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Joram Luttenberger Prophetenmantel oder Bücherfutteral? Die persönlichen Notizen in den Pastoralbriefen im Licht antiker Epistolographie und literarischer Pseudepigraphie Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte

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ISBN 978-3-374-03063-7

EUR 48,00 [D]

Joram Luttenberger

Prophetenmantel oder Bücherfutteral?

Die persönlichen Notizen in den Pastoralbriefen im Licht antiker Epistolographie und literarischer Pseudepigraphie

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Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte

Die Pastoralbriefe treten in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion wieder verstärkt in den Blick. Ihre literarische und the-ologische Beurteilung ist jedoch nach wie vor kontrovers. Ausge-hend von der Problematik der persönlichen Notizen sind ganz unter-schiedliche Versuche unternommen worden, die pseudepigraphische Gestalt und Intention der Pastoralbriefe zu erklären. Die Arbeit unter-sucht deren literarische und epistolographische Charakteristik vor dem Hintergrund sowohl antiker literarischer Brieftheorien als auch der dokumentarischen Papyri, um so zu einer Neubewertung dieser Briefe zu gelangen. Da es vor allem um die Beurteilung der persönli-chen Notizen und ihrer epistolographischen Funktion geht, liegt ein Schwerpunkt auf dem Vergleich mit dokumentarischen Papyri, die in der bisherigen Pastoralbriefforschung nicht oder nur wenig beachtet wurden.

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Prophetenmantel oder Bücherfutteral?

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Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte

Herausgegeben von Beate Ego, Christof Landmesser, Rüdiger Lux und Udo Schnelle

Band 40

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Joram Luttenberger

Prophetenmantel oder Bücherfutteral?

Die persönlichen Notizenin den Pastoralbriefen im Licht

antiker Epistolographie und literarischer Pseudepigraphie

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALTLeipzig

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2012 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig Printed in Germany · H 7577 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.

Cover: Jochen Busch, LeipzigSatz: Dr. Joram Luttenberger, BerlinDruck und Binden: Hubert & Co., Göttingen

ISBN 978-3-374-03063-7 www.eva-leipzig.de

Joram Luttenberger, Dr. theol., Jahrgang 1968, studierte Evange-lische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, im An-schluss war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Univer-sität Leipzig im Institut für Neutestamentliche Wissenschaft tätig. Seit 2011 ist er Dozent für Biblische Theologie am Gnadauer Theo-logischen Seminar Falkenberg/M.

Für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen danke ich der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, dem Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband e. V., ferner Nanna-Maria Luttenberger, Susanne und Thomas Herzog, Prof. Dr. Jens Herzer, Esther und Wolfgang Schust sowie Friedegund und Henning Ohlendorf.

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Meinen Kindern Lea Annina und Joel Markus

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Vorwort

Die hier vorgelegte Untersuchung wurde im Wintersemester 2010/11 von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig als Dissertation ange-nommen. Mein Doktorvater Prof. Dr. Jens Herzer hat sie von der ersten Idee an stets mit viel Geduld und Zuspruch kritisch begleitet. An dieser Stelle möchte ich ihm dafür herzlich danken. Die ermutigende Atmosphäre am Lehrstuhl und die dort erlebte Freiheit von Forschung und Lehre gehö-ren mit zu den Voraussetzungen, die diese Arbeit entstehen ließen.

Mein Dank gilt auch Herrn PD Dr. Rainer Metzner, der sich der Mühe des Zweitgutachtens unterzogen und die Annahme der Arbeit befürwortet hat, sowie Herrn Prof. D. Dr. Wolf Krötke, der von Beginn meines Theolo-giestudiums an für mich ein wichtiger Begleiter war.

Anregungen und Hinweise verdanke ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Neutestamentliche Wissenschaft der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Insbesondere danke ich hier Dr. Thorsten Klein für seine freundschaftliche Unterstützung in fach-licher und menschlicher Hinsicht.

Bei der Korrektur des Manuskriptes haben mir Katrin Wacker und An-dy Marek geholfen. Deborah Schwesig und Annette Graeber haben Zuar-beiten geleistet. Auch ihnen möchte ich an dieser Stelle danken. Heiko Herrmann hat sich um das Stellenregister verdient gemacht.

Viele weitere Menschen haben mich unterstützt, insbesondere Ober-konsistorialrätin Friederike Schwarz sowie meine Freunde Susanne und Thomas Herzog.

Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Arbeiten zur Bibel und ih-rer Geschichte“ danke ich Beate Ego, Prof. Dr. Udo Schnelle, Prof. Dr. Rüdiger Lux und Prof. Dr. Christof Landmesser. Der Evangelischen Ver-lagsanstalt Leipzig danke ich für die stets freundliche Zusammenarbeit.

Vor allem gilt mein Dank meiner Familie. Ohne ihre liebende Fürsorge und vielfältige Begleitung wäre die Arbeit gewiss nicht zum Ziel gekom-men. Im Besonderen sei meiner Eltern, Lieselotte Luttenberger, geb. Rusch († 2005) und Martin Luttenberger († 2003), gedacht.

Widmen möchte ich das Buch meinen Kindern, Lea Annina und Joel Markus, deren fröhliche Lebenszugewandtheit mir immer Quelle der Zu-versicht war.

Berlin, im Sommer 2012 Joram Luttenberger

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Vorwort 7

Hinweise zur Lektüre: Die Abkürzungen für die bilischen Bücher sowie für Zeitschriften, Reihen, Sammelwerke, allgemeine Abkürzungen etc. und für die antiken Quellen und Papyri folgen den Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4, Tübingen 2007. Die Abkürzungen für darin nicht enthaltene antike Quellen oder Papyri folgen dem Abkürzungs-verzeichnis des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament Bd. 10 (1978), 53-85. Besondere Abkürzungen:

BGU: Berliner Griechische Urkunden. Ägyptische Urkunden aus den Königlichen (später Staatlichen) Museen zu Berlin. Erste Abteilung: Grie-chische Urkunden, Berlin 1892ff.

CAG: Commentaria in Aristotelem Graeca, Venedig 1554ff. (Nachdruck 1990ff.).

EpSok: Die Briefe des Sokrates und der Sokratiker. PBad: Papyrus Baden: Veröffentlichungen aus den badischen Papyrus

Sammlungen, Heft 2, Griechische Papyri, hg. v. Fr. Bilabel, Heidelberg 1923.

PMert: Merton Papyri (A descriptive catalogue of the Greek papyri in the collection of Wilfred Merton)

PMur: Papyrus Murrabat. Koffmahn, E.: Die Doppelurkunden aus der Wüste Juda: Recht und Praxis der jüdischen Papyri des 1. und 2. Jahrhun-derts n.Chr. samt Übertragung der Texte und deutscher Übersetzung von Elisabeth Koffmahn, Leiden 1968.

P Passalacqua: Passalacqua, J.: Catalogue raisonné et historique des antiquités découvertes en Égypte. Von Joseph Passalacqua, Paris 1826.

PSI: Girolamo Vitelli, Papiri graeci elatini. Pubblicazioni della Società Italiana I-VI, Firenze 1912-1920.

TGL: Thesaurus Graecae Linguae ab H. Stephano constructus. UPZ: Wilcken, U. (Hg.): Urkunden aus der Ptolemäerzeit: ältere Funde;

1. Bd.: Papyri aus Unterägypten, Berlin [u.a.] 1927; 2. Bd.: Papyri aus Oberägypten, Berlin [u.a.] 1957.

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Inhalt

Vorwort ........................................................................... 6

Inhalt ............................................................................... 8

I. Einführung ................................................................. 11

I. 1 Problemstellung ....................................................................................... 11

I. 2 Zum Problem der Definition persönlicher Notizen ............................. 15

I. 3 Vorgehensweise ....................................................................................... 19

II. Zur Forschungslage ................................................ 21

II. 1 Die Ausgangsproblematik ...................................................................... 21

II. 2 Persönliche Notizen als Argument für die Echtheit ........................... 24

II. 3 Persönliche Notizen als Argument für authentische Brieffragmente ......................................................................................... 25

II. 4 Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit............. 28 Exkurs: Haftbedingungen im Römischen Reich ............................ 34

II. 5 Persönliche Notizen als Argument für literarische Pseudepigraphie ...................................................................................... 44

II. 5. 1 Vorbemerkung ........................................................................ 44

II. 5. 2 Begrifflichkeit und textliche Zuordnung der persönlichen Notizen ....................................................... 48

II. 5. 3 Die Past als einheitliches Briefcorpus ................................. 56

II. 5. 4 Die persönlichen Notizen als Argument für eine inhaltlich-theologische Kompetenz des Verfassers ............ 63

II. 5. 4. 1 Die Namen in den Past ........................................................................... 64

II. 5. 4. 2 Die paradigmatische Funktion der Adressaten ............................ 67

II. 5. 4. 3 2Tim 1,3.5 und 3,15: Fundierung des Glaubens über Generationen .................................................................................... 70

II. 5. 4. 4 2Tim 1,8.15-18: Paulus als Typos gegen das Abwenden vom Evangelium .............................. 75

II. 5. 4. 5 2Tim 4,10f.16: Exemplarische Verlassenheit ................................ 76

II. 5. 4. 6 1Tim 5,23: Abwehr von rigoroser Askese....................................... 78

II. 5. 4. 7 2Tim 4,13 und 1Tim 6,8: Paulus als Beispiel der Selbstgenügsamkeit .................................................................................. 79 II. 5. 5 Zusammenfassung .................................................................. 82

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Inhalt 9

III. Vergleichsmaterial zur Einschätzung

persönlcher Notizen ............................................. 85

III. 1 Vorbemerkung .......................................................................................... 85

III. 2 Der antike Brief ........................................................................................ 87

III. 2. 1 Wirkliche Briefe, briefliche Urkunden und Urkunden ..... 87

III. 2. 1. 1 Ein Beispiel eines wirklichen Briefes .............................................. 93

III. 2. 1. 2 Ein Beispiel einer brieflichen Urkunde .......................................... 97

Exkurs: Demotische Ostraka .............................................. 100

III. 2. 1. 3 Die Urkunde ........................................................................................... 106

a) Beispiel einer Urkunde ............................................................................... 106

b) Das Testament als Urkunde im römischen Privatrecht ................ 112

III. 2. 2 Der eigenhändige Briefschluss ........................................... 117

III. 2. 2. 1 Das shmei/on ............................................................................................. 117

III. 2. 2. 2 Das su,mbolon .......................................................................................... 127

Exkurs: Unterschriften in Rechtsurkunden und das Siegel ........................................................ 133

III. 2. 3 Empfehlungs- und Sendungsbriefe .................................... 144

III. 2. 3. 1 Empfehlungsbriefe – Tit ein Empfehlungsbrief? ..................... 144

III. 2. 3. 2 Sendungsbriefe...................................................................................... 158

III. 2. 4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen .................... 161

III. 3 Unterscheidung und Merkmale antiker Briefsammlungen ............. 167

III. 3. 1 Wirkliche und literarische Briefsammlungen sowie der Briefroman .......................................................... 167

III. 3. 2 Klassifizierung von Pseudepigraphie und geistiges Eigentum............................................................................... 181

III. 3. 2. 1 Geistiges Eigentum und der Umgang mit Fälschung ............ 181

III. 3. 2. 2 Notwendige Differenzierungen antiker Pseudepigraphie.... 192

III. 3. 2. 3 Schulpseudepigraphie ........................................................................ 198

III. 4 Den Pastoralbriefen vergleichbare antike Briefliteratur .................. 202

III. 4. 1 Eingrenzung der vergleichbaren Briefliteratur ............... 202

III. 4. 2 Die Platonbriefe .................................................................... 207

III. 4. 3 Der 17. Chionbrief ................................................................ 220

III. 4. 4 Die Sokrates- und die Sokratikerbriefe ............................. 231

III. 4. 4. 1 Die Sokratesbriefe ................................................................................ 231

III. 4. 4. 2 Die Sokratikerbriefe ............................................................................ 238

III. 4. 5 Die Namen in den literarischen Briefsammlungen ......... 244

III. 4. 6 Formeln und stereotype Wendungen ................................ 254

III. 4. 7 Die begriffliche Bestimmung der persönlichen Notiz als Stilmittel literarischer Pseudepigraphie ..................... 260

III. 5 Das Corpus Paulinum ............................................................................ 263

III. 5. 1 Vorbemerkung ...................................................................... 263

III. 5. 2 Das Gedenken im Gebet ...................................................... 265

III. 5. 3 Das Kommen und Fernbleiben des Apostels .................... 268

III. 5. 4 Die Vergangenheit des Paulus ........................................... 273

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Inhalt 10

III. 5. 4. 1 Grundsätzliches .................................................................................... 273

III. 5. 4. 2 Die Verfolgertätigkeit des Paulus .................................................. 274

III. 5. 4. 3 Die Vergangenheit im Judentum ................................................... 277

III. 5. 5 Grüße im Corpus Paulinum und in den Past ................... 280

III. 5. 6 Berichte über Mitarbeiter ................................................... 284

III. 5. 7 Namentlich genannte Personen......................................... 289

III. 5. 8 Zusammenfassung ............................................................... 292

IV. Differenzierung der persönlichen Notizen in

den Past ................................................................... 295

IV. 1 Vorbemerkung ....................................................................................... 295

IV. 2 Die Namen in den Past ......................................................................... 296

IV. 2. 1 Grundsätzliches ................................................................... 296

IV. 2. 2 Die Namen in 1Tim 1,20..................................................... 298

IV. 2. 3 Alexander der Schmied und Simon der Schuster ........... 302

IV. 2. 4 Die Namen in 2Tim 1,5 und 15-18 .................................... 304

IV. 3 1Tim 5,23 als persönliche Notiz .......................................................... 308

IV. 4 Die Rahmennotizen ............................................................................... 313

IV. 4. 1 Vorbemerkung ..................................................................... 313

IV. 4. 2 1Tim 1,3 und Tit 1,5 ............................................................ 314

IV. 4. 3 1Tim 6,12 und 2Tim 4,7 ..................................................... 318

IV. 4. 4 2Tim 4,10f.16 ....................................................................... 320

IV. 5 2Tim 4,13 und 1Tim 6,8 als persönliche Notizen ............................. 323

IV. 5. 1 Grundsätzliche Einschätzung ............................................ 323

IV. 5. 2 Der Begriff failo,nhj ............................................................ 330

IV. 5. 3 Zwischenergebnis ................................................................ 341

IV. 5. 4 Mögliche Deutungen der Papyrusrollen und der Pergamente ........................................................................... 343

IV. 5. 4. 1 Vorbemerkung ...................................................................................... 343

IV. 5. 4. 2 Vorstufen von Briefen, Briefentwürfe .......................................... 348

IV. 5. 4. 3 Kopialbücher .......................................................................................... 362

IV. 5. 5 Abschließende Überlegung ................................................ 365

IV. 5. 6 Ergebnis ................................................................................ 367

V. Zusammenfassung und Ausblick ......................... 370

Literaturverzeichnis ................................................ 384

Register ....................................................................... 409

