DIE EIGENART DES ENNEBERGISCHEN WORTSCHATZES Das … · 2020-04-01 · Olivieri = Dante Olivieri,...

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Heinrich Kuen DIE EIGENART DES ENNEBERGISCHEN WORTSCHATZES I. Teil Das Ennebergische unterscheidet sich in vieler Hinsicht in der Lautentwick¬ lung (z.B. -ent > -nt), in der Flexion (z.B. Part. Perf. enneb. Sg. pasé - PI. pasé:s ; gadert. pas - pas ) und im Wortschatz vom Abteiischen ( = Ober¬ gadertalischen). Hier sollen nur die Abweichungen im Wortschatz zusammen¬ gestellt und besprochen werden, also solche Fälle, in denen ein Begriff im Ennebergischen mit einem anderen Wort bezeichnet wird als im Abteiischen, wie z.B. »füttern«, das im Ennebergischen prodéj heißt, im Abteiischen ozor; oder solche Fälle, in denen das gleiche Wort im Ennebergischen eine andere Bedeutung hat als im Abteiischen, wie z.B. bradlé , das im Ennebergischen »weinen« bedeutet, sonst aber »blöken (von Schafen)«, »meckern (von Zie¬ gen)«; und solche Fälle, in denen von demselben Wort im Ennebergischen eine andere Ableitung gebraucht wird als im Abteiischen, wie z.B. enneb. balótes , abt. ba:lds »Knödel«. Nicht berücksichtigt werden also rein lautliche Unterschiede wie enneb. pas / abt. pa:s, sda / sada, cénder / cajndor, tmp / tamp, läse / läse, bjésa / b:sa, mra / m:ra, koltöra / koltüra, c:rne / c-.rnd, blo / bél(d), dio / di'. , sózera / sózora , nt / vant, tan / tavn,jesti / visti, ara / ala, ca:lc / caivc, asla / :stla, dü:rs / dü'.rts, jarina / gariria, / lü:k, pré - pré:s / pr - pra, kólma f. / kólm m., tema / torn'. , a / f: , ah / un usw. Das Unterländische (im Vocabolarietto badiotto-italiano von Martini »bb.« = basso badiotto) - Welschellen, Untermoi, Piccolein, St. Martin, Campill, Wen¬ gen stimmt im Wortschatz wie in der Lautentwicklung manchmal mit dem Ennebergischen, manchmal mit dem Abteiischen überein. Als Quellen für den ennebergischen Wortschatz dienten mir 1. die Angaben aus der Abhandlung »Hauswirtschaft und Viehzucht in den ladinischen Tälern Tirols« des im ersten Weltkrieg gefallenen Ennebergers Hermes Fezzi, die Theodor Gärtner im deutsch-ladinischen Teil seiner Ladi¬ nischen Wörter aus den Dolomitentälern, 1923, als Anmerkung bringt, und wo die ennebergischen Wörter und Wortformen mit »enn.« von den mit »abt.« bezeichneten unterschieden werden; 2. das V ocabolarietto badiotto-italiano von Giuseppe Sergio Martini con la collaborazione di A. Baldissera, F. Pizzinini e F. Vittur, 1950, wo die enne¬ bergischen Wörter mit dem Zusatz »mar.« versehen sind; 107

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Heinrich Kuen

DIE EIGENART DES ENNEBERGISCHEN WORTSCHATZES

I. Teil

Das Ennebergische unterscheidet sich in vieler Hinsicht — in der Lautentwick¬lung (z.B. -ent > -nt), in der Flexion (z.B. Part. Perf. enneb. Sg. pasé - PI.pasé:s; gadert. pas - pas ) und im Wortschatz — vom Abteiischen ( = Ober¬gadertalischen). Hier sollen nur die Abweichungen im Wortschatz zusammen¬gestellt und besprochen werden, also solche Fälle, in denen ein Begriff imEnnebergischen mit einem anderen Wort bezeichnet wird als im Abteiischen,wie z.B. »füttern«, das im Ennebergischen prodéj heißt, im Abteiischen ozor;oder solche Fälle, in denen das gleiche Wort im Ennebergischen eine andereBedeutung hat als im Abteiischen, wie z.B. bradlé, das im Ennebergischen»weinen« bedeutet, sonst aber »blöken (von Schafen)«, »meckern (von Zie¬gen)«; und solche Fälle, in denen von demselben Wort im Ennebergischen eineandere Ableitung gebraucht wird als im Abteiischen, wie z.B. enneb. balótes,abt. ba:lds »Knödel«.

Nicht berücksichtigt werden also rein lautliche Unterschiede wie enneb. pas /abt. pa:s, sda / sada, cénder / cajndor, tmp / tamp, läse / läse,bjésa / b:sa, mra / m:ra, koltöra / koltüra, c:rne / c-.rnd, blo / bél(d),dio / di'. , sózera / sózora, nt / vant, tan / tavn,jesti / visti, ara / ala, ca:lc /caivc, asla / :stla, dü:rs / dü'.rts, jarina / gariria, lü / lü:k, pré - pré:s /pr - pra, kólma f. / kólm m., tema / torn'. , a / f: , ah / un usw.

Das Unterländische (im Vocabolarietto badiotto-italiano von Martini »bb.« =basso badiotto) - Welschellen, Untermoi, Piccolein, St. Martin, Campill, Wen¬gen — stimmt im Wortschatz wie in der Lautentwicklung manchmal mit demEnnebergischen, manchmal mit dem Abteiischen überein.

Als Quellen für den ennebergischen Wortschatz dienten mir

1. die Angaben aus der Abhandlung »Hauswirtschaft und Viehzucht in denladinischen Tälern Tirols« des im ersten Weltkrieg gefallenen EnnebergersHermes Fezzi, die Theodor Gärtner im deutsch-ladinischen Teil seiner Ladi¬nischen Wörter aus den Dolomitentälern, 1923, als Anmerkung bringt, undwo die ennebergischen Wörter und Wortformen mit »enn.« von den mit»abt.« bezeichneten unterschieden werden;

2. das Vocabolarietto badiotto-italiano von Giuseppe Sergio Martini con lacollaborazione di A. Baldissera, F. Pizzinini e F. Vittur, 1950, wo die enne¬bergischen Wörter mit dem Zusatz »mar.« versehen sind;

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3. die Parores ladines, Vokabulare badiot-tudsk von Antone Pizzinini, ergänztund bearbeitet von Guntram Plangg, Innsbruck 1966, wo die enneber-gischen Wörter ebenfalls durch »(mar.)« als solche gekennzeichnet sind, wasaber gelegentlich nur bedeutet, daß sie der Enneberger Lois Craffonara beider Fahnendurchsicht als ihm bekannt bezeichnet hat;

4. meine eigenen Aufnahmen in den Dolomitentälern im Jahr 1934;

5. besonders wertvoll ist die Mitarbeit eines gebürtigen Ennebergers und Ken¬ners der ladinischen Mundarten, des Herausgebers der Ladinia, Herrn Dr.Lois Craffonara, der mein Manuskript sorgfältig durchgesehen und in zahl¬reichen Fällen berichtigt und ergänzt hat. Ich bin ihm dafür zu großemDank verpflichtet. Seine Beiträge werden mit Cr. gekennzeichnet.

ABKÜRZUNGEN DER BENÜTZTEN WERKE

AIS = Karl Jaberg und Jakob Jud, Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz,1928 ff.

Alton, LI = Johann Alton, Die ladinischen Idiome in Ladinien, Groden, Fassa, Buchen-Stein, Ampezzo, Innsbruck 1879

Alton, Stóries = Giovanni Alton, Stóries e chinties ladines con vocabolario ladin-talian,Innsbruck 1895

Alton, Ethn. = Johann Alton, Ethnologie von Ostladinien, Insbruck 1880Aschenbrenner = Max Aschenbrenner, Das Vokabular des Verkehrswesens im Zentralla-dinischen (Münchener Romanistische Arbeiten 30), München 1972

Aufs. — Heinrich Kuen, Komanistische Aufsätze (Erlanger Beiträge zur Sprach- undKunstwissenschaft 35), Nürnberg 1970

Azzolini = Giambattista Azzolini, Vocabolario vernacolo italiano pei distretti rovere-tano e trentino, Venezia 1856

Battisti-Alessio = Carlo Battisti - Giovanni Alessio, Dizionario etimologico italiano 1950ff.

BDR = Bulletin de dialectologie romane, 1909 ff.Bezzola - Tönjachen = Reto R. Bezzola - Rudolf O. Tönjachen, Dicziunari tudais-chrumantsch ladin, 1944

Boerio = Giuseppe Boerio, Dizionario del dialetto veneziano, 3 1 867Cat. Bart. 1763 = Catalogus Multorum Verborum quinque Dialectuum quibus MontaniPerginenses, Roncegnenses, Lavaronenses et Abbatienses utuntur, Museum FerdinandeumInnsbruck, Dipaul. 958

Corominas = Juan Corominas, Diccionario critico etimolgico de la lengua castellana,Bern 1954 ff.

Cr. = Lois Craffonara, brieflich.Dell'Antonio = Giuseppe Dell'Antonio, Vocabolario ladino moenese-italiano, Trento s. a.Diez = Friedrich Diez, Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen. Bonn

5 1887Du Cange = Glossarium mediae et infimae latinitatis conditum a Carolo du Fresne Do¬mino Du Cange, Ed. nova a L. Favre, Niort 1883 ff.

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Elwert = W. Theodor Elwert, Die Mundart des Fassa-Tals (Wörter und Sachen, DerNeuen Folge Beih. 2), Heidelberg 1943

Erlacher = S. Erlacher, Storia dai Ladins dia Val Badia, Brixen s. a.FEW = Walther von Wartburg, Französisch-Etymologisches Wörterbuch 1928 ff.Fezzi = Hermes Fezzi in Ladinische Wörter aus den Dolomitentälern von Theodor Gärt¬ner, Halle 1923

Forcellini = E. Forcellini, Totius latinitatis lexicon, 2 1805, erweitert von de-Vit 1858 ff.Gamillscheg, Kom. Germ. = Ernst Gamillscheg, Romania Germanica (Grundriß dergermanischen Philologie 11/1-3), Berlin 1934-36

Gärtner, GM = Theodor Gärtner, Die Gredner Mundart, Linz 1879Gartner-Fezzi = Ladinische Wörter aus den Dolomitentälern, zusammengestellt und durcheine Sammlung von Hermes Fezzi vermehrt von Theodor Gärtner (Beih. z. ZrPh 73),Halle 1923

Grimm, DW — Jakob Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1854 ff.Heilmann = Luigi Heilmann, La parlata di Meona nei suoi rapporti con Flemme e conFassa (Studi e ricerche N.S. I), Bologna 1955

K. = Heinrich Kuen, eigene Aufnahmen 1934K. Aufs. = Heinrich Kuen, Romanistische Aufsätze (Erlanger Beiträge zur Sprach- undKunstwissenschaft 35), Nürnberg 1970

Kovacs = Kovacs Johanna, Névszóképzok a közepladin nyelvjrsokban (I suffissi nomi¬nali nei dialetti ladini centrali), Budapest 1934

Kramer, Et. Wb. = Johannes Kramer, Etymologisches Wörterbuch des Gadertalischen(Dolomitenladinisch), 1970 - 1975

Kramer, Hist. Gramm. = Johannes Kramer, Historische Grammatik des Dolomitenladi-nischen, Lautlehre, Gerbrunn bei Würzburg 1977

Ladinia = Ladinia, Sföi cultural dai Ladins dies Dolomites, 1977 ff.Lardschn. = Archangelus Lardschneider, Wörterbuch der Grödner Mundart (Schlern-Schriften 23), Innsbruck 1933

Mair = Walter Mair, Ennebergische Morphologie (Romanica AEnipontana 8), Innsbruck1973

Majoni = Angelo Majoni, Cortina d'Ampezzo nella sua parlata, Vocabolario ampezzano,Forl 1929

Martini = Giuseppe Sergio Martini, Vocabolarietto badiotto-italiano (con la collaborazionedi A. Baldissera, F. Pizzinini e F. Vittur), (Collana di vocabolarii dialettali 1), Firenze1952

Mussafia, Beitr. — Adolf Mussafia, Beitrag zur Kunde der noritalienischen Mundartenim XV. Jahrhunderte 1873 (Photostat. Nachdruck mit den hier zum erstenmal ge¬druckten vollständigen Indices von Fritz Gysling), Bologna 1964

Novak = Hannelore Novak, Die deutschen Lehnwörter im Ladinischen des Gadertales,Diss., (Maschinschr.), Wien 1963

Olivieri = Dante Olivieri, Dizionario etimologico italiano concordato coi dialetti, le lin¬gue straniere e la toponomastica, Milano 1953

A. Pellegrini, Gramm. = Adalberto Pellegrini, Grammatica ladino-fodoma (con un ap¬pendice sull'idioma), Bozen 1974A. Pellegrini, Voc. = Adalberto Pellegrini, Vocabolario fodom-talian-tudasc Wörterbuch,Bozen 1973

Pirona — Il nuovo Pirona, Vocabolario friulano, Udine 1935A. Pizzinini = Antone Pizzinini, Parores ladines, Vokabulare badiot-tudsk, ergänzt undüberarbeitet von Guntram Plangg (Romanica AEnipontana 3), Innsbruck 1966

F. Pizzinini = Franzi Pizzinini, Parores ladines vedles y piich adorades, [Brixen 1967]REW = Wilhelm Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch (Sammlungromanischer Elementar- und Handbücher III 3), Heidelberg 3 1935

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Ricci = Vittore Ricci, Vocabolario trentino-italiano compilato da alcune signorine di Tren¬to, Bologna [1970]

Rohlfs, Gramm. = Gerhard Rohlfs, Grammatica storica della lingua italiana e dei suoidialetti, Torino 1966-69

Rossi = Hugo von Rossi, Ladinisch-deutsches Wörterbuch, Idiom Unterfassa, hektogra-phiert, mit handschriftlichen Ergänzungen des Verfassers

Schatz, Wb. = Josef Schatz, Wörterbuch der Tiroler Mundarten, für den Druck vorbe¬reitet von Karl Finsterwalder (Schlern-Schriften 119), Innsbruck 1955

E. Schneider = Elmar Schneider, Komanische Entlehnungen in den Mundarten Tirols,ein dialektgeographischer Versuch (Romanica AEnipontana 2), Innsbruck 1963

Schneller = Christian Schneller, Die romanischen Volksmundarten in Südtirol I, Gera1870

Schöpf = J. B. Schöpf, Tirolisches Idiotikon, Innsbruck 1866Schützeichel = Rudolf Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch, Tübingen 1969Stampa = Renato Agostino Stampa, Contributo al lessico preromanzo dei dialetti lom¬bardo-alpini e romanici (Romanica Helvetica II), Zürich und Leipzig 1937

Tagliavini, DL = Carlo Tagliavini, Il dialetto del Livinallongo, saggio lessicale, Bozen1934

Tagliavini, Nuovi Contr. = Carlo Tagliavini, Nuovi contributi alla conoscenza del dialettodel Comlico , Venezia 1944

Velleman = Ant. Velleman, Dicziunari scurznieu da la lingua ladina pustüt d'Engia-din'Ota, cun traduziun tudais-cha, francesa ed inglesa, Samaden 1929

