex. in an. pr. 54,1-2; ähnlich auch 26-29.

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  • Obwohl Alexander hier die Termini "Formel" oder "Variable" nicht ver-wendet, wird man wohl nicht fehlgehen mit der Behauptung, daß der Syl-logismus im allgemeinen bei Alexander mit der Schlußformel im heuti-gen Sinne gleichgesetzt werden kann, in welcher nur die Form des Schlusses mit Variablen gezeigt ist und welche daher den Anspruch auf die Allgemeingültigkeit hat; die Möglichkeit, eine beliebige Einsetzung der Variablen vorzunehmen, ist nämlich die wesentliche Voraussetzung dafür, daß ein Anspruch auf die Allgemeingültigkeit erhoben werden kann.

    Wenn wir die Theorie des Syllogismus im allgemeinen bei Alexander als formale Logik bezeichnen wollen, ist das sicher nicht bloß deswegen erlaubt, weil er zum Zweck der Unterscheidung des Syllogismus im allge-meinen von den konkreten Syllogismen verschiedener Art die Begriffe Form und Stoff in die Logik einführt, sondern genauer deswegen, weil er die Form zugleich als den einzigen Grund für die Gültigkeit des Syllogis-mus und (konsequenterweise in solchem Fall) den Syllogismus im allge-meinen als eine allgemeingültige Schlußformel auffaßt.

    Auch Ammonius und Philoponus machen von dem Begriffspaar Form und Stoff in der gleichen Weise wie Alexarider Gebrauch. Besonders die Stelle, an der Ammonius ausführlich von der Debatte der Stoiker und der Peripatetiker über die Frage berichtet, ob die Logik nur als ein Organon (Werkzeug) für die philosophische Untersuchung oder als ein selbständi-ges Teilgebiet der Philosophie aufzufassen ist, ist beachtenswert. Die Frage, um. die es an der Stelle eigentlich geht, interessiert uns im Augen-blick nicht. Aber die Erklärung, die er bei der Stellungnahme zu dieser Frage gibt, ist in unserem Zusammenhang interessant. Er vertritt die Mei-nung, daß die Logik in einer Hinsicht als Organon, aber zugleich in ande-rer Hinsicht als ein selbständiges Teilgebiet der Philosophie anzusehen ist. "Wenn du die Argumente zusammen mit 1tpay~a:ta nimmst, z.B. Syllogismen mit bestimmten 1tpay~a'ta, dann hast du es mit der als ein Teilgebiet der Philosophie aufgefaßten Logik zu tun. Aber wenn du Re-geln (Kav6va~) leer (",tA.oü~) ohne 1tpay~a'ta nimmst, hast du es mit der als Organon aufgefaßten Logik zu tun"32. Es ist klar, daß er den Syllogis-mus im allgemeinen als leere Regel betrachtet. Als Beispiel für eine leere Regel gibt er einen Syllogismus aus den an. pr. an, der wie folgt formu-liert ist:" 'to A Ka'ta 1tav'to~ 'toO B, 'to B Ka'ta 1tav'to~ 'toO r, 'to A äpa Ka'ta 1tav'to~ 'toO r. In diesem Beispiel sehen wir sozusagen einen leib-haftigen Syllogismus im allgemeinen. Ein anderer Syllogismus, den er weiter als Gegenbeispiel zum Vergleich gibt, braucht hier nicht angeführt zu werden. Dieser Syllogismus unterscheidet sich von dem als Beispiel

    32 Ammon. in an. pr. ll,Iff.

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  • für leere Regeln angegebenen Syllogismus darin, daß in ihm an allen Stel-len, an denen im ersteren Syllogismus Buchstaben stehen, konkrete be-deutungstragende Wörter, also'; OTJ~av'tuc" cprovfJ oder: 'to 1tpä.y~a, ste-hen. Der Ausdruck "leere Regel" entspricht, wie wir an dem Beispiel und der Erklärung sehen können, eindeutig der allgemeingültigen Schlußfor-mel im heutigen Sinne. Ferner fällt uns auf, daß Ammonius hier den Be-griff 1tpä.y~a als Korrelat zu Form gebraucht. Er und Philoponus gebrau-chen öfters 1tpä.y~a an Stelle von ÖATJ. 1tpä.y~a bedeutet in den logischen Texten der Antike für gewöhnlich den außersprachlichen Ge-genstand. Aber natürlich, wenn Ammonius in unserem Zusammenhang den Begriff 1tpä.y~a gebraucht, kann er ihn nicht im Sinne des außer-sprachlichen Gegenstandes gebrauchen. Dinge selbst können selbstver-ständlich nicht in einem Syllogismus auftreten. Was er dabei mit 1tpä.y~a meint, ist das Wort, das auf einen Gegenstand bezogen ist und insofern eine Bedeutung hat. Wenn man in dem Vokabular von Ammo-nius ein Synonym sucht, fällt einem ,; OTJ~av'tl.Jd) U1tA'il cprovfJ ein. Das Gebrauchen des 1tpä.y~a besagt also in unserem Zusammenhang so viel, daß die Sachbezogenheit oder die Bedeutung der Wörter als irrelevant "für das Bestehen des Syllogismus im allgemeinen ausgeklammert werden soll.