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I. Einführung

I. 1 Problemstellung

„Das Rätsel, das über diesen Briefen schwebt, hat noch niemand wirklich gelöst und es ist auch mit unseren geschichtlichen Hilfsmitteln unlösbar.“1 Kein Geringerer als Adolf von Harnack kam zu Beginn des 20. Jh. bei sei-nen Untersuchungen zu den Pastoralbriefen (Past) zu diesem Resultat. Diese Rätselhaftigkeit der Past zeigt sich möglicherweise auch darin, dass sie in der neueren Forschung der neutestamentlichen Wissenschaft wieder verstärkt in der Diskussion stehen. War anders als bei von Harnacks Zu-rückhaltung über einen längeren Zeitraum die Auffassung verbreitet, die grundlegenden Fragen zu den Past hätten eine abschließende Antwort gefunden, deuten sich gegenüber diesem weitgehenden Konsens der älte-ren Forschung Akzentverschiebungen an.2 Nicht nur, dass die nie ganz verstummten Stimmen, die die Authentizität nicht grundsätzlich aus-schließen wollen, wieder lauter werden.3 Es macht sich angesichts eines verstärkten Problembewusstseins auch eine Zurückhaltung in der definiti-ven Beantwortung der Verfasserfrage in Anbetracht der schwer zu klären-

1 A.v. Harnack, Briefsammlung, 15. Zur differenzierten Problematik der Past und von Harnacks Sicht darauf vgl. J. Herzer, Fiktion, passim, hier bes. 489f. u. 531-536. „Vielleicht lässt sich mit Hilfe methodisch geschärfter und präziser als bisher ge-brauchter ‚geschichtlicher Hilfsmittel‘ … doch weiterkommen, als von Harnack dies für möglich hielt“ (a.a.O., 536). 2 Vgl. L.T. Johnson, Letters, passim; L.R. Donelson, Pseudepigraphy, passim; J. Herzer,

Abschied, passim. 3 J. van Bruggen, Einordnung (1981); E.E. Ellis, Traditions (1987); ders. Pastoralbriefe

(1991); G.D. Fee, 1 and 2 Timotheus, Titus (1995); T.C. Oden, Timothy and Titus (1989); M. Prior, Letter-Writer (1989); W.D. Mounce, Pastoral Epistles (2000); L.T. Johnson, Letters (2001); P.H. Towner, Letters (2006); G. Hörster, Einleitung (2006); E. Mauerhofer, Einleitung (2004); vgl. auch Pkt. II.2.

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Einführung 12

den Eigenheiten der Past bemerkbar, die dahin tendiert, diese Frage unbe-antwortet zu lassen,4 was letztlich eine Rückkehr zu der bei von Harnack angemahnten Zurückhaltung bedeutet, womit der Horizont des Diskurses wieder geöffnet ist.

Dem steht die bislang verbreitete Auffassung gegenüber, nach der die Past als pseudepigraphische Schreiben anzusehen seien, deren literarische Verfahrensweise im Rahmen der aus der Antike bekannten Formen der Pseudepigraphie bleibt. Maßgeblich bestimmt wurde diese Ansicht durch die Arbeiten von Norbert Brox.5 Trotz ihrer allgemeinen Akzeptanz findet diese Sichtweise aber auch auf der Grundlage ihrer eigenen Voraussetzun-gen und Argumentationsstruktur Widerspruch.6 Diesen hat in jüngerer Zeit vor allem Marco Frenschkowski artikuliert. Gegenüber der positiven Beurteilung der Pseudepigraphie der Pastoralbriefe charakterisiert er sie als Fälschungen und spricht von „bewusste[r] und planmäßig durchgeführ-te[r] Täuschung“7. Die Briefe an Timotheus und Titus lägen aufgrund der spezifischen Art der persönlichen Züge und der Form der Durchführung ihrer Pseudepigraphie außerhalb des Rahmens der anerkannten antiken Pseudepigraphie, auch wenn sie wie diese mit einer Fiktion arbeiten.

Damit deutet sich an, dass auf dem Hintergrund der pseudepigraphi-schen Verfasserschaft der Past die Frage nach der Art und der Durchfüh-rung der pseudepigraphischen Fiktion und damit insbesondere die Inter-pretation der sog. „persönlichen Notizen“ das größte Problem darstellt. Daher will die vorliegende Arbeit versuchen, der Frage nach dem pseu-depigraphischen Stilmittel der „persönlichen Notiz“ im Kontext antiker Briefe und Literatur an zentralen Beispielen nachzugehen, um so eine Grundlage für die Beurteilung der „persönlichen Notizen“ und ihrer Bedeu-

4 K. Berding, Polycarp (1999), 349-360; A.E. Bird, Authorship (1997), 118-137; J. Duff,

Consensus? (1998), 578-590; R.M. Kidd, Wealth (1990); J. Murphy-O’Connor, Timothy (1991), 403-418; T. Robinson, Authorship (1984), 282-288; P.H. Towner, Letters (2006); ders., 1-2 Timothy and Titus (1994). Von den Vertretern der Unechtheit se-hen in Auseinandersetzung mit den klassischen Argumenten gegen die Echtheit wieder eine größere Nähe zu den echten Paulusbriefen G. Lohfink, Rezeption (1981); I.H. Marshall, Salvation (1996), 449-469; ders., Pastoral Epistles (1999); M. Reiser, Christentum (1993), 27-44; H. Stettler, Christologie (1998), vgl. die Rezension von R. Kuschmierz, Buchbesprechung (1999), 139f.; W. Thiessen, Christen (1995), 248-250. 5 Vgl. N. Brox, Pastoralbriefe, 60-66, ders., Verfasserangaben, passim; ders., Pseu-depigraphie, passim; vgl. M. Janßen, Namen, 128-151. 6 Vgl. z.B. U. Schnelle, Einleitung, 325-329. 7 M. Frenschkowski, Pseudepigraphie, 251; vgl. H.R. Balz, Anonymität, 431; vgl. dazu

M. Janßen, Namen, 102-111 u. 206-209.

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Problemstellung 13

tung für die Einschätzung der Past im Vergleich zur antiken Pseudepigra-phie, aber auch zu „echten“, d.h. nicht pseudepigraphischen antiken Brie-fen zu erarbeiten.

Für die Gesamteinschätzung der Past und die Interpretation der per-sönlichen Notizen hat die Antwort auf die Frage nach ihrer Bewertung als authentische oder pseudepigraphische Schriften bzw. Fälschungen wesent-liche Konsequenzen. Sind die Past oder zumindest die Abschnitte, in de-nen sog. „persönliche Notizen“ begegnen, authentisch, dann haben sie für die historische Erforschung der Vita des Paulus Relevanz. Dabei hätte die Berücksichtigung der Angaben in den Past Auswirkungen für die Rekon-struktion der Lebens- und Missionsgeschichte (Ende des Apostels, Kreta-mission), aber auch für die paulinische Theologie (Gemeindestruktur und „Ämter“). Handelt es sich jedoch bei den „persönlichen Notizen“ um ein Stilmittel der Pseudepigraphie, das formal zur Abfassung derartiger Schrif-ten gehört, dann ist zu fragen, welche Funktion sie für die literarische Gestaltung des jeweiligen Briefes haben, bzw. ob sie über die rein literari-sche Gestaltung hinaus Bedeutung gewinnen. Haben sie ihre Funktion in der gattungsspezifischen literarischen Gestaltung, dann ist damit nicht zwangsläufig eine übertragene Bedeutung dieser Texte impliziert. Deu-tungsversuche, die die ungewöhnliche Häufung und Art persönlicher Noti-zen mittels einer theologischen oder illustrativ paradigmatischen Bedeu-tung für das Anliegen der Past zu erklären suchten, wären als Überinterpretation eines schlichten Stilmittels zu beurteilen, und müssten zudem an vergleichbaren Phänomenen der Antike in ihrer Berechtigung erwiesen werden. Dienen die persönlichen Notizen aber der bewussten Vortäuschung eines echten paulinischen Briefes, rücken die Past als Schriften des Neuen Testaments – wie Frenschkowski gezeigt hat und spä-ter näher zu begründen ist – in ein, ethisch betrachtet, fragwürdiges Licht, denn es läge hinter ihnen eine bewusste Täuschungsabsicht, die den Ein-druck einer authentischen Briefsituation vermitteln will. Es fragt sich dann, ob es sich um gefälschte Briefe aus der nachapostolischen Zeit han-delt oder um Fälschungen, die bereits zu Lebzeiten des Apostels reale Si-tuationen beeinflussen wollten. Im letzteren Fall wäre die historische Aus-sagekraft der „persönliche Notizen“ ungleich höher einzuschätzen als im ersten Fall, da es zum Wesen der Fälschung von Briefen gehört, in ihrem historischen Rahmen als eine solche nicht erkannt zu werden, und daher in ihren persönlichen und zeitlichen Angaben so genau wie möglich zu sein.

Von einem ethisch fragwürdigen Licht könnte nicht die Rede sein, wenn sich zeigen ließe, dass persönliche Notizen in der Art, wie sie in den Past begegnen, ein in der Antike übliches Stilmittel der Pseudepigraphie waren. Dies impliziert die Möglichkeit, dass ihre besondere Form dem

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Einführung 14

Bemühen um die Vermittlung des inhaltlichen Anliegens der Past geschul-det ist. Sie müssten dann nach ihrem theologischen Sinn und nach der besonderen theologischen Kompetenz des Verfassers befragt werden.8

Angesichts der skizzierten konträren Ansichten ist es erforderlich, das Phänomen der antiken Pseudepigraphie möglichst genau und differenziert zu bestimmen, denn auch hier gibt es unterschiedliche Ansichten, die zu differenten Beurteilungen des möglichen pseudepigraphischen Charakters der Past überhaupt und der persönlichen Notizen im Besonderen, ja sogar zu Unterscheidungen zwischen den einzelnen Past führen können. Auch bei nicht paulinischer Verfasserschaft könnte sich so eine sehr unter-schiedliche Bedeutung und Funktion der persönlichen Notizen der Past ergeben.

Schwierig ist in dieser Hinsicht die Frage, welche antiken Schriften zur Aufhellung der Problemlage als angemessenes Vergleichsmaterial zu den Past herangezogen werden können. Daran kann sich entscheiden, wie die Past z.B. angesichts der besonderen Häufung und Art der „persönlichen Notizen“ einzuschätzen sind. Kann man die kurzen, als „pseudepigra-phisch“ geltenden Briefe unter dem Namen des Paulus, die sich sämtlich am Formular wirklicher Briefe orientieren, überhaupt als „anonyme oder pseudepigraphische Werke“ bezeichnen, wie wir sie auch sonst „sowohl in der griechisch-römischen als auch in der jüdischen Literatur finden“9? Udo Schnelle hat dies in Anlehnung an den älteren Forschungskonsens be-hauptet. Demgegenüber ist jedoch von vornherein zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu vergleichbarer antiker Literatur die einschlägigen Texte des Neuen Testaments (Kol, 2Thess, Past und mit Einschränkung Eph) als einzelne Briefe mit einem konkreten Anlass, konkreten Adressaten und konkreten Absichten auftreten. Sie können daher nicht ohne weiteres als „Literatur“ in dem von Schnelle intendierten Maße angesehen werden. Gerade deshalb sind sie einer Sammlung authentischer Einzelbriefe zuge-ordnet worden und begegnen nicht als eigenständige literarische Form. Ob man daher die unter dem Namen des Paulus verfassten Briefe zu einer Literaturgattung im klassischen Sinn, wie sie Schnelle im Auge hat, rech-nen kann, ist die Frage. Ihre Beantwortung wird auch zu berücksichtigen haben, welche Merkmale für einen antiken Brief grundsätzlich charakte-ristisch sind. Was ist für „echte“ Briefe und Briefsammlungen, wie etwa die von Cicero oder von Plinius, typisch und was fällt bei Fälschungen im Unterschied zu einer Literaturgattung auf, die mit dem Stilmittel einer

8 N. Brox, Persönliche Notizen, 275ff. 9 U. Schnelle, Einleitung, 326.

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Problemstellung 15

Fiktion arbeitet? Besondere Bedeutung gewinnen auch in diesem Zusam-menhang wieder die persönlichen Notizen in den Past. Entscheidend ist demzufolge, genau zu definieren, was unter einer persönlichen Notiz zu verstehen ist, wie sie in die spezifische Briefgattung eingebunden und welche Pragmatik damit verbunden ist.

I. 2 Zum Problem der Definition persönlicher Notizen

Von persönlichen Notizen zu sprechen ist dann nahe liegend, wenn sie als direkte oder indirekte Mitteilungen persönlicher Anliegen oder Lebensum-stände mit historischer Zuverlässigkeit oder zumindest korrekter Quel-lenwiedergabe verstanden werden. Durch sie wird dann etwas von der Person des Briefschreibers, ihrer Biographie, ihrem Umfeld und den Um-ständen ihres Lebens und Handelns zu erkennen gegeben. In einem „per-sönlichen“ Brief stellen solche Mitteilungen nichts Besonderes dar. Sie sind als Elemente eines jeden Briefes gattungsspezifisch und begegnen dementsprechend selbstverständlich in unumstrittenen Paulusbriefen, vgl. etwa 1Thess 3,6; 2Kor 8,16; Phil 4,2.14-18 und Phlm 9 u.ö. Die Gattungs-spezifik des Briefes hat zur Konsequenz, dass bei einer persönlichen Mit-teilung in einem fiktiven Schreiben eine bestimmte Phraseologie oder stereotype Wendungen eingesetzt werden, die auch in echten Briefen als stilistische Mittel begegnen. Sie können als Stilmittel sogar in echten Brie-fen einen fiktiven Charakter haben. Um zu einer Präzisierung der inhaltli-chen Bestimmung zu gelangen, legt es sich nahe, derartige Briefelemente aus den anerkannten Paulusbriefen mit den persönlichen Notizen in den Past einem Vergleich zu unterziehen.

Bo Reicke hat darauf verwiesen, dass „persönliche Notizen“, die sich innerhalb der Briefe des Corpus Paulinum finden, neben dem konkreten Situationsbezug durchaus auch rhetorische Absichten haben.10 Die Kunst der Rhetorik hat zum Ziel, „eine Zuhörerschaft auf rationalem Wege dazu zu bringen, etwas Be-stimmtes zu glauben.“11 Dieser argumentative Grundzug ist im Corpus Pauli-num besonders in Gal, Röm und 1/2Kor zu beobachten und schlägt sich auch

10

B. Reicke, Chronologie, ThLZ 101 (1976), 83. W.C. Robinson jr., Exegesis, 102-117. Einen fundierten Überblick über die antike Rhetorik geben W. Eisenhut, Einführung, passim. M. Fuhrmann, Rhetorik, passim. G.A. Kennedy, Classical Rhetoric, passim; ders., History, passim. Speziell zum Brief vgl. W.G. Müller, Brief, 60-68. 11 E.A. Gondos, Theorie, 71.