LECURDANZES DE L'AVA

plates de diare crisses danter ora y ciancedes ti gherdina

da

Elsa Runggaldier

o o o

UNION DI LADINS DE GHERDINA

1978

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agüts, PI. agüc »Leitersprosse« (/ agüts, i agile dia li:tra, K.; Fezzi 158, Anm. 7).Das lat. acuere »scharf machen« unterschied nicht zwischen dem Schärfeneiner Schneide ( serram, ferrum acuere »schleifen«) und dem Schärfen einerSpitze ( sagittam, palum acuere »spitzen«). Im Vulgärlateinischen wurde acueredurch acutiare, eine Ableitung von aeütus »scharf, spitzig« ersetzt, das an dieStelle des seit dem 3. Jh. belegten acutare trat. Acutiare lebt in allen romani¬schen Sprachen außer dem Rumänischen in beiden Bedeutungen fort, z.B. inspan. aguzar (el lpiz, un euchilio), frz. aiguiser »rendre tranchant ou pointu«,ital. aguzzare »schärfen, wetzen; spitzen, zuspitzen«, engad. güzzer »schärfen,wetzen, schleifen; spitzen«, friaul. uzza »arrotare, affilare una lama o aguz¬zare una punta di ferro«, wobei allerdings für bestimmte Objekte oder be¬stimmte Werkzeuge des Schärfens besondere Verba eingetreten sind (z.B.»den Bleistift spitzen« span. sacar punta a, frz. tailler, ital. temperare; oder»mit dem Schleifstein schleifen« span. amolar, frz. meuler, ital. arrotare).Auch im Sellaladinischen bedeutete agütse (grödn. agutsé, gadert, agotsé, fass.gutsr, buch, gutsé) ursprünglich nicht nur »wetzen, schleifen«, sondern auch»spitzen«. Aber die letztere Bedeutung wurde später durch das deutsche Lehn¬wort spitzen abgelöst (fass., auch Moena, spitsr, -r; grödn., gadert., buch.spitsé; auch amp. spits und friaul. spits:), sodaß heute nur mehr die Be¬deutung »wetzen« geblieben ist. Vgl. schon im Cat. Bart. 1763: Acuo Perg.Bötzen, Rone, idem, Lavar. Schläiffen, wtzen, Abbat, agotz.Aber in der Zeit, da agütse auch noch »spitzen« bedeutete, wurde von ihm imGadertal ein postverbales Substantiv agüts »zugespitztes, spitziges Holz« ab¬geleitet, das im Ennebergischen zur Bezeichnung der Leitersprosse verwendetwerden konnte. Im Abteiischen ist für die Leitersprosse das ital. Lehnwortskalin eingedrungen; hier hat agüts die Bedeutung »Holzsplitter, Span«, »scheg¬gia« (A. Pizzinini, Martini).In dem mit dem Abteiischen nächstverwandten Buchensteinischen sind agucPL »dünne Holzstücke (zwischen die Bretter zu legen)«, »stecche (per metteretra le assi)«, A. Pellegrini Voc. Nach Tagliavini DL 56 bedeutet der Plural inPieve di Livinallongo »chiodi di legno con punta aguzza« und wird heute be¬sonders in der Bedeutung »schegge di legno per accendere il fuoco« verwendet.Jedoch ist aguc nicht, wie Tagliavini irrtümlicherweise annimmt, der Plural vonagü < acutus, — dieses bedeutet »Nagel« und sein Plural ist agüs (s. A. Pelle¬grini Voc. 20) - aguc ist vielmehr der Plural von einem Sing, aguts, den Fezzi174, Anm. 7, mit der Bedeutung »Scheit« anführt (vgl. poc Plural von potsusw., A. Pellegrini Gramm. 18). - Vgl. auch das postverbale Adjektiv engad.{a)güz, surm. giz »spitz, stumpf«, ital. aguzzo »spitzig«.

ka — kes »Hackmesser« (Fezzi 144, Anm. 7; abt. tsapadü-.ra aus trent.zapadura; buch, pdstasa, A. Pellegrini Voc. pestaca »coltellaccio, Hackmesser«zu peste), »un coltello da cucina, mezzaluna« (Martini) ist vor dem Wandel vona zu b aus alttirol. ( — mhd.) hacke entlehnt; heute tirol. hkxd.

altsó »Spund der Wasserleitungsröhre«, auch »Schieber bei Holzröhren« (A.Pizzinini) wird von Kramer Et. Wh. mit Recht zu altsé »heben« < *altiare

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gestellt; das von ihm nicht besprochene Suffix -o < -eolu, -iolu, vgl. lintsó <linteolu, azó < haediolu.

aligeri m. PI. »Mitesser, 'WimmerP; Dasselbeule; Engerling«, »comedoni,acari« (A. Pizzinini, Martini, K.); auch St. Martin äneri »Engerling«, aber St.Cassian: i éngerii (K.) aus tirol. anger »Engerling, Made am Rücken der Rinderund die Geschwulst dazu« (Schatz Wb.); in Onach ähan PI. Nicht von nhd.Engerling , wie Kramer Et. Wb. 1, 15 annimmt.

angostäira »Flasche« (Zwischenwasser, St. Vigil, hgostä'.ra St. Martin, K.;Fezzi 137, Anm. 4; A. Pizzinini; F. Pizzinini), angostä'.ra (Pfarre, K.), gostä:ra»bottiglia« (AIS VII 1334 P. 305 St. Vigil), na gran gosta-.ra, kórpflsn »da¬migiana« (AIS VII 1333 P. 305), la gostäira d las medezinas [a ungenau füre] »una bocetta di medicina« (AIS IV 706 P. 305), ahgosta:ra, »bb.«gostäira (f.) »bottiglia« (Martini) beruht auf altital. anguistara (inguistara)aus gastra »bauchiges Gefäß« + angustus (Battisti-Alessio, I 207; Battaglia,Grande dizionario della lingua italiana I 1961, VII 1972; G. Devoto, Dizio¬nario della lingua italiana 1971).Das Wort muß in alter Zeit in Norditalien verbreitet gewesen sein, denn vonhier aus ist es spätestens im 15. Jh. nach Süddeutschland als angster entlehntworden und in älterer Zeit auch für Tirol bezeugt (s. Grimm, DW I 1854;Öst. Ak. d. Wiss. Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich 1970;Schatz Wb.; angustrum, ein top da man yn leset, Glossar, Lat. Germ. ann.1477 Germania superior, Du Cange, ist nur eine Latinisierung von angster.Im Unterländischen herrscht verkürztes gostä:ra (Welschellen, St. Martin,Campill; gonstä:ra habe ich in Piccolein notiert). Auch friaul. inghistare, ingi-starie : Pirona 450, 451: »Voce molto usata fino al sec. XVII.«Im Oberland wird die Flasche wie in den übrigen dolomitenladinischen, denheutigen friaulischen und venezianischen Mundarten mit boza bezeichnet (Pe-deroa, Wengen, Fornacia btse, Abtei, Pedraces, Stern, St. Cassian, Corvara,Colfuschg bö-.tsa) <";< bottia (s. Kramer Et. Wb. 2, 23).Flasa, aus alttirol. flase (heute flsd) vor dem Wandel von a zu entlehnt, warfrüher eine Flasche oder Kanne aus Blech, heute auch angostäira.

äno »Engel«, stammt, wie grödn. änjul und fass. änol, aus altoberital. agnol(o)(s. Elwert, S. 225), gegenüber abt. ä:ngel (A. Pizzinini) aus jüngerem ital. angelo.

antäre m. »Brautwagen« (A. Pizzinini) könnte aus mhd. * hantwagen vor demWandel von a zu entlehnt worden sein, wobei der zweite, schwachtonige Teildes deutschen Wortes ungenau (nur mit richtigen Vokalen) wiedergegebenwurde - wie das bei mehrsilbigen Lehnwörtern aus dem Deutschen mehrfachder Fall ist (vgl. grödn. kewlbmp »Kohlamsel« < tirol. kxóulmpsl; sudi»Lederzunge vorne an den Schuhen« < tirol. südxlbsn; run, rum »dagegen«< tirol. hardhkegn; bad. indé\rd < tirol. dardnkegn ) — und wobei hant inder Bedeutung »(persönlicher) Besitz, Gewalt über eine Sache« gebraucht war,die es im Alt- und Mittelhochdeutschen hatte (s. Schützeichel 76; Lexer 1,1872, 1171; Grimm DW 4, Abt. 1, 1877, 351, 3), also hantwagen »der Wagenmit dem persönlichen Besitz der Braut«.

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änterbänk »Regenbogen«, »arcobaleno« (Zwischenwasser, Pfarre, St. Vigil, K.Aufs. 27; A. Pizzinini; AIS II 371; Martini) ist wohl die volksetymologischeUmgestaltung eines älteren gadert.* :rgoboh nach anter »zwischen« undbank »Bank«; :rgo ist das gadert. Wort für »Bogen«, — bon ist noch im buch.arkobon, arkaboän »Regenbogen« erhalten (Tagliavini DL 61; A. PellegriniVoc.). Es geht auf *bibando für bibendo zurück — nicht auf bibente, wieKramer Et.Wb. 3, 44 f. annimmt (vgl. Elwert 156; Gärtner GM 76, 78, 82;A. Pellegrini Gramm. 38) - vgl. amp. arko bevando, fass. ego bon; - grödn.ga bruanda hat sich an aburvé »tränken« angelehnt. (Vgl. A. Mussafia, Beitr.128 ff.; C. Salvioni, L'Italia Dialettale 4, 1927, 222 — 224). Im Abteiischen(Colfuschg, Corvara, Stern, St. Cassian, Abtei, Pedraces, Wengen) ist irgobonzum heutigen rgobndo umgestaltet worden. Dieses ist im Unterland (St. Mar¬tin, Campill, Piccolein, Untermoi, Welschellen) durch Fernassimilation zu'.rbobndo geworden (K.).

anträ:ra »Diarrhöe, Durchfall«, »diarrea« (Martini; K.), wird von Fezzi (131,Anm. 8) und von A. Pizzinini (7 und 38) als ennebergisch angegeben; ich habees auch in St. Martin gehört; es wird auch von Dr. Alois Vittur aus Pesco!(Badia) in seinem badiotisch geschriebenen Aufsatz Les erbs de medezina denots valades im Kalender ladin 1915, 99 ff., mehrfach gebraucht, allerdingsS. 99, Anm. 4, durch mene ora dl venter erklärt (der Ausdruck ist wie grödn.me meina ora dl venter »ich habe Diarrhöe«, Lardschn. 211, dem deutschenAbführen nachgebildet).antraira aus "k ventraria (Kramer Et.Wb. 1, 18) ist eine besondere Bildung desEnnebergischen-Unterländischen; Krankheitsbezeichnungen auf -aria sind auchgrödn. dlava »Blattern« (aus clavaria), enneb. und gadert. boca:ra »Maulseuche(Rind)« (A. Pizzinini, Martini), bündn. anganera und cudera »Drüsen¬anschwellung«, buchera »Bläschenausschlag an der Mundecke«, budera»Striemen«, büsmera »Schnupfen«, pislera »Unpäßlichkeit«, secher »Ver¬stopfung«, starvera »Schnupfen«, urtiera »Nesselfieber« (Iso Baumer, Räto¬romanische Krankheitsnamen, Diss., Bern 1956, Winterthur 1962, 42, 51, 52,86, 118, 137, 143, 152). Man stellt sich die Krankheit, la maratia/malatia alseine Art weibliches Wesen vor, vgl. das tirol. Fem. di gawadl »Gehschnell«,mittelbündn. la schuenta ( Catarina ) = schwdt. »die schnell Katri« (Baumeraao. 83), und grödn. zlumpra »Diarrhöe« (Lardschn.) zu deutschtirol. schlum¬pern »unreinlich leben« (Schatz Wb.).

arajté -j- Refi. »Schlitten fahren, rodeln« (A. Pizzinini; K.), auch »Schifahren« (Ajnda Ladina 1980, 12 und 17) und »reiten« (Erlacher, 194 und195), ist mit a— verstärktes rajté —j— »reiten, fahren« (A. Pizzinini 130; Aschen¬brenner 92; dazu rjt »Ritt, Schlittenfahrt«) aus tirol. raitn »reiten«, schlitten-raitn »auf einem Schlitten fahren« (Schatz Wb. 480).Zur Verstärkung mit a- ( <ad- ) vgl. gadert. apas(d)n »auflauern« (aus tirol.au(f)passn); enneb. apajsené mit Einmischung von pajs(d)n »auflauern, auf¬passen, anstehen (Jagd)« (aus alttirol. paizen »jagen«); arate »(be) rechnen,dafürhalten, meinen« (zu alttirol. raiten, heute roatn »rechnen, berechnen,überlegen«, Schatz Wb. 469; nicht zu mhd. raten »erraten«, wie Kramer Et.

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Wb. 6, 59 annimmt); arisé —i\ — »ritzen« (zu alttirol. rizen, heute raissn);aspan —— »die Arme ausbreiten« (zu allttirol. spannen, heute spönnen);astile —i— Refi, »sich benehmen, sich stellen, sich anstellen« (aus tirol. sinstelln) usw. In der Bedeutung »reiten« findet es sich bei dem ennebergischschreibenden Erlacher S. 194: s'an araita »er reitet davon«.

arbtes »Schnittlauch«, in Zwischenwasser, Pfarre, St. Vigil, auch in Costalun-gia, in Weitental neben l seti (K.; Fezzi 177, Anm. 3; A. Pizzinini 8 und 160)»cipolline« (Martini) ist nicht einfach herba 4- beta (Kramer Et.Wb. 1, 21),auf welches grödn. arbeta und amp. arbeta zurückgehen, denn diese bezeichnenwie beta eine Rübenart.Enneb. arbtes läßt sich wohl nur erklären als Diminutivum von '.rba - derSchnittlauch sieht ja wie eine Art Gras aus -.Im mittleren Gadertal habe ich für den Schnittlauch sdti notiert (St. Martin,Campill, Pederoa: s(d)ti, Wengen, Fornacia), in Welschellen-Weitental seti.Es geht auf ein porrum (-us) sectivum (-us ) »Schnittlauch« zurück (bei Colu-mella, Palladius, Martial, s. Forcellini I 742, V 406), wie friaul. su(l)tive,comelic. sutigi (Tagliavini Nuovi Contr. 122). Daraus wurde in Piccolein,Untermoi und Val siti mit Assimilation des Vortonvokals. Im Abteiischen istSdti nach so ti »dünn« (A. Pizzinini) < subtilis neu motiviert worden: Pedra-ces, St. Leonhard, Stern soti, St. Cassian suti — Campill seti, Untermoi, Picco¬lein siti »dünn« (K.).Im obersten Tal wird der Schnittlauch wie in den übrigen Dolomitenmund¬arten als »Zwiebelchen«: cepullinos benannt: Corvara, Colfuschg Colins (K.);buch, ceolins, grödn. ciblór, fass. cibjóns (Fezzi 177, Anm. 3).

arisé -h- »ritzen« (A. Pizzinini) ist durch a— verstärktes risé »ritzen, anreißen,einen Strich ziehen«, »scalfire« (A. Pizzinini, Martini 118). Zur Verstärkungdurch a— vgl. araité. Nach Martini ist arisé auch unterländisch.risé ist aus alttirol. rizan »reißen« und »ritzen« vor dem Wandel von i: zu aj,also vor dem 11. Jh. (s. H. Kuen in Ladinia II / 1978, S. 27 ff.) und vor demVerlust der zweiten Bedeutung im Deutschen entlehnt worden, wie auchgrödn. risé »ritzen, einen Strich machen« (Lardschn.), buch. ri(n)sé »scalfire,graffiare - ritzen, kratzen« (Pellegrini Voc.), unterfass. risr »linieren, Umrissemachen« (Rossi). Die in A. Pizzinini angegebene Bedeutung »reißen, ein—« istfalsch.