    Wenn man das, worum es in der formalen Logik geht, bildlich verdeut-lichen will, ist Ö"'TJ dafür ein sehr geeigneter Begriff, wie wir an der oben zitierten Stelle von Alexander sahen. Aber Ö"'TJ selber bleibt in diesem Fall etwas ziemlich Unbestimmtes. Ö"'TJ wird für gewöhnlich fast als ein negativer Begriff verstanden, d. h. man versteht das, was an einem Gegen-stand der Ö"'TJ entspricht, meistens als das, was übrigbleibt, wenn man von dem Gegenstand das und das ldie schon eindeutig bestimmten Eigen-schaften) wegdenkt. In unserem Fall ist es aber möglich, davon, was der Ö"'TJ des Syllogismus entspricht, eine begriffliche Erklärung zu geben. Wenn man dies tun will, ist 1tpä.y~a eben der geeignete Begriff. Die posi-tive begriffliche Bestimmung der nicht-formalen stofflichen Elemente des konkreten Syllogismus lautet: die bedeutungstragenden Wörter des Syllo-gismus sind der Stoff des Syllogismus.

    Wenn man heute von der formalen Logik spricht, wird man wohl als das Korrelat des in diesem Zusammenhang gegebenen Begriffes "Form" eher an "Inhalt" denken als an "Stoff". Man wird "etwa sagen, die Sätze "Kein Mensch ist Gott" und "Kein Gott ist Mensch" seien einander dem Inhalt nach gleich, aber der Form nach verschieden. Der Gebrauch des Begriffes "Inhalt" in solchem Zusammenhang ist zwar unpräzise, aber nicht völlig verfehlt. Daß die beiden Sätze gleiche Begriffe als Subjekt oder als Prädikat haben, und daß so unter anderem auch darauf die Gleichheit des kognitiven Gehaltes der beiden Sätze zurückgeführt wer-den kann, ist vielleicht das, was man mit dem Inhalt im Grunde meint.

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  • Ungefähr mit diesem Wortgebrauch des Inhaltes können wir den Wortge-brauch des 1tpäYJ.l.ll in Ammonius' Kommentaren zu den an. pr. verglei-chen. Obwohl der Begriff 1tpäYJ.l.ll selbst nicht ganz präzise ist33, bedeutet die Einführung dieses Begriffes zur Erklärung des Charakters des Untersu-chungsgegenstandes der Theorie des Syllogismus im allgemeinen insofern einen Gewinn, als dadurch etwas klarer werden kann, was man unter der ÜATI der Syllogismen verstehen soll.

    Philoponus bespricht wie Ammonius in dem Proömium seines Kom-mentars zu den an. pr. ausführlich die Frage, ob die Logik ein Organon ist oder nicht. Dabei gibt er den Gedanken, den sein Lehrer an der oben an-geführten Stelle zum Ausdruck bringt, etwas verwässert, aber in Grund-zügen treu wieder34• Die Logik, die als Organon aufzufassen ist, bestimmt auch er als eine Untersuchung, in der ÜATI oder 1tpäYJ.l.ll keinen Platz ha-ben. Den interessanten Ausdruck "leere Regel" verwendet er aber an die-ser Stelle nicht. An einer anderen Stelle, die wir unten betrachten wer-den, verwendet er stattdessen den Ausdruck "allgemeine Regel" (6 Kll90AtK6~ KllVroV [35]). Dieser Ausdruck klingt im Vergleich zu Ammo-nius' Rede von "leerer Regel" etwas farblos, nicht viel anders als "kaltes Eis" oder "heilige Götter". An unserer Stell