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Einführung 16

in dem Stil nieder. Bezüglich des Stils12 tritt bei Briefen der ivscno.j carakth,r in den Vordergrund. „Der ivscno.j carakth,r beruht weniger auf dem Inhalt als auf dem Ausdruck. … Beim Ausdruck ist es ihm vor allem um Deutlichkeit und Einfachheit zu tun. Deshalb nimmt er sich die gewöhnliche Umgangssprache zur Richtschnur.“13 Für die Briefe des Paulus würde das auch bedeuten, dass

sie sich, wie schon William Wrede betont hat,14 immer auch an der jeweiligen Sprache der Adressaten orientieren, was eine stilistische Vergleichbarkeit er-schwert und auch für die stilistische Beurteilung der Past zu bedenken ist, die ja als Briefe an Mitarbeiter begegnen. Es kommt diesem Stil an „auf Deutlich-keit und Genauigkeit des Ausdrucks einerseits, der nichts zu viel sagt und nichts weglässt, auf Einfachheit des Ausdrucks andererseits, jedoch mit Ver-meidung aller umständlichen Breite, sodass die Rede überzeugt und den Ein-druck der Glaubwürdigkeit hervorbringt.“15 Die Glaubwürdigkeit wird über die Elemente der Zeugnisse (marturi,a), der Zeichen (shmei/a) und der Beweise bzw. argumentativen Folgerungen (tekmh,ria) sowie des Beispiels (para,deigma) und der Wahrscheinlichkeitsüberlegung (eivko,ta) zu erreichen gesucht.16

Das Zeugnis (martu,rion) ist nicht nur im Sinne der Zeugenaussage ver-wendet (vgl. z.B. 1Kor 15,15), sondern kann auch im übertragenen Sinne ver-standen werden (vgl. etwa Gal 5,3).17 Die Zeichen (shmei/a) haben legitimieren-de Bedeutung, sie weisen z.B. die Indentität oder die Glaubwürdigkeit aus und bedürfen dabei einer Evidenz (für Paulus vgl. z.B. 2Kor 4,10 und auch Gal 6,17).18 Das tekmh,rion hat stärker den Charakter einer Folgerung „und be-

zeichnet das, woraus etwas gefolgert wird.“19 Abgeleitet ist der Begriff von dem Verb tekmai,resqai, dt.: folgern. Verwendung findet es mit dem Ziel, „einer Be-hauptung, die aufgestellt worden ist, Glauben zu verschaffen.“20 Beispiele bei Paulus sind etwa seine Argumentation in 1Kor 11,3-16 oder die Folgerung in 2Kor 5,14-21. Tekmēria stehen deshalb in engem Zusammenhang zu der Frage nach der Wahrheit bzw. Gewissheit.21 Das Beispiel (para,deigma) wird

12 Über die Stilarten in der Antiken Rhetorik vgl. ausführlich R. Volkmann, Rhetorik,

532-551 und auch Ø. Andersen, Rhetorik, 83-94. 13 R. Volkmann, Rhetorik, 542.

14 Vgl. W. Wrede, Aufgabe, 17ff.

15 R. Volkmann, Rhetorik, 542.

16 Vgl. dazu ausführlich E.A. Gondos, Theorie, 71-90.

17 A.a.O., 72-74.

18 A.a.O., 74-76.

19 A.a.O., 76.

20 Ebd.

21 A.a.O., 78-81.

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Zum Problem der Definition persönlicher Notizen 17

abstrahierend im Sinne eines veranschaulichenden Verweises verwendet.22 In diese Richtung gehen z.B. Phil 3,17-19 aber auch die Hinweise auf die Mimesis in 1Thess 1,6; 1Kor 4,16; 11,1; auch 2Kor 9,2. Die Wahrscheinlichkeitsüberle-gung (eivko,ta) ist ein „explizites Argumentieren mit der Wahrscheinlichkeit.“23 In der klassischen Rhetorik fand dabei überwiegend das Wort eivko,j Verwen-dung.24 Es kann dabei auch darum gehen, über Wahrscheinlichkeitsüberle-gungen zur Wahrheit zu führen. Für Paulus ist dies jedoch nicht typisch.

Die Besonderheit der paulinischen Briefe besteht für Reicke auch darin, dass sie „persönliche Botschaften“ sind, „die zugleich allgemeine Lesestücke sein wollten.“25 Sie „enthalten ausgeprägte rhetorische Wendungen und lassen

sich als literarische Ersatzmittel für mündliche Ansprachen verstehen.“26 Das Verfahren, Inhalte mit „rhetorischen Kundgebungen“ als persönliche Botschaf-ten zu stilisieren, ist in der Antike aus Briefen von Cicero und Seneca bekannt. Auch hier begegnen „private“ Briefe, die für eine allgemeine Lektüre veröffent-licht wurden und so den ursprünglichen Privatbrief auf die literarische Ebene hoben.27 Für die Frage nach der Einschätzung der Past bedeutet das: Das Auf-treten rhetorischer Elemente in den persönlichen Notizen besagt im Grundsatz noch nichts in Bezug auf die Frage ihrer Echtheit oder Unechtheit. Es ist aber geraten, das Typische der antiken Pseudepigraphie wie auch der Epistologra-phie überhaupt zu berücksichtigen, um zu sehen, in welcher Weise Paulus28

22

A.a.O., 83-85. 23

A.a.O., 86. 24

Ebd. 25

B. Reicke, Chronologie, 83. Reicke verweist auf folgende Beispiele: Nach 1Thess 5,27 soll der Brief allen Geschwistern vorgetragen werden. Gal 1,2 adressiert an die Gemeinden in Galatien. Durch 1Kor 1,2 wird der Brief an die Gemeinde Gottes in Korinth gemeinsam mit all denen, die an jenem Ort den Herrn anrufen, gerichtet. 2Kor 1,1 richtet den Brief an ganz Achaja. Vergleichbar damit ist auch Kol 4,16 mit der Aufforderung, die Briefe mit Laodizea auszutauschen. Auch die gelegentlichen persönlichen Notizen (vgl. etwa 1Thess 3,6; 2Kor 8,16) gehören nach der Auffassung B. Reickes (ebd.) zu der rhetorischen Absicht, die in den Briefen erkennbar wird. Dieser Auffassung ist auch G.A. Kennedy, der sich in seiner Darstellung der klassi-schen Rhetorik auch auf die Briefe des Paulus bezieht. So ist ihm 1Kor 1,1f. ein we-sentliches Beispiel dafür, dass rhetorische Elemente auch beim Abfassen von Briefen von Bedeutung waren. „Similar conventions can be found in ancient Greek letters, where the salutation was sometimes given futher rhetorical development.“ G.A. Ken-nedy, Classical Rhetoric, 213. Vgl. zur Abfassung von Briefen auch ders., History, 89f.; vgl. auch M. Harding, Tradition, 84-153. 26

B. Reicke, Chronologie, 83. 27

A.a.O., 83f. 28

Bei Paulus verweist Betz z.B. auf die Gliederung des Gal, die sich seiner Auffassung nach an rhetorischen Maßstäben orientiert. H.D. Betz, Galaterbrief, 54-74. Die etwas

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Einführung 18

und die Past derartige Elemente einsetzen. Auf diesem Hintergrund sollte es möglich sein, begrifflich präziser zu bestimmen, was überhaupt unter einer

persönlichen Notiz zu verstehen ist. Brox29 und Peter Trummer30 verwenden diesen Begriff ebenfalls, sprechen

aber auch von „Personalnotizen“31, „persönlichen Passagen“32 und von „Pau-

lusanamnese“.33 Trummer rechnet dazu ebenso „Personalinstruktionen“ und

die Erwähnung von „Antagonisten“.34 Schon bei von Harnack und dann bei Joachim Jeremias finden sich dagegen Formulierungen wie „geschichtliche Einzelheiten“35, „Personalangaben“36 oder „persönliche Ergüsse“37.

Auffällig ist, dass sich die Begriffe bei den Befürwortern des pseudepigra-phischen Charakters der Past besonders stark unterscheiden und sich auf verschiedene Themenfelder beziehen. Außerdem ist die Zuordnung der entsprechenden Texte zu dem Komplex der persönlichen Notizen sowohl bei unterschiedlichen wie bei übereinstimmenden Auffassungen nicht einheitlich. Es besteht demnach Klärungsbedarf hinsichtlich der Begriff-lichkeit: Was ist eine persönliche Notiz, wenn von einem literarischen Stilmittel antiker Pseudepigraphie die Rede ist? Daraus ergibt sich die Frage nach der textlichen Zuordnung: Welche Texte der Past können so verstanden als persönliche Notizen bezeichnet werden? Nur so kann es zu einer angemessenen Beurteilung der persönlichen Notizen in den Past und ihrer möglichen Pseudepigraphie kommen und eine Einschätzung als Ge-samtschreiben im Vergleich mit den anerkannten Paulusbriefen angemes-

weitgehende Analyse schränkt C.J. Claasen allerdings zurecht ein, ders., Paulus, 1-33, Beispiele für die Vertrautheit mit den Normen des antiken Briefstils und der Kombination von rhetorischen und persönlichen Elementen wie z.B. mnei,an poi- ou,menai finden sich in 1Thess 1,2; Röm 1,9; Phlm 4. Vgl. dazu W.C. Robinson jr., Exegesis, 102-117. 29

N. Brox, Notizen, 272. 30

P. Trummer, Mantel, 193, ders., Paulustradition, 78. 31 A.a.O., 133f.

32 N. Brox, Pastoralbriefe, 56.224, verwendet beide Bezeichnungen.

33 N. Brox, Notizen, 277.280.

34 P. Trummer, Paulustradition, 116-140.

35 A.v. Harnack, Briefsammlung, 14f. J. Jeremias, Briefe, 9.

36 J. Jeremias, Briefe, 9.

37 A.v. Harnack, Briefsammlung, 14f.

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Zum Problem der Definition persönlicher Notizen 19

sen geschehen. Zunächst soll nun der Weg aufgezeigt werden, auf dem die Bearbeitung der dargestellten Fragestellung erfolgt.

I. 3 Vorgehensweise

Als Ausgangspunkt für die Bearbeitung der Frage nach der angemessenen Einschätzung der Past empfiehlt sich ein Überblick über die bisherige Behandlung und Bewertung der persönlichen Notizen in der Forschung. Dabei kann es im Rahmen dieser Arbeit nur um einen repräsentativen Überblick gehen, bei dem zwei Gesichtspunkte leitend sind: Zum einen ist die Frage zu beantworten, welche argumentative Funktion die „persönli-chen Notizen“ bei den unterschiedlichen Beurteilungen der Past einneh-men. Zudem muss der Textbestand geklärt werden, von dem die jeweiligen Auffassungen ausgehen. Notwendig ist ebenso die Bestimmung von We-sen, Bedeutung und Funktion einer persönlichen Notiz. Dieser Überblick wird deutlich machen, welche Argumente und Hypothesen zu den abwei-chenden Beurteilungen der „persönlichen Notizen“ und damit der Past überhaupt führen.

Im Anschluss an die Klärung der forschungsgeschichtlichen Aus-gangssituation geht es um die Erarbeitung der historischen Grundlagen, mit Hilfe derer eine Einschätzung der persönlichen Notizen in den Past überhaupt möglich wird. Dazu ist methodisch ein Vergleich mit der anti-ken Epistolographie einerseits und der pseudepigraphischen Literatur andererseits erforderlich, denn von ihrem Selbstverständnis her treten die Past als Einzelbriefe auf, ihre Überlieferung und überwiegende Wahrneh-mung in der Forschung jedoch sieht sie als Teil einer Sammlung oder so-gar als eigenständige Sammlung auf literarischer Ebene. Dabei ist die Auswahl der Vergleichstexte von dem zu bearbeitenden Gegenstand her einzugrenzen. Ins Blickfeld rücken deshalb wirkliche und pseudepigraphi-sche Briefe sowie die Briefliteratur, wobei auf die Bedeutung von persönli-chen Notizen bei der Durchführung von Pseudepigraphie bzw. der Echtheitsbeglaubigung von wirklichen Briefen geachtet werden muss.

Für diese vergleichende Analyse sind präzisere begriffliche Bestim-mungen der Kategorien aus dem Bereich der Epistolographie und Papyro-logie sowie der Pseudepigraphie erforderlich, als sie bisher vorgenommen wurden. Für den Bereich der Papyrologie werden gelegentlich auch wei-tergehende Überlegungen notwendig, um den Kontext und die Gegeben-heiten der Entstehung antiker Briefe aufzuzeigen. Das ist für die Bewer-tung einzelner Phänomene, die in solchen Briefen begegnen, eine oft nicht hinreichend beachtete Voraussetzung. Dieser Abschnitt wird daher ein eigenes Gewicht haben, da eine Aufarbeitung dieser Bereiche unter der

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Einführung 20

gegebenen Fragestellung bisher nicht vorgenommen worden ist. Auch diese Überlegungen erfolgen unter besonderer Berücksichtigung der Fra-gen, woran eine Fälschung erkennbar und wie die Echtheitsbeglaubigung von antiken Privatbriefen zu bewerten ist. Zur Veranschaulichung und Konkretisierung der Phänomene werden, wenn möglich, auch Abbildungen herangezogen.

Die klare begriffliche Bestimmung einer persönlichen Notiz muss schließlich innerhalb des differenzierten Phänomens der antiken Pseud- epigraphie erfolgen, um eine angemessene Einordnung der Past in diesen Kontext oder eine Zuordnung zu ihm und somit eine dementsprechende Charakterisierung der persönlichen Notizen möglich zu machen. Denn auch unter der Voraussetzung, dass sich die Past einer Fiktion verdanken, ergeben sich auf diesem Hintergrund Konsequenzen für die Bestimmung des Charakters der persönlichen Notizen. Nicht unberücksichtigt bleiben darf ebenso, dass die Past als Schreiben des Apostels an seine Mitarbeiter verfasst worden sind. Darum muss vor allem diejenige antike Briefliteratur berücksichtigt werden, die dieser Ausrichtung der Past entspricht. Beson-dere Wichtigkeit gewinnt dabei nicht zuletzt die Frage, welche Konse-quenzen die Zusammenstellung derartiger ursprünglicher Einzelbriefe zu Briefsammlungen für ihr Verständnis und ihre Bedeutung bzw. Deutung besitzt. Zudem umfasst dieser Arbeitsschritt die Aufgabe, die persönlichen Notizen der Past mit den gewonnenen Einsichten zum Gebrauch der hier interessierenden Briefelemente in den anerkannten Paulusbriefen ins Verhältnis zu setzen.