är:ma »Seele«, hauptsächlich dé dies a:rmes »Allerseelentag« (Cr). Weist einein vielen Mundarten zu findende Dissimilation der beiden Nasale auf (auch alti-tal. und mundartlich arma, engad. orma, altkat. arma, span. alma, REW 475),während gadert. nimds, bzw. ä:nimds ein neueres italienisches Lehnwort ist.

armangoré -ä- »brauchen«, für ador [< adoperare] , heute meistens auchin Enneberg adoré, ist eine Umbildung mit ar— < ad— + re— von gadert.amangor »brauchen, mangeln, nötig haben« (A. Pizzinini; Martini) aus altti¬rol. mangeln (heute mönghn) mit der Vorsilbe a— < ad (vgl. enneb. armoréneben abt. amore »schleifen« < ad- / re- / + mola + -are).

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aronté la vaca te stala »attaccare la vacca«, desronté la vaca »staccarla« (Curt,K.); sonst habe ich überall unterld. tak la vaca t stala, oberld. tak la v:cat st:la erhalten. Enneb. aronté - arnta, sonst arent - arnta / arnta bedeu¬tet »anstoßen, kol kumedün« »mit dem Ellbogen anstoßen«, »essere attiguo,vicino, impigliarsi« (A. Pizzinini; Martini), auch buch, arenté »urtare«, »an¬stoßen« (A. Pellegrini Voc.). Es gehört zu einem untergegangenen Adjektivarent aus radente »berührend« (Kramer Et.Wb. 1, 21). Gadert. tak ——hängen, henken, hangen«, »attaccare, incollare« (A. Pizzinini; Martini) istrückgebildet von *atak (aus ital. attaccare) , dieses mit Präfixwechsel ausital. staccare (zu got. stakka »Pfahl«, REW 8218).

asigé »zäunen«, -ete »einzäunen« (A. Pizzinini 10), gegenüber obergadert.sié ite »einzäunen« (A. Pizzinini 150), ist postnomin. Verbum von si »Zaun«< saepes, verstärkt mit a— (vgl. araité ) und, wegen des Zusammenfalls mit sjé< secare, möglicherweise volksetymologisch angelehnt an enneb. sigät »Sä¬ger« (Pizzinini 150, aus venez. segato »segatore« (Boerio) < segare + -attozur Bezeichnung des Ausübers einer Tätigkeit, vgl. Rohlfs Gramm., Sintassie formazione delle parole, 455), auch wenn sich nur schwer ein Sinnzusammen¬hang zwischen den beiden Wörtern herstellen läßt.

bajé -- »reden, sprechen«; »parlare«; ist nicht nur ennebergisch, sondernauch unterländisch (St. Vigil, Pfarre, Zwischenwasser, Welschellen; Untermoi,St. Martin, Campill, Wengen, K.; A. Pizzinini; Martini).Es bedeutete ursprünglich »bellen« (vom Hund) < vulgärlat. * baiare (REW883; FEW I, 299 f.), wie heute noch buch, bajé, grödn. bajé, friaul. und invielen oberital. Mundarten baj (AIS 1099).Ausdrücke für Körperteile und Tätigkeiten von Tieren, wie Schnauze, Pfote,fressen, heulen usw. werden immer wieder auf den Menschen angewendet, umvergröbernde, pejorative Wirkung zu erzielen. So konnte bajé im Ladinischenfür unschönes Reden verwendet werden. Reste davon sind gadert. bja / ba:ja»unschickliches Reden«; gewöhnlich hurta ~ »Zote« (A. Pizzinini); grödn.bja »unschickliches Wort, auch Scherz« (Lardschn.); buch, teni bja »darascolto e rispondere agli insulti di uno; einer schimpfenden Person Gehörschenken und antworten« (A. Pellegrini Voc.); unterengad. bajöz »Geschwätz«(Velleman). Vgl. auch trentin. baia »beffa, burla« (Ricci).Im Ennebergischen und Unterländischen ist der Bezug auf den Hund verlo¬ren gegangen, was umso leichter geschehen konnte, als für »bellen« auch nochdas lat. latrare fortlebt: abt., unterländ. ladre, enneb. lajdré.Das pejorative Element ist dann zurückgetreten und schließlich ganz verschwun¬den, so daß bajé an die Stelle von razoné (Cat. Bart.: loquor-rason) tre¬ten konnte, das im Abteiischen (Abtei, St. Cassian, Corvara, Colfuschg; K.;A. Pizzinini) »sprechen, reden« bedeutet < rationare, wie grödn. ruzné -rdzóna.Eine ähnliche Bedeutungsentwicklung von »bellen« zu einer Art von »reden«findet sich auch im unterengad. bayar »schwätzen« (AIS IV 71 P. 9), im trent.baiar »cianciare, ciarlare, cinguettare« (Ricci); in Sommaio (Poschiavo) bay»schwätzen« {AIS IV 716 P. 78) und in Martinengo, Bergamo bay »schwät-

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zen« (AIS IV 716 P. 254), die allerdings nicht so weit gegangen ist wie imEnnebergischen, sondern nur bis zu »dummes Zeug reden«.

balótes »Knödel«; »gnocchi a forma di palla« (Zwischenwasser, Pfarre, St.Vigil, K.; Fezzi 154, Anm. 3; A. Pizzinini) ist nicht nur ennebergisch, son¬dern, in der Form balötds, auch unterländisch (St. Martin, Untermoi, Weitental,K.; Martini). Es ist ein mit der Ablautform —Ott— von —itt— gebildetes Diminuti-vum von baia »Kugel«, das auch im buch, balta neben dem trent. c(a)nederligebraucht wird (A. Pellegrini Voc.), sowie moenes., fleimst. balta (Fezzi a.a.O.;Dell'Antonio). Das Suffix -ot(a) erscheint z. T. mit (gadert. bagt / bag-.t,siblt / sibl:t, grödn. bagt, siblt ), z. T. mit ó (gadert. canidlót, cazóta,stalót).Im Oberland wird das Wort für die Kugel b'.la, auch für »Knödel« gebraucht(Colfuschg, Corvara, St. Cassian, Stern, Abtei, Pedraces, Wengen, Pederoa -auch Campill balds, K.), wie im Grödnischen und Fassanischen.Ladin. bia ist nicht »ahd. balla«, wie Kramer Et.Wb. 2, 3 mit REW und an¬deren annimmt. Ein ahd. ( lgb., frk.) * balla gibt es nicht, es gibt nur ein ahd.bai — balles, das Maskulinum ist und das romanische Femininum balla wederlautlich noch morphologisch erklären kann.Es ist verwunderlich, daß auch Romanisten, die etwas von Germanistik ver¬stehen, wie Brüch, Der Einfluß des Germanischen auf das Vulgärlatein 1913,150 und passim, oder Gamillscheg, Rom.Germ. I 248 und 220, II, 278,EWFS2 , nicht beachtet haben, daß ahd. (lgb.frk.) bal(l) Maskulinum und mitdem romanischen Femininum balla etymologisch nicht zu vereinbaren ist. Die¬ses muß vielmehr auf einem urwestgerman. balla (mask.) beruhen, das insVulgärlatein eingedrungen ist und dort wegen seiner Endung als Femininumaufgefaßt wurde. Das indogerm. ö in *bhallos (griech. phallós) ist im Urgerma¬nischen allgemein zu ä geworden, im Urwestgermanischen ist das —s frühgeschwunden. Das Wort muß also noch vor dem späteren Schwund des -a(balla> ahd., lgb., frk., ball) ins Vulgärlatein entlehnt worden sein.Vgl. auch urwestgerm. * stalla mask. 1 " \ stalla

(Nicht »got. stalla«, Kramer Et.Wb. 7, 40 nach Battisti; gotisch müßte dasWort * stals lauten). Der Anlaut von ital. palla erklärt sich durch Einwirkungdes lgb. pali auf das alte balla.

bambé:s »Watte«. Nach A. Pizzinini 13 benützt das Ennebergische zur Bezeich¬nung der Watte, die ja ein meist aus Baumwolle bestehendes Gespinst ist, dasdolomitenladin. bambé-.s »Baumwolle« (in St. Vigil hat Scheuermeier, ALS 1516P. 305 pampé:s notiert, ich in Curt drap de pampé:s »Baumwollstoff« (Vgl.Martini 19: mar. pampésch (sic) (m. sg.) »bambagia«), in St. Martin bamb\s,in St. Cassian, Corvara, Colfuschg bambéis, in Soraruaz/Buchenstein bambs;auch das Grödnische hat bambs. Das Ennebergische unterscheidet also nachA. Pizzinini nicht zwischen »Baumwolle« und »Watte«; bata wird aber auchim Ennebergischen neben bambé:s für »Watte« gebraucht (Cr.). Diese wird imübrigen Gadertal, im Buchensteinischen und im Grödnischen mit bata aus dt.Watte (tirol. Watta) bezeichnet (Pizzinini 14; Lardschn.), mit dem Ersatz von

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tirol. w [] durch b { s. Kuen in Ladinia 1978, 40).Die Watte wird auch im Engadinischen mit dem Wort für »Baumwolle« pin-goula — neben vatta — bezeichnet (Bezzola-Töniachen); in Teola, Prov. Padua(AIS 1516 P. 374) unterscheidet man zwischen kotón »Baumwolle« und bom-bazo »Watte«. Das Oberengadinische samt Bergün und Soglio im Bergell ei¬nerseits (AIS 1516 P. 19, 47, 27, 45) und die drei dolomitenladinischen Mund¬arten Grödnisch, Gadertalisch, Buchensteinisch andererseits bewahren dieältere Form von lat. bambace mit vortonigem a, während die umgebenden lom¬bardischen und venezianischen Mundarten dafür Labialisierung zwischen bei¬den Labialkonsonanten aufweisen: bombs, bombazo (AIS 1516).Dieses ist auch in das unterfass. bombs (Rossi) und das oberfass. bombés(Elwert 59; K.) eingedrungen (s. auch Tagliavini DL 95; Kramer Et.Wb.).

bradlé bedeutet in Enneberg (Zwischenwasser, Curt, St. Vigil, K.; A. Pizzi-nini) »weinen«. Es setzt ein in Frankreich und Oberitalien verbreitetes vulgärlat.*bragulare »schreien« fort (REW 1253; FEW 1, 492; Kramer Et.Wb. 2, 23).Auch im Grödnischen ist bradlé auf die Bedeutung »weinen« beschränkt (Lard-schn.).Im übrigen Gadertal (Weitental bis Colfuschg, K.; A. Pizzinini) gebrauchtman bradlé —-/—:— für das Blöken von Schafen und Meckern von Ziegen,gelegentlich auch für das Muhen von Kühen. Dafür verwendet das Enneber-gische nur berié - beriéia (K.; A. Pizzinini) < * brigare zu kelt. * briga, dasauch im Abteiischen für »brüllen« (auch von Schafen und Kühen, K.; A. Pizzi¬nini) gebraucht wird: b(d)rié - b{d)riia. Für das Muhen kennt das Enneber-gische biiré —ü:—, das Abteiische bure — bü:ra (K.; Fezzi 127, Anm. 3; zu:"burra, Kramer Et.Wb. 2, 30). Das buch, braglé bedeutet sowohl »brüllen,muhen« (von Kühen, Kälbern usw.) als auch »weinen« (Tagliavini DL; A. Piz¬zinini; K.).Im Gadertal ohne Enneberg wird »weinen« mit einem besonderen Ausdruckbezeichnet: pité —pita (davon in den stammbetonten Formen unterschiedenpité — p'i:ta »bieten« < älter piota aus tirol. pidtn »bieten«). Vite »weinen«dürfte eine Ableitung von dem Schallwort pita »Henne« sein, so noch imBuchensteinischen (Tagliavini DL; vgl. auch Stampa 51), das aber im Gadertal(Corvara) nur mehr für den Zapfen der Nadelbäume gebraucht wird (zu diesemaus dem Spiel der Kinder entspringenden Bedeutungswandel vgl. Jud BDR 3,14 ff.); pité war also wohl ursprünglich das Schreien der Hennen.

bragamiri m. »Pergament« (A. Pizzinini) zu venez. bergamina (Boerio), dar¬aus grödn. bargamina ; das Genus des ennebergischen Wortes vielleicht nachdem tirol. (pustertal.) pergami n. (Schatz Wb. 62).

bra:nca »Halt, Griff, Traggurten, -weiden (Rückenkorb)«, »manico, branca«(A. Pizzinini, Martini ohne geogr. Einschränkung), grödn. branca »Rücken¬tragriemen an Körben« (Lardschn.), buch, branca »impugnatura di legno suporte - hölzerner Griff an Türen« (A. Pellegrini Voc.) aus spätlat. (gemein-roman.) branca »Hand«; »Die semantische Entwicklung geht im Dolomiten¬ladinischen von Hand zu Griff« (Kramer Et.Wb. 2, 24).