Im Anschluss an die Erarbeitung der Argumentationsgrundlagen sol-len die erzielten Ergebnisse mit den entsprechenden Texten der Past in Beziehung gesetzt werden. Wenn dieser Vergleich erfolgt ist, bleibt ab-schließend die Aufgabe, den Ertrag zusammenzufassen und seine Konse-quenzen für die Beurteilung der persönlichen Notizen der Past und die Einschätzung von 1Tim, 2Tim und Tit als Einzelbriefe sowohl in ihrer Un-terschiedlichkeit als auch in ihrer Zusammengehörigkeit darzulegen.

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II. Zur Forschungslage

II. 1 Die Ausgangsproblematik

Die Problematik der Past und ihre Beurteilung als pseudepigraphische Schreiben lassen sich exemplarisch an zwei gegensätzlichen Beobachtun-gen anschaulich machen. Einerseits wird den Past ein „unpaulinischer“ Sprachstil38 bescheinigt, andererseits aber wird auf „Anlehnungen“ an die paulinische Ausdrucksweise verwiesen,39 die sich in Gemeinsamkeiten des

38

Vgl. Ph.Vielhauer, Literatur, 223; N. Brox, Pastoralbriefe, 46-49; D. Cook, Frag-ments, 120-131. Zu den Besonderheiten zentraler theologischer Begriffe in den Past vgl. H.v. Lips, Glaube, passim. P. Trummer, Paulustradition, 28-34, hier bes. 33: „Will man diese Besonderheiten nicht aus der Weite des pln Denkens und Stils, dem Alter des P[aulus] u.ä. erklären, ist nur mehr mit der Möglichkeit einer nichtpln Verfasser-schaft zu rechnen.“ U. Wagener, Ordnung, 14; vgl. C. Looks, Rezeption, 34-37. Er sieht in den sprachlichen Unterschieden aber keinen Anlass, eine Authentizität prinzipiell auszuschließen. „Nach meiner Auffassung sind die sprachlichen, stilisti-schen Unterschiede nicht zu übersehen. Trotzdem scheint mir die Lösung des Prob-lems nicht in der schlichten Annahme einer ‚Fälschung‘ liegen zu können.“ A.a.O., 37. Vgl. ähnlich J.J. O’Rourke, Considerations, 483-490 über die Unzulänglichkeit von wortstatistischen und stilistischen Argumenten, Beobachtungen, die durch die Aus-führungen zur Sekretärshypothese (Pkt. II.4; vgl. den Exkurs zu den Haftbedingen im Römischen Reich) unterstützt werden. Vgl. dazu auch N. Bolz, Stilforschung, 193-222. 39

„Bei aller Selbständigkeit und Eigentümlichkeit des Sprachgebiets, über welches unser Verfasser verfügt, kennzeichnet ihn doch als secundären Schriftsteller und pedissequus Pauli eine weitgehende Abhängigkeit, in welcher er sich, was Wortvor-rath, Ausdrucksmittel und Redewendungen betrifft, von der paulinischen Literatur befindet.“ H.J. Holtzmann, Pastoralbriefe, 109f., vgl. ders., Lehrbuch, 286; P.N. Harri-son, Problem, 6f.; M. Dibelius/H. Conzelmann, Pastoralbriefe, 4; N. Brox, Pastoralbrie-fe, 67f.; H.M. Schenke/K.M. Fischer, Einleitung, 225; P. Trummer, Paulustradition, 88.

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Zur Forschungslage 22

Sprachgebrauchs40 niederschlagen. Im 19. Jh. hat man daher eine literari-sche Bezugnahme auf echte Briefe des Paulus angenommen.41 Die literari-sche Abhängigkeit der Past von zumindest einigen Briefen des Corpus Paulinum wurde in verschiedener Form vertreten.42 So rechnet Trummer zunächst mit einer literarischen Abhängigkeit der Past von Röm und 1Kor43 und weitet seine Vermutung später auch auf mögliche Abhängigkei-ten von 2Kor, Phil und Phlm aus.44 Andreas Lindemann nimmt allein eine Kenntnis der Past von Röm und 1Kor an.45 Dagegen hält Gerhard Lohfink46 nur eine Abhängigkeit vom Röm für belegbar, Anthony Tyrrell Hanson47 eine Abhängigkeit vom Röm und Phil und David Cook48 nur vom Phil. Wer-ner Stenger kann festhalten: „Man wird dem Verfasser der Pastoralbriefe eine intime Kenntnis der echten Paulinen zuschreiben müssen.“49 Darüber

40

H.v. Soden, Pastoralbriefe, 178; vgl. dazu M. Wolter, Pastoralbriefe, 14f. Wolter betont aber hingegen auch die Eigenständigkeit des Verfassers der Past: „Seine sprachliche Kompetenz, wie sie in den drei Briefen greifbar wird, konstituiert sich nicht nur durch paulinische Sprachtradition oder gar literarische Abhängigkeit von den authentischen Paulusbriefen, sondern ist auch … durch hellenistisch-jüdische Sprachtradition bestimmt.“ A.a.O., 25. Holtz hebt hingegen hervor: „Unsere Briefe würden nie in das Corpus Paulinum aufgenommen sein, wenn sie nicht mit den älteren Briefen sprachlich eng verwandt wären.“ G. Holtz, Pastoralbriefe, 6; vgl. C. Looks, Rezeption, 37. 41

H.J. Holtzmann, Pastoralbriefe, 110; W. Brückner, Reihenfolge, 278f.; H.v. Soden, Pastoralbriefe, 178. 42

Kritischer äußert sich dazu M. Wolter, Pastoralbriefe, 25. A. Merz versucht aufzu-zeigen, dass sich die Past und demnach auch ihre Sprache einem intertextuellen Rezeptionsprozess verdanken und daher zu beobachtende Bezüge oder Abhängigkei-ten nicht allein auf literarische Abhängigkeit zurückzuführen sind: „Denn jede Text-produktion beruht zu einem entscheidenden Teil auf der Rezeption von früheren Texten und jede Textrezeption ist gewissermaßen die Produktion eines neuen Textes über einen Text. Daher erfordert eine an der potenzialadäquaten Interpretation von Texten interessierte Herangehensweise eine gleichberechtigte Berücksichtigung von produktions- und rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten.“ A. Merz, Selbstausle-gung, 377. 43

P. Trummer, Paulustradition, 241. 44

P. Trummer, Corpus Paulinum, 130. 45

A. Lindemann, Paulus, 146. 46

G. Lohfink, Vermittlung, 188. 47

A.T. Hanson, Domestication, 402-418. 48

D. Cook, Fragments, 120-131; vgl. J. Wanke, Paulus, 186. 49

W. Stenger, Gestalten, 261 (Hervorh. d.Vf.).

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Die Ausgangsproblematik 23

hinaus spielt neben traditionsgeschichtlichen Überlegungen, die in Erwä-gung ziehen, dass sich die Kenntnis der paulinischen Theologie in den Past durch mündliche Überlieferungsprozesse vermittelt hat,50 sich also „lebendiger Gemeindetradition“51 verdankt, die sog. „Fragmentenhypothe-se“ eine Rolle,52 in der die Verarbeitung echter Brieffragmente in den Past angenommen wird. Sie versucht, sowohl den sprachlichen Besonderheiten der Past im Unterschied zu den unumstrittenen Paulusbriefen als auch der persönlichen und als nicht erfindbar erscheinenden Eigenart einzelner Textabschnitte Rechnung zu tragen.

Unter diesen Voraussetzungen kann die Frage nach Bedeutung und Funktion der „persönlichen Notizen“ in den Past drei Antworten finden:

1. Hinter den persönlichen Notizen steht eine wie auch immer geartete

paulinische Verfasserschaft; entweder ist das für den jeweiligen gesamten Brief Paulus selbst oder ein Sekretär von ihm bzw. jemand, der authenti-sche Fragmente des Paulus mit einer ansonsten pseudepigraphischen Fiktion verbunden hat.

2. Durch die „persönlichen Notizen“ und die Anlehnung an die paulini-sche Ausdrucksweise soll die Glaubwürdigkeit der Fälschung erhöht wer-den.

3. Mit den „persönlichen Notizen“ ist darüber hinaus eine lehrhafte oder gar theologische Absicht verbunden.53

Die Aufgabe einer präzisen begrifflichen Bestimmung der „persönli-

chen Notizen“ stellt sich für Vertreter der unter 1. genannten Ansicht nicht, denn sie setzt voraus, dass diese Notizen authentisch sind und per-sönliche Züge selbstverständliche Bestandteile eines persönlichen Briefes sind. Aus dieser Sicht ist in den Past nur das für einen „Paulusbrief“ be-

50

So schon E. Käsemann, Überblick, 215. Auch Ellis rechnet mit einem starken Ein-fluss von Tradition. E.E. Ellis, Pastoralbriefe, 210. Lohfink betont das Nebeneinander von literarischer und nichtliterarischer Tradition. G. Lohfink, Vermittlung, 169-188; vgl. ders. Rezeption, 70-121. „Those scholars whose work I examined in the section on Traditionsgeschichte have demonstrated how much the PE (Pastoral Epistles, d.Vf.) are indebted to the received Pauline tradition, which, I surmise, may have been transmitted to the churches of the PE primarly through a corpus of ten letters.” M. Harding, Tradition, 231. 51 P. Trummer, Corpus Paulinum, 130.

52 Vgl. dazu J. Roloff, Pastoralbriefe, 54; M. Prior, Letter-Writer, 17f.; D. Cook, Frag-

ments, 121; G. Holtz, Pastoralbriefe, 13-16; frühere Vertreter bei H.J. Holtzmann, Pastoralbriefe, 14f. 53 Vgl. auch B. Reicke, Chronologie, 81.

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Zur Forschungslage 24

sonders Persönliche bzw. geschichtlich Konkrete auffällig. Die „persönli-chen Notizen“ unterschiedlicher Art werden zum Argument für die Au-thentizität der Past. Die Vertreter der unter 2. und 3. genannten Auffas-sungen arbeiten dagegen mit den aufgezeigten wechselnden Begriffen. Hier ist eine Klärung der Begrifflichkeit erforderlich, insbesondere auf dem Hintergrund der Frage nach den persönlichen Notizen in vergleichbarer antiker pseudepigraphischer Literatur, die als maßgebliches Vergleichs- und Belegmaterial herangezogen wird

II. 2 Persönliche Notizen als Argument für die Echtheit

Als namhafter Vertreter der Echtheit der Past hat Jeremias betont: „Vor allem sind es zahlreiche geschichtliche Einzelheiten (bes. 2.Tim. 4,9-21; 1,5.15-18; 3,14f.; Tit 3,12-14), die sich dagegen sträuben, als Fälschung behandelt zu werden, wie z.B. die Bitte um den in Troas bei Karpus zu-rückgelassenen Mantel (2.Tim. 4,13). Obwohl es richtig ist, dass es zur Kunst der damaligen Pseudepigraphen gehörte, nachgeahmte Briefe durch frei erfundene, möglichst plastische und konkrete Züge als echt erscheinen zu lassen, so wirken die Personalangaben namentlich 2.Tim. 4,9-21 doch in keiner Weise klischeehaft. Das Einmalige der Situation und das innige Verhältnis von Schreiber und Empfänger wird stets der Hauptgrund für die Echtheit der Briefe bleiben.“54 Diese Einschätzung von Jeremias gehört auch maßgeblich zu den Argumenten derer, die in jüngster Zeit wieder verstärkt für die Echtheit der Past plädieren.55 Bereits Jeremias hat dem-nach auf die Notwendigkeit einer klaren begrifflichen Bestimmung der „persönlichen Notiz“ als pseudepigraphischem Stilmittel hingewiesen, denn nach seiner Ansicht entsprechen die in den Past in Frage kommen-den Abschnitte nicht den für die Pseudepigraphie von Briefen typischen Klischees. Dabei gehörte es nach Jeremias durchaus „zur Kunst der dama-ligen Pseudepigraphen“, von ihnen verfasste Briefe durch „plastische und konkrete Züge als echt erscheinen zu lassen“.56 Die „Personalangaben na-

54

J. Jeremias, Briefe, 9. Weitere Vertreter der Echtheit sind G. Wohlenberg, Pasto-ralbriefe (31923); A. Schlatter, Kirche (1936); W. Michaelis, Einleitung (1961); B. Reicke, Chronologie (1976); H. Bürki, Erster Timotheus (41980); Zweiter Timotheus (41982); E.E. Ellis, Autorship (1960); vgl. zu weiteren Vertretern A. Weiser, Zweiter Timotheus, 55. 55 Vgl. oben Anm. 3.

56 J. Jeremias, Briefe, 9.

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Persönliche Notizen als Argument für die Echtheit 25

mentlich 2.Tim. 4,9-21“ aber sind nach seinem Urteil „in keiner Weise klischeehaft“, sondern spiegeln „das Einmalige der Situation und das inni-ge Verhältnis von Schreiber und Empfänger“. Diese Differenzierung ist zu überprüfen, insbesondere hinsichtlich der Kriterien, nach denen „Kli-scheehaftigkeit“ und „Einmaligkeit“ zu bestimmen sind. Trifft die Ein-schätzung von Jeremias zu, werden die „persönlichen Notizen“ entweder zu einem Argument für die Authentizität oder für die Fälschung mit Täu-schungsabsicht.

Die sog. Fragmentenhypothese sucht demgegenüber einen mittleren Weg. Auch sie hält die persönlichen Abschnitte für authentische Elemente, allerdings im Rahmen einer pseudepigraphischen Fiktion. Es wird zu dis-kutieren sein, ob die Unterscheidung zwischen echten Briefteilen (und damit möglicherweise auch authentischen persönlichen Notizen) und un-echten tragfähig ist.

II. 3 Persönliche Notizen als Argument für authentische Brieffragmente

Nach Trummer sind es vor allem „die persönlichen Notizen, die zur Frag-mentenhypothese Anlaß geben.“57 Und er fügt hinzu: „Dabei ist sicherlich nicht die Möglichkeit auszuschließen, sondern im Gegenteil eher wahr-scheinlich, daß P[aulus] neben den bekannten Gemeindebriefen noch eine Reihe von persönlichen Mitteilungen in Briefform verfasste.“58 Damit ver-weist Trummer auf eine Position, die schon von Harnack zur Diskussion gestellt hatte, um den angedeuteten Schwierigkeiten bei einer angemesse-nen Einschätzung der Past Rechnung zu tragen. Von Harnack betonte wie später Jeremias die Besonderheit des Charakters der „persönlichen Noti-zen“ in den Past im Unterschied zur pseudepigraphischen Literatur aus christlichem Umfeld.59 Gleichermaßen hob er aber auch die für eine pauli-nische Verfasserschaft problematischen Eigenheiten der Past hervor. Von Harnack ging daher unter historischem Blickwinkel davon aus, dass die drei Mitarbeiterbriefe der Paulusbriefsammlung hinzugefügt worden sind, „als noch Zeitgenossen des Paulus am Leben waren. Nicht nur das spricht

57

P. Trummer, Paulustradition, 50. 58

Ebd. 59

Er bemerkte spitz: „Wem das Stilgefühl dafür fehlt, daß es mit den persönlichen Angaben in II. Tim. eine andere Bewandtnis hat als z.B. mit denen in den ‚Acta Pauli‘, mit dem ist nicht zu streiten.“A.v. Harnack, Briefsammlung, 74, Anm. 28.

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Zur Forschungslage 26

für ihre Echtheit – doch ist es kein durchschlagendes Argument – sondern auch zahlreiche geschichtliche Einzelheiten in den Briefen, die sich dage-gen sträuben, als Fälschungen beurteilt zu werden, sowie einige persönli-che Ergüsse und lehrhafte Stellen, größtenteils in 2Tim. Aber andererseits kann alles das, was den eigentlichen Charakter der Briefe darstellt …, in sachlicher und noch mehr in stilistischer Hinsicht nicht vom Apostel her-rühren. Ohne kritischen Gewaltstreich kann man daher weder die Echtheit noch die Unechtheit dieser Briefe, so wie sie vorliegen, behaupten. Es bleibt also nichts übrig, als sie für pseudopaulinische Schriftstücke zu halten, in welche paulinisches Gut eingearbeitet ist, am meisten in 2Tim., der umgekehrt auch ein interpolierter Paulusbrief sein kann. Aber mit dieser Erkenntnis ist leider noch wenig gewonnen, da eine einfache Aus-scheidung des paulinischen Guts nicht gelingen will und da uns alle Mittel fehlen, positiv die Entstehung dieser Briefe zu begreifen.“60

Von Harnack plädiert hier faktisch für die Fragmentenhypothese.61 In neuerer Zeit hat Percy Neale Harrison versucht, dieser Hypothese präzise-re Konturen zu geben. Er betrachtet Tit 3,12-15; 2Tim 4,13-15.20.21a; 4,9-12.22b; 1,16-18 als solche authentischen Fragmente,62 von denen 2Tim 1,16-18; 4,9-22 und Tit 3,12-15 den Texten entsprechen, die als „persönli-che Notizen“ klassifiziert werden. James David Miller meint dagegen im 2Tim eine Komposition aus Teilen entdeckt zu haben, die jeweils als au-thentische Abschnitte des Paulus gelten müssen: Abschnitt A: 2Tim 1,1f. (3-5?).15-18; 4,6-8.22a; Abschnitt B: 2Tim 4,9-21.22b.63 Es fällt auf, dass bei diesen Fragment-Rekonstruktionen im 1Tim offenbar keine authentischen Fragmente identifiziert oder auch nur vermutet werden können. Unter den Befürwortern der Fragmentenhypothese kann es jedoch auch zu einem Wechsel der Blickrichtung kommen. Es wird nicht nur, wie bei von Har-nack, die Auffassung vertreten, in „unechte Paulusbriefe“ seien echte Stü-cke eingearbeitet worden, lediglich der 2Tim könnte „ein interpolierter Paulusbrief sein“.64 Vielmehr werden, wie bei Hermann Binder, alle Past als ursprünglich authentische Paulusbriefe angesehen, in die später kirch-

60

A.a.O., 14f. 61

P.N. Harrison, Problem, passim; C.K. Barrett, Pastoral Epistles, passim; J.D. Miller, Letters, passim; Vgl. dazu J. Roloff, Pastoralbriefe, 54; M. Prior, Letter-Writer, 17f., D. Cook, Fragments, 121; W. Schmithals, Pastoralbriefe, 146; U. Wilckens, Neues Testa- ment, 740; frühere Vertreter bei H.J. Holtzmann, Pastoralbriefe, 14f. 62

P.N. Harrison, Problem, passim. 63

J.D. Miller, Letters, passim. 64

A.v. Harnack, Briefsammlung, 15.

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Persönliche Notizen als Argument für authentische Brieffragmente 27

liche Ergänzungen hinzugefügt worden sein sollen.65 Im Ergebnis seiner Überlegungen kommt Binder zu dem Schluss, die Pastoralbriefe seien „–nach Abzug einiger nachträglicher Erweiterungen, die für den kirchlichen Dienstgebrauch notwendig waren, – ursprünglich kürzere paulinische Schreiben.“66 Aus pseudopaulinischen Schriften, die paulinisches Gut ent-halten (wie z.T. von Harnack, aber auch Harrison und Miller vermuten), werden bei Binder paulinische Schreiben, die durch pseudopaulinische Abschnitte ergänzt wurden.

Zu Recht beklagen Trummer67 und Brox68 das Fehlen von belastbaren Kriterien bei der Rekonstruktion von authentischen Paulus-Fragmenten in den Past.

Insbesondere Trummer verweist darauf, dass trotz der grundsätzlichen Möglichkeit der Verarbeitung „von persönlichen Mitteilungen in Brief-form“, die „versuchte Ortung in den Past“ erhebliche Schwierigkeiten be-reitet.69 Auch schon von Harnack, der bei Brox und Trummer in diesem Zusammenhang unerwähnt bleibt, hatte auf das kriteriologische Problem bei der Rekonstruktion der fraglichen Abschnitte aufmerksam gemacht, ihre Verarbeitung nur prinzipiell nicht ausgeschlossen.70 Lediglich auf Grund der Problematik, hier sachgerecht rekonstruieren zu können, kann das Vorhandensein solcher Fragmente nicht ausgeschlossen werden. Von Harnack hat sich als vorsichtig abwägender Historiker71 trotz ähnlicher Beobachtungen, wie sie später auch Trummer und Brox gemacht haben, dafür offen gehalten.72 Die Möglichkeit, dass konkrete Mitteilungen oder Vorstufen bzw. Abschriften von Briefen bei der Abfassung von Paulusbrie-fen z.B. durch einen Sekretär, Mitarbeiter oder durch Paulus selbst ver-wendet wurden, sollte nicht kategorisch ausgeschlossen werden. In diese

65

H. Binder, Situation, 70-83, hier 71f., der sich in seiner Darstellung jedoch nicht auf A.v. Harnack bezieht. 66

H. Binder, Situation, 83. 67

P. Trummer, Paulustradition, 50. 68

N. Brox, Notizen, 274. 69

P. Trummer, Paulustradition, 50. Erschwerend kommt hinzu, dass „eine Verschach-

telung von mehreren Briefen in der antiken und spätantiken Literatur analogielos wäre.“ So C. Wolff, Zweiter Korintherbrief, 2. 70

Er betont, dass „eine einfache Ausscheidung des paulinischen Guts nicht gelingen will“. A.v. Harnack, Briefsammlung, 15. 71 Ebd.

72 Ebd.

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Zur Forschungslage 28

Richtung argumentiert auch die „Sekretärshypothese“, die im Folgenden zu beleuchten ist und die einen weiteren Vorschlag für die Erklärung der Besonderheiten der Past darstellt. Anlass für diese Überlegungen sind neben stilistischen Fragen auch hier die „persönlichen Notizen“.

II. 4 Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit

Die Sekretärshypothese73 bemüht sich, die zur Fragmentenhypothese An-lass gebenden Besonderheiten der Past unter Wahrung ihrer Authentizität zu erklären. Sie trägt so den Schwierigkeiten Rechnung, denen sich die Fragmentenhypothese ausgesetzt sieht und versucht, die stilistischen Ei-genheiten der Past, die gegen eine direkte Verfasserschaft durch Paulus sprechen, mittels des Einflusses eines Sekretärs zu erklären.74 Otto Roller hat die Evidenz dieser Hypothese aufgrund seiner umfangreichen Arbeit zur antiken Epistolographie entschieden vertreten und ausführlich zu begründen versucht.75 Wichtige Einsichten und Anhaltspunkte steuert hier auch die klassische Urkundenlehre der paläographischen Altertums-wissenschaft bei.76 Richard Norman Longenecker hat zu Recht kritisiert, dass die Ergebnisse der Erforschung antiker Epistolographie bei der Ana-lyse der Past bisher kaum berücksichtigt wurden.77 Durch die Ergebnisse dieses Forschungsbereiches kommt es zu einer deutlichen Problematisie-rung stilistischer und wortstatistischer Argumente, die meist zu klassi-schen Argumenten gegen die Echtheit der Past geworden sind.78

Schon Roller hat gezeigt, wie wichtig der Einfluss von Sekretären auf den Stil antiker Briefe gewesen ist.79 Ernest Randolph Richards hat in jün-

73

O. Roller, Formular, passim; J. Jeremias, Briefe, passim; J.N.D. Kelly, Pastoral Epist-les, passim; C.F.D. Moule, Problem, 430ff.; C. Spicq, Épitres Pastorales II, passim; G. Holtz, Pastoralbriefe, 13ff. 74

J. Roloff, Erster Timotheus, 30: „Vokabular und Stil [sprechen] eindeutig gegen eine paulinische Verfasserschaft.“ Vgl. A. Weiser, Zweiter Timotheus, 58. 75

O. Roller, Formular, passim. 76

F. Dölger, Diplomatik, passim. Dieser Frage wird in dem Abschnitt III.2 genauer nachzugehen sein. 77

R.N. Longenecker, Ancient Amanuenses, passim. 78

A.a.O., 293f. 79

O. Roller, Formular, 14ff.

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Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit 29

gerer Zeit dafür weitere Belege beigebracht.80 Ein Grund für die Inan-spruchnahme von Sekretären war der Umstand, dass das Schreiben in der Antike unter Alltagsbedingungen sehr mühevoll war.81 Sowohl weniger bedeutsame Briefe und Alltägliches als auch wichtige Schreiben ließ man daher von einem Schreiber verfassen. War dies der Fall, so wies der Schreiber gelegentlich darauf hin. Ein Beispiel hierfür ist der unten näher erläuterte Brief des ägyptischen Grundbesitzers Asklepiades.82 Ein Hin-weis, dass diese Verfahrensweise gleichermaßen für den frühjüdischen Bereich anzunehmen ist, stellt der Schuldschein PMur 18 dar. Zeile 10 lautet: „es hat geschrieben Jehosef, Sohn ... nach Diktat“83. Verfasser und Schreiber sind somit nicht identisch. „Die Eigenhändigkeit ist ... bei Brie-fen als Regel sicherlich nicht vorauszusetzen.“84 Sie war nicht ungewöhn-lich, „das Gegenteil aber das Häufigere“85.

Auch Paulus hat seine Briefe, mit Ausnahme vielleicht des Phlm, nicht eigenhändig geschrieben.86 Ein Grund lag eben darin, dass auch für geübte Hände das Schreiben mühevoll und langwierig war.87 Die Notiz in PMur 18 und am Ende des Asklepiadesbriefes: „Es schrieb für ihn Eumelos Hermaʼ ... (…) Sohn, darum ersucht, weil jenem das Schreiben etwas langsam von der Hand geht“, scheint dies anzudeuten.88 Kurze Briefe wie der des Asklepi-ades können wörtlich diktiert worden sein. Für Cicero ist dies für kurze Briefe jedenfalls belegt:89 „Hätte ich selbst geschrieben, wäre der Brief länger geworden, wegen kranker Augen diktiere ich ihn aber.“90 Bezüglich des Dik-tierens stellt daher Hans-Josef Klauck zu Recht mit Blick auf die Äußerun-gen Ciceros fest: „Daß wir uns damit wieder in großer Nähe zu den Paulus-

80

E.R. Richards, Secretary, 15-127. 81

Vgl. O. Roller, Formular, 4-14, Anm. 52, 61, 69, 70-73, 77, 78, 80, 85A. 82

U. Wilcken, Griechische Ostraka II, Nr. 1027; vgl. ausführlich Pkt. III.2.1.2. 83

Hrmam [ r]b @swhy b[tk] 84

O. Roller, Formular,14. 85

A.a.O., 15. 86

A. Deissmann, Licht, 200; s.u. Anm. 116. 87

O. Roller, Formular,16f. 88

Über die Langsamkeit des Schreibens vgl. a.a.O., 9ff. und 272ff. 89

Zu Cicero und seinen Briefen vgl. H.-J. Klauck, Briefliteratur, 126-133. 90

Zu Gal 4,15 u. 6,11 vgl. Cic Fam IX,8; ad Quintum fratrem II,2; III,1; Att II,23; IV,16; V,17; VII,13b; VIII,12; VIII,13.

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Zur Forschungslage 30

briefen befinden, die vom Apostel einem Schreiber diktiert und teils mit eigenhändigen Postskripten versehen wurden, braucht kaum eigens her-ausgestellt werden.“91

Längere Schreiben wurden nicht wörtlich diktiert, weil „das Diktieren selbst eine wenig bequeme und zeitraubende Sache [war, d.Vf.], denn die Schreiber waren nicht gewohnt, satzweise nachzuschreiben, sondern es mußte ihnen Silbe für Silbe vorgesprochen werden.“92 Für den Fall des langwierigen wörtlichen Diktierens sind Diktierpausen erforderlich oder ergeben sich aus der konkreten Situation.93 Erich Stange hat einige mögli-che Hinweise auf Diktierpausen in den Paulusbriefen aufgezeigt,94 an de-nen dann ein wörtliches Diktieren bei den Paulusbriefen deutlich werden würde.

Roller hat dagegen angenommen, die üblichere und für die Paulusbrie-fe wahrscheinlichere Verfahrensweise sei diejenige, Vorgaben zu machen, die der Schreiber oder Mitarbeiter nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß nachschrieb.95 Diese Vorgaben seien nicht nur mündlich erfolgt, sondern auch in groben Konzepten und Entwürfen.96 Für die Aussage in Röm 16,22: „ich Tertius, der ich diesen Brief schreibe“ würde dann anzunehmen sein, dass Tertius den Röm nur sinngemäß orientiert an Vorgaben nachge-schrieben hätte. Diese Sicht steht aber in Spannung zu den von Stange beobachteten Diktierpausen, die auf ein wörtliches Diktat hindeuten. Mög-licherweise war Paulus auch in der Wahl des Diktats variabel.97

Es ist nach diesen Ausführungen anzunehmen, dass die Erwähnung von Mitarbeitern am Beginn und am Schluss der Briefe neben der Aufgabe, die Gemeinde zu repräsentieren und die Leitungsverantwortung mit wahr-zunehmen,98 auch aus deren Mitwirken an der Abfassung oder auch dem Versenden des Briefes resultiert.99

91

H.-J. Klauck, Briefliteratur, 132. 92

O. Roller, Formular, 305ff.; Cic Att XIII,25,3; Sen.ep. 40,10. 93

E. Stange, Diktierpausen, 109-117. 94

So z.B. das bezeichnende evgw. Pau/loj bzw. Pau/loj am Satzanfang besonders bei Gal 5,2 u. 2Kor 10,1; E. Stange, Diktierpausen, 113ff. 95

Vgl. dazu ausführlich O. Roller, Formular, 334ff. 96

Wahrscheinliche Beispiele: St. Witkowski, Epistolae, Nr. 39; 40; vgl. die ausführli-che Begründung bei O. Roller, Formular, 337f.; s.u. Pkt. IV.5.4.2. 97

Vgl. R.N. Longenecker, Ancient Amanuenses, 287. 98

Irene Taatz zeigt, dass eine „einseitige Herleitung des paulinischen Briefs von den griechischen Konventionen her“ für ein angemessenes Verständnis des Corpus Pau-

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Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit 31

Für die Frage der Stilkritik und des sprachlichen Vergleichs von Briefen sind diese Beobachtungen zu berücksichtigen, auch wenn die Kriterien dafür nur schwer zu definieren sind. Je nach Grad der Mitwirkung von Mitarbeitern, je nach Art der Niederschrift wird es auch Verschiedenheiten in Sprache und Stil geben. Eine wirkliche Vergleichbarkeit auf literari-scher Ebene wäre nur unter der Voraussetzung des gleichen Abfassungs-verfahrens und der gleichen Intensität derselben mitwirkenden Personen gegeben. Für das Corpus Paulinum deuten z.B. Röm 16,22; Gal 6,11 (4,15) und 2Kor 10,1 eine intensive Mitwirkung an. Für die Rolle persönlicher Züge in den paulinischen Briefen bedeutet diese Vorgehensweise, dass der persönliche Anteil des Absenders beschränkt wurde. Die gelegentliche Ausschaltung jedes persönlichen Anteils konnte Fälschungen sogar be-günstigen. Andererseits sind persönliche Angaben gerade keine sicheren Hinweise auf eine Fälschung und ein Stilvergleich ist bei dieser Art der Briefabfassung nur schwer durchführbar.