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bröma »Reif«, »brina, gelo« (K.; Fezzi 170 Anm. 8; Martini) aus lat.bruma »Zeit der kürzesten Tage, Winterfrost«. Das Ennebergische bewahrtwie das grödn. bruma und das trent., nonsb. und sulzb. brüma (AIS 375) denalten Zustand. Im Abteiischen und den übrigen Sellamundarten ist das Wortdurch venez. brosa (unklarer Herkunft, vgl. Tagliavini DL 89; Kramer Et.Wb.2, 27) verdrängt worden: St. Martin, Abtei, St. Cassian, Colfuschg bro:za,buch., fass. brza (K.; Fezzi a.a.O.; A. Pizzinini). Wenn bei A. Pizzinini brü¬ma angegeben wird, so ist das wohl nur die Umsetzung eines in Wirklichkeitenneb. bröma in abt. Lautgestalt, wie die Bemerkung »eher mar.: bröma«zeigt.

caf:r, -rs »Chauffeur, Fahrer« (A. Pizzinini; vgl. auch amp. sofer, Ajénda la¬dina 1980, 9.4.) lehnt sich an tirol. safr an.Als A. Pizzinini in den 30er-Jahren das Wörterbuch verfaßte, dürfte der Aus¬druck erst in Enneberg — das dem Hauptverkehrsnetz im Pustertal näher liegt —Fuß gefaßt haben; heute ist er im ganzen Tal üblich.Über verschiedene Versuche, den Chauffeur, den autista ladinisch zu benen¬nen: mna—auti, [ chl che ména l'auto; chl dal auto, un da l'auto; chi coména i auti, chi che va cun auti\, autist, chauffeur, sciofres berichtet Aschen¬brenner 90.Zu den eingeklammerten Ausdrücken Craffonara: »Diese Umschreibungen sindmir in der Bedeutug von »Chauffeur« nicht geläufig. Nach meinem Sprach¬empfinden wäre chél dal auto etwa mit »Autobesitzer« zu übersetzen, chélco arvénn l'auto mit »der am Lenkrad sitzt« (im Gegensatz zu den übrigenInsassen); chi co va cun i auti wohl im Gegensatz zu »chi co va a pe«.

campanili »Turm«, auch unterländisch (Martini S. 33) gegenüber abt. campani(A. Pizzinini; Martini) < campanile kann durch Dissimilation aus älteremcampami entstanden sein, wie comelic. campanin (C. Tagliavini, Il dialetto delComelico, Arch. Roman. 10, 1926, S. 103) und das piem., ligur., lomb. cam¬pammo) (Kramer, Et. Wb. 3, 7; das dort angeführte friaul. ciampanine gehörtnicht hierher, es bedeutet nicht »Glockenturm«, sondern »Glöckchen«). DieDissimilation kann auch unabhängig in verschiedenen Gebieten aufgetretensein; andernfalls wären enneb. und comelic. campanin archaische Relikte einerälteren Schicht.

cantadü »Sänger«, nach A. Pizzinini S. 178; Martini S. 33 auch unterländisch,setzt, wie surs. cantadur, eng. chantadur das lat. cantatore fort, das im Venez.-Trientin. (altvenez. canta(d)or Boerio S. 130; Mussafia Beitr. S. 117) durchcantarin (Boerio S. 117; Ricci S. 67) verdrängt worden ist. Nach diesem hat sichauch gadert. cantarin (A. Pizzinini S. 178; Martini S. 35) gerichtet, ebensogrödn., fass. cantarin (Lardschneider S. 54; Rossi) und friaul. ciantarin, nebenscherzhaft gebrauchtem älteren ciantadör (Pirona S. 131).

cantadü, -ü:s m. »(eingezäunte) Waldweide« (K.; A. Pizzinini) kommt nachCraffonara von ''cinctatoriu (zu cingere). Für den gelegentlichen Wandel vonunbetontem e zu a vgl. antra:ra < *ventraria.

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cap, -s, -a »kahlköpfig«, capa »Glatze«. Es handelt sich nach L. Craffonara»wohl um eine Bedeutungsübertragung von ursprünglich »Hintern« auf Glatze.capa wäre somit eine Entlehnung aus trent. chiappa 'culatta' (Azzolini 277) oderaus venez. chiape 'natiche, deretano' (Boerio 165; für die Etymologie sieheK. Huber in 'Ladinia' III/1979, S. 63 - 67). VomHauptwort capa dürfte dannder Ladiner das Eigenschaftswort cap abgeleitet haben. Diese Erklärung stößtweder auf phonetische Schwierigkeiten (trent. und venez. c wird durch centlehnt: enneb. cakolé 'schwätzen' aus venez., trent. ciacolar ) noch auf seman¬tische« .Im übrigen Gadertal (heute meistens auch in Enneberg, Cr.) wird für »kahl¬köpfig« blö:s, —s, -zds verwendet, das wohl auf ein frühabair. blöz, (mitlangem offenem o) (vor dem Wandel von b— zu p—) zurückgeht. KramerEt.Wb. hat gewisse Bedenken, weil das Wort nur im Gadertal vorkommt,aber es gibt auch noch andere altbair. Lehnwörter, die nur in einem der Sel-latäler leben, z. B. grödn. sipa, tupa, pué; gadert. antlü:s, strüsja (s. K. Aufs.59 f.). Das Grödnische hat für »kahlköpfig« ein Wort, das sich aus dem La¬teinischen nicht erklären läßt: las, -za; laza »Glatze«, und der normalen Laut¬entwicklung des Grödnischen widerspricht: in einem *lasa müßte das a zuwerden, in einem *lassa das j stimmlos bleiben. Bei dieser Unregelmäßigkeitder Lautentwicklung könnte man an eine kindersprachliche Vereinfachung desaltbair. glatze zu laza denken.

ca:ra /. »Käsemilbe, —pilz« (A. Pizzinini) ist nach Craffonara eine Ableitung*caria > crja > cjra > ca:ra von carius (REW 1697). Auch comelic.céra f. »larva del formaggio e del legno«, buch, cera »Mehl- und Käsemilbe«,engad. ehera »Milbe, Motte«.

carü nach Fezzi 197, Anm. 4 »Wolke« - 164, Anm. 3 nfo »Nebel« erwecktden Eindruck, als hätte das Ennebergische im Gegensatz zur Herkunft derbeiden Wörter: *calugine (für * caligine) »Nebel« und *nibulu (für nubilu»wolkig«, das nube ersetzt) »Wolke« und im Gegensatz zum gadert. carü»Nebel« — n'io »Wolke« (Alton, LI; Martini »nebbia« — »nuvola«; St. Martinro »Wolke« K.) die Bedeutungen vertauscht. Doch handelt es sich in diesenAngaben von Fezzi wohl um eine Verwechslung, denn sowohl der AIS 2 264 P.305 als auch Mair belegen für enneb. carü die Bedeutung »Nebel« und Mairfür nio die Bedeutung »Wolke« (von Craffonara bestätigt).

cä:sa ist nach meinen Aufzeichnungen (neben armnt »Rindvieh«, und tiers»Tiere«) der einzige Ausdruck für das »Vieh« des Bauern, den »Viehbestand«»1 bestiam de stala« (F. Pizzinini 10) (St. Vigil, Pfarre) und in Welschellen(Tintal bis Costalungia). Im Unterländischen (Val, Untermoi, St. Martin, Pico-lein, Pedeora, Wengen) dafür civsa. Im Abteiischen (auch schon in Fornacia,Pedraces, Abtei, Stern, St. Cassian) wird cosa neben bdstia:m gebraucht. InCorvara und Colfuschg ist nur bdstia:m üblich, cosa ist hier als »Wort vonunten« bekannt (Vgl. K. Aufs. 220 und 236, Karte 15).Es kommt von lat. causa »Sache«. Für den hauptsächlich Viehzucht treiben¬den Bauern ist der Viehbestand die wichtigste »Sache«. Vgl. auch aragon. los

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aßer'ios »Großvieh«, Segovia, Murcia averto »hacienda, ganado«, Provenceaver »Schafe«, Normandie ses avers »sein Vieh«, im Baskenland haber allge¬mein für »Tier« (A. Kuhn, Studien zum Hocharagonesischen, ZrPh 55, 598f.); nordlog. robba »bestiame« (P. Jäggli, Die Mundart von Sennori, 1959,50). Lautlich und semantisch unbrauchbar ist die Herleitung von capsa, dieKramer Et.Wb. 3, 15 nach REW 1658 zitiert, aber 4, 50 verbessert.Das Wort ist jedenfalls vom Enneberg talaufwärts gedrungen, hat das altebdstim (das auch die übrigen dolomitenladinischen Mundarten verwenden)im Unterland ganz verdrängt und im Abteiischen für sich neben bdstiä : m einenPlatz erobert; nur im obersten Tal ist es noch nicht üblich. Es ist daher mög¬lich, daß caiosa, ca:sa aus lat. causa »Sache« eine Bedeutungsentlehnung ausalttirol. sacha = »Sache« -f- »Vieh« ist, wenn man diese Doppelbedeutungaus sacha »Vieh« in dem altertümlichen Wortschatz des Cimbrischen er¬schließen darf (Schatz Wb. 499: cimbr. sacha »Vieh«; Pietro Mercante, Gletzeun sei Taucias Gareida 1936, 26: »bestiame« sacke).Speziell für das »Rindvieh« wird im ganzen Tal lat. armentum gebraucht:enneb. armnt, unterländ. arment, abt. armnt, Colfuschg armjnt. Für jedeArt von Tier ist neben bestia auch tier aus deutsch tidr im ganzen Tal üblich,PI. enneb. tiers, sonst tidrts.

cats »Schürze, Schoß« ist nicht nur ennebergisch, sondern auch unterländischohne Wengen (K.); A. Pizzinini bringt ca(l)ts »Unterld.«, Martini unter gor-mél »grembiule«: »bb. manca, v. ciälz« (doch fehlt ein Lemma ciälz).Dazu Craffonara: »Zur Erklärung der Etymologie dürfte es gut sein, sich denmöglichen Bedeutungswandel vorzustellen: während man heute den Schurzzum Schutz der Kleider trägt, bildete dieser früher wohl das Bedürfniskleid( = Lendentuch) an sich, was noch aus ital. grembiule / grembiale ( < grem¬bo ), trent. grumbial, grödn. grumél, obergadert. gurmél und aus der inLjetzan (13 Gemeinden) erfolgten Lehnübersetzung schoaze-tuoch hervorzu¬gehen scheint. Dieselbe Bedeutung von »Schoßtuch« finden wir wohl auchin der ennebergischen und untergadertalischen Bezeichnung cts, die nach A.Pizzinini 180 früher auch noch »Schoß« bedeutet hat. Unser Wort cts dürftesomit mit venez. cazzo »membro virile« (Boerio, 156) dieselbe Etymologiehaben. Die an cä:ltsa »Strumpf« ( < calcea) erinnernde Form tga(l)z (A.Pizzinini) / ciälz (Martini), die heute wohl kaum mehr zu hören ist, dürftewohl nur eine im Anfangsstadium wieder untergegangene Volksetymologiesein, denn wenn das Wort cts tatsächlich von cädtsa abzuleiten wäre, somüßte man zumindest langes a: haben.«

cä:t, -c »Radschuh, Bremsschuh, Bremsklotz«; »scarpa (con applicato unospeciale arnese per frenare [dell'uso marebbano]« (A. Pizzinini, Martini) istdie spezielle Bedeutung einer durch Schwund des intervokalischen —v—kontrahierten Form von cavät »zerrissener Schuh« (A. Pizzinini).Zur Verkürzung vgl. gadert. taväh, enneb. tan »Viehbremse«; gadert. cavétsa/cavtsa, enneb. c'.tsa »Halfter« usw. Nach Martini, unter ciaväta, ist enneb.etat m. auch »ciabatta, pantofola«. Dieselbe Kontraktion findet sich auch inenneb. caté — cä'.ta — gadert. cavate »schütteln, prügeln« (A. Pizzinini), »bat¬tere« (Martini).

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Gadert., buch., grödn., fass. cavat »schlechter Schuh« (A. Pizzinini; A. Pelle¬grini Voc.; Lardschn.; Rossi) ist ein Mask. zu gadert., buch, cavata »Haus¬schuh« (fass. »unmoralisches Weib, Hure; große Kröte«, Rossi) aus ital.ciabatta ( < türk. cabata < pers. cäbät »Bastschuhe zum Überziehen«, K.Lokotsch, Etymologisches Wörterbuch der europäischen Wörter orientalischenUrsprungs, Heidelberg 1927, 379).Aus einer kontrahierten Form cat für grödn., fass., gadert., buch, cavat»schlechter Schuh« muß das tirol. tst, PL tsotn vor dem 13. Jh. (a > )entlehnt worden sein, das Schatz Wb. 657 für die Gegend um Bozen (»zer¬lumptes Schuhwerk«) und Welschnofen (»altes Wort für Pantoffel«) ver¬zeichnet.

cata »Schneematsch, wässeriger Schnee« (A. Pizzinini), »neve liquida«,[»pozzanghera« ist falsch, Cr.] (Martini ohne Einschränkung auf mar.) dürfteein altes ladinisches Wort sein, das außer im Ennebergischen auch noch imGrödnischen und Fassanischen Spuren hinterlassen hat, nämlich in grödn. zi ncta »unter Wasser sein (von sumpfigen Wiesen)« (Lardschn.), in unterfass.catr »plätschern, mit der flachen Hand ins Wasser schlagen, in den Kothineintappen, daß er rechts und links herausfliegt« (Rossi) und in buch.catine sf. pi. »fango, melma, pozzanghera; Schlamm, Pfützen«, caté »gorgo¬gliare (dell'acqua nelle scarpe); glucksen (Wasser in den Schuhen)«; A. Pelle¬grini Voc.).Es handelt sich wohl um eine lautmalende Bildung: das c bildet das Geräuschnach, das entsteht, wenn man in Schneematsch oder in eine sumpfige Wieseoder dergleichen tritt oder schlägt. Das tirol. Wort für den nassen Schneeweist dasselbe schallnachahmende ts auf: es ist glats (Pustertal gilatsd, SchatzWb.), ebenso das deutsche Matsch (das auch von Schatz verzeichnet wird;aus dem Deutschen stammt engad. matsch, Bezzola-Tönjachen). Andere schall¬nachahmende Bildungen mit ts sind tirol. tswatsn »plätschern«, pbts »klat¬schendes Geräusch, vom Aufschlagen, Fallen«, ptsn »schmatzend essen, klat¬schend, plump gehen« (Schatz Wb.), deutsch platsch und plätschern, klatschund klatschen.Das enneb. cata »Schneematsch« hat nichts zu tun mit enneb. ca:t »Brems¬schuh« aus cavata; auch nicht mit obergadert. ca:ta »zampa, tozza [bb. manca]«(Martini), \cata »Pranke, Tatze; Schneereifen« (A. Pizzinini); buch, cata»zampa (del cane, del gatto); Pfote (Hund, Katze), Tatze« (A. Pellegrini Voc.);friaul. ciate, zate »zampa« (Pirona); grödn. fass. cata »Tatze, Pfote, Pranke«(Lardschn., Rossi) aus oberital. (venez., trent., bergam., fass. zata »zampa«(Boerio, Ricci, Mussafia Beitr. 223, 4); und auch nicht mit grödn. cata »Floß«(Lardschn., Rossi) aus altital. zatta, venez., trent. zat »Floß« (Battisti-Alessio;Boerio; Ricci).

cendrada »Asche«, nur in der Verbindung sak dia ~ »Aschensack« wird zwarvon A. Pizzinini (oder Plangg?) als »mar.«, aber von Martini als bad. cendrata(sac dia ~ ), unterld. cendrada »sacco del cenerone« angegeben; auch dasBuchensteinische und das Grödnische kennen cendrada /cendrda »Laugen¬asche« (A. Pellegrini Voc.; Lardschn.); es gehört zu trentin. gendrada »cene¬rone, cenerata« (Ricci).