Stilistische Unterschiede können demnach auch auf verschiedene Sek-retäre oder eine unterschiedliche Art und Intensität der Aufgabe des Sek-retärs hinweisen, nicht nur auf eine pseudepigraphische Verfasserschaft.100 Bei Annahme der Sekretärshypothese ist daher zu bedenken, dass die Art und Weise des Diktats variieren kann. Ein wortwörtliches Diktat101 hinter-lässt andere stilistische Spuren als eine grobe Vorgabe von Sinneinheiten102 oder die Verarbeitung zuvor erstellter Protokolle.103 Ebenso konnte der

linum nicht ausreicht. I. Taatz, Briefe, 111. Sie beschränkt sich in der Auswahl des Materials auf offizielle religiöse Briefe, um eine inhaltliche und formale Vergleich-barkeit der jüdischen Briefe mit den paulinischen zu ermöglichen. A.a.O., 13f. Vom inhaltlichen Charakter her hat die sich aus der stetigen Missionsarbeit ergebene Notwendigkeit, die von Paulus gegründeten Gemeinden durch Briefe zu leiten, eine Parallele im Frühjudentum. Es ergibt sich eine Nähe zu der Tradition, durch offizielle gemeindeleitende Briefe „Angelegenheiten der Diasporagemeinden zu klären und diese Gemeinden zugleich an Jerusalem anzubinden.“ A.a.O., 111, vgl. a.a.O., 105. 113. 99

Zur Beteiligung der Mitarbeiter des Paulus an seinen Briefen vgl. O. Roller, Formu-lar, 153-187. 100

R.N. Longenecker, Ancient Amanuenses, 294. 101

W. Michaelis, Einleitung, 238ff. 102

O. Roller, Formular, 20-22; J. Jeremias, Briefe, 5.9f.; G. Holtz, Pastoralbriefe, 14. 103

E.R. Richards, Secretary, 99-102; vgl. Cic Att V,17,1; VII,3; XIII,14.21-25; XIV,21,4; XV,13,5; XXVII,23,3; Cic Fam II,3,1-2; Cic ad Quintum fratrem II,16,1.

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Zur Forschungslage 32

Sekretär einen Entwurf oder mehrere Entwürfe des Autors fertig stellen.104 Das Ergebnis wurde dann im Anschluss besprochen und ggf. nochmals überarbeitet.105

An dieser Stelle berühren sich Fragmentenhypothese und Sekretärs-hypothese. Gottfried Holtz hatte versucht, beide zu verbinden. Er setzt voraus, 1Tim und Tit seien von einem Sekretär verfasst, während 2Tim eine Kombination zweier authentischer Paulusbriefe darstelle.106 Dabei soll ein ursprünglich selbstständiger (dritter) Timotheusbrief in den heutigen 2Tim eingearbeitet worden sein.107 2Tim wäre nach dieser Verfahrensweise aus der Verarbeitung von Fragmenten unterschiedlicher Briefe entstanden, indem ein Mitarbeiter aus Entwürfen oder kleineren Abschnitten, die Pau-lus im Gefängnis verfasste, einen Brief zusammenstellte.108 Voraussetzung für diese Argumentation ist, dass Sekretäre auch redaktionelle oder kom-positorische Arbeit verrichteten bzw. sich als Lektoren oder Herausgeber betätigten.109 In andern Fällen wurde der Sekretär mit großen Freiheiten ausgestattet, um nach grundsätzlichen Instruktionen des Autors in ver-hältnismäßiger Eigenständigkeit den Brief abzufassen.110 Sekretäre konnten somit durch ihren Einfluss auf das Werk auch den Status eines Co-Autors111 gewinnen.

Die Sekretärshypothese hat auch nach Roller immer wieder Vertreter gefunden,112 auch in der neueren Diskussion findet sie wieder Beachtung.113

104

Für den Bereich der Papyrologie vgl. die Papyrusbeispiele in UPZ 18-20 unter Pkt. IV.5.3.1. 105

E.R. Richards, Secretary, 44.102-104; s.u. Pkt. IV.5.4.2. 106

G. Holtz, Pastoralbriefe, 13-17. 107

A.a.O., 17. 108

O. Roller, Formular, 21: Roller ist in Bezug auf den 2Tim der Auffassung, dass dieser Brief nur „nach Angaben des Apostels, vielleicht auch mit kurzen Notizen auf einem Wachstäfelchen von einem Dritten entworfen und das Konzept von Paulus genehmigt, vielleicht auch korrigiert und die Briefausfertigung dann von ihm unter-schrieben“ worden ist. Ebd. Zur mehrschichtigen Entstehung von Briefen vgl. Pkt. IV.5.4.2 und IV.5.4.3; vgl. auch J. Jeremias, Briefe, 9. 109

E.E. Richards, Secretary, 49-53;102-105.105-111 mit zahlreichen Belegen bei Cicero. 110

A.a.O., 44-47, vgl. dort die zahlreichen Belege insbesondere bei Cicero. 111

A.a.O., 47ff.106f. 112

W. Michaelis, Einleitung; C.F.D. Moule, Problem; B. Reicke, Chronologie, passim; H. Bürki, Erster Timotheus; ders., Zweiter Timotheus. Zu den Hinweisen auf die Ver-

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Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit 33

Hier ist besonders Edward Earle Ellis zu nennen, der ebenfalls die Authen-tizität der Past auf dem Hintergrund der Sekretärshypothese begründet.114 In sehr eigener Weise versucht Michael Prior die Differenzen zwischen den Past und den Briefen des Paulus durch die Annahme zu erklären, Pau-lus habe lediglich die Past eigenhändig geschrieben, bei allen anderen Briefen dagegen habe er mit einem Sekretär gearbeitet.115 Wenn die Wahr-scheinlichkeit auch sehr groß ist, dass Paulus seine Briefe häufig unter Zuhilfenahme eines Sekretärs verfasst hat (vgl. Röm 16,22), so ist nicht auszuschließen, dass er z.B. den Philemonbrief116 eigenhändig geschrieben hat. Doch gerade bei Gefangenschaftsbriefen, zu denen unter der Voraus-setzung seiner Authentizität z.B. der 2Tim zu rechnen wäre, war Paulus sicher in besonderer Weise auf die Unterstützung eines Sekretärs ange-wiesen.117

Die These von Prior kann in dieser Form nicht überzeugen, denn für eine stärkere Berücksichtigung der Tätigkeit von Sekretären auch bei den Past spricht im Falle des 2Tim die Tatsache, dass Paulus sich nach 2Tim bei der Abfassung des Briefes in Haft befinden soll.118 Ohne Berücksichti-gung dieser Gegebenheit kann man stilistische und wortstatistische Be-obachtungen nicht ohne weiteres beurteilen, sodass die Haftsituation auch

wendung eines Sekretärs in den paulinischen Briefen selbst (Röm 16,22 und die eigenhändige Unterschrift in 1Kor 16,21; Gal 6,11; Kol 4,18; 2Thess 3,17) vgl. R.N. Longenecker, Ancient Amanuenses, 287. 113

Vgl. z.B. M. Prior, Letter-Writer, passim; E.E. Ellis, Making, 420f. Vgl. die ausführli-che Liste der Vertreter bei A. Weiser, Zweiter Timotheus, 55. 114

Vgl. E.E. Ellis, Composition, 65-83, hier bes. 79. 115

M. Prior, Letter-Writer, 50. 116 Phlm 19: eiv de, ti hvdi,khse,n se h' ovfei,lei( tou/to evmoi. evllo,gaÅ evgw. Pau/loj e;graya th/| evmh/| ceiri,( evgw. avpoti,sw\ – Wenn er dir aber irgend ein Unrecht getan hat, oder dir etwas schuldig ist, so rechne dies mir an. Ich, Paulus, habe es mit meiner Hand geschrieben, ich will bezahlen. Zur Wendung th/| evmh/| ceiri, vgl. ausführlich P. Arzt-Grabner, Philemon, 241f. Vgl. E. Reinmuth, Philemon, 50f. Reinmuth geht auch von einer eigenhändigen Abfassung des Phlm aus: „Der Hinweis auf sein eigenes Schrei-ben muss jedoch nicht heißen, dass Paulus bis zu dieser Stelle den Brief diktierte.“ A.a.O., 50. 117

Vgl. den Exkurs zu den Haftbedingungen im Römischen Reich. 118

O. Roller, Formular, 20. Vgl. dazu z.B. auch Kol. Hier finden sich auch unter Be-rücksichtigung der Gefangenschaft des Paulus ebenfalls Vertreter einer Sekretärs- bzw. Mitarbeiterthese. Vgl. E. Schweizer, Kolosser, 27; W.H. Ollrog, Mitarbeiter, 219-232; J.D.G. Dunn, Colossians, 38; U. Luz, Kolosser, 190; J. Lähnemann, Kolosserbrief, 181f., Anm. 82. Zur Diskussion um die Gefangenschaft und ihren Ort vgl. W.G. Kümmel, Einleitung, 305f. und E. Lohse, Kolosser, 234-237.

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Zur Forschungslage 34

als Fiktion mit einzubeziehen wäre, weil dadurch auch der Stil eines fikti-ven Autors beeinflusst wird. Richards hat umfangreich belegt, wie stark die Umstände, in denen ein Brief abgefasst wird, Wort, Stil und Inhalt prägen.119 Für Inhalt, Stil und Wortwahl sind ferner bei antiken Briefen die Adressaten entscheidend mitbestimmend. Darauf hatte schon Wrede hin-gewiesen, der betonte, dass von einem Autor „dasselbe Thema unter ver-schiedenen Umständen, für verschiedene Leser, bei verschiedener prakti-scher Tendenz in ganz verschiedener Weise, in einem fast entgegengesetzten Sinne“120 entfaltet werden kann. Die Haftbedingungen im Römischen Reich verdienen daher in diesem Zusammenhang eine eige-ne Darstellung, weil sie unter authentischer wie fiktiver Verfasserschaft den Briefstil des 2Tim prägen bzw. prägen müssen.

Exkurs: Haftbedingungen im Römischen Reich Die Sekretärshypothese macht es erforderlich, die Entstehungsumstände von Briefen zu berücksichtigen, wenn angemessen über ihr inhaltliches und stilistisches Profil geurteilt werden soll. Für Gefängnisbriefe sind demnach die Bedingungen der Gefangenschaft maßgeblich.121

Nach 2Tim 1,16f. ist Paulus gefangen und in Ketten gelegt, ob fiktiv oder tatsächlich ist zunächst unerheblich. Dabei legt 2Tim 1,17 nahe, als Ort der Gefangenschaft Rom anzunehmen. Bezüglich der Haft, in der er sich befinden könnte oder befinden soll, bestehen die Möglichkeiten der Untersuchungshaft, Strafhaft und Exekutionshaft, dabei ist begrifflich noch zwischen custodia in der Bedeutung von Haft, oft als Untersuchungshaft, sowie vincula als bloße Einsperrung meist ohne Fesseln zu differenzie-ren.122 Dementsprechend ist anzunehmen, dass die Art der Haft auch Ein-fluss auf die Art und Weise der Briefe hat, die in ihr geschrieben wurden. Für die bekannten Inhaftierungen von Paulus ist in der Regel von der Un-

119

E.R. Richards, Secretary, passim; vgl. E.E. Ellis, Making, 325-327. 120

W. Wrede, Aufgabe, 18. 121

Vgl. zu weiterführenden Informationen die ausführliche Untersuchung von J.-U. Krause, Gefängnisse, passim, bes. 43-91; W. Eisenhut, Gefängnisstrafe, 268-282; W. Nippel, Verschwörung, 65-73; Th. Mommsen, Strafrecht, 960ff.; Silke Ar-bandt/Werner Macheiner/Carsten Colpe, Gefangenschaft, 318-345; zum Prozess des Paulus vgl. H. Omerzu, Prozeß, passim, hinsichtlich der römischen Gerichtsbarkeit bes. 53-109; auch J. Jeremias, Briefe, 6. 122

Zur Terminologie S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 319f. ein weiterer Terminus ist noch carcer mit der Bedetung von Gefängnis (locus custodiae). Zu den Haftformen, a.a.O., 322-338; vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse, passim, hier 64-91; vgl. C.S. Wansink, Chained, 27-95.

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tersuchungshaft auszugehen, da er stets wieder freigelassen wird (vgl. 2Kor 1,8ff.; 6,5; 11,23; 1Kor 15,32; Apg 16,23; vgl. 1Clem 6,5: siebenmal in Fesseln). Auch die Gefangenschaften in Cäsarea und in Rom123 (Apg 23,33-26,32; 28,14-31) hatten zunächst die Form der Untersuchungshaft, die dann aber in eine Straf- bzw. Exekutionshaft überging und letztlich mit dem Tod des Apostels endete.