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cendrin »Aschenloch beim Herd« (A. Pizzinini), heute auch oft in der Be¬deutung »Aschenbecher« (Vgl. engad. tschendrin »Aschenbecher«) — und dasim ganzen Enneberger und Gadertaler Bereich (Cr.) -, mit dem Suffix -in <-inu, das hier Zugehörigkeit ausdrückt, von cénder »Asche« < cinere abgeleitet,scheint in dieser Bedeutung eine besondere Bildung des Ennebergischen zu seinund den übrigen Mundarten zu fehlen. Es hat nichts zu tun mit fass. cendrin»aschfarbig, aschgrau« (Rossi), das dem trent. cenerin »color cenere«, ital. ce¬nerino entspricht.

csta dia koltöra »Mistkorb« < cista, daraus enneb. csta, gadert. csta, abt.casta, »großer Korb« (A. Pizzinini S. 189, Kramer, Et. Wb. 3, 21) + cultura»Pflege (des Feldes durch Dünger)«, daraus enneb., unterländisch koltora, abt.kultüra »Dünger« (A. Pizzinini S. 74, 81; Martini S. 38) hat das unmotivierteabt. bna »Mistkorb« < gall.-lat. benna (daraus auch buch, béna, grödn. bjna,fass. bna usw. AIS 6, 1222; tirol. penn(d) »Wagenkorb«, Schatz., Wb. S. 60)durch eine motivierte Zusammenfügung ersetzt.

codré habe ich nur im Ennebergischen (in Zwischenwasser, Pfarre und St.Vigil) auf die Frage nach dem Ausdruck für »Dünger auf dem Feld zerkleinern(mit dem Rechen)« erhalten, neben Spane (»ausbreiten«) < expandere (vgl.auch Fezzi 120, Anm.2), doch wird codr »Stalldünger zerkleinern (vor demAusstreuen)« von A. Pizzinini und ciodr -aia; bb. -ia, mar. -ia »spezzottareil concime sul prato« von Martini ohne geographische Einschränkung ange¬geben; es ist durch Metathese aus corde entstanden; dieses wird noch vonAlton LI als Verbum zu có:rda »Kuhfladen« genannt; gadert có:rda ist allge¬mein dolomitenladinisch (buch, crda, fass. cordo, Fezzi 5, 155, Anm.3; auchamp. tsorda Majoni; Selva di Cadore tborda, Tagliavini DL 111). Kramer Et.Wb. hat die Bedenken, die gegen die Herleitung von lat. (mus-, su-) cerda»Kot« wegen des Vokals erhoben wurden, mit Recht beseitigt durch die Er¬klärung des o »aus der Nachbarschaft des Palatalkonsonanten«, nur dürfteeher die leichte Lippenrundung des c an der Labialisierung schuld sein. Kramerzieht codi »schielend« < caeculus und codl »schielen« zum Vergleich heran;ich habe unter desko das gadert. (i)nsö in + sie, sök(d) < in -f sie + quo(modo) neben Colfuschg insi, sikd aus der Labialisierung durch das voraus¬gehende s erklärt; vgl. auch enneb. costüh »cestone« (Martini 31) sök(d) <sie quo(modo) (s. unter dsko ) und enneb. ciité = bad. cité »Stadt« <civitate.Mir wurde in Welschellen, Untermoi, Piccolein, St. Martin und Campill, dannwieder in Stern, St. Cassian, Corvara und Colfuschg ddsf (koltöra, koltüra»Dünger«) < disfacere (cultura ) angegeben (A. Pizzinini, desfa koltüra (kolresti, kol rpes) »Dünger [mit dem Rechen, mit der Egge] breiten«); da¬zwischen, in Wengen, Padraces und Abtei sfrogor (»zerreiben«) <C exfricula-re (vgl. REW 3501) ; in Colfuschg und St. Cassian bemerkte man ausdrücklich,daß hier sfrogor nicht üblich sei.

cola »Sennhütte« (A. Pizzinini), »dispensa della malga« (Martini) ist nicht dieeigentliche Sennhütte, die caza:ra < casearia, sondern eine dazugehörige Vor¬ratskammer. col kommt aus lat. cellarium, das im grödn. culé die Bedeutung

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»Keller« bewahrt hat, während in Enneberg für den »Keller«, d.h. den Vor¬ratsraum im Erdgeschoß des Hauses (s. Hermann Wopfner in Tirol, Land undNatur, Volk und Geschichte, Geistiges Leben, 1933, 222), cana eingetragenist, abt. can: < *canéba < *cneba (fass. cvdno, friaul. cinive, trent. cneva)< canaba.

cnter, -tri, -tra »mit weißem Streifen um den Leib (vom Rind)«; dafür abt.va:ca dala fa:sa (A. Pizzinini), ist eine Rückbildung von conterih (so dürftegadert. centorih im Ennebergischen lauten) »Gürtel, breiter (doppelter)Leibriemen« <cinctura + -inu (A. Pizzinini; Fezzi 156, Anm. 13; K., Ladi-nia 1978, 60).

cordüri »Pferdemist« (Fezzi 155, Anm. 5) ist mit dem augmentativen -un <-one von có:rda »Kuhfladen, Mist« (s. unter codré) abgeleitet, vgl. enneb.castün »großer Korb (Buckelkorb)« (Fezzi 1 55, Anm. 2), costüh »cestone,gerla« (Martini 31) zu enneb. csta »kleiner Handkorb, Körbchen« (A. Pizzi¬nini 189). Für »Kot vom Pferd« gibt Fezzi 1 55, Anm. 5 auch enneb. kauko,abt. kauko, -kd an. Dieses ist aus dem tirol. gaugd f. »vom Vieh, das Abführen,der Durchfall, das weiche Scheißen« (Schatz Wb. 208) entlehnt.

cosé -ó- »sprießen« (A. Pizzinini) ist eine postnominale Verbbildung vongadert. csa »Büschel, Grasbüschel, -polster«, »cespuglio, mucchio d'erba« (A.Pizzinini; Martini). Dieses kommt nur in den dolomitenladinischen Mundartenvor: buch, cosa »cespo«, »Busch, Büschel«, ~ de garofane »cespo di garofa¬ni, Nelkenbusch, -stock« (A. Pellegrini Voc.), grödn. csa »eine Art Gras, einschwer ausrottbares Unkraut im Acker« (Lardschn.), fass. cosa »Gebüsch, Ge¬strüpp, mißgebildeter kleiner Baum, junge Nadelholzanpflanzung«; dazu cóseda»Gestrüpp, Gesträuch, Strauch, niederer lebender Zaun« und cosedar »sichdurch Gestrüpp durchwinden« (Rossi) [Die zweite Bedeutung, die Rossi an¬gibt: »säuseln, lispeln des Windes« hat wahrscheinlich nichts damit zu tun,sondern gehört zu enneb. ciisedé »säuseln« (Cr.). Da es sich um die Bezeichnungeines Geräusches handelt, ist es wohl eine schallnachahmende Bildung (K.)].Kramer Et.Wb. 3, 26, möchte csa aus tirol. tschusch bei Schatz Wb. 663, her¬leiten; es bedeutet »[dichter, buschiger] Baumwipfel, [Haarschopf]«, dazutschuschdt Adj. »buschig, schopfig«. Kramer hat jedoch übersehen, daß Schatzdas Wort nur aus Welschnofen belegt, wo noch um 1600 teilweise ladinischgesprochen wurde (E. Schneider 529), sodaß der umgekehrte Weg viel wahr¬scheinlicher ist und damit auch die Vermutung Elwerts 211 (nicht, wie beiKramer steht, 202), es handle sich um »ein Relikt einer Sprache, die nur imZentralgebiet, weder im Westen noch im Osten, gesprochen wurde«.

cük »Bildstock« zu gali. •k tsukka (Kramer, Et. Wb. 3, 27), nach A. Pizzininiauch unterladinisch; eigentlich »Baumstock«, könnte Lehnübersetzung von tirol.piltstokx »Steinsäule, Holzsäule mit einem Heiligenbild« (Schatz, Wb. 78) seinoder auch eine selbständige, parallele Bedeutungsentwicklung. Abteiisch dafürantdrjö:l\ es handelt sich dabei nach L. Craffonara um eine dissimilierte Formvon *alterjö:l (< altare + -eolu), die aufgrund der Endung -jö:l (mit ö und

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erhaltenem -/) als Entlehnung aus dem Süden angesehen werden muß (-eoluhätte nämlich abt. -o ergeben; vgl. azó »Zicklein« aus haediolu).

dadi -i »Würfel (Spiel)« setzt ein Diminutivum *datulum zu datum »Würfel«fort (vgl. müdl < *mutulus, Kramer Et. Wb. 5, 65; grödn. manüdli < *mi-nutul'i). Ein Diminutiv zu ital. dado ist auch das fass. dadol »Würfel« (Ros¬si). Ein antiquiertes das, PI. das (A. Pizzinini) dürfte ein ursprünglicher Pluralauf -5 zum nordital. da sein, der später als Singular aufgefaßt und mit einemneuen Plural versehen wurde, ähnlich wie grödn. dai Sg., PI. dies »Würfel«(Gärtner GM 116; nach Lardschn. heute neuer analog. Sg. di, PI. di).

dé(de)d:lones »Dienstag«, also »Tag (von) nach Montag«, (Cr.; A. PizzininiS. 97; K.; AIS 330) nach Martini S. 88 auch unterländisch neben m'.rtds <Martis (dies), das im Obergadertalischen allein gebraucht wird. Es ist einUnikum in der Romania. Von dem schwäb.-alem. Aftermontag (s. E. Kranz¬mayer, Die Namen der Wochentage in den Mundarten von Bayern und Öster¬reich, Arbeiten zur bayer.-österr. Dialektgeographie 1, Wien und München1919, S. 39 f.), das ursprünglich nur in einem schmalen Streifen zwischen denGebieten von bair. Ergetag und alem. Zinstag herrschte, und dort nach Kranz¬mayer aus dem Bedürfnis entstanden sein könnte, sowohl Ergetag als Zinstag zuvermeiden, ist es weit entfernt. Es dürfte also selbständig in Enneberg (oder inder alten Kirchensprache von Sabiona-Säben?) entstanden sein, kaum um dasheidnische Martis dies zu ersetzen (dafür wäre der kirchliche Ausdruck secundaferia nahe gelegen), sondern wohl um das unverständlich gewordene m-.rtesdurch einen motivierten Ausdruck zu ersetzen. Neben déd:lones »Tag nachMontag« wird auch déded: lones gebraucht, dessen überflüssiges unbetontes-de- sich wohl nach dédemezaldema »Tag der halben Woche« gerichtet hat,wo das unbetonte -de- als Genitivzeichen berechtigt ist.

dédemezaldema »Mittwoch«, auch St. Martin (A. Pizzinini S. 97; K.) <die de media hebdoma gegenüber abt. m:rkuj, m:rkoj < Mercurii (dies) istwohl wie das surs. mesjamna, surmeir. mesemda, -e (Gärtner, Handb. S. 36,114; Ambros Sonder und Mena Grisch, Vocabulari da Surmeir, Coir 1970,S. 133) eine Lehnübersetzung aus dem Mittwoch der benachbarten deutschenGebiete (E. Kranzmayer, Die Namen der Wochentage in den Mundarten vonBayern und Österreich, Arbeiten zur bayer.-österr. Dialektgeographie 1, Wienund München 1929, S. 41 ff.; Kramer, Et. Wb. 5, 54), das seinerseits Lehnüber¬setzung von kirchenlat. media hebdomas ist. Ein alter Zusammenhang mit demmezzdima toskanischer Mundarten (Battisti-Alessio IV, S. 2, 2447; AIS 231)und dem dalmat. missédma (W. Meyer-Lübke, Die Namen der Wochentage imRomanischen, Zs.f.d. Wortgesch. 1, 1901, S. 182 f.) ist unwahrscheinlich, weiles in Oberitalien keine Spur von mezzdima gibt.

dka »(Bett —)Decke«, les dkes dal lt aus tirol. dkxd; Fezzi 129, Anm. 8»Pferdedecke«: enneb. kü:tra, dka, abt. kü:tra; A. Pizzinini dka »Woll¬decke«, gewöhnlich kü:tra. Ich habe jedoch für die Bettdecke in St. Martin,St. Cassian. Corvara und Colfuschg nur ku:tra, hs kuitrds erhalten ( < cul(ci)-tra); dka ist in St. Martin unbekannt (Cr.).

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dsko, Konj., »wie«, »come« wird nur im eigentlichen Ennebergischen (Zwi¬schenwasser, Pfarre, St. Vigil) gebraucht (K.; A. Pizzinini; desco (sic!) unddésco »mar.« bei Martini 46 und 129) < de + sie + quo(modo)\ dieses istim gesamten Rätoromanischen zu ko verkürzt (s. Kramer Et. Wb. 5, 8).Im übrigen Tal wird einfaches sie + quo(modo) verwendet: Welschellen-Wei-tantal söko, söke (heute wohl fast nur söke, Cr.), Piccolein, Wengen, Pederoa,Untermoi sók, hier auch sóko, in St. Martin, Campill, Pedraces, Abtei, Stern, St.Cassian und Corvara sök, in Colfuschg sikd, sik (K., das letztere stimmt zugrödn. sikd, dieses vielfach zu skd verkürzt, Lardschn. 4834; der ColfuschgerAlton verwendet in den Stories 174 scc, scke [sék (9)] — insci kd »come, co¬me se«; in den LI 123 gibt er inscique, sceque an). In dem von mir fünfmalnotierten colf, sik ist das i erhalten wie in colf, inst und di gegenüber sonstigem(in)sö und dé < sie und dies). Im gadert. söke ist das é durch das vorausgehen¬de s labialisiert, in sok (e) an das o von ursprünglichem söko assimiliert worden.Das fass. deske ( un . . .), desk {un . . .) (K.; Rossi deské, Elwert 219 deské) istwie das enneb. dsko gebildet, jedoch mit Abschwächung des auslautenden -o,wie sie auch in grödn., colf, sikd, gadert. sök (d) eingetreten ist. Das Buchenstei¬nische hat dafür schon ital. kome eingeführt.

despré -- »aufwecken« (A. Pizzinini, aber von Cr. gestrichen), s. (e)ndespré.

detss Adv. »abseits, abgelegen, hinten« (A. Pizzinini); auch buch, detsés adv.»in disparte, discosto — abseits, beiseite« (A. Pellegrini Voc.); grödn. de tsés»entfernt, zurück« (Lardschn. 478); ist ein Lehnwort aus altital. cesso »in di¬sparte, allontanato, discosto, lontano« (Battisti-Alessio; Olivieri), in alterGestalt entlehnt (-0 > - -, ce- > tse-, s nicht zu s wie in neueren Lehnwörternaus dem Trentinischen). Das italienische Wort ist eine postverbale Ableitungvon cessare, das ebenfalls in das Dolomitenladinische entlehnt worden ist(enneb., buch., grödn. tsesé, gadert. tsesé, fass. tsesr, -ar »zurückweichen«).

dlaj -s m. »Schmerz, Reißen (bes. bei Zahnschmerzen)« < gladius (KramerEt. Wb. 3, 37) wird von A. Pizzinini als ennebergisch angegeben, doch ist dasWort noch heute allgemein gadertalisch: unter- und obergadert. dlä:j. Altonführt es in den LI 199 an: dlai Schauer, daher il m'a ma dé n té dlai »ein Rieselnging durch meinen ganzen Körper«, vgl. auch Martini dlai, dlais »dolore ne¬vralgico, brivido«.Das Substantiv wird auch vorausgesetzt von dem davon abgeleiteten gadertali-schen Verb dlajé »schmerzen, reißen (Rheuma)« (A. Pizzinini), »far male, alle¬gare, rabbrividire«; dlaié i dnz »sentir allegare i denti« (Martini).Auch grödn. dlj, -jes »Schauer, vorübergehender starker Schmerz, Stich, ste¬chender Schmerz«, dlajé, dieja »schmerzen, weh tun vor Kälte, eigentlich infolgeeines plötzlichen starken Temperaturunterschiedes«; me dleia i dénz »die Zähnetun mir weh (wenn man z. B. sehr kaltes Wasser trinkt)« (Lardschn.); buch, slaj»brivido, fitta nel cuore: slajé (i denz) »allegare (i denti) - schmerzen (dieZähne)« (A. Pellegrini Voc.); unterfass. slar i denz »durch die Zähne fahren( = eigentümliches Gefühl, wenn man heißes, kaltes, hartes usw. ißt)« (Rossi).

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dóa f. »Faßdaube« wird von A. Pizzinini 34 als ennebergisch bezeichnet nebensonstigem gadert. dssa [sie!] »Korbschiene; Faßdaube (gew. Plural)«, 35.Aber Martini führt ohne Unterschied dóa neben dóssa [sic! ] an, und Fezzi 129,Anm. 7, bringt unter »Daube« nicht nur enneb. dóa, sondern auch abt. do: .Das enneb. dóa (abt. do: , doa ?) geht auf ein lat. doga zurück, das in allen räto¬romanischen Mundarten (surs. duba, duva; engad. du(v)a; fass. grödn. buch,amp. doa; friaul. dóghe, dóve ) und in der ganzen übrigen Romania verbreitet ist(im span. duela, port. aduela, allerdings als Lehnwort aus dem Französischen),s. FEW doga.Ganz isoliert ist daneben das abt. dóssa (A. Pizzinini), dóssa (Martini). Vielleichthat es Kramer Et. Wb. 3, 38 richtig erklärt: »Bei der Form dosa hat sich viel¬leicht adós [ < ad dossum~\ eingemischt: die Daube liegt dem Faß 'auf demLeib'«. Es handelt sich also um das, was man »Volksetymologie« nennt, d. h. dielautliche Angleichung eines unmotivierten Wortes an ein (oft nur entfernt)bedeutungsverwandtes aus dem Bestreben nach Motivierung. Für diese Er¬klärung spräche auch das Schwanken des Tonvokals zwischen ó (wie in dóa)und (wie in adós).

drapé -ä- »prügeln; dreinhauen (beim Essen)« (A. Pizzinini) ist wohl eine ur¬sprünglich scherzhaft gemeinte Umbildung von drame »abasten, hacken«; - so,ite »fest zuschlagen, dreinhauen«, »sfrondare, bastonare« (A. Pizzinini; Martini;auch grödn. dramé »prügeln; Bäume entästen«; ~ ite »fest zuschlagen«, Lard-schn.) < deramare nach drap »Stoff, Tuch«, also gewissermaßen jemanden mitPrügeln »drapieren, eindecken«.

(e)mparé ( < vulgärlat. oder ital. imparare) »lernen« + »lehren«, bei der jun¬gen Generation gewöhnlich emparé »lernen« und ensiné »lehren« (wie im übri¬gen Gadertal, Cr., < ital. insegnare). Die Doppelbedeutung im Ennebergischenkönnte auch durch das deutsch-tirol. larndn beeinflußt sein, das auch für»lehren« gebraucht wird (Schatz, Wb.).

(e)mpitsjé »entzündet«, la vaca ~ — da ( al ü:re) »die Kuh hat ein entzündetesEuter« (A. Pizzinini mit ins Badiotische umgesetztem Anlaut imp-) ist eineAbleitung von pitsjé »jucken«, »provare prurito, sentir pizzicare, prudere« (A.Pizzinini; Martini) zu *pits- + icare ( REW 6545) also eigentlich »ins Juckengebracht«; auch pitsja bezeichnet außer »Jucken« noch krankhafte Zustände(»Krätze, Nesselfieber«, A. Pizzinini).Außerhalb des Ennebergischen: inzdt »entzündet«, »geschwollen«, »verdor¬ben (Fleisch)«, es ist eine Ableitung von zdt »schütten, werfen; verwerfen;ausarten«, »gettare, partorire il vitello anzi tempo« (A. Pizzinini; Martini)< in + *iectare.

(e)ndespré -- (A. Pizzinini; St. Vigil, Weitental, K.) »aufwecken« beruhtauf einer Umbildung von de-excitare, das im Unterland ddSdd — ddsed,im Oberland ddsed — ddsada ergeben hat (K.; A. Pizzinini); buch, desedé —desäda (A. Pellegrini Voc .); grödn. ddsddé — ddsejda (Lardschn.), fass. desedr —deséda (Elwert 104).

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Es könnte sich experiri eingemischt haben, das in der Bedeutung »aufwecken«altfrz. und altprov. esperir, resperir, altprov. auch despereisser ergeben hat, s.Jakob Jud, Revue de linguistique romane 2, 1926, 197 ff. Es scheint in denAlpen und in Italien sonst keine Spur mehr hinterlassen zu haben, wie es auchim Neufranzösischen völlig untergegangen ist.

(e)ndiiné »treffen« gegenüber gadert. ihkunt, auch enneb. ehkunté, ist wohldie Umbildung eines untergegangenen adiiné »zusammenkommen« < adunare(vgl. adüm »zusammen« < ad unum) nach enneb. ehkunté, gadert. ihkunt»begegnen« (auch buch, hkunté A. Pellegrini S. 117; grödn. ahkunté Lardschn.S. 8; nach Gärtner, LW S. 12 und 123 auch rikunt) < incontrare, also * adiiné+ ehkunté > endüne.

(e)rijän (K.; AIS VII 1247 P. 305; A. Pizzinini) »heuer«, »quest'anno«.Das Ennebergische ist die einzige dolomitenladinische Mundart, die lat. hoc an¬no bewahrt hat. Sonst kennt das Gadertalische nur kest ä:n, kes a:n\ so kennendie heutigen friaulischen wie auch die umgebenden italienischen Mundarten nurden Typus Tquest'annol, vgl. AIS VII 1247. Pirona kennzeichnet unjn, un-gunt, ugn als »ant[iquato]«.Hoc anno mußte im Ennebergischen über *ogan (vgl. L. Craffonara in LadiniaIII/1979, 71—73) zu *ojän werden; vgl. surs. uonn. Es wurde durch vorge¬setztes eh < in erweitert (wie auch (e)hnier »heute« < in heri ), ebenso imengad. inguan und im altfriaul. unjn, unguant. Enneb. '''ehojan wurde dann zueh)an verkürzt.Nicht brauchbar ist die Vermutung von Diez I 435 (die auch Kramer Et. Wb.3, 44 wieder aufnimmt), hunc annum könnte zugrunde liegen, denn das nach¬konsonantische k von hunc hätte nicht schwinden können (vgl. hinc-hodie> en¬neb. {e)hkö), und es wäre (vor a\) zu c palatalisiert worden (Cr.).

(e)rikrantslé -ä- »rundum abkanten«; ~ na täja »einem Langholz mit derAxt die Schnittkanten nehmen« (A. Pizzinini) dürfte aus einem tirol. ein-kranzlen entlehnt sein, das ich allerdings nicht belegen kann (unter den mitein- gebildeten Verben erscheint es bei Schatz Wb. 143, nicht). Das Diminu-tivum krantsl hat auch übertragene Bedeutungen, z.B. »die acht Kegel um denMittelkegel«. In dieser Bedeutung ist es ins Gadertalische und Grödnische alskrantsl f. (»Kegelspiel: nur der König steht.«, A. Pizzinini; Lardschn.) entlehntworden (im Gadertal heute oft gerlnda, Cr.); auch beim Kartenspiel gibt es denAusdruck karte, fa la krantsl »in den 'Sack' spielen« (A. Pizzinini).

(e)iirozadöra f. »Alpenglühen« (A. Pizzinini), fass. ehrozadira (Mazzel) dürfteeine Ableitung sein von einem heute nicht mehr zu belegenden * ehroze » rosen¬rot, rötlich werden« zu lat. rosa (enneb. rza , abt. röza, Fezzi 171, Anm. 5) nachdem Muster der häufigen Bildung mit -adora (abt. -adüra) zu Verben auf -é ( <-are), wie enneb. caradöra (abt. -adüra) »Aussehen (bes. pejorativ); finstereMiene, düsterer Blick« (A. Pizzinini), »occhiata, aspetto cattivo; detto anchedel cattivo tempo« (Martini) usw. (s. Kovacs 82 f.).In A. Pizzinini wird »dafür rossié« hinzugefügt. Bei diesem gibt er jedoch nur

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die Bedeutung »röten (nur für Morgen-, Abendröte)«, m. »Morgen-, Abendrot«an (von Cr. bestätigt). Es stammt aus russicare und aus der Zeit, da ross < rus-sus noch »rot« und nicht, wie später, »braun(rot)« bedeutete.

(e)ntöra »Glück« (»Wenn man in den Stall eines alten Bauern geht und denWunsch bna entóra ausspricht«, Cr.).aus ventura »Zukünftiges«, »Zukunft« (auch ital. und span. ventura, s. Batti¬sti-Alessio 5, 4015 und Corominas 4, 699), mit Schwund des -v- in der engenVerbindung bona-ventura (wie in enneb. laé = gadert. lave; sonst erscheint an¬lautend ve- im Ennebergischen meist als : ventu > nt, venter > nter, *ven-tula > ontra, virtute > ortu).

Das Wort fehlt in den gadertalischen, buchensteinischen und grödnischen Wör¬terbüchern (Alton LI; Martini; A. Pellegrini Voc.; A. Pizzinini hat nur aventüra»Abenteuer« < ital. avventura < frz. aventure < adventura)\ nur das Fassa¬nische kennt ventura »Zukunft, Schicksal«; venture PI. »Vorhersagung«, lezerle venture »wahrsagen« (Rossi); auch bündn. ventüra, vintüra (engad.), ventira(surs.) und friaul. venture Sg.»Glück« ist gadert. fortüna (A. Pizzinini), nach Alton LI auch buch., amp.,grödn. und fass. fortuna; bei Lardschn. fdrtuna und srta < venez. sorte (nicht,wie bei Gartner-Fezzi srt).

faméja »Gesinde, Dienstboten« (A. Pizzinini) ist ein bemerkenswerter Archais¬mus des Ennebergischen (vgl. auch ortü). Das Ennebergische hat als einzigedolomitische Mundart die lateinische Bedeutung von familia »Gesinde,Dienerschaft« bewahrt. Sonst bedeutet gadert. famja »Hirtin« und ist dasFemininum von famej »Hirte« ( < *familiu (für famulus). Dieses bezeichnet imGadertal den »Hirten«, sonst im Oberitalienischen, auch in den rätoromani¬schen Mundarten von Buchenstein, Fassa, Friaul und Graubünden den »Knecht«(Fezzi 148, 7; A. Pizzinini; Martini; Tagliavini DL; Kramer Et.Wb.). Vgl.auch eng. famaglia n. pl. »Dienerschaft, Gesinde«.

fäos mtes PI. »Eisenhut« (eigentlich »wilde Bohnen«) und fäos de munt»Teufelskrallen« (eigentlich »Bergbohnen«) werden von A. Pizzinini als enne-bergisch gekennzeichnet (enneb. und unterländ. fo -fos, abt. fa: - fa:s. Cor-vara, Colfuschg fa: va — fa:vds »Ackerbohne«, K.,Martini fu-fus bb., A. Piz¬zinini fu mar. < faba; mat »närrisch, töricht, wild (von Pflanzen)« < mat(t)us»betrunken«, Kramer Et. Wb.).F. Pizzinini bringt S. 13 faa da munt »martagon, gil de Sant Ujöp«, S. 60 »gilede Sant Ujöp, it. »martagone (giglio turco)«, lat. lilium martagon, dt. »Türken¬bund« und capél de f:r »it. aconito, lat. aconitum napellu, dt. Eisenhut«, S.61 grifa de maln »it. piteuma, lat. phyteuma orbivolare, dt. kugelige Teufels¬kralle«.

fasi dal comnt »Kehrichtlade« (Fezzi 152, Anm. 10) ist tirol. fassl »kleinesFaß« mit enneb. comnt ( = gadert. cument / cumänt ) »Kehricht«, »spazzatura«(A. Pizzinini; Martini). Dafür abteiisch nach Fezzi und A. Pizzinini bag:j dal eu¬mni; bag:j »Ding, Knirps«, nordital. bagai (Ricci bagai, bagaiot »ragazzo, ra-

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gazzetto, ragazzotto«, Boerio: bagagio »fanciullino«). Heute auch in Ennebergder gängige Ausdruck: bagj dal comnt.Das Buchensteinische, Grödnische und Fleimstalische verwenden dafür skoacrazu skoac »Kehricht«, dieses zu skoé »kehren« < scopare. Das Grödnische unddas Fassanische haben auch ein deutsches Lehnwort, nämlich grödn. keratatl»Kehrichttrog«, fass. tati (tirol. ta:tl, daraus auch grödn. tati »Lade«).

ferblter -tri m. < tirol. fdrholtDr wird von A. Pizzinini als ennebergisch fürabt. fainnt »Verwalter« ( < fa inant) angegeben. Im ennebergisch geschrie¬benen Singspiel Le scioz da Sang ]en von Angelo Trebo ( + 1888) aus La Plide Maro ist eine der Personen, Albert, »verholter dies ciaces« des Försters( »förster«).

f:rso -si »Pfirsich« (A. Pizzinini), wie grödn. frsdr aus tirol. pf(a)rsdr(Schatz Wh.) entlehnt, das selbst wieder vor der hochdeutschen Lautverschie¬bung p- > pf- aus lat. persicus ins Deutsche entlehnt worden war. Badiotischdafür prsig(o) (A. Pizzinini), wie buch, prsigo (A. Pellegrini Voc.) und fass.persek - perseges aus venez. prsego (Boerio) < persicus.

fin, tra ala ~ »das Sterbeglöcklein läuten« (K.) zu tra »ziehen, läuten« < frü¬here, und fin »Ende, Schluß« < fine; sonst (St. Martin, Corvara, Colfuschg)son l angonia (K.; A. Pizzinini; »das sagt man in Enneberg nicht; das sagensie weiter oben«, Curt, K.) zu trent. angonia »agonia« (Ricci).

flk »Fleck« 1. »Stoff-«, » toppa«; 2. »Schmutz-, Farb-~« (K.; Martini ohnegeographische Einschränkung) aus tirol. flkx in beiden Bedeutungen; sonst(St. Martin, St. Cassian, Corvara, Colfuschg) 1. pétsa »Stoff-« < gali. *péttia;2. täca / ta\ca »Makel, Fleck«, »macchia« (K.; A. Pizzinini; Martini) < vulgär-lat. * tacca < got. taikn.

fira f. »Fädling, Halm« (A. Pizzinini) setzt den Plural fila von filum »Faden«fort (dieses > gadert. fi, -s »Faden, Zwirn, Garn«), und zwar in der ursprüng¬lichen Bedeutung, ähnlich wie span. hila »Charpie« (Corominas I 918), nichtin der späteren Bedeutung »Reihe«. Nach A. Pizzinini bad. nur im PI. firds»Scharpie, zerfranste Tuchlappen«.