Allgemein galt eine Gefangenschaft wegen der Zustände vor allem für wenig Begüterte ohne einflussreiche Verbindungen und Menschen ohne Bürgerrecht als crucitatus bzw. immensus crucitatus, also ein Gekreuzigt-werden bzw. ein unermesslich grausames Gekreuzigtwerden.124 Obwohl die Haftbedingungen als hart galten, wurde die Gefängnishaft gegenüber der Todesstrafe als die mildere Strafe verstanden.125 „Lediglich Cäsar blieb es vorbehalten, anläßlich des Catilianer-Prozesses zu behaupten, daß eine lebenslängliche Kerkerhaft härter sei als der schnelle Tod. Er forderte damit den Tadel Catos und den Spott Ciceros heraus.“126 Werner Eisenhut betont: „Wie hart die Gefängnisstrafe war – so hart, daß kaum einer sehr lange überlebte –, können wir uns kaum vorstellen. … Auch das Christen-tum hat hier keine Besserung, nur mehr Mitleid gebracht.“127 Die Sterblich-keit von Gefangenen wurde oft beklagt.128 Juvenal spricht von der Hinrich-tung eines Verurteilten im „dunklen“ Kerker,129 wodurch die widrigen Umstände in den Gefängnissen veranschaulicht werden. Wenn diese Cha-rakterisierung der Haft im Römischen Reich grundsätzlich zutreffend ist, so muss doch beachtet werden, dass die Haftumstände andererseits be-trächtlich variierten und die Beschreibung Eisenhuts in Gefahr steht, zu wenig zu differenzieren. Für die Gefangenschaftsbriefe im Allgemeinen

123

Zu den Gefangenschaften vgl. die Erörterungen bei W.G. Kümmel, Einleitung, 284-291. 124

Vgl. F.H. Hitzig, Carzer, 1576ff., hier 1581; C.S. Wansink, Chained, 33.44ff. 125

W. Eisenhut, Gefängnisstrafe, 278. 126

Ebd. 127

Ebd. 128

„Die inneren Zustände scheinen überall in den Gefängnissen gleich schlecht gewe-sen zu sein. Dunkelheit, Platzmangel, unzureichende Ernährung u. Fehlen jeglicher hygienischer Vorkehrungen führten zu großer Sterblichkeit.“ S. Arbandt/W. Machei-ner/C. Colpe, Gefangenschaft, 321. Vgl. F.H. Hitzig, Carzer, 1581; zur Sterblichkeit in Gefängnissen vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse, 295-297. 129

Juv 13,237ff., s.o. Anm. 128.

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Zur Forschungslage 36

und für die Beurteilung von 2Tim im Besonderen stellt sich somit die Frage nach der Art und den Umständen der hier für Paulus vorausgesetzten Haft. Zum speziellen Fall der Untersuchungshaft kam es unmittelbar nach der Anklageerhebung.130 Der Angeklagte erhielt dann eine Abschrift der Ankla-ge.131 Für das Verfahren war der Präfekt zuständig (vgl. Phil 1,13: praitw,rion), eine Delegierung war nicht gestattet, lediglich Voruntersu-chungen konnten von Legaten durchgeführt werden, die Gerichte leiteten Prätoren.132 Der Statthalter war es auch, der entschied, ob Haft oder militä-rische Bewachung (s.u.) zu vollziehen sei, es gab dabei keine rechtliche Regelung für die Gestaltung einer Untersuchungshaft. Er war allein befugt, zu verurteilen oder freizusprechen (vgl. in diesem Sinn Joh 19,10).133 Als Alternative zur Untersuchungshaft war die Stellung eines Bürgen beson-ders bei Angehörigen der Oberschicht denkbar.134 Wenn irgend möglich, wurde eine Bürgschaft in Anspruch genommen. Denn auch bei erwiesener 130

Zur Untersuchungshaft vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse, 64-80. 131

Paulus, Sententiae 5,16,14 (2 FIRA, 404). Die Überlegungen von O. Egger, dass dem Verfasser der Apg „amtliche Akten des paulinischen Prozesses“ bei der Abfas-sung vorgelegen haben könnten, werden durch diesen Hinweis auf die ausgehändigte Anklageschrift untermauert, was auch eine relative Zuverlässigkeit der Berichte des Lukas in der Apg nahelege. Vgl. O. Egger, Rechtsgeschichtliches passim, hier 17. Heike Omerzu hat die Frage nach der Zuverlässigkeit der Apg hinsichtlich ihres Berichtes über die Appellatio des Paulus und seinen Prozess bzw. die Anklage auf dem Hintergrund der Quellen intensiv untersucht. Vgl. bes. H. Omerzu, Prozeß, 57-79 sowie 83-107. Sie kommt zu dem Ergebnis, „daß die in den Act geschilderte Berufung des Apostels Paulus an den Kaiser weder als unhistorisch zu verwerfen, noch als ein Sonderfall des Appellationsrechts aufzufassen ist. Sie fügt sich gut in die weiteren Belege aus dem frühen Prinzipat ein, als sich die appellatio in ihren Anfangsstadien befand und noch nicht ihre spätere Gestalt besaß“ (a.a.O., 107). Omerzu (a.a.O., 407) betont auch die Fülle von juristischen Fachtermi beispielsweise in Apg 23,26-30, die nach O. Eggers Beobachtung in „amtlichen Schriftstücken“ begegnen (O. Egger, a.a.O., 10 u. Anm. 17). Auf die Frage der Anklageschrift und der Aushändigung ihrer Abschrift geht sie dabei nicht näher ein, äußert sich aber der Auffassung gegenüber, dass Lukas offizielle Schriftstücke vorgelegen haben könnten, ebenso zurückhaltend wie gegenüber der Möglichkeit lateinischer Sprachkenntnisse des Apostels, vgl. a.a.O., 50f.; 407.411f.418; vgl. auch H. Omerzu, Schweigen, 148f.151-156. 132

Digesta 1,16,11 (Vanuleius Saturnius); 1,21,1 (Papinian); 50,17,70 (Ulpian). Ge-meint sind beispielsweise senatorische Gehilfen des Statthalters (legati) oder in Kaiserprovinzen vom Kaiser ernannte Legaten für die Rechtspflege (iuridici). Vgl. dazu ausführlich Th. Mommsen, Strafrecht, 245-250; vgl. auch J.-U. Krause, Gefäng-nisse, 64ff.; S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 325. 133

Digesta 1,16,6 (Papinian). 134

Digesta 48,3,1 (Ulpian), vgl. S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 324.

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Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit 37

Unschuld war eine Inhaftierung mit einem deutlichen Ansehensverlust verbunden.135 Die Bürgschaft bestand dabei darin, sich finanziell für den Angeklagten zu verbürgen. Ein prominentes Beispiel ist Quinctius Caeso, der 461 v. Chr. wegen Totschlags vor Gericht stand. Ihm wurde es gestat-tet, Bürgen zu benennen. Er benannte zehn Männer, die sich jeweils auf eine Summe von 3000 As für ihn verbürgten (der Jahressold eines Legio-närs betrug z.B. etwa 4800 As). Quinctius wurde daraufhin aus dem Ge-fängnis entlassen.136

Hinsichtlich der Frage, ob die Gefängnishaft eine übliche Form der Be-strafung im Unterschied zur Todesstrafe war, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Während Eisenhut die Strafhaft für belegbar hält,137 geht Wilfried Nippel davon aus, dass eine Gefängnisstrafe im eigentlichen Sinn in der Römischen Republik unbekannt war.138 Während der Zeit der Repu- blik hat es nach Theodor Mommsen139 und Jens-Uwe Krause140 eine Haft als reguläre Strafe nicht gegeben. Erst „in der Kaiserzeit waren die Provinz-statthalter bei der Findung von Strafen sehr frei, und damit wird auch die Inhaftierung als Strafmaßnahme zumindest denkbar.“141 In der frühen Kai-serzeit wurde demnach von einzelnen Statthaltern die Gefängnisstrafe als Strafmaßnahme mit großer Wahrscheinlichkeit angewendet.142

Die Dauer von Gefängnisaufenthalten war beliebig und das Ende wur-de willkürlich festgelegt. Zum Tode verurteilte Straftäter blieben in jedem Fall bis zur Vollstreckung des Urteils in den Gefängnissen eingesperrt. In der frühen Kaiserzeit werden Gefängnis- und Vollstreckungshaft als nahe-zu identisch betrachtet. So gibt Seneca allgemein den Rat, sich freiwillig auf eine kärgliche Kost einzustellen, nämlich auf eine Beköstigung, wie sie den auf die Hinrichtung Wartenden im Gefängnis zugestanden wird.143 Er

135

Digesta 4,6,10 (Ulpian). 136

Liv 3,13; vgl. Dion Hal, Ant Rom 10,8. Zur Bürgschaft vgl. J.-U. Krause, Gefängnis-se, 66-77. 137

W. Eisenhut, Gefängnisstrafe, 274 u. 282. 138

W. Nippel, Verschwörung, 70. 139

T. Mommsen, Strafrecht, 963. 140

J.-U. Krause, Gefängnisse, 83-91. 141

A.a.O., 84. 142

A.a.O., 86. Vgl. S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 331: „Die Kaiserzeit kennt Haft mit eindeutigem Strafzweck.“ 143

Sen.ep. 18,11.

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Zur Forschungslage 38

denkt dabei vor allem an zum Tode Verurteilte im Gefängnis.144 Die speziel-le Exekutionshaft,145 die in 2Tim 4,6-8.18 vorausgesetzt zu sein scheint, war mit „rechtlicher Nothwendigkeit“ eine Folge des Todesurteils.146 Der Gefängniswächter war meist auch der Henker.147

An römischen Bürgern bzw. Angehörigen der Oberschicht wurde die Todesstrafe vorwiegend „durch Erdrosselung im Kerker“ vollzogen.148 „In der Republik wie in der frühen Kaiserzeit fand in Rom eine große Zahl von Hinrichtungen im Gefängnis selbst statt.“149 Spektakuläre Hinrichtungen an römischen Bürgern in der Öffentlichkeit hätten sich nach Ansicht Nip-pels in der Überlieferung niedergeschlagen, was aber in den erhaltenen Quellen nicht erkennbar sei.150 Falls die Vollstreckung nicht unmittelbar vorgenommen wurde, blieb der Verurteilte in Haft. In diesem Fall konnte aus der Exekutionshaft quasi eine dauerhafte Inhaftierung ohne Aussicht auf Freilassung werden.

Grundsätzlich war die Verbringung in ein Gefängnis „eine Coerziti-onsmaßnahme der Magistrate von unbestimmter Dauer – bis zur Aufhe-bung nach Gutdünken der Magistrate oder bis zum Einschreiten von Volkstribunen; erfolgte dies nicht, konnte dies zu einer faktischen Dauer-haft führen.“151 „Da aber die Zeitbestimmung von dem Ermessen des Ma-gistrats abhängt und gesetzliche Maximalfristen für dieselbe so gut wie gar nicht bestehen“,152 kann über die Dauer einer Haft, die keine Exekutions-haft war, ebenfalls keine Aussage gemacht werden. Dies gilt insbesondere, weil bei eingelegter Provocatio der Angeklagte nicht als verurteilt angese-

144

Vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse, 80, Anm. 74. 145

Sen.ep., 87,25. Vgl. S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 332f. 146

Th. Mommsen, Strafrecht, 961. 147

Sen.ep., 24,3; Suet. Tiberius 75; Firmicus Maternus, Mathesis 3,5,26; 4,11,5; 4,14,1; 4,14,10; 8,17,1. 148

W. Nippel, Verschwörung, 70; J.-U. Krause, Gefängnisse, 80f. Die Öffentlichkeit bestand darin, dass die Hingerichteten aus dem Gefängnis geschleift und in den Tiber geworfen wurden. Zur nichtöffentlichen Hinrichtung vgl. auch Th. Mommsen, Strafrecht, 302.913f.; S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 332f.; J.-U. Krause, Gefängnisse, 81, Anm. 77. Vgl. Tacitus, Annales. 2,32; 15,60; Suet.Cl. 25,3; Cic. Catilina 2,27. Zum römischen Bürgerrecht vgl. auch H. Omerzu, Prozeß, 17-52. 149

J.-U. Krause, Gefängnisse, 80; vgl. Th. Mommsen, Strafrecht, 929f. 150

W. Nippel, Verschwörung, 70. 151

Ebd.; vgl. ders., Aufruhr, 16; J.-U. Krause, Gefängnisse, 10. 152

W. Nippel, Verschwörung, 70.

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hen wurde.153 Wenn in 2Tim angesichts des wahrscheinlich nahen Todes des Apostels, wie in 2Tim 4,6-8 artikuliert, die römische Gefangenschaft vorauszusetzen ist, kann gerade die Haft in Folge der Provocatio des Pau-lus und eine dementsprechende Situation im 2Tim nicht ausgeschlossen werden.

Was die Haftbedingungen betrifft, kann daher die Aussage, dass sich Onesiphorus der Ketten des Paulus nicht schämt und ihn in den Gefäng-nissen sucht (2Tim 1,16f.), nicht im übertragenen Sinn verstanden werden, sondern höchstens als Stilmittel, das die Gegebenheiten der typischen Gefängnissituation voraussetzt. Denn schon die Apostelgeschichte belegt vielfach die übliche Fesselung von Gefangenen (Apg 12,6; 16,24 sowie 21,11.33).154 Obwohl die Einsperrung nicht notwendigerweise mit einer Fesselung verbunden war, ist sie bei der öffentlichen Haft (publica vincu-la155) wohl die Regel gewesen. Fesselung und Inhaftierung fielen insofern zusammen, „als (die) beikommende Stelle wohl Haft ohne Fesselung verfü-gen kann, aber regelmäßig befugt ist, ... beides zu verbinden. Fesselung ohne Einsperrung ist auch, aber wie es scheint nur ausnahmsweise vorge-kommen.“156

Auch die freiere Haft deutet nach Apg 28,20 eine Fesselung an (vgl. Apg 28,16.157 20.30). Dieses Verfahren, auf die Einsperrung im Gefängnis zu verzichten, entspricht dem Vorgehen gegenüber Angehörigen der Ober-schicht bzw. römischen Bürgern.158 Diese wurden, wie in Apg 28 beschrie-

153

Ebd. 154

Zu den Ketten vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse, 283-286, und zur Fesselung von Gefangenen vgl. O. Roller, Formular, 314, Anm. 135; zum Folgenden ausführlich Th. Mommsen, Strafrecht, 297-322. Bei Gefängnissen wurde zwischen äußeren und inneren Räumen unterschieden; „in den letzteren befanden sich die Gefangenen, die vincula trugen, Ketten, oder je nach ihrem Rang bzw. der Schwere ihrer Verbrechen, Hand- oder Fußfesseln, oder die an einen Pfahl gebunden waren“ (S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 321). 155

Die publica vincula ist nicht zu verwechseln mit der vincula von Sklaven, die zur „Hauszucht“ gehört. Auch zu unterscheiden sind die „als Hauptfall der Freiheitsbe-raubung bezeichneten vincula, welche zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand berechtigen.“ Th. Mommsen, Strafrecht, 300. 96; vgl. dazu auch S. Arbandt/W. Mach-einer/C. Colpe, Gefangenschaft, 322f. 156

Th. Mommsen, Strafrecht, 301. 157

Z.St. vgl. Th. Mommsen, Strafrecht, 317, Anm. 5. 158

Vgl. dazu J.-U. Krause, Gefängnisse, 180-188.

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Zur Forschungslage 40

ben, oft unter Hausarrest gestellt.159 Unter besonderen Umständen, offen-sichtlich bei Berufung auf den Kaiser (Apg 28,19), war die „freie Haft“ (libera custodia160, fulakh. a;desmoj161), also das Festhalten im Privathaus für die Zeit der juristischen Untersuchung, offensichtlich möglich. Die Be-zeichnung fulakh. a;desmoj rührt wohl daher, dass diese Art der (Untersu-chungs-)Haft „wenigstens der Regel nach die Fesselung ausschloss“.162 Die besondere Betonung der freien Haft des Paulus in Apg 28 unterstreicht den Regelfall der Kerkerhaft.