fohgüh »zweizackige Garbengabel« (Zwischenwasser, Pfarre, St. Vigil), fungünin Welschellen (auch Costalungia und Tintal / Weitental) (K., Fezzi 139, Anm.8) ist eine mit Assimilation des -r- an das -n- umgebildete und so an fohgüh»Pilz« ( < fungu + -one ) »volksetymologisch« angeglichene Form einesursprünglich *furgüh aus *furicone zu spätlat. furieare »herumstöbern« (REW3597), vgl. florentin. furicone, ital. frugone »bastone per rimuovere i sagginali«(Battisti-Alessio III 1724).Für das Abteiische werden andere Umbildungen des gleichen Wortes angegeben:abt. frejgüh »Garbengabel« (Fezzi a.a.O.), frigüh »zweizackige Gabel (für Ge¬treide, zum Füttern)« (A. Pizzinini), frigüh oder frihgüh »picera furcia da duibec« (F. Pizzinini). Ich habe in Untermoi (auch Val), Piccolein, St. Martin,

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Campili, Wengen, Corvara, Colfuschg fringün notiert, in Pederoa, Pedraces,Stern und St. Cassian frigüh (hier neben fringün), in dem abgelegenen Fornaciafrungüh, das dem ursprünglichen *furgüh am nächsten kommt.

forkta »Schüttelgabel des Siebbeutels (Mühle)« (A. Pizzinini) ist eine Sonder¬bedeutung von enneb. forkta »(Tisch-)Gabel« (Fezzi 139, Anm. 10) < ital.forchetta.

fris Adv. »sehr, wirklich« (enneb., unterld.) (enneb. al ~ n bi cavai »es istwirklich ein schönes Pferd«) neben enneb. dr, ist aus dem Pustertalischenentlehnt, s. Schatz Wb. 190: im Pustertal: es ist frisch gudt »sehr gut«, es istfrisch keines da »wirklich keines«.Enneb. dr, unterld. der, abt. dar, wie das buch, där(t) und das grödn. dre(t)»sehr« (A. Pizzinini, A. Pellegrini Voc., Lardschn.) < directu sind verkürzt ausdrt, därt, drt »recht« und wohl Bedeutungsentlehnungen aus tirol. recht(gudt ) »sehr gut« (nicht aus dt. richtig(gut) wie Kramer Et. Wb. 3, 3 f.meint).

funts de sóra »Zimmerdecke« (Fezzi 129, Anm. 9) und grödn. fónts dd sura(Gärtner LW 129) zu funts »Boden« < fundus und sóra »über« < supra istLehnübersetzung aus tirol. i:bdrpoudn »Stubendecke« (Schatz Wb. 671); dafürauch sösot, substantivierte Präp. »droben unter« (A. Pizzinini) < su(r)su +subtus.

gäjt »Geiz« (A. Pizzinini) ist entlehnt aus tirol. gajt »Geiz«, sonst varitsja (A.Pizzinini), avaritsja (Martini).

gäjtik »geizig« (A. Pizzinini) ist entlehnt aus tirol. gajtig »geizig«; sonstvaritsiu:s »geizig«, avarün »Geizhals« avaróna »geizige Frau« (A. Pizzinini);avare, avaruna (Martini) zu ital. avaro.

gberle »Mitesser, Akne, 'Pinkel'«, »rigonfiamento della pelle, bolla«, (A. Piz¬zinini; Martini ohne geographische Einschränkung) ist eine ursprünglich scherz¬hafte hybride Bildung des ladin. goba »Buckel« aus vlt. *gubba (für gibba) mitder tirol. Endung -drld (die sich in Diminutivbildungen auf -h von Substantivenauf -dr findet, wie in tirol. wimmdrld »kleine Hautwulst«, pla\tdrld »kleineBlase« Dim. zu pl\tdr usw.).Das bedeutungsverwandte gadert. g:lbdr »Beule, Geschwulst, kleiner Buckelauf ebenem Feld«, »bozza, rigonfio« (A. Pizzinini; Martini), für das KramerEt. Wb. 4, 30 vergeblich nach einem tirol. Wort Ausschau hält, dürfte eineunregelmäßige Abwandlung von gberle sein mit Vorwegnahme des -/- (gberle> "g\lberle und Abtrennung des deutschen Suffixes -le). Vgl. ähnliche unre¬gelmäßige Abwandlungen wie anterbhk / : rgobndo; grber / ga: Ibdr; kater-tmpora / krtatmpora; muziknt / muzikntdr; pargaró / kaparó; pjéjora /(Kampill) pv.rgdna; rodündera / vidündra / odündra; rüceli / rici; slajkené /slaiké usw.

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gosené »schmusen«, fehlt im Gadertal (Cr.), aus tirol. gssn »sich redendunterhalten« (Schatz, Wb. S. 206; von gösse »Gasse«, also ursprünglich das»Zusammentreffen und Plaudern auf der Gasse«).

gtin f. »Art, Rasse, Gattung«, »maniera« (A. Pizzinini; Martini) ist entlehntaus tirol. gttin »Gattung« (Schatz Wb. S. 207).

gramé, se ~ »trauern, sich grämen; - niedergeschlagen, verhärmt« ( A. Pizzini¬ni) für bad. s'agram »verzagt sein, sich Sorgen machen« (A. Pizzinini), zu gram,~(t)s, -a »verzagt«; Subst. m. n pü:rd ~ »ein armer, verzagter Mann, 'armerHascher'«, »scoraggiato« (A. Pizzinini; Martini) von germ. gram (Kramer Et.Wb. 1, 7; 4, 31).

grané »hageln«, »grandinare« (A. Pizzinini; Martini) dürfte auf eine unregel¬mäßige Veränderungvon lat. grandinare zu * grandiare zurückgehen. Sonst dafürtampest, tempest zu tampésta, tempsta. Nach Fezzi S. 144, Anm. 11 granjéauch abteiisch.

granmarcé kann man heute noch — wenn auch sehr selten - mit der Bedeutung»danke« in Enneberg hören; wenn man in den Stall eines alten Bauern gehtund den Wunsch bna entora [s. hier unter entöra] ausspricht, antwortet derBauer noch manchmal nicht mit jolah, sondern mit granmarcé. Auch Micura deRü (Nikolaus Bacher) kennt den Ausdruck ( Versuch einer deütsch-ladinischenSprachlehre, Ms. 1833 241). Gramartsé »danke« wird auch noch im Cadoregebraucht und war früher auch in Friaul (vgl. Pirona 398) bekannt (Cr.): ausaltital. gran(de) + marcé (neben mercé »Dank«; Battisti-Alessio III 1856,2361, IV 2427).

gré:da »Kanzel« (K.; A. Pizzinini, AIS IV 783 P. 305; Martini grda, mar.greida [falsch! Cr.] »pulpito«) aus mhd. grede »Stufe, Treppe«, alem. auch»der innerhalb der Kirche liegende Platz mit den Stufen, die vom Chor in dieKirche hinunter führen«: der pfarrer kam mit einem großen buch auf die grätund las daraus (Grimm DW IV, 1. Abt. 6. Teil, Leipzig 1935).Früher wurde vom Chor aus gepredigt, vgl. Kanzel aus cancelli »Chorschranken«(»In der alten Kirche predigte der Bischof von seiner Kathedra herab, . . . Verlasstatt seiner ein Diakon eine Predigt, so geschah das von den um einige Stufenerhöhten Lesepult mit der Brüstung, das an den Schranken — lat. cancelli —stand, die den Chorraum vom Mittelschiff trennten. Davon nahm die Kanzelden Namen an und behielt ihn, auch wenn sie nachmals Gestalt und Ortänderte«, Friedrich Kluge - Walther Mitzka, Etymologisches Wörterbuch derdeutschen Sprache, Berlin 18 1960). Das mhd. grede dürfte auf dem vulgär¬lateinischen Plural gradi (für gradüs) beruhen, mit i-Umlaut des a.Während die Hauptbegriffe des Christentums im Ladinischen lateinischerHerkunft sind, stammen die Namen verschiedener weniger wichtiger kirch¬licher Einrichtungen im Gadertalischen und im Grödnischen aus demDeutschen, z. T. schon in alter Zeit. Darüber beabsichtige ich in einem eigenen

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Artikel über die Kirchliche Terminologie des Dolomitenladinischen in der Ladi-nia zu schreiben.

gros »Geld«, »danari« (A. Pizzinini; bei Martini ohne geographische Ein¬schränkung) aus venez. grosso (Boerio). Im Gadertalischen, nach A. Pizzininidafür sldi »Geld« (auch buch., grödn. sldo -i »Kreuzer«) aus venez. soldi.

hadn »Zimmermannsbeil« (Zwischenwasser [Craffonara, der aus Zwischen¬wasser stammt, hat dort immer pajn gehört], St. Vigil, K.; Fezzi 212, Anm. 5)ist aus tirol. hadn entlehnt; Fezzi führt für das Ennebergische daneben das imübrigen Gadertal übliche pajn an (mir wurde aber in St. Vigil gesagt: pajnist »oberländisch«), das eine Lehnübersetzung (Bedeutungsentlehnung) vontirol. hadn ist.Nach der einleuchtenden Erklärung von L. Craffonara »handelt es sich umeinen Zusammenfall zweier ganz verschiedener Wörter, uzw. hadn < mhd.beiden 'Nichtchrist' und hoade, hoadn 'Hode' (Schatz 298) < mhd. hode(n).Das Zimmermannsbeil wurde ursprünglich — scheinbar wegen seiner hoden¬ähnlichen Form - 'hoadn' benannt. Von den Ladinern wurde diese Bezeichnungdann mit hoadn 'Heide' verwechselt und mit pajn < lat. paganus übersetzt.«pajn »Nichtchrist« ist später durch das italienische Lehnwort gadert., grödn.pagh ersetzt worden. In Stern wurde mir zu pajn gesagt: 'hat man früher'.djum geheißen', bei A. Pizzinini fodum m. (?) s. paian »Axt«. Das ist natür¬lich eine Umbildung von hadn.

jänker »Joppe, Jacke, Rock«, heute jnkerle (A. Pizzinini; K.; Cr.) ebenso buch.jnker »giacca«, »Jacke« (A. Pellegrini Voc.) ist aus tirol. jnkdr, Diminutivumjnkdrh »leichter Männerrock« (Schatz Wb.) entlehnt. Sonst dafür zam:re»Joppe, Rock (der Männer)« (K.; A. Pizzinini S 55); wie buch, zamr »zimarra,soprabito lungo« - »langer Rock« (A. Pellegrini Voc.) aus trent. zamara (Ricci).

jner »Januar« (K.; jner, zené [von Groden importierte Form; alte badioti-sche Form iena, 1913 schriftlich bezeugt, Cr.]; A. Pizzinini 50 und 56; jner»bb«. »gennaio« Martini) ist aus tirol. jénndr entlehnt; ich habe es außer inCurt und St. Vigil auch in St. Martin und Pedraces gehört; sonst das venez.jen-.ro und geniro in Corvara, geniro in Colfuschg (A. Pizzinini: genaro),jen:ro verzeichnet der AIS I 316 auch für St. Vigil P. 312.

j: »ja«, neben pa, pó: pó: und sé: sé: (K.; A. Pizzinini 121) ist tirol. j :. Imübrigen Gebiet der Gader: hj, he: , aé, sé: sé: Heute setzt sich j: auch imübrigen Talgebiet immer mehr durch.

kagabräja -es »Feigling, Hosenscheißer« (A. Pizzinini) ist aus kaga zu kagé»scheißen« (< trentin. cagar < cacare) und braja »Hose« (< braca) zusam¬mengesetzt.

karmljes »Kamillen« aus dem Deutschen (vgl. auch grödn. kamila und kamtla,

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Lardschn. S. 146) ersetzt im Ennebergischen das gadert. ampóna, ampóma auseinem vorromanischen Pflanzennamen, der vielleicht mit den lautlich ähnlichenBezeichnungen der »Brombeere« verwandt ist, der in der Toscana und in West¬oberitalien verbreitet ist (ital. lampone, bresc., berg. ampóna »mirtillo«, siidfrz.ampuo usw., Cr., A. Vittur, Les erbs de medezina de nots valades, Kalenderladin per l'ann 1915, S. 105; A. Pizzinini S. 6; F. Pizzinini S. 55; MartiniS. 13 und 28; Battisti Alessio III 2158; Olivieri S. 385; Stampa S. 79 f.).

kané -ä- »necken« (A. Pizzinini) zu kna »Rohr« ( < ital. canna) i also mitdem Rohr oder Stock (grödn. kna »Spazierstock«) drohen.

kanitlé fora »Hafer dreschen«, »Hafer wird vorsichtiger ausgeklopft, weil sonstdas Korn zerquetscht würde« (Fezzi 130, Anm. 11) gehört zu gadert. koriitl»Knüppel, Schlegel« (A. Pizzinini) aus tirol. kxnittl »Knüttel«; also »mit demKnüttel ausschlagen«. Ich habe in Enneberg dafür nur strüse notiert (in Wel¬schellen matsé fora zu matsé »klopfen« von matsa »Stock« < *mattea ), sonststrisé »streifen, treffen« < ahd. strihan »schlagen«; das i im Ennebergischenwurde durch das folgende s labialisiert (vgl. unter dsko).Für »(die Gerste) das zweitemal dreschen (um die Grannen wegzubringen)«überall skod, enneb. skodé ( < ex -f- coda + —are: in Pedraces wurde mir an¬gegeben: koda = arest(d)s »Grannen«), für sonstiges »Dreschen« in Corvara,Colfuschg fdrl, sonst furl, forl enneb. forlé (zu frei »Dreschflegel« < flagellumit Dissimilation (/ — / > r — /): das e in Corvara und Colfuschg noch erhalten,sonst durch den labialen Konsonanten labialisiert, nicht durch das r, wie Kra¬mer Et.Wb. 4, 23 glaubt; in den Beispielen berdigün, / burdigüri, drumblé zudrembl, die er bringt, steht das e neben Labialkonsonant, in perstok aus dt.prusttuox ist nicht e zu u geworden, sondern u zu d).

kanküri »Enzian«, wohl aus kanüh [»Kanone« < ital. cannone ], vgl. oberga-dert. stlupt < stlupet (St. Martin kuk), Cr.Vgl. dazu F. Pizzinini 55: euch o stlopt (cancün ), ital. »genziana«, lat. »gentia-na«, dt. »stengelloser Enzian«; Martini: euch, PI. cuc; A. Vittur, Les erbs demedezina de nots valades, Kalender ladin per l'ann 1915, 102: kuc [ = kuk~\(gentiana acaulis), »stengelloser Enzian«; A. Pizzinini stlopet m. »Knallbüchse(Holunder); Knallfrosch; stengelloser Enzian, Leimkrautblüte (silena inflata)«,Diminutivum von stlop »Büchse« ( < stloppu »Knall«). Der blaue stengelloseEnzian könnte so benannt werden, entweder wegen der Ähnlichkeit mit einernach oben gerichteten altertümlichen Büchse mit trichterförmigem Rand oderwegen der bei den Kindern herrschenden Unsitte, in den Blütenkelch zu blasenund diesen mit Knall auf dem Handrücken zerplatzen zu lassen. Vgl. dazu auchdie Formen in Nordwest-Friaul (ASLEF, Vol. II, C. 119): z. B. Erto pétabthd.h. »Knallmacher«, Ampezzo sklps (PI.), usw.

kargä:ra »Ameise«; eigentlich »Schustersfrau« (welche Vorstellung steckt da¬hinter?): Enneberg und Unterland kargä:ra (Oberland karig:ra ) < caligarla.So wird die Ameise nicht nur in Enneberg und Welschellen genannt, sondernauch im Unterland (Untermoi, Piccolein, St. Martin, Campill und Wengen); im

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Abteiischen (Pedraces, Abtei, Stern, St. Cassian) aber técora, eigentlich »Dumm¬chen«, eine Koseform auf —ora ( < —ula) von tee »Dummkopf« (auch buch,»stolto, sciocco, ingenuo«, »dumm, töricht, albern, naiv«, A. Pellegrini Voc.)aus oberital. tee — ital. teeehio ( < ttulu, s. Battisti-Alessio teeehio, terchió)\nur in Corvara und Colfuschg heißt sie formia ( < formica ) wie in grödn. furmia.

katl »irdener Topf«, das wohl in grödn. katl »Nachttopf, Blumentopf« (Lard-schn. S. 151), jedoch nicht im heutigen Gadertal eine Entsprechung hat (Cr.,aber F. Pizzinini S. 91: catl »boch da not«), ist vor dem Wandel von abair.a zu aus atirol. kachel (daraus heute kxöxl »Kachel, große Schale, Nachttopf«)entlehnt worden.

katsadöra »Behälter für Kochlöffel« (A. Pizzinini) ist eine eigenartige Ableitungvon katsü »Löffel« ( < altvenez. cazzl) mit der Endung -adora ( = bad. -adü-ra) < —atura, die gewöhnlich nur an Verba auf —é < —are antritt, wie in enneb.laadóra (obergadert. lavadüra ) »Spülwasser« zu lave »waschen« < lavare ; ober-gadert. liadüra »Binde« zu lié »binden« < legare; armadüra »Türrahmen« zuarm »ein Gerüst aufstellen« < armare; ozoradüra »Futter« zu ozor »füttern«< vigilare; enneb. prodadora »Futter« zu prodéj »füttern« < aus providereusw.

karn (Fezzi 134, Anm. 4), kern (A. Pizzinini) »Erker« ist wie grödn. ke(a)r(n)-blkn (Lardschn.; Gärtner LW 134) nach I.A. Perathoner, Bäuerliche Hausfor¬men im Grödnertale (Schiern, Jg. 5, 7 und 18) entlehnt aus südtirolisch kxéarl-wólkxn, wohl zu kxarn »wenden« und hölkxn »Balken, Fensterbalken, Fen¬ster« (in Zusammensetzungen wie »Fensterbalken« usw. —h— statt —p—, SchatzWh. 44 und 684), also eigentlich »Wendefenster«: Vgl. dazu die bündnerischeLehnübersetzung balcun tort. Sonst dafür sor »Erker, Söller«, »terrazzo, so¬laio« (A. Pizzinini; Martini) < solariu.

kftl »Rock« aus tirol. kxittl, gegenüber gadert. gonéla (A. Pizzinini) aus trien-tin. gonla (Ricci).

kodün »Ziffer, Zahl« (A. Pizzinini), vielleicht aus dt. Quittung (seit dem 15.Jh. belegt) umgedeutet als das Zechen (Unterschrift), mit dem man quittiert?Allerdings ist dt. Quittung bereits in kubita »Quittung« (A. Pizzinini) vertreten.

kka heißt der »Tannen-, Lärchenzapfen«, »pina dell'abete« nicht nur in En-neberg und in Welschellen, sondern im ganzen Unterland (bis Fornacia, K.;Fezzi 198, Anm. 4; A. Pizzinini; Martini) aus kka »voce con la quale si ri¬chiamano le galline« (Martini). Im Oberland, Pedraces bis Colfuschg dafür ptta,das ursprünglich ebenfalls »Henne« bedeutete, wie heute noch buch, ptta (Fezzi146, Anm. 7; A. Pellegrini Voc.; auch im Piavetal usw.: Tagliavini, DL 251) derLärchenzapfen ist hier pitol. Es ist ursprünglich ebenfalls ein Lockruf für dieHühner, wie kka. Im Spiel der Kinder werden Tannenzapfen gerne als Tiere- Hennen oder Kühe - verwendet und können dann auch in der Erwachsenen¬sprache den Tannenzapfen bezeichnen (s. Kramer Et. Wb. 6, 41 f.).

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konosntsa »Gewissen« (von älteren Leuten zu hören; beim Dichter AngeloTrebo belegt), gegenüber unterlad. kusjentsa, abt. kusjntsa dürfte auf einerVerwechslung von ital. conoscenza »Kenntnis« mit coscienza »Gewissen« be¬ruhen.

koräzi »Mut«, da ~ »mutig, "schneidig"« (A. Pizzinini; Martini) zeigt denEinfluß von tirol kurasi (Schöpf 225; Schatz Wb. 265; vgl. auch das reindeutsche Lehnwort kurs im Grödn.) < frz. courage auf das sonst im Gadertalübliche korgo (A. Pizzinini), auch korzo (Martini) < ital. coraggio ( < prov.coratge).

kra:l »Mistharke«, »Streurechen (mit eisernen Zinken)« (A. Pizzinini; Fezzi169, Anm. 14) aus tirol. kxra:l (<ahd. krowil, Schatz, Wb. 353), neben demallgemein dolomitenlad. rdstél < rastellu).

krärca »Rückenbahre, Rückentrage, "Kraxe"« (Fezzi 171, Anm. 9; A. Pizzinini)aus tirol. kxraksd (auch fass. krakes, fleimst. krakdza aus älter tirol. krachesa,cimbr. krackasa, Schatz Wb. 352). Novak 92 irrt, wenn sie annimmt, kra:ca seiwegen des a ein älteres Lehnwort, »vor 1120«,; das ä von mhd. krächse ergibttirol. helles a im Gegensatz zu altbair. a > .Sonst gadert. réfla (auch grödnisch so, fass. réfla »Hosenträger«, Rossi), auseinem Diminutivum zu mhd. rf (daraus buch, räfa, A. Pellegrini Voc.; fass. réfa»Rucksack«, Rossi, moenes. réfla »sacco da montagna«, Heilmann 717), dasanscheinend in der deutschen Mundart von Tirol selbst völlig verschwunden ist.

kré:ca »Tannenhäher« (A. Pizzinini) ist aus älter tirol. kr:tsa (cimbr. kresha,heute tirol. kra:tsd, Schatz Wb. 251) »Häher« entlehnt. Dafür bad. gagoira <gaia + -eola (Kramer Et.Wb.).

ku:rt »sehr großes Anwesen; der Besitzer eines solchen gilt besonders in En-neberg und Abtei als ein kleiner König; zum Hause gehört da meistens aucheine kleine Schmiede, Mühle u. ä. zum eigenen Gebrauch« (Fezzi 144, Anm. 3)aus mittellat. curtis ( Kcohorte ), das vielleicht Bedeutungslehnwort nach dt. Hof»zum Haus gehöriger umschlossener Platz« + »Anwesen« ist; abt. dafür granlü:k (Fezzi a.a.O.). Sonst bedeutet ku:rt »Einfriedung, Hof; geschlossener Hofvor dem Stall«, »corte, cortile avanti la stalla« (A. Pellegrini Voc.; Martini).»Ein mittelgroßes Anwesen mit sechs oder mehr Kühen« heißt enneb. lü, abt.lü:k\ buch, luók ( Klocu ); grödn. ludk, ms; buch. fass. mi (Fezzi a.a.O.), vordem Wandel von a > é wegen -s aus trent. mas entlehnt (Battisti bei MajoniXVII f.).

lags »Regenpfütze, Tümpel« (A. Pizzinini), »Lache« (K.) steht vereinzelt da.Man könnte an eine unregelmäßige Ableitung von lacu denken oder an eine Ab¬leitung von aqua (vgl. agä < aquariu für aquale ) mit angewachsenem Artikel.Aber wie erklärt sich -ös? Sonst habe ich für die Frage nach »Lache« das Wortfür »See« erhalten: le:k ( < lacu) »aber nur übertragen« in Pedraces, oder denPlural l:c in St. Martin und Colfuschg. al é da l:c in St. Cassian und Corvara.

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In Corvara auch al é da l:kds zu tirol. lkxd »Lache«, das auch in Buchenstein,Groden, Fassa und Moena lka ergeben hat (A. Pellegrini Voc. ; K.; Lardschn.,Rossi, Elwert, Dell'Antonio). Das von mir in Canazei gehörte lak ist wohl dieunterfassanische Form für das oberfass. lék ( < lacu), s. Elwert 26, 34, 74.

läjbl -i »Weste« (K.) aus tirol. laibl; sonst (St. Martin, St. Cassian, Corvara, Col-fuschg korpét (K.; A. Pizzinini, Martini) aus trent. korpét.

laporä »Art Unkraut«? (A. Pizzinini), »pianta che taca«, »Klette« (F. Pizzinini)ist eine Ableitung von lat. lappa »Klette« mit den Suffixen -ul- (vgl. ital. lappola»Klette«; zu -r- < -/- vgl. enneb. vantoré »worfeln« < *ventulare für ventilare )+ -aru (vgl. furmi < jurmicariu »Ameisenhaufen« zu formia »Ameise«, tal¬pina »Maulwurfshügel« zu talpina »Maulwurf« usw. s. Koväcs 25 ff.).

lawt m. »Laute (Musikinstrument)« (A. Pizzinini) ist Schriftdeutsch »Laute«f. Der Auslautvokal ist wohl schon in der vermittelnden deutschen Mundartunterdrückt worden; das ennebergische Genus nach der Lautgestalt, da enneber-gische Substantiva, die auf Konsonant enden, in der Regel Maskulina sind(arznt, bt, debit, déjt usw.).

Iekadü:ra m. »Schmeichler, Speichellecker« aus trent. lecadura »leccatura,adulazione« (Ricci); es erhält, auf Männer bezogen, das natürliche Genus.

l:rzora »Lerche« könnte eine Kontamination von gadert. l:dola (A. Pizzinini)< ital. lodola mit tirol. lrxd, lrxh sein.

Ijäca »Holzstoß, Holzbeige«, »catasta di ciocchi« (Fezzi 149, Anm. 4; A. Pizzi¬nini), nach Martini auch unterld., ist wohl als Kollektivform zu liäc »Holz¬scheit« gebildet, das man vielleicht aus *hnäc < *lignaceu mit volksetymolo¬gischer Anlehnung an Ijé »binden« < ligare erklären könnte. Für »Holzstoß«wurde in Abtei pira, Corvara, Colfuschg, Buchenstein und Groden pila (auspila »Pfeiler«) verwendet; heute wird hingegen unser Ausdruck auch schon imoberen Gadertal gebraucht.

lintrin »Stufe« ist nach Fezzi 185 Anm. 3, ennebergisch (abt. skalin ), »Tritt-,Treppenstufe«, »scalino, balaustra« bei Alton LI, A. Pizzinini und Martini ohnegeographische Einschränkung; ich habe lintrihs in Curt und St. Vigil, aber auchin Campill notiert (in Curt auch i U:mi dia stiiga neben li:mo »Türschwelle«). Esist eine Ableitung mit der Verkleinerungssilbe -in ( < -inu; vgl. manarih nebenmanira usw., Koväcs 54 f.) von li:tra »Treppe, Stiege« aus ahd. (h)leitar fem.,daraus mit Umkehrung des Diphthongs und angefügtem Genuszeichen -a lidtara,so noch ein Wald in Colfuschg, Alton Ethn. 46, und ein Weideplatz in Groden,K. Aufs. 62 f. und Anm. 99); lintrin mit Vorwegnahme des auslautenden Nasalsin der ersten Silbe.Neben lintrin verzeichnet Fezzi a.a.O. für »Stufe« auch li:mo , das dem abt.li:m »Schwelle« entspricht ( < limen). Heute verwendet man in Enneberg mei¬stens skalin für »Treppenstufe«.

136

In Enneberg werden also nicht nur Treppe und Leiter, sondern auch Treppen¬stufe und Leitersprosse unterschieden:

»Treppe« »(Treppen-)« »Leiter«»Stiege« »Stufe«

»(Leiter-)«»Sprosse«

enneb. sti:ga lintrih(li:mo, heutemeistens skalin)skalin(lintrih ?)

li: tra agüts (s. S. 111)

abt. sti:ga U:tra skalin

buch. salagrödn. sia

salinsalidr

salinjust(»Stock«)haket (»Stäb¬chen« )haket, skalin

[da fuse,da hakec)

fass. slo skan gétrjo

lintrihs (PI.) bedeutet im oberen Gadertal »Kommuniongitter« (in Ennebergdafür pontihs, in St. Martin puntihs).

lobri -s »umbrechen, Feld pflügen« (A. Pizzinini) bedeutet im Untergadertali-schen und im Abteiischen (lohn und luhri mit dem häufigen Wechsel von un¬betontem o und u) »löten [ ??Cr.]; falten«, ~ adüm »zusammenfalten«, »riba¬dire un chiodo; rivolgere« »stó:rze la pitsa, ~ h agu [»die Spitze, einen Nagelumbiegen«] (A. Pizzinini; Martini; F. Pizzinini).Es ist mit Metathese aus rubli -es hervorgegangen, das im Grödnischen so be¬wahrt ist: »(einen Nagel nach dem Durchschlagen am durchragenden Teil) um¬schlagen, nieten« (Lardschn.). Lardschneiders Vorschlag einer Herleitung vonre-hullire »sprudeln, hervorsprudeln; hervorsprudeln lassen« ist aus semanti¬schen Gründen unbrauchbar, dagegen einleuchtend die Erklärung Kramers (Et.Wh. 5, 37 f.) von replicare »zurückbiegen«; o, u für unbetontes e ist durch denfolgenden Labial bedingt; -pl- ist in Verkennung der Zusammensetzung wie imInlaut behandelt, wie z. B. in *duplittu > dohlét\ der Übertritt von *rublié indie IV. Konjugation ist zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich.

Iö:ga »Radschuh; 'Schrepferbaum'« könnte von einem Verb *Vgé — *lö:ga »aufder Stelle halten« abgeleitet sein, vgl. trent. logar »porre, collocare; riporre«,~ na putla »maritarla, accasare, collocare una ragazza« (Ricci), zu älter enneb.*lüok < loeu; vgl. buch, luoga f. »luogo, posto«, »Platz, Stelle«, sté nte ~ »sta¬re al suo posto«, »am Platz bleiben«, fora de ~ »spostato, slogato«, »verrückt,verrenkt«, beide Wörter können wegen des -g- nicht auf einem schon vulgärlat.locare, bzw. loca beruhen (vgl. jocare > enneb. zjé, buch, zojé), sondern müs¬sen spätere Ableitungen sein.

137

Int »Land« (A. Pizzinini) aus tirol. lnt; sonst paus aus venez. paés(e) (KramerEt.Wb. 6, 20).

LADINISCHES VERMÄCHTNIS

Natur, Mythos, Bauernkultur

in den Dolomiten

(SS. 447; 337 Farbbilder)

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Fotos: KAJUS PERATHONER

Text: ADOLF ANDREAS KOSTNER

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Athesiadruck - Bozen 1980

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Vertrieb: PERKOS

I-39046 Urtiji

Streda Resciesa, 4

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