Grundsätzlich kann man von der relativen Willkür der Behörden bei den Verhaftungen und der Festlegung der Haftbedingungen ausgehen. Deutlich wird dies daran, dass der Magistrat, welcher die Haft anordnet, zugleich ihre Modalitäten nach Belieben festlegt.163 Neben anderen Maß-nahmen bemaß sich die Schwere der Haft dann auch „ganz entscheidend nach der Qualität der Ketten: ihrem Gewicht, ihrer Enge, welche Körpertei-le gebunden wurden.“164 Es konnte schon eine deutliche Erleichterung für Inhaftierte sein, wenn ihnen leichtere Ketten angelegt wurden. Für die Behandlung der Gefangenen wird „einerseits die Persönlichkeit des Vorge-setzten und vielmehr noch die der Subalternen“165 maßgeblich gewesen sein. Im Allgemeinen ist daher auch hier von einer großen Beamtenwillkür

159

Codex Theodosianus 9,2,2. 160

Liv 24,45,8.10; Sallustius, de coniuratione Catilinae, 47. Vgl. S. Arbandt/W. Mach-einer/C. Colpe, Gefangenschaft, 320f. 161 Dio C 58,3: … evnetei,lato o[pwj evn fulakh|/ avde,smw| h|=, me,crij a'n auvto.j evj th.n po,lin

avfi,khtai, … kai. e;scen ou[twj: pro,j te ga.r tw/n avei. u`pa,twn evthrei/to (e;xw th/j tou/ Tiberiou avrch/j: to,te ga.r pro.j tw/n strathgw/n evfula,cqh) – … er befahl, dass er in ungefesselter Haft sei, bis er selbst in die Stadt käme … Und so geschah es auch: er wurde nämlich unter den ständigen Konsuln bewacht (außerhalb des Herrschaftsbe-reiches des Tiberius; denn damals wurde man unter Praetoren bewacht). Vgl. weiter Dio C 20,66; 36,53; 77,7.11; 145,2. Vgl. S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefan-genschaft, 326. 162

„Die Privathaft wird bei Personen besserer Stände von jeher vorgekommen sein und ist, zumal bei der schlechten Beschaffenheit des Staatsgefängnisses und der Unsicherheit desselben, bis in die Kaiserzeit hinein in Gebrauch geblieben“ (Th. Mommsen, Strafrecht, 305). „Diese leichtere Form der Untersuchungshaft findet sich bereits in republikanischer Zeit u. kommt auch in der Kaiserzeit noch zur Anwen-dung“ (S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 326).

163 Ebd. Vgl. S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 324f.

164 J.-U. Krause, Gefängnisse, 285; zum Gewicht der Ketten vgl. Liv 32,26,4ff.

165 Th. Mommsen, Strafrecht, 303.

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auszugehen.166 „Die Gerichte waren oftmals inkompetent und korrupt.“167 Daher waren oft das Vermögen und der Einfluss der Inhaftierten oder ihrer Angehörigen entscheidend.168 „Bemittelte oder von ihren Freunden unter-stützte Gefangene werden in der Lebenshaltung der Regel nach nicht be-schränkt.“169 2Tim 4,9 und 11 haben darin einen konkreten Hintergrund. Es gab somit einige Freiheiten für die Häftlinge. Sie empfingen in vielen Fällen relativ ungehindert Besuche.170 „Als Zeichen besonderer Grausam-keit der Gefängniswächter gilt es, wenn sie entweder ganz verweigert oder nur gegen Bezahlung erlaubt wurden.“171 Einige Formen der zugestandenen Freiheiten sind belegt. Von einem zum Tode Verurteilten wird berichtet, dass er sich die Zeit mit Würfelspielen vertrieb.172 Von einem anderen In-haftierten, der Majestätsverbrechen begangen haben soll, wird berichtet, dass er im Gefängnis Gedichte schrieb.173 Lane Fox hat nachgewiesen, dass Christen im Gefängnis Schriften zu Papier brachten und auch per Brief kommunizierten.174 Je nach den Umständen waren die Möglichkeiten schriftlicher Äußerungen also sehr verschieden und konnten auch inner-halb einer Haftzeit wechseln.

Auf dem Hintergrund der Ausführungen zu den Haftumständen und den Haftbedingungen gewinnen sowohl die bedrängende Situation, die aus 2Tim 4,6-8.16f. spricht, als auch die Bitte um Schriftstücke und Schreib-material in 2Tim 4,13 Plausibilität. Besuche (2Tim 1,16f.; 4,11) und 166

J.-U. Krause, Gefängnisse, 189-202. Grundsätzlich waren „die Gefangenen ganz in der Macht der Gefängniswärter u. ihrer Gehilfen. … [Da sie] diese nur durch Beste-chung beeinflussen konnten … waren die den Wärtern für die Annahme von Beste-chungsgeldern ausgesetzten Strafen hoch“ (S. Arbandt/W. Macheiner/C. Colpe, Ge-fangenschaft, 321). 167

A.a.O., 192. 168

Th. Mommsen, Strafrecht, 303. 169

Ebd. 170

J.-U. Krause, Gefängnisse, 277; 288-291. „Im äußeren Kerker hatten die Gefange-nen vielerlei Erleichterungen; sie konnten Besuche ihrer Verwandten u. Freunde empfangen (Plat. Phaedo 57d) u. waren meist nicht gefesselt (Calp. decl. 4)“ (S. Ar-bandt/W. Macheiner/C. Colpe, Gefangenschaft, 321). 171

J.-U. Krause, Gefängnisse, 288. 172

Sen. de tranquillitate animi 14,7. 173

Tacitus, Annales 6,39. 174

Lane Fox, Pagans, 468ff.; bes. 756 (vgl. z.B. MartPol 9,1; 10,5; 11,2.7; 18,3.8.13; 19,1; 22,2-3; Cyp.ep. 10,1-2; 31,4-5; Eus.h.e. VI,41,16-21; VII,11,6); ähnlich auch J. Jeremias, Briefe, 6.

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Zur Forschungslage 42

Schreiben (2Tim 4,13) sind von den historischen Gegebenheiten her sehr wahrscheinlich. Schon die Existenz von Gefangenschaftsbriefen allein macht dies deutlich.175 Insbesondere der Phlm zeigt, dass Paulus in der Haft gelegentlich auch schreiben konnte. In Phlm 18f. erscheint die Wendung th/| evmh/| ceiri, innerhalb des Schreibens, woraus geschlossen werden kann, dass der Brief eigenhändig oder zumindest in Gegenwart des Paulus ge-schrieben wurde.176 Die eigenhändige Unterschrift erfolgt mitten im Brief, weil sie zu der Erklärung der angebotenen Schuldübernahme gehört.177 Wie schon deutlich wurde, waren jedoch selbst als großzügig zu betrachtende Regelungen in keiner Weise mit den Gegebenheiten und Möglichkeiten der Freiheit vergleichbar. Eine Fesselung von Paulus ist für die in 2Tim be-schriebene Haft nach 2Tim 1,16f. sicherlich vorausgesetzt. Für einen alten Mann, wie der Phlm sagt (9: Pau/loj presbu,thj nuni. de. kai. de,smioj), muss das schier unerträglich gewesen sein. Er war je nach dem Fortgang des Prozesses oder nach dem Wechsel der Wachhabenden der Willkür der Mächtigen ausgesetzt. Auch unter Voraussetzung der Fiktion ist zu fragen, inwiefern dies der Situation, in die Paulus im Verfolgen seiner Mission geraten war, entspricht.

In einer wie in 2Tim vorausgesetzten Haftsituation, die von der „freien Haft“ (custodia libera, fulakh. a;desmoj – vgl. Apg 28) abweicht178 und einer Exekutionshaft ähnelt (vgl. die Erwartung des baldigen Lebensendes in 2Tim 4,6-8), bleibt nur die Möglichkeit, Notizen anzufertigen, bei Besu-chen zu diktieren und Schriftstücke zu unterzeichnen. Der Spielraum der Freiheiten war sehr deutlich eingeschränkt, auch wenn der Umfang der erlaubten Tätigkeiten innerhalb derselben Haft variabel war. An eine Ab-fassung von Briefen im ruhigen Klima eines Arbeitszimmers war jedenfalls nicht zu denken. Wem Fesseln die Handgelenke wund reiben, hat andere Sorgen als antike Briefstile. Er ist froh, wenn er den Menschen, die ihn besuchen, das Wichtigste mitteilen kann. Da wiegen dann die Fesseln (desmoi,) von Phil 1,12f. nicht mehr ganz so schwer.

Wenn in 2Tim 4,16 von der „ersten Apologie“ (evn th/| prw,th| mou avpolo- gi,a| ouvdei,j moi parege,neto, vgl. Phil 1,7) die Rede ist und 2Tim 4,11 betont, „Lukas ist allein bei mir“, klingen darin die Gegebenheiten antiker Haftbe-dingungen unüberhörbar an. Lukas käme dann für die Abfassung und

175

Vgl. dazu auch E. Reinmuth, Philemon, 19f. 176

Vgl. Pkt. III.2.2.1. 177

P. Arzt-Grabner, Philemon, 240; vgl. J. Luttenberger, Schuldschein, 85. 178

Vgl. oben S. 39f. und Anm. 131.

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Persönliche Notizen als Argument für eine Sekretärsarbeit 43

Übermittlung des 2Tim durchaus in Betracht. Roller ist in Bezug auf den 2Tim deshalb der Auffassung, dass angesichts der erkennbar werdenden Haftgegebenheiten von Paulus dieser Brief nur „nach Angaben des Apos-tels, vielleicht auch mit kurzen Notizen auf einem Wachstäfelchen von einem Dritten entworfen und das Konzept von Paulus genehmigt, vielleicht auch korrigiert und die Briefausfertigung dann von ihm unterschrieben“179 worden sein kann. Für den Kol scheint nach 4,16 Ähnliches zu gelten.

Allerdings muss man mit allzu weitreichenden Schlussfolgerungen vorsichtig sein, denn auch unter Voraussetzung einer Fiktion wäre die Briefsituation für die Beurteilung des 2Tim von Bedeutung und die ge-schilderte Haft als Fiktion mit einzubeziehen. Der Stil eines fiktiven Autors würde auch dadurch beeinflusst, weil sie beim Leser eine Rezeptionshal-tung bedingt, der die antiken Umstände und Gegebenheiten einer Haft kennt und so den realen Hintergrund einer Haft wachruft. Umstände und Gegebenheiten müssten sachgemäß geschildert werden. Auch die Fiktion könnte nicht unabhängig von der fiktiv vorausgesetzten Situation durchge-führt werden. Umso schwerer würde allerdings der Unterschied der vor- ausgesetzten Situation zu Apg 28 wiegen.

***

Damit kann sich die Sekretärshypothese auf einige durchaus plausible historische Gegebenheiten stützen. In der von 2Tim vorausgesetzten Situa-tion der Haft kann dieser Brief kaum anders als durch einen Dritten ent-stehen, ein Sachverhalt, der auch unter fiktiven Vorzeichen als Erwar-tungshaltung vorausgesetzt werden muss. Die Abweichung von dem üblichen Stil ist auf dem Hintergrund der Entstehungssituation eines sol-chen Briefes eher zu erklären als durch die Annahme einer fälschenden Fiktion, für die das Bemühen um Stilgenauigkeit charakteristisch ist.180 Abweichungen vom paulinischen Stil können auf diesem Hintergrund eher als Ausweis der Authentizität der Past denn als Belege für die Absichten eines Fälschers verstanden werden.

Ungleich größere Resonanz als die bisher dargelegten Positionen hat in der Forschung jedoch die Ansicht gefunden, in den Past läge eine der antiken Schriftstellerei vergleichbare Form der literarischen und damit legitimen Pseudepigraphie vor. Mit ihr verschiebt sich bei der Beurteilung der persönlichen Notizen der Akzent von der Authentizität der Angaben

179

O. Roller, Formular, 21; zur mehrschichtigen Entstehung von Briefen vgl. Pkt. IV.5.3.1; vgl. auch J. Jeremias, Briefe, 9. 180

Vgl. dazu Pkt. III.3.1.

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Zur Forschungslage 44

hin zu der Betrachtung als eines üblichen Stilmittels. Auf diese Position ist nun näher einzugehen.

II. 5 Persönliche Notizen als Argument für literarische Pseudepigraphie

II. 5. 1 Vorbemerkung Die bisher bei der Frage nach der Bedeutung der persönlichen Notizen für die Bewertung der Past dargelegten Hypothesen nehmen diese zum An-lass, die Authentizität der Past oder zumindest die Authentizität einiger Briefteile zu vermuten. Während die Vertreter der Echtheit konsequent von der paulinischen Verfasserschaft der Briefe in der Gesamtheit ausgehen,181 sieht die Fragmentenhypothese lediglich die persönlich gehaltenen und in ihren historischen Angaben konkreten Texte als paulinische Schriftstücke an. Die Sekretärshypothese postuliert dagegen die indirekte Verfasserschaft und kehrt so zur Annahme der Authentizität der Past als ganzer zurück.

Demgegenüber ist seit dem 19. Jahrhundert angenommen worden, die Past seien pseudepigraphische Schreiben.182 Johann Ernst Christian Schmidt183 und Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher184 haben als erste die paulinische Verfasserschaft des 1Tim problematisiert. Sie unterschieden dabei zwischen 1Tim sowie 2Tim und Tit und zweifelten aus stilistischen Gründen an, dass Paulus der Verfasser des 1Tim sei. Ferdinand Christian Baur185 und später auch Heinrich Julius Holtzmann186 waren der Auffassung, alle drei Briefe seien der Pseudepigraphie zuzurechnen. Im 20. Jahrhun-dert fand diese Ansicht dann eine weite Verbreitung.187 Sie wurde

181

Wobei auch die Anregungen der Sekretärsthese berücksichtigt werden. Vgl. J. Jeremias, Briefe, 9; W. Michaelis, Einleitung, 238ff. 182

Vgl. die Auflistung bei L.T. Johnson, Letters, 50-53; zur Frage der Pseudepigraphie allgemein und der der Past im Besonderen vgl. J. Herzer, Fiktion, 490-528. 183

J.E.C. Schmidt, Einleitung (1804) u. ders., Geschichte (1808). 184

Vgl. F.D.E. Schleiermacher, Sendschreiben, passim. 185

F.C. Baur, Pastoralbriefe, 5; vgl. als Antwort und Verteidigung der Echtheit M. Baugarten, Pastoralbriefe, passim. 186

H.J. Holtzmann, Pastoralbriefe, 253. 187

Vgl. hierzu A. Weiser, Zweiter Timotheus, 51-59.